Nachdruck verboten Ges. v, tt./VI. 7u.
- 698 -
Milder aus den Sevenneu.
Von Ä. Ebrnrd.
V. Uo louZo ä'oo.
„Er spricht noch nicht französisch," sagte mein Vetter von seinem achtjährigen Söhnchen, als ich diesen bei meiner Ankunft begrüßte. „Das Französische lernen sie erst in der Schule." Wollte ich von dem kleinen muntern Esa'ie verstanden sein, so mußte ich ihn nicht: raon ober potit oousin, sondern: rooun obor irtouitiä cousin*) anreden, und ihn nicht fragen, ob er 8L obövro, sondern ob er 80 ALbi-0 ins Freie geführt habe.
Patois nennen sie das und sind dabei viel zu bescheiden. Unter Patois im schlimmen Sinne wäre ein verdorbenes Französisch zu verstehen, unter Patois im guten Sinne eine französische Mundart, die ja gerade so gut ihre Berechtigung haben würde, wie in Deutschland der schwäbische oder plattdeutsche Dialekt. Das „Französisch", das die Sevenolen sprechen, mag man ein Patois nennen, denn sie haben die Nasalirung des NN, on, 6N, io, NN nicht, sie sprechen jedes stumme 6 und schlendern den Ton in merkwürdiger Art ans das Ende des Satzes, üs l'ai ontknän lautet bei ihnen: cko l'ni »nAtnnAän. Was aber die Leute in den Sevennen und bis in die Pyrenäen hinein Patois nennen, das ist gar kein französisches Idiom, sondern eine von der französischen gänzlich unterschiedene selbständige Sprache, lo lonZo ck'oo, die Sprache der alten Troubadours, die man ehedem die proven^alische nannte, wobei nicht an den Umfang der französischen Provence, sondern an den der römischen Provincia zu denken ist. Diese altproven^alische Sprache existirt freilich nicht mehr unalterirt, in ihren Wörtervorrath haben manche französische Ausdrücke sich eingeschlichen, die alten Flexionsformen haben sich aber rein erhalten, und für die Dinge des gewöhnlichen Lebens hat die Sprache ihre eigenen Wörter bewahrt. So heißt der Esel loa rmso, die Eselin lo 8oamo, der Seidenwurm loa maZaao, das Weizenbrot lo xoaia- xoa, der Brunnen lo toaat, das Haus l'oaMna, Mittag moclioar, Abend vospro, Nußbaum aoa^alo (sprich nuvio), Nuß U0U86, das Schaf l'otkoäo re.
Ich folge hier- der Orthographie, wie dieselbe festgestellt ist von der in Nismes, Marseille, Mais n. a. O. verzweigten Looiotä. ckoi tolibro (Dichtergesellschaft), welche bedeutende Dichter (wie z. B. Frederic Mistral) zu den Ihren zählt, und um die Reinerhaltung der louZo ä'oo und die Pflege der „neuproven^alischen" Literatur sich hohe Verdienste erworben hat. Hiernach klingt oa wie u; a wenn es alleinsteht wie ü, dagegen in den Dipthongen na, oa, oa wie u (so daß na genau wie das deutsche au tönt, oa aber sich aus o und a, öu aus e und u zusammensetzt.) Auch oi, oi, Li sind wahre Diphthonge. Der dem französischen oi entsprechende Diphthong wird on geschrieben, ganz wie er wirklich lautet. Das ob wird in manchen Gegenden wie ein scharfes ß, in anderen wie sch,
und das,j wie das italienische A (vor o und i), aber wie
das deutsche Jot gesprochen. Das Pronomen loa „ich" lautet nach Obigem: i-e-u mit dem Ton auf dem o.
Das Pronomen personale mit der Conjugation von sein und haben wird allein schon genügen, um klar zu stellen, daß wir hier eine selbständige Sprache vor uns haben, loa sioi ioo ni,
tu sins tu L8,
ol 68 ol L,
uotr68 SOU notros LV6U,
votros 868 votros LV68,
ollos 80UU ollos LU.
Das Pronomen bleibt übrigens gewöhnlich weg, wenn nicht ein besonderer Nachdruck darauf liegt. Die Flexionsendung genügt schon, um Person und Numerus zu bezeichnen. Nur im Gen. Sing, wird tu gewöhnlich beigefügt.
VI. Mont d'Aigoal.
Mein Wunsch wäre gewesen, das Gebirge nach verschiedenen Richtungen zu Fuße zu durchwandern und womöglich auch die
*) Das u wird nicht nasalirt, sondern gesprochen wie im Deutschen, also: „mun scher mnnid cusin".
Thäler der beiden Gardon in den nördlichen Sevennen kennen zu lernen. Bei der tropischen Hitze jener Tage sank mir freilich der Muth für Fußwanderungen, die in unaufhörlicher Ersteigung schroffer Grate auf mühseligen Felsenpfaden bestanden haben würden. Dann trat Regenwetter ein; Wolkenmassen senkten sich bis in die Thäler hinab, warme Regengüsse rauschten nieder; man nannte das uu ora»o, von Blitz und Donner habe ich jedoch nie etwas gesehen und gehört. Zn dem allen aber hatte mein Unwohlsein allmählich so Angenommen, daß ich eine ernstliche Krankheit befürchten mußte, wenn ich nicht die Nähe eines Arztes und einer Apotheke suchte. Meine Verwandten, die mir alles Liebes thaten und mich so gern noch länger behalten hätten, sahen dies ein; der Vetter beschloß, mich selbst nach Valleraugue zu begleiten. Ein furchtbarer Regen am nächsten Morgen schien alles zu vereiteln; mußten wir doch die zwei Stunden zu Fuße gehen, da nur ein Saumpfad in das Städtchen führt. Indessen haben glücklicherweise die Sevennen in dieser Jahreszeit nur Regenstunden, nicht Regentage.
Die Sonne kam gegen Mittag wieder hervor und das Laub der Pflanzungen schimmerte und duftete von den Regentropfen. Ein fröhliches Abschiedsmahl war nicht möglich, da ich die letzten Tage ausschließlich von Hammelbrühe und Ziegenmilch gelebt hatte, so blieb nur herzlicher Dank und Abschied von den Gliedern der Familie und deren Verwandten. Der Vetter begleitete mich, in Mas Gibert wurde eine muntere hübsche souwo — die Esel hier zu Lande sind prächtige, kräftige, muntere Thiere, meist von schwärzlich dunkler Farbe — mit meinen: Koffer beladen, und kaum war der letzte Knoten geknüpft, so galoppirte sie ohne Führer znm Dorfe hinaus, ohne sich weiter um uns zu bekümmern. „Sie kennt den Weg," beruhigte mich der Vetter. Und in der That, bald fanden wir sie an einem Maulbeerbusche stehend und fressend. Wir gingen an: towplo vorbei, der mitten zwischen Mas Gibert und Mas d'ogleiso seit einigen Jahrzehnten erbaut ist; bis dahin hielt die Gemeinde ihre Gottesdienste im Freien unter einer Gruppe alter Kastanienbäume. Einem der Gottesdienste in dem freundlichen und geräumigen toinplo hatte ich beigewohnt; der schöne vierstimmige Gemeindegesang der Goudimel'schen Psalmen, wie er in manchen Theilen der Schweiz noch blüht, hat sich leider verloren; zwei alte Männer traten als Vorsänger an den Abendmahlstisch und intonirten mit einen: Ansdruck verzückte:: Eifers der eine die Melodie, der andere die begleitende Stimme, die Gemeinde sang die erstere mit; der Gottesdienst im übrigen folgt ganz der alten Kirchcnordnung.
In Valleraugue nahm ich Wohnung in den: einzigen Gasthofe, dem Hotel Avesque, wo ich in jeder Beziehung sehr- zufrieden war. Arzt und Apotheke stellten mich binnen weniger Tage wieder her, so daß das Gefühl der Reconvalescenz mir meinen dortigen, halb unfreiwilligen Aufenthalt zu einem sehr angenehmen machte.
An Unterhaltung fehlte es mir nicht. Schon der Blick von meinen: Zimmer aus den Zusammenfluß des Clairou und des Herault, auf den freundlichen tonixlo, dann den beiden Gewässern entlang in die beiden Theile des Städtchens hinein und ans die schimmernd grünen steilen Rebenhöhen, die hoch über die Dächer hereinschauten, und endlich aus die Felsenwände des Mont Aigoal, die die Aussicht abschlossen, war prächtig genug, und das unaufhörliche Plätschern der beiden Gießbäche hatte etwas gar gemüthliches. Sodann fühlte ich mich hier auch wieder Halb zu Hause; eine Schwester meines Vetters ist hier verheirathet und manche andere eonsins gaben als solche sich kund, sobald ich meinen Namen nannte, der dort so heimisch ist. Unter diesen Umständen mußte ich ja wohl daran glauben lernen, daß ich Sevenole von Abkunft sei. Ueber- dies nun verdanke ich meinem Vetter die Bekanntschaft des trefflichen und liebenswürdigen Pastors F., der meinem Gasthof gerade gegenüber, jenseits des Flusses, Haus und Garten hat. Er versah mich mit Lektüre; in Unanx' Uistoiro cio ln rölor- illLtioii U-LllyLiso fand und studierte ich eine recht gute Dar-