zu erwachen.' Damit allerdings fiel mir mein Leid wieder schwer auf die Seele. Ich sagte mir traurig, daß mein Capitano bereits manche Meile von mir entfernt sei, aber bei Sonnenlicht schaut man allem Unheil muthiger ins Antlitz, und so tröstete ich mich, indem ich allerlei Möglichkeiten ausdachte, die mich nach Genna, der neuen Garnison des Capitano, bringen konnten und freute mich, daß er nicht nach Florenz, Neapel oder sonst einem für mich ganz unerreichbaren Ort versetzt worden war.
Wie erstaunt Sie mich anschauen, Signore! Sie können, scheint es, nicht begreifen, daß ich noch immer nicht den Plan, meinen Officiale zu mir zurückzuführen, aufgeben wollte? O weit davon entfernt, Signore, das wäre vielleicht eines kalten Deutschen würdig gewesen, darnach, wie ich Eure Landsleute oft schildern hörte, aber ein Italiener, und wie Sie sehen werden auch eine Italienerin, glaubt zu sehr an die Macht der Leidenschaft, an den Zauber der Liebe, als daß ein so verunglückter Versuch, wie der meinige es war, allen Wünschen ein Ziel setzen konnte. Ich sagte mir, daß trotz all meiner Leiden und Kämpfe der Capitano ja keine Ahnung von dem Wechsel meiner Gesinnung gegen ihn haben könne; ich stand allerdings von dem Gedanken ab, ihm je wieder in einer ähnlichen Weise zu nahen, wie dies am Abend zuvor in seinem Hause geschehen war, aber um so mehr spannte ich meine Denkkrast an, ein Mittel zu ersinnen, das mir eine Begegnung mit ihm auf neutralem Gebiet möglich machte. Oft faßte ich den Entschluß, nach Genua zu schreiben, oft schon — ich gestehe es — hielt ich die Feder in der Hand, aber immer wieder zerriß ich die Anfänge zu meinen Briefen und stand zuletzt von meinem Plan ab. Ich war überzeugt, daß nur durch eine persönliche Zusammenkunft mein Zweck erreicht werden könnte, und daß ein Schreiben von meiner Seite stets ungeschickt erscheinen und in mehr als einer Beziehung gewagt sein würde.
Aus all diesem Hin und Wieder meiner Gedanken werden Sie errathen, daß mein Geist sich fast ausschließlich mit dem Capitano beschäftigte, seit er mir fern gerückt war. Die Idee, seine Zuneigung wieder zurückzugewinnen, war nach und nach förmlich zur Monomanie bei mir geworden. Die Interessen meines übrigen Bekanntenkreises erbleichten von Tag zu Tage mehr für mich, ganz Alessandria erschien mir nur noch wie ein großer langweiliger Steinhaufen, und mein Sinnen und Denken konzentrirte sich in dieser einen Frage an das Schicksal, deren Beantwortung ich mit förmlich störrischer Gewalt zu erzwingen trachtete.
Da wollte es mein guter Stern, daß ein Bruder meines früh verstorbenen Vaters auf einer Geschäftsreise durch Alessandria kam und uns aufsuchte. Es war dies ein alter graubärtiger Landmann, ein reicher Weinbauer, der seinen ganzen Stolz darein setzte, den besten Wein in der Provinz zu erzielen und der zwar in seinen Kreisen als ein Lion angesehen wurde und demgemäß überall austrat, gegen den ich meinestheils aber immer eine Abneigung gehabt hatte, da feine bäurischen Manieren mir äußerst unangenehm waren.
Er kam auch heute mit einem kolossalen Knotenstock in der Hand vom Bahnhof angepilgert, tadelte beim Mittagsessen in unverblümten Ausdrücken den Wein, nachdem er prüfend sein Glas gegen das Licht gehalten hatte, und zog endlich eine kleine Feldflasche mit Rothwein eigenen Gewächses aus den Taschen seines altmodischen Rockes, worauf er sich, und nur sich allein, ohne irgend welche Entschuldigung für nöthig zu finden, einschenkte.
Dennoch fand ich es heute für gut, ihn meine Ungnade nicht in so krasser Weise fühlen zu lassen wie sonst wohl. Ich richtete allerhand neugierige Fragen an ihn, suchte ihm die besten Peperoni *) aus und sah mit einer Ueberwindnng meiner Gefühle, die einer besseren Sache würdig gewesen wäre, zu, wie er sie mit den Fingern zerlegte und sich zubereitete.
„Wo gehst Du denn eigentlich hin, Onkel?"
„Nach Genua, meine Kleine; wenn ich dort nicht Geschäfte hätte, würde ich Dich einladen, mit mir zu kommen. Bist ein prächtig Mädchen geworden; ich könnte immerhin Staat
*) Eine sehr scharfschmeckende Frucht.
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machen mit Dir. Zu den Konzerten bei Acqua Sola und einem Opernbesuch im Carlo felice*) könnte ich Dich schon begleiten."
Ich jubelte auf vor Freude; meine Mama sah mich starr vor Erstaunen an:
„Wie, tiZUa min, Du wolltest —" Und ich wußte mir aus ihren Blicken sehr wohl ihre Worte zu ergänzen: „Du wolltest mit diesem Bären von Reisebegleiter eine Vergnügungstour machen?"
„Gewiß will ich's; — ach, Onkel, guter Onkel, nimm mich mit!"
Des Alten wetterbraunes Gesicht erheiterte sich vor innerem Behagen. Es war ihm sehr recht, daß fein Liebling, der bisher gar zu gern das Stadtdämchen gegen ihn herausgekehrt hatte, sich ihm so geneigt zeigte. Er kam mir mit mehr Geschick, als ich ihm je zngetraut, zu Hilfe, und als wir beim Dessert ankamen, waren alle Einwände der Mama siegreich in die Flucht geschlagen. Ich eilte auf mein Zimmer, um mit Giovannas Hilfe die Vorbereitungen zur Abreise zu treffen. ' Am folgenden Morgen trat ich dem Onkel bereits fertig angekleidet entgegen, als er an meine Thür klopfte, um mich zu wecken. Wir gingen zusammen nach meiner Mutter Wohn- ! zimmer, wo wir den Kaffee einnahmen, dann fuhr Carlo vor, und wir, der alte Weinbauer, Giovanna und ich rollten dem Bahnhof zu.
Vielleicht bin ich nie wieder so froh und hoffnungsvoll i auf einer Reise gewesen wie an jenem Tage. Die süße Melodie eines alten Volksliedchens ging mir so lebhaft durch den Sinn, daß ich sie aus dein monotonen Geräusch des Zuges herauszuhören glaubte, daß ich ineinte, die Vögel, welche neben dem dahineilenden Wagen aus den Weingeländen aufflogen, zwitscherten sie mir entgegen. Die Sonne lächelte mir Gewährung zu, die Olivenbäume nickten so vielversprechend mit den schwanken, silberglitzernden Zweigen, und in mir jauchzte mein Herz, mein zuversichtliches, glückliches Herz:
Ich werd' ihn Wiedersehen, Ans Well' und Windeswehcn,
Und müßt' durch Flammenschein Hör' ich ein Wort allein:
Und Meeresflut ich gehen — „Ich werd' ihn Wiedersehen
Er muß mein eigen sein! Mein eigen muß er sein!"**)
Endlich gegen drei Uhr nachmittags passirten wir den letzten Tunnel und sahen, aus dem Dunkel der Felsen auftauchend, Genova la superba vor uns liegen. Mein Herz klopfte stürmisch; war mir ja mit dem Aufenthalt in dieser Stadt die Erfüllung meines glühendsten Wunsches unendlich viel näher gerückt, sah ich ja jenen Häusercomplex in Bergen und Grün gelegen und von den Meereswogen umspült nur an als den Aufenthalt des Geliebten, und als solcher erschien er mir unvergleichlich schön und reizvoll. Jetzt fuhren wir in den Bahnhof ein, und wenig Augenblicke später stiegen wir in einem alten jedoch comfortabeln Hotel der Piazza della Annunziata ab.
Es war ein unscheinbares, äußerlich verwittertes Gebäude mit vielen schiefen und wunderlich geformten Räumen.
Wir belegten, da das allgemeine Lesezimmer neben dein Speisesaal keinen ungenirten Aufenthalt bot, außer unfern Schlafzimmern noch einen behaglichen Salon, der die Aussicht über die ganze Piazza gewährte. Der Onkel ging baldigst aus, um seine Besorgungen zu machen, und ich setzte mich, innig zufrieden und glücklich auf ein Plätzchen am Fenster, schon schwelgend in der Möglichkeit, ihn zu sehen; ihn, dem jeder meiner Gedanken gehörte, für den ich durch Flammenschein und Meeresflut gegangen wäre, wie ich oft gesungen.
Vorläufig aber verlangte das Schicksal von mir weder jene Feuerprobe, noch den darauf folgenden Abkühlungsprozeß; ja, es schien nicht einmal Notiz davon zu nehmen, welche Opfer an Verstellnngsknnst und Reisemühen mich mein Hiersein gekostet hatte; so viel blausilberne Uniformen auch über den Platz eilten, der Capitano, mein Capitano, wie ich ihn im Geheimen nannte, schritt nicht vorüber.
Nachdem ich so etwa zwei Stunden vergeblich ausgeschaut
*) Größtes Genueser Opernhaus.
Uebersetzung aus einer italienischen Volksweise.