- 695
so ließen wir es sein. Es sind jetzt wohl acht Jahre her — seitdem habe ich meinen Herrn selten lachen gehört. Neulich, als er mir von der jungen Frau Oberförsterin erzählte und heute — aber mein Gott, was ist denn das! Da fährt ja ein Wagen vor, sollte Herr Weiher doch noch kommen?"
Sie lief eilends die Treppe hinab und ließ Gertrud in völliger Rathlosigkeit zurück.
„Also Mama hat Recht," flüsterte sie und trat dann ans Fenster, da ein lautes: „Halloh, alter Freund!" ihr zu fremd erklang, als daß es Herrn Weihers Stimme hätte sein können.
— Nein, Herr Weiher war nicht gekommen! Wer war der blonde, kräftige, junge Mann mit den offenen heiteren Zügen, der so freudig erregt von Römer bewillkommnet wurde, und der dann die Eltern so graciös und weltmännisch begrüßte?
Gertrud fühlte, daß ihr längeres Ausbleiben auffallen würde, sie verließ daher Katherinens Stübchen und ging hinab.
„Mein Freund, Herr Sternberg," stellte Römer den jungen Mann vor, und fein Auge glänzte dabei von fo unverhohlener Freude, daß Gertrud fühlte, wie nah ihm dieser stehen müsse.
Katherine hatte die Abendtafel unter dem mächtigen Ka- ftanienbaume im Garten angerichtet.
Römer reichte pflichtschuldigst Frau Baum den Arm, Sternberg führte Gertrud, und der alte Herr machte feine Bemerkungen, wie traurig es für ihn sei, ohne Dame zu Tisch gehen zu müssen. „Sie müssen heirathen, junger Freund," lachte er über das ganze Gesicht, „dann kommen auch andere Damen wie Turteltauben ins Haus geflogen, und ich alter Knabe bin nicht dazu verdammt, eine Stunde lang den griesgrämigen Stroh- wittwer spielen zu müssen. Was meinen Sie zu meinem Vorschlag, Herr Nachbar, he?"
Dieser kannte die neckische, manchmal etwas derbe Rede des alten Herrn zu genau, als daß sie ihn unter anderen Umständen in Verlegenheit versetzt hätte. Jetzt aber, da er bemerkte, wie Gertrud bei derselben tief erröthete, und wie Sternberg, dessen schnelles Uebersehen jeder Lage er von früher her kannte, sie beide mit Erstaunen musterte, klang seine Antwort, die in scherzender Weise gegeben werden sollte, etwas befangen. So viel Mühe er sich auch gab, den alten ungezwungenen heiteren Ton von heute Nachmittag konnte er nicht wieder heraus beschwören.
Julius Sternberg mochte fühlen, was in dem Herzen seines Freundes vorging, er nahm daher die Unterhaltung in die Hand, was ihn: bei seinem angeborenen Erzählungstälent und seinen seinen gesellschaftlichen Formen nicht schwer wurde; er erzählte von seinen verschiedenen Reisen, und erwähnte auf Baums Fragen, daß er jetzt auf dem Wege nach Ostpreußen sei, wo die Regierung eine große Oberförsterei theile, und wo er nach acht Tagen die Leitung der Zweigoberförsterei übernehmen solle.
Das Gespräch sprang von einem Gegenstände zum andern über; für alles zeigte Julius Sternberg Interesse. Er trug dem Dispntirkitzel des Alten Rechnung, er ermunterte die etwas schweigsame alte Dame zum Sprechen, und er hatte bald aus Gertruds gelegentlichen Einwürfen erkannt, daß er es hier mit einem Mädchen zu thun habe, das bei weitem die gewöhnliche Bildungsstufe junger Damen jener Zeit überschreite. Der kleine Kreis wurde von Minute zu Minute belebter, nur Römer noch hielt sich passiv. Er war stiller, schweigsamer denn je.
Später als er ursprünglich beabsichtigt hatte, bestellte Baum das Anspannen.
Ernst reichte Gertrud den Hut und begleitete sie zum Wagen. Schüchtern legte sie ihre schmale Hand in die seine
— fühlte den festen Druck derselben und hörte seine leisen Worte: „Noch einmal tausend, tausend Dank für Ihren Ausspruch von heute Nachmittag, ich werde ihn nie vergessen. Gott segne Sie!"
VII.
Als die Damen fortgefahren waren, suchten die beiden Freunde die Tannenallee auf- Sie gingen eine Weile schweigend neben einander her. Endlich blieb Julius stehen, sah seinen Freund prüfend an und fragte dann: „Was bedeutet das alles, Ernst?"
„Komm," erwiderte Römer gepreßt und zog den Freund
mit sich fort zu dem Bänkchen unter dem Flieder. Dort legte er den Kopf auf den Tisch und erzählte in kurzen Worten, wie er Gertrud kennen und lieben gelernt; wie er, sobald er die Richtung, welche seine Gefühle nahmen, erkannte, energisch gegen sie angekämpft habe; wie er jetzt erkennen müsse, daß er die Liebe zu dem herrlichen Mädchen nie würde aufgeben können. „Aber glaube deshalb nicht," schloß er, „daß ich nun die Büchse ins Gras werfen und meiner Neigung folgen werde. Die Bande, die mich an Louise knüpfen, sind unzerreißbar, und ich könnte sie nur mit dem Opfer meiner Ehre lösen. Das wird nie geschehen. Aber hier bleiben kann ich nicht. Bleibe ich noch länger, so stürze ich mich und Gertrud ins Verderben."
„Was willst Du thun?" fragte Julius leise.
„Ernst richtete sich empor und zeigte dem Freunde ein todtenblasses Gesicht. Seine Stimme aber klang ruhig und fest. „Ich will noch heute um meinen Abschied einkommen," sagte er, „und dann in vier Wochen heirathen. Ein Mann in meinem Alter und mit meinen Kenntnissen wird schon Mittel und Wege finden, seine Frau und sein Kind zu ernähren."
Ernst sprang auf und ging mit großen Schritten die Allee hinab dem Hause zu. Julius folgte ihm und ergriff seinen Arm. Sein Gesicht war nicht minder bewegt als das seines Freundes. Beide blieben stehen.
„Ernst," begann Julius tief aufathmend, „steht es so, dann ist es an mir, Dir eine Eröffnung zu machen, die vielleicht Dich und Louise retten kann. Unter diesen Umständen wäre ja auch ihr Loos an Deiner Seite ein bedauernswerthes."
„Fürchtest Du, daß ich sie entgelten lassen könnte, was ich verschuldet?" entgegnete Ernst unwillig. „Ich hätte ihr ja auch früher nicht die Liebe des Bräutigams entgegengebracht. Ich bin ihr Freund, ich bin Ottos Vater, und ich werde dessen immer eingedenk sein. Was will sie mehr?"
„Eben das, was Du ihr nicht geben kannst — Deine Liebe. Die Leidenschaft macht Dich bitter und blind zugleich, aber ich will in diesem Augenblick nicht mit Dir rechten. Prüfe ernstlich, was ich sagen werde, und entscheide dann selbst."
Ernst blickte den Freund voll Spannung an. Dieser aber fuhr fort: „Seit Du damals Louise in mein Elternhaus
brachtest, hat sie es mir angethan. Sie war noch kein Jahr in unserem Hause, als ich sie auch schon so heiß und innig liebte, wie Du nur immer Gertrud lieben kannst. Aber ach, meine Liebe war ja aussichtslos, und so habe ich sie denn still im Herzen getragen, und kein Mensch hat bis zu dieser Stunde etwas von meinen Kämpfen gewußt. Jetzt aber, da ich sehe, daß Du Dich in unglaublicher Verblendung gleichgiltig von dem herrlichen Mädchen abwendest, jetzt kann ich nicht anders als zu Dir sprechen: O, tritt zurück und laß mich sie glücklich machen, laß mich selbst glücklich sein. Niemand weiß von Euerem Verhältniß und niemand wird je davon erfahren. Sei. Du glücklich und laß auch mich glücklich werden."
Ernst stand wie betäubt da. Es war ihm wie dem Gefangenen, der viele Jahre lang die klirrende Kette getragen und dem sie nun, da sie ihn eben am schmerzlichsten drückte, unerwartet vom Fuße fiel. Er war frei. Louise war in den Armen seines Freundes in guter Hut, in besserer vielleicht als in der seinen und er selbst war frei. Er konnte hinüber zu Gertrud und sprechen: Hier bin ich. Das Hinderniß ist gefallen. Nun soll uns nichts mehr trennen!
„O, Julius," rief er, „Dich schickt mir Gott in meiner höchsten Noth. So wäre denn uns allen geholfen."
„Ich will noch morgen nach E.," versetzte Julius. „Aber
jubele nicht zu früh. Noch wissen wir nicht, wie Louise em
pfindet."
Ernst zuckte zusammen. „Du hast Recht," wiederholte er, „noch wissen wir nicht, wie Louise empfindet. Aber reise immerhin zu ihr, es wäre ja möglich, daß auch sie Dich liebte. Du
bist so edel, so gut, sie kennt Dich seit so langer Zeit —"
„Wohlan," sagte Julius, „aber wie der Würfel auch fallen möge, Ernst, wir bleiben die alten Freunde."
Sie drückten sich die Hände und suchten dann ihr Lager auf. Aber Ernst konnte nicht schlafen! Er erhob sich nach einiger Zeit und ging, um den im Nebenzimmer schlafenden