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Und jetzt blickte ich weinenden Auges zum ersten Mal zu ihm auf, jetzt begegneten sich unsere Augen...
-K
Wissen Sie, wie es ausschaut, Signore, wenn nach den plötzlichen, heftig auftretenden Gewittern unseres Landes das weiße Hageleis auf Palmen und rosigblühenden Oleandern liegt?
Die Blumen wissen, daß sie verloren sind, wir Menschen fühlen einen unheimlichen Schauder bis ins tiefste Herz — und kälter als der blasse Reif auf Blumenblättern liegt, und eisiger als uns der Frost ergreift, empfand ich Plötzlich die schreckliche Wahrheit. Zu spät, zu Mt! Er liebte mich nicht mehr.
Eine heftige Bewegung, die Hände wurden wir entrissen, ein kleiner Regen weißer Blumenblätter siel auf mich nieder.
„So höre es denn frank und frei, was doch gesagt sein muß," rief der Capitano, „nein, ich liebe Dich nicht mehr, Dich, die Du cynisch und grausam mein Herz zuerst von Dir gestoßen und dann in üppigem Uebermuth es wieder begehrt hast, wie Deiner Laune es eben gutdünkte. Wehe dem Manne, der auf ein flüchtiges Empfinden wie das Deine sein Lebensglück gründet, wehe ihm, der für wahre tiefe Herzensneigung nimmt, was allein eitles Begehren ist, denn nicht Liebe ist es, was Du für mich empfunden hast, was Du vielleicht noch eine kurze Spanne Zeit für mich empfinden wirst — ü un ea- Mcwio! (Es ist eine Laune!) Doch Gott befohlen — fern sei mir der Zorn!"
Und wie ein niederhängender Zweig im Garten leise grüßend dem Vorübergehenden das Haupt streift, so legte sich seine Hand für einen Moment auf meine Stirn, mein Haar.
Ich hörte in halber Betäubung wie die Thür sich schloß und seine Schritte auf dem Korridor mehr und mehr verhallten. — Ein kleiner Aufenthalt am der Treppe, und dann sah ich einen Offizier in Begleitung meines Onkels unter unfern Fenstern vorübergehen und quer über die Piazza schreiten. Jetzt waren sie meinen Angen entschwunden.
Und meine Blicke wandten sich zurück auf die Stelle, wo ein irregeleitetes junges Herz die erste Enttäuschung erlebt, die erste bittere Strafe erhalten hatte. „U an ouMcwio!" zitterte
es in mir nach und ,,o nn eupriooio!" schien es mir widcr- zutönen aus der Umgebung, die meine Schmach mit angesehen hatte.
Die Augen des eitlen Mädchens trafen gegenüber ihr Spiegelbild: eine schlanke Gestalt im schleppenden dunkeln Seidenkleid, die schweren, bis zum Knie fallenden Flechten mit nelkenrothen Bändern geschlossen, die Augen von Thränen naß, die Wangen fiebern gervthet, in den dunkeln Haarwellen einige weiße rundliche Flecke. Als ich, sie genauer zu sehen, mich vorbeugte, glitten und schwebten sie leise herab auf den Teppich
-„ach könnte ich mein Leid hinabwehen lassen wie diese
blassen welken Blumenblätter!" dachte ich.
Und Schmach und Leid verwehten und verblaßten wirklich — wenn auch erst im Sturm der Zeit. Nur zuweilen legten sich warnend, fragend oder zweifelnd drei Worte auf mein Herz, die vielleicht zu schwer gewogen oder zu tief getroffen hatten, um fortgeweht zu werden und sei es selbst vom Sturm der Zeit.
Vielleicht hatte er recht gehabt: „U nu cmpricwio!"
Der Mond war voll über die Campagna Genuas heraufgekommen und warf seinen ruhigen klaren Schein auf unfern Balkon und auf die holde Frauengcstalt, die sich von neuem erhoben hatte und an dem grünumrankten Gitter lehnte. Ihre Augen schauten mit einem seltsam starren Blick hinauf zu dem silberschimmernden Gestirn; hatte ich mich getäuscht oder glänzte wirklich eine Thräne unter den dunkeln Wimpern?
Doch nein, jetzt wandte sie sich zu mir, nahm jene Blume, die ihr vorher entfallen war, aus meinen Händen und fragte mit ihrem alten herzgewinnenden Lächeln: „Ich habe sie ansgelöst, ja?"
„Signora!" , ^ *
Am folgenden Morgen führte mich der Eilzug nach Verona, meinem nordischen Vaterlande entgegen. Aber ehe ich für immer schied, nahm zu einem Landhaus in der Vorstadt Genuas ein duftender Strauß seinen Weg, ein Strauß rother Nelken.
Per König auf der AknchL.
Die Schlacht bei Jena war geschlagen. Ohne festen Plan irrte der König Friedrich Wilhelm Ilt ans bodenlosen Wegen im Harze umher. Daß er in einer so trostlosen Zeit die Hoffnung auf bessere Tage nicht ganz verlor, verdankte er zum Theil der hochherzigen Königin, die nicht von seiner Seite wich. Todtmüde, mit abgetriebenen Pferden kam das
königliche Gefährt in dem Harzdorfe E. an. Man hoffte ein
paar Stunden ruhen zu können. Aber die Nachricht von der Ankunft des hohen Paares hatte in den Herzen der ehrlichen Harzer einen Sturm der Begeisterung hervorgernfen, und seufzend bemerkte die Königin, daß hier wohl schwerlich an Ruhe zu denken sei.
„Gute Leute!" sagte der König. „Wollen uns doch festlich empfangen."
Der Wagen hielt vor der bescheidenen Schenke. Der Wirth öffnete den Schlag und führte die seltenen Gäste in die gar wunderlich aufgeputzte Schenkstnbe. Was im Dorfe an zinnernen Tellern und Schüsseln auszutreiben war, stand blank gescheuert auf dem weißen Gesims. Auf dem einfachen, derb gearbeiteten Holztische aber prangte ein riesengroßer Kürbis, der Stolz und die Zierde des schulmeisterlichen Gartens, ein rührendes Zeichen von Unterthanentreue, die das Liebste mit scharfem Messer dem Herrscherpaare geopfert. Kaum hatte man abgelegt und sich verwundert im Empfangszimmer umgesehen, als eine diensteifrige Magd eine dampfende Schüssel neben den leuchtenden Kürbis setzte: Sauerkraut mit Klößen, gute, starke Kost für den Harzer, der tagelang im Walde sich abmüht und gehörig „einzuhauen" versteht, zu schwer jedoch für ein flüchtendes Königspaar, das aufgeregt und todesmatt eine ruhige Stätte für das schlummerlose Haupt sucht.
„Dürfen die Leute nicht vor den Kopf stoßen!" sagte der König und aß. Die wenigen Hoscavaliere aus der Begleitung machten saure Gesichter zum Sauerkraut und folgten dann dem Beispiel des königlichen Herrn. Nach einer Weile trat der Wirth ein, sah in die noch immer volle mächtige Schüssel, schüttelte den Kopf und sprach:
„Keinen Hunger? Kommt bei uns nicht vor!" Setzte sich dann dem Paare gegenüber und verzehrte mit großem Appetite den Rest.
Unterdessen hatte sich der Schulmeister mit der Jugend vor dem Hause aufgestellt und ließ „Jesus meine Zuversicht" singen. So wenig Vas Lied für die festliche Scene paßte, der König hörte andächtig zu und mag so seine eigenen Gedanken dabei gehabt haben. Bei dem letzten Verse tönten die Glocken durch den Gesang, und da man den von der Reise abgespannten Herrn nicht der dumpfig kalten Kirchenluft
anssetzen wollte, so war der Platz vor der Kirche mit dem letzten Laube des Waldes freundlich geschmückt und mit Ehrensitzen für das Königs- Paar versehen. Dort nahm man Platz, und während sich der König noch nach dem Festredner umschaute, ertönte schon aus den Schalllöchern des Thurmes (!) die sonore Stimme des zmsior primnrin8:
„Wenn schon der Himmel trübe ist und die Sonne das dichte Gewölk nicht zu durchbrechen vermag, so leuchtet uns aus dem Auge Ihrer Majestäten eine ganze Sonne von Huld und Gnade rc." Der Text war ans dem zweiten Buche Samuelis genommen, und der gute prwtvr Mirmrirm redete darüber in Thesen und Antithesen, deutsch, lateinisch, griechisch und hebräisch volle anderthalb Stunden ans dem Schallloche! Das hohe Paar hörte huldvoll zu und nahm dann die Huldigung des Schultheißen entgegen, der, in symbolischer Weise die Treue des Dorfes bei Alt und Jung geistreich andeutend, die jüngsten Kinder und die ältesten Frauen vorstellte.
Damit aber nicht genug! Die Jugend hatte mittlerweile in einer halb verfallenen Scheune eine Bühne aufgeschlagen, die den königlichen Majestäten die Leistungen des Hoftheaters aus dem Sinne schlagen sollte. Da man in dem feuergefährlichen Raume Kronleuchter mit offenen Flammen nicht anzubringen wagte, so standen unmittelbar vor der Bühne und vor den schmucklosen Coulissen derbe Bauernburschen mit ihren Stalllaternen. Und so wurde der „Don Carlos" aufgeführt, für den der idealistisch gesinnte Herr Schulmeister die jugendlichen Herzen schon längst erwärmt hatte. In einer Scheune, bei Laternenlicht, auf trostloser Flucht, inmitten treuer Herzen — was mag das hohe Paar bei der Stelle: „Die schönen Tage in Aranjuez sind nun zu Ende" empfunden haben! Endlich war der Marquis todt, die Laternen brannten schon düsterer, als Philipp spricht: „Thun Sie das Ihre!" Die Vorstellung war beendet und nun erst vergönnte man dem müden Paare die langersehnte Ruhe.
Aber nur für wenige Stunden! Lange schon vor Morgengrauen traten di?-Kuhhirten vor dem Fenster der Majestäten zusammen und bliesen äuf riesigen Hörnern de» Morgengruß. Lächelnd stand der König auf und schenkte den treuen Menschen kleine Gaben.
„Gute Leute," sprach er, zur schlaftrunkenen Königin gewandt, „glauben, daß der König nicht zu schlafen braucht. Haben ganz Recht, der König soll die Augen immer offen haben!"
Die Pferde hatten ausgernht, der Kutscher spannte an. Da sollte es noch einmal zu eister Ovation kommen. Der begeisterte Schulmeister