rolinum." Hier blieb er vier volle Jahre, um dann die Universität Güttingen zu beziehen, wo ihm der Herzog einen Freitisch anwies und 158 Thaler als jährliche Unterstützung gewährte: für die damalige Zeit eine zum Studium genügende Summe.
Was den achtzehnjährigen Studiosus vorwärts trieb auf seinem Wege, war der innere Drang seines Genius, die unmittelbare Gewißheit seines eigensten Berufs. Hand in Hand mit seinen receptiven Studien gingen von Anfang her ties- eindringende eigene Untersuchungen. Schon im ersten Jahre seines Trienniums entdeckte er die Methode der kleinsten Quadrate, 1796 seine Methode der Kreistheilung, 1797 einen neuen Beweis des Theorems von Lagrange. Zugleich arbeitete er an seinem grundlegenden und bahnbrechenden Werke, den „Arithmetischen Untersuchungen", die er in lateinischer Sprache schrieb.
Im September 1798 kehrte Gauß in das elterliche Haus nach Braunschweig zurück. Wie sein Loos sich nun gestalten sollte, lag vorläufig noch im Dunkel. Seine pekuniäre Lage war eine nichts weniger als zufriedenstellende, und an den Herzog sich direkt um weitere Unterstützung zu wenden, widerstand seinem Feingefühl, zumal in der damaligen schlechten Zeit das kleine Land Braunschweig am Rande des Staatsbankerottes stand. Doch Karl Wilhelm Ferdinand, der den Genius erkannt hatte, setzte alle kleinen Rücksichten bei Seite. Ihm bleibt der Ruhm, schon damals geahnt zu haben, daß er hier einer Kraft gegenüber stand, die nicht mit dem Maßstabe gemeiner Nützlichkeit gemessen werden durfte. Dem Banausenchorus der Zeitgenossen konnte diese Betrachtungsweise natürlich nicht zugemuthet werden. Ein Mathematikus ohne amtliche Qualifikation war diesen Leuten eine fragwürdige Existenz, „Serenissimi so ungemeines Wohlwollen für solche Person" ein Räthsel. Der Herzog drang daraus, daß Gauß zunächst in Helmstedt promovire; das geschah 1799, der Herzog trug die Promotionskosten, und nun konnten die Braunschweiger den jungen Gauß „wenigstens für einen Doktor ästimiren".
Im Jahre 1801 vollendete Gauß die arithmetischen Untersuchungen, die dem Herzoge gewidmet sind. Sie setzen diesem Fürsten ein Denkmal, wie ihm edlerer Art und dauernder die Nachwelt keines errichtet hat. „Wenn Deine Gnade," heißt es in der Widmung, mir nicht den Zugang zu den Wissenschaften eröffnet, wenn Deine unablässigen Wohlthaten meine Studien nicht bis auf diesen Tag unterstützt hätten, so würde ich den mathematischen Wissenschaften, denen ich aus innerster Neigung zugethan bin, mich nimmer ganz haben widmen können." Mit diesen Untersuchungen hatte der vierundzwanzigjährige Mann seinen Ruf für alle Zeiten begründet. Als epochemachendes Werk, als ein Markstein in der Geschichte der Zahlentheorie wurden sie alsbald von allen anerkannt, denen ein Urtheil darüber zustand. Nicht lange aber, und die geniale Kraft, aus der diese erste That geboren war, bezeugte sich in einem Erfolge, der das Aufsehen der ganzen gebildeten Welt erregte.
Am 1. Januar 1801 hatte Joseph Piazzi in Palermo den kleinen Planeten Ceres entdeckt. Seine Beobachtungen indes reichten zu einer sichern Bahnberechnung nicht aus; der neue Planet war am weiten Himmel wieder verloren. Da setzte Gauß sich hin und berechnete aus dem unvollkommenen Material den Raum am Himmel, wo die Ceres zu finden sei, und dort sahen ihn dann die Astronomen Zach und Olbers wirklich „wie ein Sandkörnlein am Meeresstrande". Olbers schrieb damals: „Ohne Gauß' mühsame Untersuchungen über die elliptischen Elemente dieses Planeten würden wir diesen vielleicht gar nicht wieder gesunden haben", und der große Laplace rief prophetisch aus: „Der Herzog von Braunschweig hat in seinein Lande mehr entdeckt als einen Planeten: einen überirdischen Geist in einem menschlichen Körper."
Der Herzog setzte Gauß einen Jahresgehalt von 400 Thalern aus, um ihn dem Lande zu erhalten. Und mit diesem 1803 ans 600 Thaler erhöhten Gehalte begnügte sich der bescheidene Mann, ja er lehnte ans Dankbarkeit gegen seinen fürstlichen Wohlthäter den Ruf, Direktor der Petersburger Sternwarte zu werden ab, trotzdem ihm Rußland 2400 Rubel Gehalt, freie Wohnung, Oberstenrang und glänzende Pension
bot. Karl Wilhelm Ferdinand dachte nun selbst an die Errichtung einer Sternwarte in Braunschweig, deren Direktor Gauß werden sollte, und mancherlei Vorbereitungen wurden in dieser Richtung getroffen. Allein der Plan zerschlug sich, und 1806 wurde bei Jena der edle Fürst im Kampfe gegen Napoleon tödtlich verwundet, sein Land ging aus im neuen Königreich Westfalen.
Es war damals eine trübe Zeit, in welcher aber Gauß' hellstes Freudenleben hineinfällt. Er hatte sich emporgerungen aus der dunklen Enge, in die er hineingeboren war. Kein Beigeschmack niederer Selbstsucht, nichts von der Gier nach Ehre, Erwerb, Genuß klebt ihm an, die sonst bei plebejischen Emporkömmlingen so leicht sich findet. Wunschlos, ohne Seitenblick, in der Welt seiner Gedanken ruhend, wie ein Unsterblicher, bleibt er in den engen Braunschweiger Verhältnissen, die ihm nun aber das Glück gewähren sollten, in welchem er alles fand, was seinem irdischen Theile noch mangelte.
In einem einfach bürgerlichen Kreise seiner Vaterstadt lernte er 1803 Demoiselle Johanna Osthoff, die Tochter eines Weißgerbers, kennen. Ihr Vater war nach Maß seines Standes ein wohlbemittelter Mann, der dem einzigen Kinde eine vortreffliche Erziehung zu Theil werden ließ, welche alle Gaben einer glücklich veranlagten Natur bei ihr zur Entfaltung brachte. Von Anfang an fühlte sich Gauß lebhaft zu ihr hingezogen, und am 12. Juli 1804 eröffnete er ihr sein Herz in einem Briefe, ans dem wir das nachfolgende zu seiner Charakteristik herausheben: „Lassen Sie es mich endlich einmal ans der Fülle meines Herzens sagen, daß ich ein Herz für Ihre stillen Engelstugenden, ein Auge für die edlen Züge habe, die Ihr Angesicht zu einem treuen Spiegel dieser Tugenden machen. Sie, gute bescheidene Seele sind so fern von aller Eitelkeit, daß Sie Ihren eigenen Werth selbst nicht ganz kennen; Sic wissen es selbst nicht, wie reich und gütig Sie der Himmel ausgestattet hat. Aber mein Herz kennt Ihren Werth — ach! mehr als mit meiner Ruhe bestehen kann. Längst gehört es Ihnen. Werden Sie es nicht zurückstoßen? Können Sie mir das Ihrige geben? Können Sie, Theure, die dargebotene Hand annchmen, gern annehmen? An der Antwort ans diese Frage hängt mein Glück. Ich kann Ihnen zwar jetzt nicht Reichthnm, nicht Glanz anbieten. Doch Ihnen, Gute — ich kann mich in Ihrer schönen Seele nicht geirrt haben — sind ja Reichthum und Glanz eben so gleichgiltig wie mir. Aber ich habe mehr, als ich für mich allein brauche, genug um zweien genügsamen Menschen ein sorgenfreies anständiges Leben zu bereiten, meiner Aussichten in die Zukunft gar nicht einmal zu gedenken. Das Beste, was ich Ihnen anbieten kann, ist ein treues Herz voll der innigsten Liebe für Sie." Am 9. Okt. 1805 führte Gauß Johanna Osthoff heim, und am 21. August 1806 wird ihnen ihr erstes Kind geboren, eine Knabe, der Piazzi zu Ehren ans den Namen Josephus getauft wird. Ein schönes Bild häuslichen Glückes entwickelt sich nun vor uns. Mit der vollen Unmittelbarkeit rein menschlichen Empfindens gab er sich ihm hin, in seinen: Erstgeborenen ging auch ihm ganz das entzückende Wunder auf, das jedem Vater eben sein Kind ist. Nach diesem Merkmal war er wirklich unseres Geschlechts. „Was macht Josephus, schreibt er von Bremen aus an sein Weib, studirt er die Lehre vom Gleichgewicht und von der Bewegung noch fleißig?" Und sie antwortete darauf: „Du fragst mich, was der Joseph macht? Das kann ich wahrlich nicht alles bezeichnen. So viel ist gewiß, es ist der wildeste, ausgelassenste Bube, den ich kenne. Er ist so wirrlich wie ein Eichhörnchen, will immer zur Erde, so lange er ans dem Schoße oder Arme ist; kaum aber haben die quecksilbernen Füße dieselbe berührt, so ist auch die Lust verschwunden, um in derselben Minute den Spaß von vorne anzufangen. Freilich rückt er in seinem Studium weiter." Joseph Gauß hat als Oberbaurath nachmals den Bau der hannoverschen Staatsbahnen geleitet, und ist zu Hannover 1873 dem Vater in die Ewigkeit nachgefolgt.
Die Ungewißheit der Lage in Braunschweig war der einzige trübe Schatten, der in das sonnige Glück der kleinen Familie fiel. Eine Klärung trat erst nach dem Tode des Herzogs ein, dem gegenüber die Pietät, welche Gauß beseelte, ihn nicht