Heft 
(1878) 46
Seite
725
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Ein deutsches Famlienblntt mit Illustrationen.

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XIV. IlltlUHllllH. Ausglgclmi am 17. August 1878. Der Jahrgang läuft vom Wall« 1877 dis dahin 1878. 1878. 4t).

Erkämpft.

Novelle von M. Franck.

«Schluß.,

Nachdruck verboten. Ecs. v. 1l.. IV. 7».

Beinahe ein Vierteljahr war seit jenem verhängnißvollen Abend verflossen. Römer hatte seit vier Wochen die immerhin etwas geräuschvolle Hotelwohnung verlassen und war in eine reizende, ganz in der Nähe liegende Villa gezogen. Louisens Vorschlag, ihn in ihre kleine Behausung zu bringen, da Otto bereits seit vierzehn Tagen mit Frau Jordan nach Lichterfelde übergesiedelt sei, war bei Römer auf heftigen Widerstand ge­stoßen. Der Geheimrath Hein, der schon längst die Stelle des Arztes mit der des Hausfreundes vereinigte, hatte aber die glückliche Auskunft gefunden, den noch immer recht schwer Lei­denden in eine Villa überzusiedeln, die einer seiner Freunde behufs einer Reise ins Ausland auf mehrere Wochen ver­lassen hatte.

Es war ein herrlicher Herbsttag, als Römer in Kissen und Decken gepackt auf der von Weinlaub umrankten Veranda lag. Neben ihm saß Louise mit einer Handarbeit beschäftigt, während Geheimrath Hein mit der noch immer sehr stattlichen Frau Römer im Garten auf- und niederging.

Römers Züge zeigten noch wenig von der Kraft und Energie früherer Zeiten. Die Augen waren eingesunken, der Blick war bald matt und theilnahmlos, bald wieder unnatür­lich funkelnd. Die Finger spielten nervös mit den Blättern eines Buches, das aufgeschlagen auf seinem Schoße lag.

Soll ich weiter lesen, Ernst?" fragte Louise mit ihrer sanften herzgewinnenden Stimme.

Ich danke Dir; das Gespräch mit dem Geheimrath, der heute mehr denn je zum schleunigen Aufbruch nach dem Süden mahnt, hat mich so alterirt, daß es mir lieb wäre, wenn Du mich allein ließest."

Die Worte klangen bitter, aber er fuhr dabei sanft über ihre Hand, als sie feine Kissen zurecht rückte, und fügte freund­lich hinzu:Du mußt schon noch eine Weile mit mir Geduld haben, meine kleine Samariterin."

O wie gern wollte sie das, wenn er sie nur überhaupt

xiv. Jahrgang. 46 . I.

bei sich duldete! Aber so erfreut er war, wenn sie mit der Mutter an seinem Krankenlager saß, so geflissentlich vermied er es, mit ihr allein zu sein. Sie hatte das schon lange be­merkt und war stets fortgegangen, wenn Frau Römer ihn ver­ließ, aber heute hatte sie der Geheimrath heimlich ersucht, womöglich bei dem Kranken zu bleiben, so daß ihr Herz doppelt heftig klopfte, als sie nun doch wieder ans seiner Nähe ver­bannt wurde.

Traurig setzte sie sich im Gartenzimmer ans Fenster. Von hier aus konnte sie Römer beobachten, ohne von ihm gesehen zu werden. Wie oft hatte sie hier schon gesessen, wie oft schon feine lieben thenren Züge studirt, znrückgeblickt in die Ver­gangenheit und hinaus geschaut in die Zukunft, die trübe und wolkenschwer vor ihr lag!

So sehr ihr Herz sich auch dagegen auflehnte, sie konnte sich nicht verheimlichen, daß Römer sie wohl lieb, sehr lieb habe, aber daß er sie nicht liebe. Ihr Vertrauen zu der Kraft ihrer eigenen Liebe, das in der ersten Zeit nach Ottos Gene­sung ihr felsenfest erschien, war von Tag zu Tag kleiner, zag­hafter geworden. Hatte sie ihn nicht gepflegt, wie nur je eine liebende Frau einen Gatten pflegte? Hatte sie nicht durch ihre Aufopferung, ihre unerschütterliche Treue und Hingebung, ihre Fassung in den schwersten Augenblicken, selbst das schroffe ver­schlossene Herz der stolzen Frau Römer besiegt, die in den ersten Tagen ihr mit einer Bitterkeit und Nichtachtung ent­gegen getreten war, die nur ihre Liebe zu Ernst sie dulden lehrte? Und was war der Erfolg Ernst gegenüber gewesen? Nur selten sahen Frau Römer und sie das düstere Gesicht sich auf Augenblicke erhellen, um gleich daraus in noch größere Schwer- muth zu verfallen, die mit der Zeit, je mehr die körperliche Genesung vorschritt, einer inneren Unruhe und Beängstigung gewichen war, die sehr mit Römers sonstigem festem Cha­rakter kontrastirte. Er war weicher, milder gegen Mutter und Louise geworden, besonders seit er einsehen gelernt hatte, wie