ländlich herzlichen Weise die Hand entgegenstreckte und seine Befriedigung über dies Zusammentreffen zu erkennen gab.
„Hübsche Begegnung, Signore, wirklich sehr hübsche Begegnung! Freut mich recht von Herzen! Die Kleine hier fing schon an, sich mit dem alten Onkel zu langweilen; wird sich auch freuen, einen lieben Gast aus ihrer Mutter Haus wieder- zuseheu; hat mir schon von Ihnen gesprochen."
So schwatzte der Alte weiter, während wir auf der Marmorpromenade auf und nieder und dann der Stadt zuschritten. Kaum, daß er zuweilen einen Eiuwurf des Capitauo beachtete, oder eine Bemerkung auffing, um seine weiteren Reden daran zu knüpfen.
Der Officiale zeigte sich etwas zurückhaltend und ernst; da es ihm jedoch widerstreben mochte, dem alten Mann auf sein gutherziges, wenn auch einigermaßen seltsames Gebühren kühl und verletzend zu begegnen, sprach er davon, daß er Dienst habe, und schickte sich an, uns zu verlassen.
„Schade, wirklich sehr schade!" rief der Onkel. „Wir fahren schon morgen früh wieder nach Alessandria zurück. Wann werden wir uns noch sehen können?"
Und ohne eine Antwort abzuwarten, fügte er hinzu: „Sie kommen heute zu uns zum Diner, Signore; wir logiren im Hotel della Vittoria. Sie kommen um fünf Uhr; wir sind doch einverstanden?"
Er reichte ihm abermals die Hand und schaute ihn, unter seinen buschigen grauen Augenbrauen hervor, freundlich an.
Der Capitauo rang augenscheinlich mit einem Entschluß; er schien peinlich berührt.
Natürlich, sagte ich zu mir selbst, er kann ja keine Ahnung davon haben, daß sich mein Sinn geändert hat, daß ich ihn liebe; und schnell entschlossen rief ich: „Gewiß kommt der Signore; er wird unsere Einladung nicht ablehnen, nicht wahr?"
Ich hatte bestimmt erwartet, daß bei diesen freundlichen Worten von meiner Seite ein Ausdruck der Freude über des Capitauo Züge gehen würde, aber umsonst. Er verbeugte sich zwar verbindlich und antwortete, daß er sich die Ehre geben würde zu erscheinen; aber es konnte zweifelhaft bleiben, ob er die Aufforderung wirklich gern annahm.
Mit den widerstreitendsten Empfindungen kehrte ich zur Stadt und iu nufer Hotel zurück, wo wir um elf Uhr, zur Zeit des allgemeinen Frühstücks, anlangten.
Mein alter Onkel war vollständig eingenommen von seinem neuen Freunde und erging sich in den lebhaftesten und für den Capitano schmeichelhaftesten Ausdrücken, deren jeder mich tief ins Herz traf.
Er freute sich in feiner harmlosen, bramarbasirenden Weise auf das gemeinschaftliche Diner und plante allerlei, um es zu Ehren des Capitano festlicher zu machen.
Was mich betraf, so brachte ich den Tag unter ziemlich fiürmischeu Gefühlen zu. Ich wiederholte mir im Geiste aufs Genaueste die Wiedersehcnssceue auf der Terrazzo, suchte den Ernst und die Kühle ine Benehmen des Geliebten zu entschuldigen, freute mich auf unser Zusammensein heute Abend und grübelte darüber nach, wie ich ihn einige Minuten ungestört sprechen konnte.
Wieder und wieder blickte ich auf die Uhr. Es schien mir, als wollten die Zeiger nicht vorwärts rücken, so langsam verrannen die Stunden. Endlich, endlich hörte ich die ersehnten fünf Schlüge. Es überkam mich eine plötzliche Angst — wenn er jetzt absagen ließe! Aber nein, dort kam er schmuck und stattlich die Straße herab und über die Piazza della Annunziata ans unser Hotel zu.
Ich sah vom Fenster aus, wie zwischen dem Capitano und meinein Onkel, der vor dem gegenüberliegenden Kaffeehause gesessen hatte, eine freundliche Begrüßung stattfand, und kurze Zeit daraus saßen wir im Speisesaal an einem besonderen Tisch, der nur mit drei Couverts belegt war, und plauderten so fröhlich und unbefangen, daß niemand wohl vermuthen konnte, welch bitteres Erlebniß seine Schatten zwischen mich und meinen Nachbaren zur Rechten warf.
Der neckende, scherzende Ton von ehemals wollte freilich nicht wieder zwischen uns auskommen, und auch die Erinne
rungen an Alessandria wurden wie in einem geheimen Ein- verständniß aus unserem Gespräch verbannt, aber trotzdem bewegte sich die Unterhaltung frei und angenehm, und als wir uns von der Tafel erhoben und der alte Onkel zu einem Täßchen Kaffee in unserem Salon einlud, nahmen wir wohl alle die Nachwirkung einer froh verlebten Stunde mit hinauf.
Wir gingen die niedere Treppe hinan, den Corridor zur Linken entlang, und ich öffnete überglücklich die Thür zu unserem großen Eckzimmer.
Wie viel freundlicher erschien mir jetzt der Raum, als da ich hier qualvoll wartend und umherspähend am Fenster lehnte! „O, wer mir gestern um diese Stunde gesagt hätte, daß wir heute im traulichen Beieinander hier eintreten würden," sprach ich siegesgewiß zu mir; „wie wäre meine verzweiflungsvolle Stimmung gleich Spreu vor dem Winde zerstoben!"
Der Spiegel gegenüber warf mir ein freudestrahlendes Gesicht zurück, und fragend ließ ich meine Blicke von den eigenen Zügen Hinübergleiten zu des Capitano Antlitz, um dort einen Reflex meiner Stimmung zu suchen.
Es klopfte. War es doch wirklich, als wollte das zuvor so mißgünstige Schicksal jetzt die volle Schale des Erwünschten über mich ausgießen; ein Kellner trat ins Zimmer und übergab meinem Onkel die Karte eines Geschäftsfreundes, der ihn dringend aus einige Augenblicke zu sprechen wünschte.
Der Capitano erhob sich sofort und bat, sich entfernen zu dürfen, im Fall seine Gegenwart bei der Unterredung störend sei; aber der Alte drückte ihn in die Sophaecke zurück, erklärte, daß er den Herrn unten im Lesezimmer empfangen und sogleich wieder bei uns sein würde, und war im nächsten Augenblick verschwunden.
Mein Wunsch hatte sich erfüllt; ich befand mich allein mit dem Officiale, zum ersten Male allein seit jener unheilvollen Stunde, da ich frevelnd die Blüten aus meinem Lebenswege zertrat. Wie so schwer lag jetzt noch die Erinnerung an jenes Ereigniß auf mir; wie oft schon hatte ich bereuend darauf zurückgeblickt, wie oft mir die gegenwärtige Stunde erträumt! Und jetzt war sie mir in den Schoß gefallen; ich konnte zu ihm sprechen, wie mein Herz es ersehnte, und — ja, ich wollte sprechen!
Dieser Entschluß, dieses stürmische Verlangen kämpfte jetzt jedes andere Bedenken in mir nieder, in einem Moment war ich von dem Fenster, an dem ich sinnend gelehnt, zu ihm hingeflogen, der noch immer schweigend in der gegenüber liegenden Seite des Zimmer verweilte, seine eine Hand ruhte auf der hohen Seitenlehne des Sophas, die andere spielte absichtslos mit einer weißen Blüte.
Ich weiß noch jetzt nicht, wo ich den Muth hergenommen habe, wahrscheinlich sagte ich mir, daß diese Minute, so schnell sie gekommen, auch für immer entfliehen könnte. Ich eilte wie gesagt schnell auf den Capitano zu, ließ mich auf einem Stuhl, der dicht neben dem Divan seinen Platz hatte, nieder, ergriff mit meinen beiden Händen die seine und noch ehe jener es hindern konnte, hatte ich sie mit meinen Küssen bedeckt, mit meinen heißen Thränen benetzt.
Ich fühlte, daß sich der Officiale in großer Erregung erheben wollte, aber ich gab seine Hand nicht frei und stammelte unter Weinen halblaute Worte, wie sie das wilde Stürmen meines Herzens mir eingab:
„Ich habe Dich ja so lieb, so lieb! Ich bin ja nur Deinetwegen hierher gekommen! Ich habe so grenzenlos gelitten, seit Du von mir gingst! Wenn Du wüßtest, ach, wenn Du wüßtest, wie ich mich nach Dir gesehnt habe, was ich gelitten habe! Endlich nun bin ich wieder bei Dir, endlich darf ich's Dir sagen, daß nichts, nichts in der Welt mich wieder von Dir trennen soll!" Und ehe er es hindern konnte war ich auf den Teppich zu seinen Füßen niedergeglitten, hatte meine glühende thränenüberströmte Wange auf seine Hände gelegt, die er willenlos, in stummer Ueberraschung mir ließ, und drückte meine Lippen auf sie und auf die Weiße Blüte, die sie hielten, als könnten meine Küsse in die Vergessenheit zwingen, was einst mein Frevlerübermuth so schwer gesündigt hatte.