Heft 
(1878) 40
Seite
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hatte, trat mein alter Onkel wieder ins Zimmer; er war un­gehalten, mich noch nicht zum Diner angekleidet zu finden und machte in bäurischer Weise seine Bemerkungen über mich, was mir unter anderen Verhältnissen gewiß sehr fatal gewesen wäre. Jetzt ließ ich alles gleichgiltig über mich ergehen und harrte nur ungeduldig dem Augenblick entgegen, wo das Mahl beendet und die Zeit unserer Promenade gekommen sein würde.

Weshalb soll ich Sie langweilen, indem ich Ihnen die nun folgenden Stunden und mit Ihnen meine Qualen leiden­schaftlicher Ungeduld schildere? So köstlich die weiche balsa­mische Luft mich umwehte, meinem heißen Herzen brachte die erfrischende Abendluft keine Kühlung, mein sehnsüchtiges Ver­langen wiegten Waldesrauschen und Wellenplätschern nicht zur Ruhe. Schweigend schritt ich neben meinem wunderlichen alten Begleiter zur Stadt hinab, und stumm zustimmend folgte ich ihm zu einem erhöhten kleinen Garten, in welchem das Licht ! zahlloser Flämmchen und Lampen ein liebliches Durcheinander ^ von Cypressengrün, Marmorstatuen, Blumen und frohen Men- ! sehen beleuchtete. Wir erwählten uns Plätze, von denen aus man alle Ankommenden gleichsam emportauchen sehen konnte, wenn sie die breite Helle Marmortreppe Hinausstiegen; ein Musikcorps, hinter den Kronen der Bäume verborgen, spielte die süßesten Melodien, die der milde Abend gewiß lockend und ladend weit hinaustrug, hinaus in das Straßennetz Genuas, in welchem es von Spaziergängern flutete und wogte. Doch ich harrte umsonst; keine Welle warf meinen Capitano an diesen so anmuthigen Strand.

So war denn, als ich mit schwerem Herzen und uner­füllten Wünschen den nahen Rückweg zum Hotel antrat, der erste Tag zu Ende gegangen, dem nach des Onkels Rath­schluß nur noch ein einziger anderer folgen sollte, und traurig und niedergeschlagen legte ich mich zur Ruhe. Was hals es, daß ich dem Onkel des Langen und Breiten von dem Capitano vorgeschwatzt und ihn bereits bestimmt hatte, dem Ofsiciale, den er einst flüchtig bei uns kennen gelernt, freund­lich entgegenzukommen? Durch einen Zufall mußte die Begeg­nung doch immerhin erfolgen, und dieser Zufall schien mir nicht wohlzuwollen.

Am folgenden Morgen hatte ich mich trotz der Anstren­gungen des vorhergehenden Tages bereits früh erhoben und machte mit Giovannas Hilfe sorgfältig Toilette. Heute mußte sich alles für mich entscheiden, sagte ich mir; heute oder nie sollte mir das Glück kommen.

Das Glückt Ach, über mich thörichtes Wesen; als wenn das Glück, das wahre Glück in der Befriedigung der Leiden­schaften bestände! Es ist das ja leider die Ansicht unseres heißblütigen Volkes; aber nichtsdestoweniger liegt eine tiefe und tröstende Wahrheit in Eurer deutschen Auffassung, die da sagt, daß die äußeren Umstände und Lebensverhältnisse ungleich weniger zum Glück beitragen als die innere Befähigung zum G lücklich sein.

Doch damals standen mir dergleichen Betrachtungen fern. Meine fieberhaft erregte Einbildungskraft spiegelte mir immer nur ein Ziel, ein lockendes Bild; und war ich allein, so machte ich mir wieder und wieder die bittersten Vorwürfe, ihn, der jetzt meine ganze Seele einnahm, in blindem Uebermuth von mir gestoßen zu haben. Ich gelobte mir ich nahm mir vor ich wollte ach, was gelobte ich mir nicht alles, was nahm ich mir nicht alles vor, was war ich nicht bereit zu thun! Aber all mein Thatendurst lag vorläufig brach; ich mußte mich passiv oder doch abwartend verhalten.

Während ich mir dies alles sagte, stand ich wie gewöhn­lich an einem der Fenster, von dem ich die Piazza della An­nunziata übersehen konnte, und mein Blick fiel unwillkürlich auf meinen alten Oheim, der, da er sich von mir unbe­merkt glaubte, unter den eifrigsten Reden und Gestikula­tionen mit einem der Kutscher um den Miethpreis für seinen Wagen feilschte. Jetzt erst kam mir von neuem die Fahrt in den Sinn, zu der ich gestern Abend meine Zustimmung gegeben hatte, um weiteren Vorschlägen und Vergnügungsplänen aus dem Wege zu gehen; die Fahrt nach der Villa Rosazza. Ich dachte dieses Ausfluges jetzt mit wirklichem Interesse; wie

würden Blumen und Bosquets so köstlich anzuschaucn sein im schimmernden Frühthau! Wie schön mußte in diesem gedämpften und doch klaren Lichte Genua und sein großartiger Hafen vor uns liegen! Bald danach holte mich mein Oheim ab.

Wir fuhren die Straße zu dem damals neu errichteten Columbusdenkmal hinauf, passirten ein Thor zur Linken und kamen an der altberühmten Villa Doria vorüber; dann er- öffnete sich uns links die Aussicht auf Hafen und Stadt. Zwischen dem Meer und der Fahrstraße führt eine breite weiße Marmorterrasse hin, ein köstlicher Spazierweg, sowohl was die Aussicht betrifft, die sich von dort aus bietet, als in Bezug auf die glatten und prächtigen Steinquadern, auf denen der Fuß wie im Tanze dahin gleitet. Ich schaute sehnsüchtigen Auges ans die Terrasse hinab:Bitte, Onkel," rief ich,schicke den Wagen fort und laß uns den Heimweg zu Fuß machen; ich möchte so gern ein halbes Stündchen auf der Terrasse spazieren gehen."

Es schien mir wirklich so reizend, hier am Meeresufer auf der herrlich ebenen und weitausgedehnten Fläche einen Gang zu machen, daß ich am liebsten sofort diesen Plan zur Ausführung gebracht hätte, und nur die Scheu vor dem Spott des Alten ließ mich hiervon abstehen. So hielten wir denn der Marmorterrasse gegenüber vor den Gärten der Villa Ro­sazza und wandelten den mit prachtvollen Anlagen geschmückten Hügel hinan.

Während ich hier auf blumengeschmückten Treppen, auf den anmuthigsten Gartenwegen, nmwuchert und umblüht von den seltensten und schönsten Gewächsen der südlichen Garten­kultur, dahinging, während bei jeder neuen Wendung des Weges eine neue Ueberraschnug oder eine ungeahnt schöne Fernsicht vor unseren Blicken erschien, weilten meine Gedanken fast aus­schließlich bei dem Spaziergang auf der Marmorpromenade, den ich mir so plötzlich in den Kops gesetzt hatte, und der mir gegenwärtig reizvoller erschien als alle Schönheit, die sich mir hier auf Schritt und Tritt aufthat. Als wir dann wieder bergab schritten, eilte ich wie auf Windesflügeln an von Farren- kräutern umwucherten Bassins und plätschernden Wasserfällen, an üppigen Blumenrabatten und kühlen Grotten vorbei, um wieder die ebene Erde und mit ihr jene Terrasse zu erreichen.

Jetzt endlich sprang ich die letzten Treppen hinab (Gio- vanna und der Onkel vermochten mir kaum zu folgen), und ich eilte vor ihnen her quer über die Straße, zwei oder drei schmale Stufen empor auf die glatte weiße Marmorfläche, deren Anblick mich so sehr gelockt hatte. Jubelnd vor Vergnügen glitt ich darüber hin und stand im nächsten Moment an der Balustrade, die die Terrasse ihrer ganzen Länge nach vom Hafen trennt. Doch wo war der Onkel?

Ich wendete mich zurück, um ihn mit den Augen zu suchen; da mir zur Seite sich gleichfalls auf das Ge­länder stützend, ernst und schön wie immer, stand der Ca­pitano

Ich würde nicht der Wahrheit treu bleiben, wollte ich hier die romanhafte Phrase einflechten, daß er bei meinem An­blick auch nurum einen Schatten" bleicher geworden wäre; auch legten seine männlich schönen Züge, seine kraftvolle Gestalt durchaus kein Zengniß davon ab, daß er sichabgehärmt" habe. Nein, durchaus nicht! Wohl blickten seine Augen etwas ernster, als da sie in früherer Zeit auf mir geruht hatten; ernster und kälter vielleicht; aber ich hatte wenig Zeit, dies wahrzunehmen. Er lüftete artig, doch formell sein Barretto und schickte sich an, ohne eine Frage an mich zu richten, die Terrasse hinab­zugehen.

In diesem Augenblicke jedoch hatte mich der Oheim ein­geholt. Mit dem Blicke des Landmannes, der gewohnt ist, nur wenig Menschen zu sehen und die Züge dieser wenigen um so fester zu behalten, erkannte er sofort den Offizier, trotzdem er diesem nur einmal in unserem Hause begegnet war. Jetzt traf er ihn mir gegenüber, hatte während unserer Anwesenheit in Genna schon mehrmals seinen Namen von mir gehört und glaubte nicht anders, als daß wir bereits in lebhafter Unter­haltung miteinander begriffen seien.

Was war demnach natürlicher, als daß er ihm in seiner