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zur Annahme der verlockenden Anerbietungen aus der Fremde kommen ließ. Dann aber, im Herbste 1807, nimmt er den Ruf als Direktor der Sternwarte in Güttingen an und siedelt nach dieser Universitätsstadt über. Hier ist er erst zu voller Größe und Entfaltung gelangt; doch ist es nicht Zweck dieser Zeilen, den Mann der Wissenschaft zu beleuchten, nur vom Menschen soll die Rede sein. Und dessen Gemüthswurzeln führen immer noch nach der Vaterstadt zurück, der er bis an sein Lebensende eine treue Anhänglichkeit bewahrt.
Erst im Jahre 1808 starb dort sein Vater, der ehemalige Lehmentierer und Gassenschlächter, im hohen Alter. Gauß hat ihn aufrichtig beweint; nur so aufrichtiger, als es ihm nicht beschieden gewesen, ein Sohn ganz nach dem Herzen dieses Vaters zu sein. Doch was war dieser Verlust gegen den tiefen Riß, welchen sein Leben anderthalb Jahre später erleiden sollte! Im dritten Kindbette starb 1809 nach nur vierjähriger Ehe seine geliebte Johanna — für ihn ein Schlag von betäubender Schwere. Als er den besten Theil seines irdischen Looses zur Erde bestattet, suchte er Trost in seinem grenzenlosen Schmerze bei seinen alten Freunden in Braunschweig, wo noch die Mutter lebte, die auch dem Ziele der gewöhnlichen Dauer des Menschenlebens nahte. Aller Gedankenaustausch mit ihr mußte durch dritte Personen geführt werden, denn sie selbst konnte wohl Gedrucktes, nicht aber Geschriebenes lesen. So wurde die Trennung allmählich für beide Theile im hohen Grade peinvoll. 1817, in ihrem viernndsiebzigsten Jahre, gab sie den Bitten ihres Sohnes nach und zog zu ihm nach Göttingen, sicher ohne Ahnung, daß sie dieser Wiedervereinigung noch zweiundzwanzig Jahre froh werden sollte. Natürlich, daß sich die alte Frau in der neuen Umgebung nie völlig eingebürgert hat. Wie sie ihre altgewohnte halb bäuerliche Kleidung nicht mehr ablegen mochte, so war sie auch nicht zu bewegen, ihre Mahlzeiten am Familientische des Sohnes einznnehmen. Sonst aber hoch in Ehren gehalten, wie eine Patriarchin, bewegte sie sich unbefangen
unter den Ihrigen. Noch mit vierundneunzig Jahren ging sie bisweilen zu ihrer in der Stadt verheirateten Enkelin. Am 18. April 1839 schreibt dann Gauß an seinen Halbbruder in Braunschweig: „Unsere gute Mutter, die ihr Leben höher gebracht hat, als den meisten Menschen zu Theil wird, ist diesen Morgen sanft entschlafen. Ihr Gesicht hatte sie, wie Du weißt, schon seit längerer Zeit verloren; aber übrigens war sie doch immer für ihr Alter bewundernswert wohl auf; nur in den letzten Monaten nahmen ihre Kräfte sichtlich ab und sie verließ das Zimmer nicht mehr. Gebe Gott uns allen ein so sanftes Ende, ein Erlöschen ohne Krankheit."
Gauß ist von Ehren zu Ehren gestiegen, und sein Ruhm als Mathematiker und Astronom erfüllte die civilisirte Welt. Von allen Ehren aber, die ihm zu Theil wurden, hat ihn keine mehr gefreut, als die Ernennung zum Ehrenbürger seiner Vaterstadt, die ihm 1849, als er den fünfzigsten Jahrestag seiner Doktorwürde beging, zu Theil wurde, und in dem Dankschreiben, welches er den Behörden Braunschweigs sandte, erkennt er an, wie es der großsinnige, allen kleinlichen Nebenrücksichten fern stehende Karl Wilhelm Ferdinand gewesen, der ihm zu seiner Laufbahn verholfen.
Am 23. Februar 1855 ist im hohen Alter von achtundsiebzig Jahren Karl Friedrich Gauß zu Göttingen gestorben. In: verflossenen Jahre, als dem hundertsten nach seiner Geburt, wurde der Beschluß gefaßt, ihm in seiner Vaterstadt ein Denkmal zu errichten. Dort, wo bereits die schönen ehernen Monumente Heinrichs des Löwen, Karl Wilhelm Ferdinands, des schwarzen Herzog Wilhelm, Lessings sich erheben, wird auch sein Standbild stehen. Ihm in die einsamen Höhen seiner Gedankenflüge zu folgen, wird hinfürder und immerdar das Vorrecht weniger Auserwählten bleiben. Aber der tägliche Anblick seiner Gestalt wird weitere Kreise gewinnen einem liebevollen Verständniß für die ideale Schönheit, welche das Leben dieses niedrig geborenen Kindes zur Erscheinung gebracht hat.
Wilder aus den Sevennen.
Nachdruck verboten. Ges. v. II./VI. 70.
Von Ä. Eduard.
III. Das Gebirge.
Der Weg führt einige Stationen weit nach Montpellier zu bis Gallargnes; hier zweigt die Bahn ab, die in das Herz der südlichen Sevennen, nach le Vigan führt. Die ersten Strecken sind in der That wenig versprechend. Die Bahn zieht sich dem Flüßchen Vidourle entlang aufwärts zwischen unbedeutenden langweiligen, felsigen, spärlich mit ellöns vor! bewachsenen Anhöhen. Erst bei la Sauve treten wir in ein wirkliches Bergthal ein. Wilde zerrissene Felsenzinnen weißschimmernden Kalkes und grauen Dolomits thürmen sich über dem Städtchen zu noch nicht sehr bedeutender Höhe, und erinnern durch ihr Aussehen und ihren Höhlenreichthum lebhaft an die fränkische Schweiz. Freilich vermag weder der ollöno veil, noch der Micacoulier- baum, dessen zähe von Natur sich gabelspaltig theilende Neste zu Heugabeln gezogen und verarbeitet werden, das volle Buchengrün der Muggendorfer Gegend zu ersetzen. Freundlicher schon gestaltet sich durch Weinberge und Kastanienbäume die Vegetation bei St. Hippolyte, und schon schauen aus der Ferne einige mächtig gethürmte Felsenriesen, die das Thal des Herault von dem des Rintor trennen, herüber. Wir nehmen von der Vi- donrle Abschied.
Ein Tunnel führt uns in das Thal der Riutor, in den Felsenschlnnd des steinernen Flusses. Der Riutor hat niemals Wasser; selbst das wenige Wasser, was bei der Schneeschmelze aus seinem nur ein paar Stunden langen Thale ihm zufließt, versickert sofort unter seinem Kiese, und der Augenschein bestätigt dies, denn nirgends zeigt sich die Eintiefung eines Rinnsals; wie mit dem Bügeleisen geglättet liegt die Fläche feinen Kieses da, die das Thal in seiner Länge durchzieht und auf der denn auch keine Spur von Vegetation oder auch nur von Moos und Flechten zu entdecken ist. Der Riutor ist das hinterlassene, todte, unverändert bleibende Bette einer vorweltlichen Flut. So tritt er aus dem Felsenschlund und
fließt — wenn wir diesen kühnen Tropus brauchen dürfen — in der erweiterten Thalebene an Ganges vorüber, wo sein Bette in dem des munterströmenden klaren Herault sein Ende findet.
Wir lassen das freundliche Städtchen Ganges mit seiner (katholischen) und seinem (reformirten) „komplo" am
Fuß seiner schroffen kahlen Marmorwände einstweilen zur Linken, und folgen der Bahn in den Schlund des Riutor hinauf. Ja, hier in ihren Außenwerken ist die Festung der Camisarden ein düsteres, ernstes, steriles Gebirge. Entsetzlich steile Halden thürmen sich rechts und links zu senkrechten oder überhangenden Felsenzinnen weißgrauen Kalkgesteins empor. Von diesen Halden kann nur wenig Schnee abschmelzen, weil nur wenig darauf liegen zu bleiben Platz hat. Die Bahn durchbohrt in wiederholten Tunnels die Felsvorsprünge, und klimmt dazwischen auf kühnen gewölbten Viadukten, in steten Curven in beträchtlicher Höhe an den Halden hin. Links drunten füllt der steinerne Fluß das enge Thalbette; wo aber an den Abhängen ein Fleckchen Erde ist, da grünen auch die kräftigen Kastanienbäume, und endlich bei Sumenes erweitert sich der Schlund zu freundlicherem Tiefthale. Der Grundcharakter aber bleibt immer der einer ernsten glühenden Felsenwilde.
Da wendet die Bahn sich links und begräbt sich in die Nacht eines langen Tunnels, der aus dem nackten Felsenschlunde des Riutor in das zauberische Thal des Herault führt. Die weißen Marmorwände sind verschwunden; der Thonschieser mit seinen wunderschönen Formen, mit den prächtig modellirten, bis ins Kleinste individualisirten Rippen, die als Strebepfeiler die himmelhohen Zinnen tragen, ist an die Stelle des Kalkgebirges getreten. Ein ununterbrochenes glänzendes, schimmerndes sattes Grün bedeckt diese steilen Höhen bis zu den Gipfeln; drunten im Thale ein schmaler fetter Wiesengrund, mit Maulbeerbäumen reichlich besetzt, und mit Stauwasser des Herault,