Heft 
(1878) 42
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Eine Viertelstunde später erhoben sich alle von der Tafel und die beiden Damen, während der Rest der Gesellschaft das Eckzimmer aufsuchte, stiegen in das obere Stockwerk hinauf, nm hier für die Plazirung ihrer Gäste Sorge zu trägen. Sie kamen tiberein, den hölderlinschwärmcnden Grell bei Lewin, Tubal und Hirschfeldt aber in dein nebenan gelegenen Zimmer nnterzubrittgen. Alles dies war rasch geordnet, nur Bamme machte Schwierigkeiten.

Wo schaffen wir ihn hin?" sagte die Schorlemmer.Ich mag ihn nicht auf unseren! Korridor haben. Er ist anstößig und ein Greuel."

Ich fürchte mich anch vor ihm," entgegnetc Renate.Das heißt ein wenig."

Und das ist gut, daß es so ist. Ich fürchte mich auch, wenn Abneigung Furcht ist. Er darf nicht nach oben, zehn Schritt von Deinem und meinem Zimmer. Vielleicht klingelt er, oder gewiß klingelt er und Maline muß ihm ein Glas Wasser bringen."Nun?"

Nun?" wiederholte die Schorlemmer.Wie Du nur fragst, Renate! Ich habe Dich doch zu fromm erzogen. Ein Mensch wie Bamme trinkt nie Wasser nnd klingelt immer und rechnet dabei ans dies nnd das."

Aber, liebe Schorlemmer . . . ."

Ich habe mit den Angekoks gelebt," fuhr diese fort,und die Grönländer, die auch klein find, gerade so klein wie dieser Bamme, die waren auch alle in der Fleischeslust. Meine liebe Renate, gewiß, man soll den Teufel nicht an die Wand malen; aber ebenso gewiß ist es, man soll den Brunnen nicht erst zu- decken, wenn das Kind hineingefallen ist. Und die Maline ist ein Kind, ja, das ist sie mit all ihrer Klugheit. Denn was die Klugheit hilft, das verdirbt die Eitelkeit. Und mit den Eitlen hat er immer das leichteste Spiel. Du weißt schon wer. Mir ist, als hätten wir den Bösen im Hause."

Du nimmst es schlimmer als es ist," sagte Renate.Er hat keinen guten Ruf. Aber die Menschen übertreiben, und alles in allem er ist ein alter Mann, er muß siebzig sein. Und ich entsinne mich, daß die Tante von ihm sagte:Wenn wir die Sünde nicht fliehen, so flieht die Sünde doch schließlich uns". Sie sagte es französisch, aber das hörst Du nicht gern."

So ging oben auf dem Korridor das Gespräch, nnd während es geführt wurde, plätscherte der Gegenstand all dieser morali­schen Aengste nicht nur persönlich .in einem Meer von Behagen, sondern wußte sein eigenes Wohlgefühl auch feiner Umgebung mitzutheilcn. Er war afsabcl nnd Pikant wie gewöhnlich, durch Hirschfeldts Bleiben ansrichtig erfreut, und verzichtete darauf, wichtigthnerisch den General zu spielen. Wußte er doch, daß er sich gehen lassen konnte, ohne an Autorität etwas Erhebliches einzubüßen. Und wenn doch, so war er der Mann, sich das Verlorcngegangene jeden Augenblick znrückznerobern. Mit Hansen-Grell, der ihm unter seinem etwas sremdklingenden Doppelnamen vorgestellt worden war, wußte er anfänglich, theils nm dieses Namens, theils um seiner sonderbar vor­stehenden Augen willen, nichts Rechtes anzufangen, söhnte sich aber beim Tarok, das Grell, als Kartentischpartner, im Graf Moltkefchen Hanse gelernt hatte, rasch und vollkommen mit ihm aus und versprach ihm bei dieser Gelegenheit einmal über das andere die Groß-Quirlsdorfer Pfarre, wenn er erst seinen jetzigen" zu Tode geärgert oder nach Berlin hin weggelobt haben würde, denn dahin passe er und dahin müsse er. Patronat und Pfarre könnten aber nur bei Gleichartigkeit der Interessen neben einander bestehen nnd das beste Bindemittel sei und bleibe Tarok oder doch überhaupt die Karte.

Rasch verging der Abend. Bald nach nenn Uhr wurde das Spiel abgebrochen, und alles zog sich zurück, die jüngeren Männer in die Fremdenstuben treppauf, der General in sein Partcrrezimmer, in das auch bei heftigem Klingeln nicht ein­zutreten allen weiblichen Dienstboten des Hauses aufs schärfste anbefohlen worden war.

Eine halbe Stunde später war alles still, nur in einer der oberen Korridorstuben war noch Licht, und Renate und Marie plauderten von den Erlebnissen des Tages: von Bamme und den ridiknlen Befürchtungen der Schorlemmer, von Grell

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und feiner imponircnden Häßlichkeit, von Hirschfeldt nnd seinem zerhauenen Gesicht.

Narben ist doch das schönste," versicherte Marie.

Und dann glitt das Gespräch zu Tubal hinüber, dessen Name sehr bezeichnender Weise bis dahin noch nicht genannt worden war.Erzähle," sagte Marie,wie war er?"

Er war befangen und vermied es, meinen: Auge zu be­gegnen. Dabei sprach er viel und hastig, aber ich bemerkte wohl, daß ihm nur daran lag, sich und uns über das Pein­liche dieses Wiedersehens hinweg zu helfen. Eine Zartheit, die mich rührte. Aber das ist so Ladalinskische Art. Sie haben alle jene Vornehmheit, die lieber sich als andere verklagt. Und das Mindeste zu sagen, es ist, als theilten sie die Verantwortung für das was geschehe. Deshalb war auch Tubal nicht mit in Guse. Der alte Geheimrath bekannte es mir, als wir uns in Bohlsdorf trafen." Marie schüttelte den Kopf.

Ich sah es anders," sagte sie.Was Du Zartheit nennst, ist ihr Gewissen, nnd die Mitschuld, deren sie sich leise zeihen, ist keine eingebildete. Sie sind sich alle gleich und kennen nichts als den Augenblick. Er liebt Dich und ist doch seiner eigenen Liebe nicht sicher. Er mißtraut sich selbst, und deshalb be­gegnet er Dir mit Scheu. Vielleicht, daß er Dir offen be­kennt, um wenigstens vor sich selbst einen Halt und etwas, das einer Rechtfertigung ähnlich sieht, gewonnen zu haben."

Ihr hattet immer Eure Fehde," sagte Renate.Wüßte ich es nicht besser, ich könnte glauben, Du liebtest ihn."

Und damit schieden die Freundinnen, und Maline kam, um Marie nach Hanse zu begleiten.

Die letzten Gesprächsworte waren unter Lachen gesprochen worden, aber als Renate wieder allein war, lachte sie nicht mehr. Waren das nicht dieselben Befürchtungen, die sie selbst erst diesen Morgen aufrichtig und doch in der Hoffnung ans Wider­legung, gegen Lcwin geäußert hatte? Und nun hörte sie nichts als die Bestätigung alles dessen, was ihr ahnungsvoll das Herz bedrückte. Hatte Marie Recht? Und schlimmer als das, hatte sie selber Recht?

Sic hätte wohl noch weiter gefragt und gegrübelt, wenn nicht die Schorlemmer eingetrcten wäre. Diese kam, um ihrem LieblingGute Nacht" zu sagen.

Erinnerst Du Dich noch," sagte sie,was wir in Bohls­dorf plauderten? Jetzt erfüllt es sich. Die Erbtochter ist da, nun werden anch bald die Hochzeitszüge kommen."

Ach, liebe Schorlemmer," entgegnetc Renate," es ist mit Euch Herrnhutern ein eigen Ding. Ihr seid fromm, aber pro­phetisch seid Ihr nicht."

Das darfst Du nicht sagen, Renate. Wer den rechten Glauben hat, der sieht auch das Rechte."

Das Rechte, aber nicht immer das Nichtige. Die Wirk­lichkeit der Dinge läßt Euch im Stich."

Die Schorlemmer lachte gutmüthig vor sich hin.

Das sind so Sätze aus dem neuen Lewinschen Katechis­mus," sagte sie.Aber nichts mehr davon, mein Renatchen, für heute schlafe. Das wird wohl das Rechte und auch das Richtige sein."

XIUX. Am Wermelin.

Lewin und Grell waren am frühesten auf, beschlossen aber das Erscheinen der übrigen abzuwarten. Dies währte nicht lange. Schon nach Ablauf weniger Minuten hatte sich alles in der Halle versammelt, in der heute der Gäste halber auch das Frühstück genommen werden sollte. Nur die Damen fehlten noch.War Hoppenmarieken schon hier?" fragte Berndt.

Jeetze verneinte, der alte General aber, der, trotzdem er im Geheimen beständig mit ihr verglichen wurde, bis dahin nie von der Zwergin gehört hatte, fragte neugierig:Hoppen­marieken? Wer ist das?"

Sie mag Ihnen selber antworten," sagte Berndt.Eben sehe ich sie über den Hof kommen."

Und so war es. Ehe noch weitere Fragen gestellt werden konnten denn auch Grell und Hirschfeldt waren aufmerksam geworden erschien der Gegenstand allgemeiner Neugier inner­halb der Glasthür und war nicht wenig überrascht, an eben