Heft 
(1878) 42
Seite
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schmähte, und die Festigkeit, mit der der junge Mann seine Schuld zu sühnen wünschte, stimmten den alten Pfarrer weicher und gewannen ihm vollständig sein Herz, als Ernst mit Ruhe und Festigkeit jede Andeutung des alten Mannes, daß die Zeit die Gefühle der Jugend in ihm ersticken könne, zurückwies. Als Ernst sich aber dahin äußerte, daß er sein gestern in der Noth gegebenes Versprechen, die Forstcarriere nicht ausgeben zu wollen, bei der Nothwendigkeit der schnellen Versorgung nicht für bindend erachte, stieß er bei dem Pfarrer auf lebhaften Widerspruch.

Thuen Sie das nicht, mein junger Freund," sagte er mit theilnehmender Stimme,retten Sie aus dem Schiffbruch die einzige Planke, die Sie einst in einen sicheren Hafen führen kann, und das ist: die Liebe, vor allem aber das feste Vertrauen Ihrer Braut. Würden Sie jetzt trotz ihres Versprechens Landwirth werden, so würde Louise Ihnen künftig nicht mehr vertrauen können, und dann wäre ihre Lage noch ungleich mehr be­klagenswertst. Lassen Sie uns überlegen, es wird sich schon etwas anderes finden."

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Lange ging der Pfarrer, die Hände auf dem Rücken ge­faltet, in der Stube auf und nieder, verließ dann hastig das Zimmer und kam mit seiner Frau, deren Herzensgüte auf dem Gesicht zu lesen war, zurück.

Sage es ihm selbst, Mutter," rief der Pastor, sich vergnügt die Hände reibend,Ihr Frauen versteht es einmal besser wie wir Männer."

Damit ergriff er sein Sammetkäppchen und ging in den Garten. Als er nach einer Viertelstunde zurückkehrte, fand er die Frau Pastorin in Thränen schwimmend, auch des jungen Mannes Augen glänzten in feuchtem Schimmer.

Nichts von Dank," rief er dem freudig erregten Jüng­ling, der ihm entgegenstürzte, zu.Gott hat uns unsere Bertha genommen (sie wäre jetzt so alt wie Ihre Louise), ist es da nicht ein Fingerzeig von ihm, daß er uns in dem armen Kinde einen Ersatz geben will? Was meinst Du, Mutter, das Beste wäre wohl, Du führest gleich morgen hin und holtest sie her?"

_ (Fortsetzung folgt.)

Km deutsches

Wenn wir das Leben eines großen Mannes lesen, so ge­schieht dies oft mit nur getheilter Empfindung. Wir müssen häufig den Gelehrten, den Dichter, den Künstler vom Menschen trennen, und so mächtig auch unsere Verehrung für den Genius sein mag, das Bild, welches wir empfangen, wird kein ungetrübtes und volles, wenn die sittlichen Eigenschaften des Menschen nicht stimmen zu der Größe des Mannes auf dem Gebiete der Wissen­schaften und Künste. Harmonisch wird das Bild nur dann, wenn der Genius und der Mensch in gleicher Schöne erscheinen. Im vollen Maße ist letzteres nun der Fall bei Karl Friedrich Gauß, dem großen Mathematiker, dessen hundertjähriges Ge­burtsjubiläum im verflossenen Jahre gefeiert wurde. An­knüpfend hieran hat Ludwig Hänselmann, der Stadtarchivar Braunfchweigs, über das Leben seines großen Landsmanns nachgeforscht und reiche Quellen eröffnet, welche, uns Gauß als Menschen so anziehend erscheinen lassen, daß es ein wahrer Genuß ist, Hänselmanns Schrift*) zu lesen. Wir freuen uns, auf dieselbe aufmerksam machen zu können und verfolgen im Nach­stehenden den Inhalt, welcher nicht dem Gelehrten, wohl aber dem Menschen Gauß gerecht werden soll.

Gauß stammte aus niedersächsischem Bauernblute. Schon im 17. Jahrhundert läßt sich sein Urahn Hinrich Gooß in Völkenrode, einem Dorfe bei Braunschweig, Nachweisen; er ist Bauer daselbst und einer seiner Enkel, Jürgen mit Vornamen, der als Tagelöhner aufgeführt wird, erhält 1739 Braunschweiger Bürgerrecht. Um das zu erlangen, muß er zwei Zeugen mit auf das Stadtgericht bringen, einen Thaler zum Feuereimer, nebst zwanzig Mariengulden Bürgergelder vor sich und seine Frau sofort baar erlegen, zum Gewehr halten Rohr und Degen, auch sonsten sich gebührend dazu qualifiziren". Als Tagelöhner hatte Jürgen Gooß sich auf dem Braunschweiger Rathhause an­gegeben; wo aber später seiner gedacht wird, bezeichnet man ihn alsLehmentierer und Gassenschlächter". Das heißt: im Sommer dichtete er beim Bau die Flechtwände der Häuser mit Lehm und im Winter zog er als Fleischer von Haus zu Haus, um die Schweine der Braunschweiger zu schlachten. Er war ein fleißiger, bürgerlich achtbarer Mann, der am Wendengraben, jetzt Wilhelmsstraße, ein eigenes Häuschen erwarb, das auf feinen ältesten Sohn, Gebhard Dietrich, überging. Dieser ver­heiratete sich 1776 zum zweiten Male mit Jungfrau Dorothea Bentzen aus dem Dorfe Velpke, die ihrem Manne, wie die Ehestiftuug besagt,außer einem Bette und dem etwanigen Leinen und Drell einhundert Thaler als ein wahres Heiraths- gut einbrachte". Nach Jahr und Tag, am 30. April 1777, schenkte sie ihm einen Sohn. Es war der, welcher der Stolz seines Volkes werden sollte: Karl Friedrich Gauß.

Die Generationen der Gauß oder Gooß (d. i. Gans

ch Karl Friedrich Gauß. Zwölf Kapitel aus seiuem Leben. Von Ludwig Hänselmaum Stadtarchivar in Branuschweig. Leipzig, Duncker und Humblot. 1878 .

Aetehrlenkeöen.

im Niederdeutschen), dem berühmten Karl Friedrich vorangingen, waren hart arbeitende Leute von tadelloser Achtbarkeit, welche aber nicht aus der Sphäre elementaren Erwerbens heraus­schritten; auch Gebhard Dietrich wurde, was der Vater ge­wesen, Lehmentierer und Gassenschlächter, bis er später das bescheidene öffentliche Amt eines Wasserknnstmeisters bekleidete. Für höhere Anliegen der Menschheit gab es in dieser bedrückten Sphäre keinen Raum. So würde wohl auch Karl Friedrich Gauß im natürlichen Verlauf der Dinge nur Handwerker ge­worden sein, und der Geist, der in diesem Krude seine Flügel regte, würde sich nicht ohne Kampf aus der umgebenden Enge loszuringen vermocht haben, wenn die Vorsehung es nicht anders beschlossen gehabt hätte.

Wie Goethe sein besseres Theil von der Mutter hatte, so auch Karl Friedrich Gauß. Dorothea Bentzen, die ans feinerem Stoffe geformt war als ihr nachmaliger Eheherr, und der An­sätze eines genialen Zuges nicht fehlten, kam in ihrem sechs­undzwanzigsten Jahre aus ihrem Heimatdorfe Velpke nach Braunschweig, wo sie sieben Jahre als Magd diente, bevor ihr der um ein Jahr jüngere Meister Gauß die Hand reichte. Von ihrer natürlichen Klugheit, ihrem humoristisch heiteren Sinne, ihrer Charakterfestigkeit wußten nachmals auch die Vertrauten des Sohnes zu sagen, die ihr im hohen Alter zu Göttingen begegneten, wohin sie 1817 übersiedelte.

Nach mütterlicher Seite hin also hört man die verbor­genen Quelladeru des Genius rieseln. Und doch, wie hoch man die Gunst dieser Einflüsse auch auschlagen mag, ein Wunder bleibt es, mit welcher Macht der Geist in diesem Erdenkinde hervorbrach. Ganz ungewöhnlich früh geschah es, in den Jahren, da bei andern das Seelenvermögen noch im Dunkel der Un­bewußtheit schlummert. Aus sich selbst, mit gelegentlicher Nach­frage bei seiner Umgebung, lernt Karl Friedrich lesen; am er­staunlichsten aber zeigt sich von frühester Kindheit an die Kraft seiner Auffassung von Zahlenverhältnisfen; er durfte scherzend wohl von sich sagen, daß er eher habe rechnen als sprechen können. In feinem dunkeln Heimchenwinkel behorcht der kaum dreijährige Knabe die Berechnungen, die der Vater beim Wochenabschlusse mit seinen Gesellen anstcllt; als es ans Aus­zahlen geht, zirpt er warnend dazwischen, und siehe da, der Alte hat sich verrechnet und was der Kleine angibt, ist das Richtige. In seinem nennten Jahre ist es, daß in der Rcchen- klafse der Büttnerschen Schule eine arithmetische Reihe summirt werden soll. Die Aufgabe ist kaum gestellt, als Gauß seine Tafel mit einem übermüthigenDar licht sei" (Da liegt sie) auf den Sammeltisch wirft, während alle anderen die Stunde durch rechnen und rechnen. Solche Leistung denn die Lösung war richtig erschüttert den alten Magister; er thut ein übriges und verschreibt expreß für das Wunderkind ein neues Rechenbuch aus Hamburg muß sich aber bald zu der Einsicht be­quemen, daß es für einen solchen Schüler bei ihm nichts mehr