Heft 
(1878) 44
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Farben gekommen, bemerkt hatte, daß himmelblau seine Lieb­lingsfarbe sei?

Je heiterer er wurde, desto sinniger wurde sie, und als nun Katherine mit einem neuen Teller voll Pfannkuchen er­schien und die Gelegenheit benutzend, dem Fräulein ihren besten Dank für die damals gespendeten Schneeglöckchen aussprach, sagte der Blick, den sie zu Ernst herüber warf, ganz deutlich: Heute würdest Du wohl das Bouquet nicht wieder zurück- weisen, und wenn Du es thätest sieh, dann würde ich Dich bitten und immer wieder bitten, es doch zu nehmen Dir gegenüber will ich ja demüthig sein, demüthig, nicht heftig!"

Baum sprach den Wunsch aus, sich die Pferde anzusehen, und so ging die kleine Gesellschaft hinaus ins Freie. Frau Baum hatte sofort von Katherine Beschlag genommen, die glücklich war, ihr junges Federvieh zeigen zu können. Römer begleitete den alten Herrn in den Pferdestall. Als er an die Thür desselben trat, sah er, wie Gertrud seinen Türk, der un­verkennbares Wohlgefallen an dem jungen Mädchen zu finden schien, freundlich über den Kopf strich. Sie schien es nicht zu bemerken, wie wonnetrunken der Blick des jungen Mannes auf ihr hastete.

Türk ließ sich in seinem Geschäft, auf den Hinterbeinen zu sitzen und Fliegen zu schnappen, auch dann nicht stören, als Franck mit den beiden Pferden heraus trat und Baum mit lauter gewichtiger Stimme deren Vorzüge pries.

Es sind ein paar Kapitalpferde, und gut eingeritten sind sie auch, wie Franck mir sagt. Was zum Kuckuck strape- ziren Sie sich denn immer ab und laufen die Stunde nach Lichterfelde? Ich in Ihrer Stelle ginge den ganzen Tag nicht von dem breiten Rücken da herunter.

Ich bin kein passionirter Reiter," versetzte Römer lächelnd.

Und doch reiten Sie nachts bei Sturm und Regen, um die Medizin für Frau Katherine zu holen?" entschlüpfte es unwillkürlich Gertruds Lippen.

Er sah sie groß an; woher wußte sie von seinem Ritt; damals hatten sie sich ja noch gar nicht gekannt?

Sie mochte fühlen, was seine erstaunte Miene aussprach. Eine tiefe Röthe übergoß ihre feine weiße Stirn, sichtlich nahm sie sich zusammen, und doch sagte jede Linie ihrer sprechenden Züge:Was Du Dir denkst; Dich kenne ich ja so lange ich lebe!"

Länger hielt ihn seine Bewegung nicht zurück; zu ihr tretend, bog er sich über den Hund und flüsterte, während er wie verloren mit den seidenweichen Haaren des Thieres spielte: Wissen Sie Wohl, weshalb ich die Spaziergänge den Ritten nach Lichterfelde vorziehe?"

Sie schüttelte den Kopf.

Und wenn es nun blos darum wäre, weil ich einen Fichtenbaum umfassen kann, der im Norden auf kahler Höh' steht?" Sie fuhr erschreckt auf.

Haben Sie mein Zeichenbuch gesehen?"

Und wenn es der Fall wäre, würden Sie mir zürnen?"

Wie könnte ich Ihnen je böse sein?"

Es waren nur wenige Worte; sie waren ihr entschlüpft, ohne daß sie recht wußte, wie es gekommen war; aber jetzt, da er sie gehört hatte, schaute sie ihn so innig, wahr und treu an, daß er kein Mensch, kein leidenschaftlich fühlender Mensch hätte sein müssen, wenn er die kleine Hand, die jetzt auf dem Kopf des Hundes ruhte, nicht erfaßt und mit bebender Stimme ge­flüstert hätte:Dank, Dank, Gertrud, diese Worte werden mich durchs Leben begleiten! O, wenn Sie wüßten, wie mein Herz

sich Tag und Nacht darnach sehnt, daß dieser . . ."

Möchten Sie mir nicht ihren Garten zeigen?" fragte Frau Baum mit lauter Stimme und riß die beiden gewalt­sam aus ihren Träumen.

Mechanisch bot Römer der alten Dame seinen Arm und

lenkte seine Schritte wieder dem Hause zu. Er hörte nichts

von dem, was sie erzählte und athmete erleichert auf, als er den Förster gewahrte, der ihn in geschäftlicher Angelegenheit zu sprechen wünschte.

Er ersuchte die Damen, ins Zimmer zu treten; sie aber zogen es vor, die breite Tannenallee entlang zu gehen. Als

sie die Biegung erreicht hatten, gewahrten sie, daß dort, wo bis dahin die Tannen ein dichtes Bosqnet gebildet hatten, eine kleine Lichtung geschaffen und in ihr jene Niederlande angelegt war, in der Ernst so manche Abendstunde verbrachte.

Das ist ja meine Laube, das sind ja meine Rosen!" rief Gertrud strahlend vor Glück und Freude aus. In dem­selben Augenblicke hatte sie beide Arme um den Hals der Mutter geschlungen, die bestürzte Frau auf die kleine hölzerne Bank gezogen und einmal über das andere gefragt:Glaubst Du cs nun, Mama, daß er mich liebt? Wirst Du nun noch an seiner Liebe zweifeln? Nein, herzensgoldene Mama, nicht wahr, jetzt nicht mehr!"

Frau Baum strich dem heftig erregten Mädchen die Haare aus der glühenden Stirn und erwiderte sanft:Nein, Kind, ich zweifle nicht mehr daran, es ist mir an diesem Nachmittag zur Gewißheit geworden; aber wenn ich trotzdem Euer Ge­spräch vorhin absichtlich störte, so geschah es nur, um mein liebes Kind vor einem schweren Unglück zu bewahren."

Aber, Mama, ich begreife Dich nicht," unterbrach Gertrud sie heftig.

Ruhig, ruhig, Kind! Ein Mutterauge sieht schärfer als ein begehrendes, liebendes, jugendliches Herz. Glaube mir, Herr Römer hätte längst schon um Dich beim Vater angehalten, wenn es nicht einen Punkt in seinem Leben gäbe, der ihm einen solchen Schritt verbietet. Er leidet sehr, ich habe es neulich, als er das Lied sang:Es ist bestimmt in Gottes Rath" tief mit ihm gefühlt; aber er besitzt Festigkeit und Energie genug, um seine Pflicht über seine Liebe und die Erfüllung seiner Wünsche zu setzen! Sein heutiges Wesen ist durch die Plötzlichkeit unseres Besuchs zu erklären; glaube mir, morgen steht er Dir ebenso unnahbar, ebenso gefaßt gegenüber wie vorher."

Aber, Mama, was kann es nur sein?" fragte Gertrnd mit zitternder Stimme.O, daß wir Mädchen so gebunden sind durch die Sitte und ein Gefühl der Zurückhaltung, das sich in der Brust nicht betäuben läßt. Warum kann ich nicht zu ihm eilen, ihn offen nach allem fragen, was ihn bedrückt?"

Und wie von einem plötzlichen Gedanken erfaßt, sprang sie auf und lief eilend dem Hause zu.

Sie fand Katherine in der Stube eifrig beschäftigt, das Kaffeegeschirr wegzuränmen.

Frau Katherine," richtete sie an diese befangen das Wort, ist dies das Bild von Herrn Römers Mutter?"

Katherine nahm das Bildchen von der Wand und hielt es so, daß Gertrnd es genau prüfen konnte, dann erwiderte sie:Freilich ist es das! Das sehen das Fräulein ja an der großen Aehnlichkeit; nicht wahr, Herr Römer gleicht sehr seiner gnädigen Frau Mutter?" Gertrud schüttelte den Kopf.

Nein, das finde ich nicht, Frau Römer sieht streng, ihr Sohn aber nur ernst aus."

Nun heute doch wohl nicht!" rief Katherine in ihrer Freude über ihres Lieblings Frohsinn.Heute ist er ganz wieder der Alte. O, Fräulein, Sie sollten das Bild sehen, das ich von ihm habe, als er in Berlin sein Jahr abdiente. Herr Römer hat nicht immer so ernst ausgesehen, wie Sie ihn für gewöhnlich kennen."O bitte, zeigen Sie es mir!"

Erfreut folgte Gertrud dem alten Mütterchen hinauf in die kleine Stube, die diese für sich eingerichtet hatte.

Ja freilich, da macht Herr Römer ein anderes Gesicht!" rief das junge Mädchen ans, als Katherine unter vielen anderen ähnlichen Kleinodien ihren größten Schatz, Ernsts Bild, hervor­geholt hatte.O bitte, erzählen Sie mir, wie es gekommen, daß er so ernst geworden ist?"

Wie und wodurch es gekommen ist, weiß ich nicht. Er hatte in Berlin sein Examen gemacht und wollte zum Ober­förster nach Ellerwalde gehen, als er zu uns kam. Ach, Fräu- leinchen, den Augenblick vergesse ich nicht, als er damals in die Stube trat. Er war so bleich, so still, so ernst, daß die gnädige Frau und ich nicht anders glaubten, als daß er eine große Krankheit durchgemacht habe. Aber er versicherte hoch und theuer, daß das nicht der Fall gewesen sei, und da er stets aufgebracht wurde, wenn wir ihn mit Fragen bestürmten,