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gemeinen Wissens (Leipzig, Verlag des bibliographischen Instituts). Das ist ein ganz merkwürdiges Buch — was in den beiden, trotz ihrer 2165 Seiten leicht zu handhabenden Bänden drinsteckt, glaubt keiner, der es nicht aus eigener Erfahrung kennen gelernt hat. Es erinnert wahrhaftig an den grauen Mann im Peter Schlemihl, der aus seiner Tasche die fabelhaftesten Dinge hervorholte, ohne eine Miene zu verziehen. Und doch geht alles hier mit rechten Dingen zu. Der Herr Meyer und feine Redaktoren sind eben ganz ungewöhnlich geschickte Leute, die es verstanden haben, das Nothwendiaste aus der Gesammtmasfe des Wissens so zusammenzndrängen, wie es bisher noch nie geschehen ist.
Da findet man nicht nur die üblichen Wörter ans allen möglichen Wissenschaften, kurz, präcis, klar und deutlich beleuchtet, sondern auch alle im täglichen Leben und Lesen am meisten gebrauchten Fremdwörter; da hat man nicht nur ein fast vollständiges geographisches Handwörterbuch, sondern einen ganz ordentlichen Atlas, der physikalische und politische Geographie, Kulturgeographie und Geschichtskarten umfaßt; da sind Bildertafeln, welche die wichtigsten Baustile und die hervorragendsten plastischen Kunstwerke veranschaulichen, da sind andere, die einen Blick in die Anatomie des Menschen gewähren; da lernen wir Pflanzen und Thiere im Bilde kennen, und zu den Artikeln aus der Technologie, Industrie, deutsche Marine rc. sind höchst instruktive veranschaulichende Zeichnungen gegeben. Endlich ist der Reichthum an eigentlichen Stich Worten, die sich auf 41,122 belaufen, noch um circa
20.000 vermehrt durch ein treffliches Register, welches am Schlüsse des
Werkes auf solche Namen oder Gegenstände verweist, welchen selbstständige Artikel unter eigenem Stichwort nicht eingeräumt werden konnten. Dabei ist alles so handlich, so praktisch eingerichtet, alles so leicht und bequem zu finden, daß man mit immer erneutem Vergnügen zu dem Buche wie zu einem zuverlässigen Freunde zurückkehrt. In zwei Theilen von je ca. 1100 Seiten, geschmackvoll und dauerhaft gebunden, dient es so zugleich zur Zierde des Hauses, wie es gewiß auch znm Nutzen, ja zum Comfort desselben beiträgt. R. K.
Bücherschau. UXII.
Bausteine zur Geschichte des Gustav - Adolph - Vereins. Heransgegeben von Wilhelm Pressel. 1. Band. Das Evangelium in Spanien, von Fr. Pressel. Freienwalde a. O., Verlag von Ferdinand Dräseke. kl. 8. 288 S.
Auch der Gnstav-Adolph-Verein, diese reiche Segensquelle evangelischen Lebens, leidet unter der Ungunst der äußeren Lebensverhältnisse wie unter der inneren Zerfahrenheit der Kirche selbst, welcher er dienen will. Die „Bausteine", deren erster Theil uns hier vorliegt, wollen das hie und da ermattete Interesse anfrichten und neu beleben helfen. Es ist ein guter Gedanke, die Schicksale des Protestantismus innerhalb der katholischen Länder Europas: Spaniens, Frankreichs, Italiens, Ungarns, Deutschöstcrreichs, Böhmens, der Niederlande und der wesentlich katholischen Theile des deutschen Vaterlandes, in popu-, lärer und lebendiger Form darzustellen.
Manchem, der noch ein Herz für seine Kirche hat, mögen die Augen auf- und übergehen, wenn er erführt, daß in den Gebieten, ,wo der Gnstav-Adolph-Verein heule mühsam dürftige Reste evaitMrWen Gemeindelebens zu Pflegen versucht, im Zeitalter der RefoMaMfl und znm Theil noch geraume Zeit später, das Evangelium starke Macht war und daß zu dessen damaliger Ausbreitung die Versuche der Rückeroberung heute in gar keinem Verhältniß stehen. Ja, wenn wir an die Albigenser und Waldenser, an die böhmischen Brüder denken, so werden wir gar auf vorreformatorische Stufen geführt, die gleichfalls zum großen Theil römischer Uebermacht erlegen sind.
Der Verfasser schickt seinem eigentlichen Thema auf wenig Seiten eine kurze Geschichte und Statistik des Gustav-Adolph-Bereins vorauf. Wir erfahren daraus unter anderen, daß der über alle Theile der Erde seine Wirksamkeit übende Verein seit seinem Entstehen eine Gesammt- einnahme von mehr denn 12 Millionen Mark gehabt hat.
Zu seinem Hauptthema hat der Verfasser zwar kein neues urkundliches Material, aber die besten gedruckten Hilfsmittel ausgenutzt, die er Seite 280 zusammenstellt. Zuerst wird uns Spanien vor der Reformation in kurzen Zügen vorgeführt, die Zeit, wo Islam und Judenthum allein die ketzerischen Elemente dort waren. Die Inquisition sollte gegen beide handeln, sie und die Jesuiten reagirten gegen den neuen Glauben, der selbst in dem katholischsten aller Länder seine Jünger und seine Märtyrer fand. Und nicht am wenigsten unter dem Adel und dem höheren Bürgerstande. In einem besonders interessanten Kapitel „Die Ertödtnng der Reformation" (S. 144—174) wird die Ausrottung der neuen Ketzerei in den Jahren 1558—1570 geschildert. Die Auswanderung der Verfolgten war aufs äußerste erschwert und die Autodafes fanden eine reiche schreckliche Ernte. Man rechnet fast
200.000 Familien, die während eines halben Jahrhunderts dem Martyrium in irgend einer Gestalt verfielen. Aber die Nemesis blieb auch hier nicht aus, seitdem liegt es wie ein Fluch und ein Schweigen des Todes über dem immer tiefer sinkenden Lande. Auch der im Jahre
1766 von Karls III Minister Aranda gemachte Colonisationsversuch, znm Theil mit deutschen Arbeitskräften, konnte bei dem Mangel freier Religionsübung für die protestantischen Kolonisten nicht zu rechtem Gedeihen kommen. Wie trüb es bis in unsere Zeit gestanden, lehrt am besten der Fall Matamoros und das schmerzliche Aufsehen, das er in der evangelischen Welt erregte.
Erst die Revolution des Jahres 1868 hat hierin bessere Zustände, Freilassung evangelischer Religionsübung gebracht. Die Darstellung dieser verheißungsvollen Reform wird in unseren: Buche eingeleitet durch die charakteristische Rede des Antonio Carasco, welche dieser Mitverbannte des Matamoros auf dem Alliancetage in Amsterdam 1867 hielt. Wir erfahren aus der warmen und edelen Sprache dieser Rede, daß sein Heimatland mitten in einer veräußerlichten und hohl gewordenen Kirche der verborgenen Spuren evangelischen Glaubens nicht ganz entbehre und daß die herrschende Intoleranz immer mehr an Boden verliere. Die Rede verhält sich in ihrer prophetischen Sicherheit wie die Verheißung zur Erfüllung der Folgejahre. In Madrid bestanden schon Anfang 1869 drei evangelische Kirchen, im Frühjahr 1871 wurde zu Sevilla die erste Generalsynode abgehalten. An diese Vorgänge schließt sich eine weitere Reihe von Kirchengründungen; ein immer reicherer Bücherverkehr, ja die Errichtung einer evangelischen Buchhandlung in Madrid, ebenso von Kleinkinderschulen und Waisenhäusern kommt der guten Sache zu Hilfe. Wir Deutsche freuen uns, auch in dieser Bewegung dem Namen Fliedner in Ehren zu begegnen. Der edele Carasco, unter allen Erfolgen doch oft entmnthigt, hatte noch in New-Iork für die Evangelisation seines Vaterlandes das Wort ergriffen, auf der Rückfahrt aber von Amerika endete er durch den Schiffbruch der „Ville du Havre" sein tragisches Leben.
Dieses Buch, wie das Unternehmen, von dem es ein Glied ist, verdient gerade innerhalb des Leserkreises des Daheim die wärmste Aufnahme. Kinderlieber von Hoffmann von Fallersleben. Erste vollständige Ausgabe, besorgt durch Dr. Lionel von Donop. Berlin, G. Grotesche Verlagsbuchhandlung, kl. 8. 296 S.
Es ist eine altbekannte Dichtergabe, die uns hier in neuer Gestalt, gewiß vielen zur Freude, geboten wird. Und znm ersten Male erscheint der frische Strauß dieser Kinderlieber vollständig gesammelt, durch bisher nngedruckte bereichert und gereinigt von den vom Dichter selbst verworfenen. Der Text ist durch genaue Vergleichung der Handschrift des Dichters mit den bisherigen Drucken aufs neue festgestellt und verbessert; ein Register der Liederanfänge erleichtert das Nachschlagen.
Eingehend zu charakterisiren, das thnt bei Liedern, von denen die besten längst in Fibel und Lesebuch und in den Kindermund selbst übergegangen sind, kaum noth. Aber es ist in der That ein poetischer Kindergarten, der sich hier aufthut. Wer Hoffmann von Fallersleben in «Mnetr spätexey Lebensjahren gekannt hat, konnte durch die Verbitterung, VerÄmmdLung und Parteisucht hindurch kaum ahnen, daß hinter alle diesem doch ein kindliches Herz lag, das die Kinder verstand in Scherz und Ernst, mit ihnen poetisch zu spielen und zu singen wußte. Man kann diese Lieder in zwei Theile scheiden: in diejenigen, wo die Liebe der Erwachsenen über die Kindheit sich ansspricht, und die unmittelbar aus dem Sinnen und Fühlen der Kinder herausgenommenen. Die letzteren sind ohne Frage die besten. Thier- und Pflanzenwelt beleben sich für das Kind, das mit beiden wie mit seines Gleichen verkehrt; Winter und Lenz, Sommer und Herbst reden zu uns ans der Kiüderseele. Der neckische Humor fehlt nicht. Alan lese nur Lieder wie „Kitzlein, Spitzlein und Fritzlcin". Eine kleine Probe ernster Art geben wir in „Schmetterlings Sterbelied":
Leb wohl, mein Vater Sonnenschein!
Du, meine Mutter Blüthenduft!
Ihr Schwestern all' und Brüderlein Im süßen Hauch der Himmelsluft!
Ich schwebte gern mit euch umher In Wald und Wiese, Au und Feld;
Nie war mein Herz von Sorgen schwer,
Ungern verlass' ich diese Welt.
So sang der müde Schmetterling,
So sang er sich sein Sterbelied.
Kaum als er an zu leben fing,
War hin sein Leben, und er schied.
Wer die Kinder liebt, wird auch diese Lieder lieben. Eine bessere Empfehlung wissen wir dieser Sammlung nicht mit auf den Weg zu geben.
v. H.
Inhalt: Erkämpft. (Schluß.) Novelle von M. Franck. — Die Wissenschaft und die lebenden Thiere. Bon Dr. Julius Stinde. — „Kennst Du ihn?" Bild von F. Thöne. — Thaten der deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger. Mit Karte der deutschen Rettungsstationen. — Die Meerschaumpfeifen von Ruhla. — Vor dem Sturm. (Forts.) Roman von Fontane. — Unter dem Gießbach. Gez. vonKotschenreiter. — Ein unentbehrl. Haushaltstück.—Bücherschau. UX1I.
Wahlkarte des Daheim.
Das Daheim bringt auch diesmal wieder eine Wahlkarte, jedoch ist eine solche, wenn sie irgend welchen Werth haben soll, nicht vor Beendigung der Stichwahlen (ca. 70) herzustellen; sie kann also nicht eher erscheinen, als bis dieselben stattgefunden haben. Die Wahlkarte wird den Abonnenten gratis gegeben; einzeln bezogen kostet sie 60 Pf.
Alcheim-Nrdaktioil.
Herausgeber: Or. AoSert Koenig und Theodor Kermanir I>antenius in Leipzig. Für die Redaktion verantwortlich Htto Alasing in Leipzig. Verlag der Iaheim-Krpedilion (Keihagen H Ktastirg) in Leipzig. Druck von A. H. Teuöner in Leipzig.