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zu lernen gibt. In Braunschweig aber schüttelten die Nachbarn ob solcher Gaben die Köpfe. Allein über ein dumpfes Staunen, ein ungewisses Wohlmeinen ging cs bei allen Gönnern des talentvollen Knaben vor der Hand nicht hinaus. Da war es der Hilfslehrer Bartels in der Büttnerschen Schule, der den Kleinen die Federn schnitt und ihre ersten Schnörkelver- snche überwachte, welcher unserem Gauß weiterhalf. Selbst mit Vorliebe ans mathematische Studien gewandt, faßte er ein ungewöhnliches Interesse für das Kind, in welchem so erstaunlich der künftige Rechenmeister offenbar wurde. Den Abstand ihrer Jahre — Bartels war acht Jahre älter —überbrückte die geistige Frühreife des Knaben; bald waren Lehrer und Schiller vertraute Freunde.
Gemeinschaftlich studirten sie, und fo mit Bartels' Hilfe drang Gauß in feinem elften Jahre über den binomischen Lehrsatz und die Lehre von den unendlichen Reihen an die Schwelle der höheren Analysis vor.
Wenn ein Karl Friedrich, wo er stand und ging, in Büchern las, während die anderen im Hanse, jung und alt, von früh bis spät die Hände regten, so konnte dies indes Vaters Augen natürlich nicht viel besser als Müssig- gang sein. Und nicht etwa sein tyrannischer Eigenwille, sondern Hans- sitte des kleinen Mannes von damals, war es, wenn er den Knaben, sobald der Schule ihr bescheidenes Recht geworden war, im Haushalte oder bei seinen Hantirungen für das tägliche Brot Mitarbeiten ließ, wenn er während der langen Feierabende des Winters ihn ans Spinnrad zwang und schließlich, um Licht und Heizung zu sparen, vorzeitig zu Bett trieb. Auf seinem Dachkämmcrlein, so wird erzählt, beim Geflimmer eines Dochtes, den er selbst von roher Baumwolle drehen und in einer ausgehöhlten Rübe mit Talgbrocken speisen mußte, hat Karl Friedrich dann halbe Nächte hindurch studirt, bis Kälte und Erschöpfung ihn endlich zwangen, sein ärmliches Lager zu suchen.
Wenn an Winterabenden der „Oelkrüsel" sein trübes Licht gab, mußte der Knabe, den man sonst nie ohne ein Buch fand, sich gleich anderen Hausgenossen ans Spinnrad setzen und sein
Gauß auf der Terrasse der Göttinger Sternwarte. Nach einem gleichzeitigen Bilde.
Theil Flachs spinnen, bis eines Tages sein Lehrer den Vater rufen ließ und ihm zuredete: Der Junge sei zu etwas besserem geschaffen, müßte ein Stndirter werden. Erst machte der Alte Einwendungen, da aber stellte Bartels Zubußen in Aussicht, freies Gymnasium rc. Nun erst gab halb widerwillig der Alle seine Einwilligung, und 1788 bezog Gauß das Katharinengymnasium seiner Vaterstadt. Mit Hilfe älterer Freunde hatte er sich die Elemente der alten Sprachen bereits angeeignet;
in allein übrigen war er seinen Altersgenossen weit voraus, und so konnte der Elfjährige sofort in Sekunda zugelassen werden. Nach zwei Jahren rückte er nach Prima auf.
Am Collegium Carolinum, einer höheren, zwischen Gymnasium und Universität stehenden Lehranstalt Braunschweigs, war damals August Wilhelm Zimmermann Professor der Mathematik. Er war eine vornehme Natur, feingebitdetnnd weltgewandt, zugleich durchdrungen von echtem Wohlwollen. Bartels, der sein Schüler war, machte ihn aufmerksam auf den dreizehnjährigen Primaner Gauß. Zim- mcrmann ließ diesen kommen und überzeugte sich nun selbst, daß in diesem Knaben ein Geist zum Lichte rang, dessen Befreiung die Welt ihm einst danken würde. Durch Zimmermann wurde dann 1701 Gauß dem Brannschwei- ger Herzoge, Karl Wilhelm Ferdinand, demselben, der bei Jena so unglücklich gegen Napoleon focht, vorgestellt. Aus den eigenen Mittheilun-
gen von Gauß dürfte geflossen sein, was Sartorius von Waltershausen von diesem Ereignisse und seinen Folgen berichtet: „Während sich die Umgebung den Herzogs an den Rechenkünsten des bescheidenen, etwas schüchternen vierzehnjährigen Knaben ergötzte, verstand der edle Fürst mit feinem Takt, ohne Zweifel in dem Bewußtsein, einen ganz ungewöhnlichen Geist vor sich zu haben, seine Liebe zu gewinnen, und wuyte die Mittel zu gewähren, die für die weitere Ausbildung eines so merkwürdigen Talentes erforderlich waren. Gauß verließ mehrfach beschenkt die hohe Gesellschaft und bezog, vom Herzog unterstützt, im Februar 1792 das Collegium Ca-