Heft 
(1878) 42
Seite
671
Einzelbild herunterladen

671

über den unerwarteten Besuch eine Freude die, wie sich leicht denken läßt, von demimmer frisches Blut" verlangen­den Bamme getheilt wurde den lebhaftesten Ausdruck; nichts­destoweniger blieb eine kleine Verlegenheit, die sich bei Lewin und Renaten und mehr noch bei Tnbal, hinter einem beständigen Hin- und Herfragen, ohne daß die Antwort abgewartet worden wäre, zu verstecken suchte. Ja selbst die Schorlemmer ließ ihre sonstige Ruhe vermissen.

Inzwischen waren Stühle gerückt worden, und da bei dem ersten Besetzen der Tafel außer dem Seidentopsschen Platz auch noch die Schmalseiten oben und unten frei geblieben waren, so wurde das Tischarrangement keinen Augenblick ernstlich ge­stört. Es war die Rede davon, einige der Gänge rasch noch einmal wieder erscheinen zu lassen, alle Neuangekommenen aber lehnten ans das bestimmteste ab und erklärten nicht nur, unter­wegs eine sehr substantielle Mahlzeit eingenommen, sondern auch, wie der Augenschein zeige, für ihre Ankunft in Hohen-Vietz den denkbar glücklichsten Moment, den des Desserts, getroffen zu haben. Dem stimmte Bamme, der gerade Schwarzbrot und Biscnitschnitte mit frischer Butter zusammenmörtelte, aufs leb­hafteste zu, und verschwor sich dabei einmal über das andere, daß die Feinschmecker aller Zeiten, von Lnkull bis aus Fried­rich den Großen, das eigentliche Diner immer nur als den Sockel der drei großen Dessertgottheiten: Bachus, Momus und Pomona angesehen hätten.

So phantasirte der Alte weiter, dessen guter Laune es vorzugsweise zuzuschreiben war, daß das befangene Hin- und Herfragen der ersten Minuten einer ungezwungenen Unter­haltung das Feld räumte. Jeder nahm schließlich Theil daran, insbesondere Tnbal, aus dessen Mittheilungen denn auch das eigentliche Reiseziel des eben eingetrosfenen Besuches erkennbar wurde. Sie befänden sich, so hieß es, ans dem Wege nach Breslau, wo sie dem durch Jürgaß und Bummcke gegebenen Beispiele zu folgen und in die daselbst sich bildende Freiwilligen­armee einzutreten gedächten. Der Aufruf, von dem alle Welt spräche, sei zwar noch nicht da, niemand bezweifele aber, daß er kommen werde (jede Stunde" warf Berndt dazwischen) und ein gestern von Jürgaß eingetroffener Brief gäbe bereits ein Bild des neu erwachten Lebens. So sei neben anderem auch ein schlesischer Landsturm in Bildung begriffen. Alle Männer von achtzehn bis sechzig Jahren, was noch nicht Waffen trüge, solle herangezogen werden. Zweck dieses Landsturms sei, den Feind, wo er sich in schwachen Detachements zeige, zu über­fallen, Generale wegzufangen (Bamme schlug mit der stachen Hand auf den Tisch) und mit Fouragenrs und Marodeurs kurzen Prozeß zu machen. Scharnhorst leite das Ganze; Blücher sei angekommen. Was aber die Hauptsache sei, der König selbst, der bis dahin an einen: kräftig-patriotischen Aufschwung gezweifelt habe, sei jetzt selber von Zuversicht getragen. Und in diesen: neuen Glauben werde er sich befestigen, denn der Geist sei überall derselbe. Von allen Seiten strömten Gaben herbei: Geld, Waffen, Equipirung; jeder gäbe, was er habe, und wer nichts habe, der gäbe sich selbst. Alles dies sei dem Jürgaßschen Briefe entnommen. Er seinerseits glaube noch hinzufügen zu dürfen, daß in den nächsten Tagen schon neuntausend Freiwillige von Berlin nach Breslau abgehen würden."

Diese Mittheilungen, mit Jubel ausgenommen, schlugen den letzten Rest von Verlegenheit, wenn ein solcher überhaupt noch da war, aus den: Felde, namentlich bei Berndt, der ohne­hin von Anfang an den Vorfall in: Ladalinskischen Hause nicht gerade von der allertragischsten Seite genommen hatte. Was war es denn schließlich? Mehr den: Eigensinn, als der Ehre des alten Geheimraths war eine Niederlage bereitet worden. Bninski war Graf und reich, und Lewin war jung. Der Ungar, den: nicht nur Bamme, sondern die ganze Tafelrunde mehr und mehr zusprachen, begann in gleichen: Maße die gute Stimmung zu steigern, und Berndt, erfüllt von Plänen, deren Ausführung aus der Anwesenheit und den: Verbleib seiner Gäste nur Vortheil ziehen konnte, richtete schließlich die Frage an Tnbal:Bis wie lange?"

Bis morgen."

Das war nun freilich nicht das, was er zu hören ge­wünscht hatte.

Ihr müßt bleiben," rief er,und uns zur Hand gehen. Mit dem Guser Coup sind wir sitzen geblieben; dieser Conte war klüger als ich ihn nahm und hat seinen Kopf rechtzeitig aus der Schlinge gezogen. Aber die nächsten Tage müssen etwas bringen und wenn wir auch gegenBastion Brandenburg" oder denHohen Cavalier" anstürmen sollten. Bamme und ich waren die ersten und exerzirten schon, als sich jenseits der Oder noch keine Hand rührte, und nun haben sie drüben den kleinen Krieg eommo ik tunt, während wir immer noch da sitzen wie die Spittelweiber in der Nachmittagspredigt."

Ein strafender Blick der Schorlemmer traf ihn, und Berndt, nachsichtig bis zur Schwäche gegen die rigorösen Launen der alten Herrnhuterin, korrigirte sich sofort und sagte seinen letzten Satz in anderer Form wiederholend:Während wir noch immer still sitzen und unsere Hände in den Schooß legen. Aber das muß anders werden. Ueberall ist man uns voraus, in Soldin, in Briefen, in Landsberg. Und nicht genug daran, keine Stunde Wegs von hier schlagen diese Kirch-Göritzer ihre Krampenschlacht, und ehe wir es uns versehen, hat Faulstich den xour la nwriu. Sind wir dazu da, um vor Handschuhmacher Pfeiffer die Segel zu streichen? Wir, die wir zuerst gekräht haben, zuerst und an: lautesten. Sollen wir uns sagen lassen, daß wir blos ge­spielt und mit Exercitium und Trommelschlagen den: lieben Herrgott die Zeit gestohlen hätten. Nein, ich hasse nichts inehr als diese Soldatenspielerei. Und warum? Weil ich Soldat war und das Ding ernsthaft nehme. Ein Bürger, ein Bauer braucht nicht die Waffe zu nehmen, aber wenn er sie nimmt, muß er sie brauchen, sonst ist er ein Narr oder ein Prahler."

Es ist doch ein eigei: Ding um den Ungar," schmunzelte Bamme und drehte seinen Schnurbart.So läßt er uns bei­spielsweise die Rollen tauschen. Sie sprechen wie Bamme; nun denn, so muß ich wie Vitzewitz sprechen. Das heißt ruhig und besonnen. Sie gehen zu weit, vor allem zu weit gegen sich selbst. Zum Streiten gehören zwei, sagt das Sprichwort. Und zum Batailliren auch. Erst müssen wir sie haben, haben."

Nein," unterbrach ihn Berndt,verstecken wir uns nicht hinter diesem Satz. Der Feind ist überall. Es braucht nur guten Willen und wir begegnen ihm.Suchet, so werdet ihr finden." Ein Sprichwort ist des anderen Werth. Und meines ist sogar ein Spruch. Solche Trupps, wie die hundert Mann in Guse, sind jetzt auf jeder Straße. Wir erklären sie gefangen, mehr ist nicht nöthig. Es sind Expeditionen (Du warst ja dabei, Tnbal), als ob wir Muschwitz und Rosentreter aufsnchten, meine französischen Marodeurs" von damals. Von Gefahr keine Rede, viel weniger, als um unserer Reputation willen zu wünschen wäre. Aber das Blatt kann sich wenden, neue Regimenter des Vizekönigs mischen sich schon mit den alten und unter allen Umständen, so oder so, Du bleibst, Du und Deine Freunde!"

Tnbal wechselte zustimmende Blicke mit Hirschfeldt.

So bleiben wir denn," riefen beide, und Hirschfeldt, in­dem er sich gegen Berndt verneigte, setzte hinzu:Der Aufruf ist noch nicht da, und die Bildung der Freiwilligen-Corps hat kann: erst begonnen. So versäumen wir nicht viel. Ist doch Hohen-Vietz ohnehin eine Etappe nach Schlesien; in drei Tagen sind wir in Breslau, spätestens in vier. Ich für mein Theil stelle mich zu Diensten, und unser Freund Grell, bei allem Kriegseifer, der ihn beseelt, wird ein Gespräch über Hölderlin, zu dem sich ihm hier die beste Gelegenheit bietet, auch nicht zu den verlorenen Stunden zählen. Ich bitte den Herrn Ge­neral, über mich verfügen zu wollen."

Topp, Hirschfeldt," sagte dieser.Das nenne ich ein­gefangen I Sie sind mir willkommener als Sie wissen können. Es ist nichts kleines für einen alten Zietenschen, der blos reiten und die Augen aufmachen kann, einenAide-de-Camp" um sich zu haben, der sich auf Karten und Listen und aufs Schreiber­handwerk versteht. Denn ganz ohne Federfuchserei geht es nicht mehr in der Welt. Auf gute Kameradschaft also!"

Und dabei klangen die Gläser zusammen.