Heft 
(1878) 42
Seite
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anfänglich ganz ruhig gewesen, da aber jetzt Monat auf Monat verstreiche, ohne daß ein Brief von Louise einträfe und der Schwager Feldwebel auf ihr Anfragen nichts erwidere, fo bleibe ihr nichts anderes übrig, als Ernsts Hilfe anzurufen, dessen Zuneigung für Louise sie kenne, und der gewiß den richtigen Weg finden würde, ihr armes Mutterherz zu beruhigen.

Der junge Mann las den Brief immer wieder und wieder, dann raffte er sich auf, eilte auf den Bahnhof und fuhr mit dem nächsten Zuge nach F.

Der Feldwebel konnte oder wollte keine genauere Aus- ! kunft geben; Louise war seiner Aussage nach an einem Morgen, nachdem er und feine Frau sie vorher häufig beim Weinen überrascht hatten, fortgegangen und nicht wieder heimgekommen.

Die Andeutungen und Borwürfe der Frau des Feldwebels, welche die fleißige sittsame Nichte früher sehr ins Herz geschlossen hatte, trieben Ernst das Blut in die Wangen und bestätigten seine Sorge um Louise, die sich zur quälendsten Verzweiflung steigerte, als alle Versuche, die Vermißte aufzufinden, zu scheitern schienen. Es blieben ihm nur noch drei Tage, dann mußte er zurück nach Berlin, und was dann? Die Befürchtung, Louise könne sich das Leben genommen haben, gewann immer mehr die Oberhand in ihm, so sehr er sich auch, da er Louisens tiefen religiösen Sinn kannte, gegen dieselbe sträubte. Wer beschreibt daher seine Freude, als er in einem Dorfe bei Fürstenwalde, wohin ihn eine Spur getrieben hatte, in den bleichen -Zügen einer an einem niedrigen Fenster arbeitenden Näherin seine Louise erkannte.

Im nächsten Augenblicke war er in ihrem Zimmer.

Der herzzerreißende Schrei, den sie ausstieß ihre bleichen eingefallenen Wangen sagten ihm alles-

Sie bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen und brach in konvulsivisches Schluchzen aus. Als er sich ihr nähern wollte, wich sie wie entsetzt zurück.

Louise, um Gottes willen, Louise, höre mich!" ruft er verzweifelnd aus und stürzt zu ihren Füßen.

Wer kann den Jammer schildern, der die beiden jungen Leute in dieser einen Minute erfaßte.

Endlich läßt Louise die Hände in den Schoß fallen, die Augen, die sich auf Ernst hefteten, haben einen milden ver­söhnenden Schimmer.

Da regt sich das Kind in der Wiege.

Unser Kind!" lispelt Louise leise, undunser Kind I" wieder­holt Ernst mit fester männlicher Stimme.

Die junge Mutter nimmt das Kind aus den Schoß und sucht es zu beruhigen.

Ist es ein Knabe, Louise?"

.Ja!"

Wie heißt er?"

Ernst Otto!" Und der Blick, den sie auf den Kleinen wirst, der jetzt verwundert die großen blauen Augen öffnet, enthält ein Meer von Liebe und Zärtlichkeit.

Ich nenne ihn Ernst," fuhr sie mit leiser Stimme fort, indem eine Purpurröthe ihre Wangen überflutete,weil.. ."

Weil Du mich fo lieb hast," ergänzte Ernst und drückte den ersten Kuß auf die Stirn seines Kindes;nicht wahr?"

Er sah sie freudig erregt an. Sie nickte und fuhr schnell fort:Den Namen Otto gab ich ihm nach Deiner Mutter, ich dachte, es würde Dir Freude machen."

Ja, und der Name soll ihm einst der beste Fürsprecher bei ihr sein. Nicht wahr, mir zu Liebe nennst Du ihn immer Otto?"

! Sie strich sich hastig mit der Hand über die Augen und

^ sagte kurz:Die wird er doch nie im Leben sehen!"

Das laß meine Sorge sein!"

Der junge Mann ging mit heftigen Schritten im engen Stübchen auf und nieder dann blieb er vor Louise stehen: Sage mir, daß Du mir verzeihst," sprach er,und dann laß mich hinaus, ich halte es in diesen engen vier Wänden nicht ' aus; draußen unter Gottes freiem Himmel wird mir ein Ge­danke kommen, wie uns beiden geholfen werden kann."

Er sah sie so bittend und flehend an, daß sie nicht wider­stehen konnte.

Ich habe Dir nichts zu verzeihen, Ernst," sagte sie traurig, ich bin fo schuldig wie Du!"

Ernst Preßte sie heftig an seine Brust und stürmte ins Freie.

Als er wieder in das ärmliche Stübchen trat, zeigte sein Antlitz die Spuren eines Kampfes, der den Jüngling zum Mann gemacht hatte. Sein Auge blickte voll Reue und Mit­leid auf die verlassene junge Mutter; auf seiner Stirn ruhte eine Festigkeit, die Louise vertrauend seinen Worten lauschen ließ.

Er sagte ihr, daß er den Entschluß gefaßt habe, den Vater seines besten Freundes, einen Pfarrer auf einem Dorfe bei Erfurt, aufzusuchen und ihn um Rath zu fragen, da er ihn aus Julius Erzählungen als den biedersten und edelsten Menschen kennen gelernt habe.

Er wird uns nur das Beste rathen," sagte er, als Louise Einwendungen dagegen erhob, ihr Geheimniß fremden Menschen anzuvertranen,ist es irgend möglich, so heirathe ich Dich gleich; ich fürchte aber, meine Unmündigkeit läßt es nicht zu, und da ich lange warten kann, bis ich bei meiner Carriere eine An­stellung bekomme, so habe ich mir vorgenommen, den Ober­förster an den Nagel zu hängen und Landwirth zu werden.

Um Gottes willen, Ernst," rief Louise entsetzt,thue das nicht. Nie könnte ich es mir verzeihen, wenn ich Schuld daran wäre, daß Du Deinem Beruf, den Du Dir aus Liebe er­wählt, untreu wirst. Müßte ich mir dann doch sagen, daß ich Dein ganzes Leben vergiftet habe. Daß ich Dich und mich davor bewahren wollte, zeigt Dir, daß ich alle bekannte Menschen floh und Du selbst nichts wissen solltest!"

Sie brach in krampfhaftes Schluchzen aus und war so aufgeregt, daß er lange Zeit allen Trost und alle Vernunft­gründe vergebens anwandte, um sie zu beruhigen. Erst als er ihr fest und heilig versprach, den Gedanken an die Landwirth- schaft fallen zu lassen, vor allen Dingen an sich und dann erst an sie zu denken, ward sie ruhiger und erzählte ihm in ge­drängter Kürze, wie sie es bei den Verwandten, die so gut und freundlich gegen sie gewesen wären, nicht mehr ausgehalten habe, wie sie mit Hilfe einer Dame, für deren Laden sie Wäsche genäht und die sie auch jetzt noch mit Arbeit versähe, hier das Asyl gefunden und wie sie gehofft habe, durch ihrer Hände Arbeit sich und den Knaben durchzubringen.

Ernst hatte ihr theilnehmend zugehört. Hin und wieder strich er über ihr kastanienbraunes weiches Haar, das in schlichtem Scheitel, an dem schöngeformten Kopfe anliegend, hinten in dicken breiten Flechten aufgesteckt war. Wie sie so da saß, das Haupt in die Hand gestützt, die blauen Augen mit unendlicher Liebe auf das Kind gerichtet, die Wangen von Purpurröthe über­gossen und wie sie dann, als sie geendet, die Augen so bittend und flehend und doch auch wieder so vertrauend auf ihn richtete, da mußte sich Ernst gestehen, daß er nie ein lieblicheres, rühren­deres Bild von weiblicher Hingebung und Demuth gesehen.

Sie war eben noch keine vollentfaltete Blume, sondern

eine Menschenknospe und diese Knospe hatte er geknickt-

Der Gedanke an seine ungeheure Schuld überwältigte ihn. Freudig und gern hätte er sein Leben hingegeben, hätte er dadurch das Geschehene ungeschehen machen können. Vorhin hatte er sich vorgenommen, alles zu thun, was in seinen Kräften stand, um Louise glücklich zu machen, jetzt wo er mit vollem Bewußtsein die Schuld auf sich allein warf, wurde ihm dieses Vornehmen zum heiligen Gelöbniß. Er sagte ihr kein Wort davon, aber sie fühlte instinktmäßig ans seinem ganzen Sein heraus, daß er sie achte, und das machte sie unaussprechlich glücklich.

Noch am Nachmittag verließ er sie, um sich so schnell wie möglich zu dem Pfarrer Sternberg zu begeben.

Hell und freundlich, von Obstbäumen und blühenden Sträuchern umgeben, winkte ihm das Pfarrhaus in Hasselrode entgegen, als er am nächsten Morgen, von der Bahnstation aus, seine Schritte dahin lenkte.

Der Pastor Sternberg empfing Ernst, den er aus den Briefen seines einzigen Sohnes genugsam kannte, mit herzlicher Freude. Sein Gesicht wurde freilich von Minute zu Minute ernster, als dieser ihm sein Anliegen vorbrachte; aber der tiefe Ernst, die bittere Reue, die die scharfe Selbstanklage nicht ver-