um drinnen in der Krugstube einen Imbiß zu nehmen; Krist aber, nachdem er dem einen Braunen eine wollene Decke, dem andern einen alten Militärmantel aufgelegt hatte, ging über den Fahrdamm auf die andere Seite des Dorfes hinüber, wo gerade Pastor Zabels kleiner Schlitten dicht vor dem Staketenzaune hielt. Der Pfarrknecht nahm die Leinen abwechselnd in die linke und rechte Hand und stampfte ungeduldig den Schnee.
,,n' Abend, Karges," sagte Krist. „Wo wi'ste heim?"
„Na'h Guf'."
„Woför denn? Se is joa nu fit vörvörgestern all unner de Jhrd'."
„Joa. Awers de Schoolkinner hebben hüt' ihrst ehren Dag. De füllen um Klocker soff spiest wahren: Hirst und Swiensbroaten. Un jeed' een noch en Kringel für to Huus."
„Richtig, richtig, de Schoolkinner; ick weet. Awers wat hält' denn Dien Pastor dabi to dohn?"
„Joa, wat hätt hi dabi to dohn? Ick weet et nich. He möt man ümmer mit dabi sinn."
In diesem Augenblicke trat Lewin wieder ans dem Krug auf die Straße. Krist, als er feinen jungen Herrn sah, brach das Gespräch rasch ab und kehrte zu den Pferden zurück. Hier nahm er den alten Kavalleriemantel vom Rücken des einen Braunen und hielt ihn ausgebreitet vor Lewin hin, zum Zeichen, daß dieser, ehe er wieder einsteige, ihn anziehen müsse. Lewin wollte aber nicht.
„Laß, Krist," sagte er, „es ist nicht kalt."
„Dah, junge Herr. De Sunn is all unner. Un ick füll Acht upp Se hebben, dat hebben sie mi beed seggt; ihrst de een, un denn de anner. Un dat helpt nu nich."
„Laß nur. Ich werde schon sagen, daß ich nicht gewollt habe."
„Ne, junge Herr, dat geiht nu nich anners. Mit uns' Frölenken, da mücht' et ja wull noch sinn; awers bi de Oll'- Schorlemmern, da hedd ick verspeelt."
„Na, denn gib her," sagte Lewin, und wickelte sich in den bereitgehaltenen Mantel ein.
Es war ihm bald lieb, dem Andringen Krists nicht eigensinnig widerstanden zu haben; es wurde frischer von Minute zu Minute, und die Wärme, die der dicke Mantel gab, that ihm wohl. Die Sterne zogen herauf; ein Gefühl unnennbaren Wehs überkam ihn und ein Thränenstrom brach aus seinen Augen. Und doch bedeuteten ihm diese Thränen Glück und Genesung. Er gedachte Mariens, und wie sie beide so gleich empfänden. „Mir ist dann immer, als wüchse ich und könnte fliegen," wiederholte er aus ihrem Briefe, und sah dabei zu den Sternen hinauf, die immer Heller funkelten.
So ging die Fahrt. Die Braunen, die seit gestern Abend zwölf Meilen gemacht hatten, fielen allmählich in Schritt, und erst von Manschnow aus, wo sie den Stall zu wittern begannen, setzten sie sich wieder in Trab. Es schlug sieben vom Hohen- Vietzer Thurm, als sie der vordersten Parkspitze ansichtig wurden, und ehe der letzte Schlag ausgeklungen, hielt der Schlitten vor der Rampe des Wohnhauses. Das erste, was Lewin sah, war der in Trümmern däliegende Saalanbau, und so wenig ihn damals die Nachricht von dem Feuer erschüttert hatte, so groß war jetzt der Eindruck, den die Brandstätte auf ihn machte. Und dieser Eindruck wurde noch dadurch gesteigert, daß im Wohnhause selbst alles in Schweigen und Dunkel lag.
Niemand ließ sich sehen. Krist knipste mit der Peitsche, und die Braunen schüttelten ungeduldig ihr Schellengeläut. Endlich kam Licht, und Jeetzes hagere Gestalt zeigte sich hinter der Glasthüre. Er stellte den Leuchter etwas seitwärts, um die Flamme gegen den Zugwind zu schützen, und trat dann ins Freie, um seinem jungen Herrn bei dem Aussteigen behilflich zu sein.
„Guten Abend, Jeetze. Alles ausgeflogen?"
„Ja, junger Herr. Wir hatten Sie nicht so früh erwartet."
„Und wo ist Papa?"
„Immer noch in Guse."
„Und Renate?"
„Bei Müller Miekley. Uhlenhorst ist da; und da sind ja nun die Lutherschen wieder zusammen." Soll ich sie holen?"
„Nein, laß. Ich bin müde."
Damit traten sie von der Halle her, in der dies Gespräch geführt worden war, auf den Hinterflnr des Hauses, wo Hektor schon seinen jungen Herrn erwartete. Aber als ob er wisse, daß dieser krank gewesen sei, enthielt er sich aller stürmischen Liebkosungen. Still wedelnd ging er neben ihm her und leckte ihm nur immer die Hand, während sie die Treppe Hinaufstiegen.
In Lewins Zimmer war alles zu seinem Empfange bereit. Das leichte Federbett war halb zurückgeschlagen, und die bunte Steppdecke lag zusammengesaltet auf dem Stuhl daneben. Auf dem Sophatisch standen Maiblumen, das einzige, was das seit dem Tode der Frau von Bitzewitz vernachlässigte Gewächshaus hergegeben hatte. Aber was ihnen Werth lieh, war das, daß es Lewins Lieblingsblnmen waren. Er sog ihren Duft ein, und sagte mit bewegter Stimme: „Renate!" während sich ihm ein beglückendes Gefühl des Geborgenseins in Heimat und treuer Liebe um das schwer geprüfte Herz legte.
Eine Stunde später öffnete Jeetze leise wieder die Thür. Das Licht brannte noch, und der Alte nahm es vom Tisch, um es zu löschen. Hektor, der auf seinem Rehfell lag, blinzelte mit dem einen Auge, aber rührte sich nicht.
Und im nächsten Augenblicke war alles wieder still.
XUV. Letztwillige Bestimmungen.
Der nächste Abend sah unsere Freunde wieder im Halbkreis um den Hohen-Vietzer Kamin her. Es war so ziemlich dasselbe Bild wie am ersten Weihnachtsfeiertage, nur der Christbaum fehlte, und mehr noch die Heiterkeit, die damals das Spiel mit den goldenen Nüssen begleitet hatte. Die Schor- lemmer strickte wieder an ihrem Vließ, Renate, einen Crep- streifen vor sich, nähte an einer Tranerrüsche, und Lewin — immer noch unter der Nachwirkung seiner Krankheit oder vielleicht auch den Anstrengungen des gestriges Tages — sah abgespannt vor sich hin und spielte gleichgültig mit einein Tannapfel, den er aus dem neben ihm stehenden Holzkorb genommen chatte. Nur Marie war bemüht, durch allerlei Fragen ein Gespräch einzuleiten, aber es blieb bei kurzen Antworten.
Die kleine Uhr auf dem Kaminsims schlug acht. In diesem Augenblick meldete Jeetze den Pastor, der gleich darauf eintrat. Jeder bezeigte herzliche Freude; Renate rief ihm zu: „Nehmen Sie schnell Platz, theuerster Pastor, hier ist Ihr Stuhl, zwischen Marie und mir. Und nun erzählen Sie."
„Wovon?"
„Von all und jedem, aber zuerst von Guse, denn wir wissen so gut wie nichts. Papa war nur einmal hier, und das war, als wir noch in Bohlsdorf waren. Also bitte, alles ist neu für uns. War es feierlich? War der Sarg offen oder- geschlossen? Ach, ich hätte mich todt geängstigt, so stundenlang neben dem offenen Sarge zu stehen. Wer hielt die Rede? Wer war da?"
„Alle, der ganze Freundeskreis: Bamme, Drosselstein, Krach, der Protzhagener Hauptmann in seiner alten Uniform vom Regiment Pirch. Keiner fehlte. Auch Faulstich war da, mit einer Art Cantate, die, wenn Nippler seine Komposition beendet hat, den zweiten oder dritten Sonntag in der Guser Kirche gesungen werden soll. Unser Kirch-Göritzer Doktor aber hatte vorläufig die Strophen drucken lassen und überreichte jedem von uns ein Blatt."
„Eine Cantate," sagte die Schorlemmer. „Und von Fanl- stich! Das wird ein rechter Heidenspuk gewesen sein, von Anfang bis zu Ende. Nichts von Grab und Tod und noch weniger von Auferstehung. Blos Unterwelt und Schatten und ein Dutzend griechischer Götternamen?"
„Doch nicht, liebe Schorlemmer," erwiderte Seidentopf. „Sie ihnen ihm Unrecht. Es ist nichts Christliches, was er geschrieben hat, aber auch nichts Anstößiges. Dazu hat er zu viel Takt. Uebrigens habe ich das Blatt mitgebracht und unsere Damen mögen entscheiden." Damit nahm er ein schwarzgerändertes Papier aus der Brusttasche und gab es Lewin, der es apathisch auseinander faltete und nach kurzem Besinnen, ohne den Inhalt auch nur überflogen zu haben, weiter reichte.