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scheitern sehen! Und was noch schlimmer ist als die Eitelkeiten, das sind die Rivalitäten, doppelt und dreifach, wenn sie sich ein politisches oder nationales Mäntelchen umhängen können. Und nun gar diese Russen! Ich wette, daß uns jeder von ihnen eine Schlappe gönnt. Es liegt ihnen daran, der Welt und vielleicht auch sich selber weiß zu machen, daß es ohne Kosacken nicht geht, und daß überall, wo diese Hilfe fehlt, eine Niederlage sicher ist. Sie gefallen sich in ihrer Befreierrolle, und um so mehr, je neuer ihnen diese Rolle ist."
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Unter solchen Gesprächen setzte sich der Marsch der Kolonne fort und durch die Nacht hin hörte man nichts als den schweren Tritt der Landsturmmänner auf dem hartgefrorenen Schnee und von Zeit zu Zeit das Klappern ihrer Piken und Gewehre, wenn sie diese von der einen Schulter aus die andere legten. Um zehn Uhr passirten sie Podelzig, um elf die Lebuser Schäferei. Von hier aus war es noch anderthalb Stunde; immer schwankender wurde der lange schattenhafte Zug, bis man es von der Oberkirche her Mitternacht schlagen hörte; einige Minuten später hielten alle am Spitzkrug. Die beiden Barnimschen Bataillone waren schon da und standen zu beiden Seiten des Wegs. Eine kurze Rast war unerläßlich; Bamme ließ die Gewehre zusammenstellen und gleich darauf saßen die Landsturmmänner auf Zaunplanken und Chausseesteinen und wickelten ans ihren Sacktüchern heraus, was ihnen Weib und Kind an Zehrung mit auf den Weg gegeben hatten. Kein Wort fiel; jeder fragte sich still, ob es wohl feine letzte Mahlzeit sei.
Bamme war während dieser Lagerscene in den Spitzkrug eingetreten, in dessen großem, aber niedrigen und spärlich erleuchteten Gastzimmer er den erwarteten Vertrauensmann der Frankfurter Bürgerschaften bereits vorfand. Aus seinem Rapport ergab sich, daß alle Häuser am Nikolaikirchplatz mit Bürgerwehren besetzt, in der alten Kirche selbst aber die besten Mannschaften versteckt seien, mit denen Othegraven den General Girard gefangen zu nehmen gedenke. All dies wurde mit Freude gehört; eine zweite Mittheilung indessen, dahin gehend, daß unten am Eingang in die Vorstadt, keine hundert Schritt vom „letzten Heller" entfernt, eine französische Schildwache stehe, war desto unerfreulicher und nur angethan, ernste Verlegenheiten zu bereiten. Was thun, wie sollte man an dieser Schildwache vorbei?
Der Spitzkrngwirth erbot sich, einmal nachzusehen. Bamme war es zufrieden und ließ inzwischen die Brigade wieder an- treten. Er selbst hielt am rechten Flügel, in Front des Bataillons Lebus. Es währte nicht lange, so war der Wirth zurück und bestätigte, daß ein französischer Wachtposten vor dem Sankt Georgs-Hospitale schildere.
„Verdammt!" sagte Bamme, „dieser Kerl ist mir im Wege. Wir müssen ihn beschleichen und niederstoßen. Freiwillige vor!" Eine peinliche Pause folgte. Dann hörte man Kniehases Stimme vom rechten Flügel her: „Wenn es sein muß, Herr General...."
Aber es lag etwas in dem Ton und Ausdruck seiner Worte, das eines tiefen Eindrucks nicht verfehlte. Bamme, der mit unter diesem Eindruck war, preßte seine Fuchsstute dicht an die Schulter des athletischen alten Mannes und sagte: „Nein, Kniehase, lassen wir es. Es muß nicht sein." Und damit fiel ein Stein von aller Brust. Ein Vorschlag, der schon vorher gemacht worden war, wurde wieder ausgenommen und im Einklänge damit beschlossen, die lange Vorstadt ganz zu vermeiden,
vielmehr dicht neben derselben hin, im Schutze des sogenannten „Donischberges", eines mit Werft und Strauchwerk bestandenen Hügelrückens, bis an die Altstadt vorzudringen. Erst hier, am Thors selbst, sollte dann ooüte gueooüts der Kampf ausgenommen werden. Sofort, unter Belastung eines den Rückzug sicher stellenden Bataillons am Spitzkrug, wurden alle nöthigen Kommandos für den Vormarsch gegeben. Die beiden Barnimschen Bataillone setzten sich über das Plateau hin in Bewegung, um die mehr südlich gelegenen Thors zu gewinnen, während das Bataillon Lebus die mehrgenannte Hügelstraße hinunter rückte. Dicht vor dem letzten Heller bog es nach rechts hin ab und marschirte nun in ausgelöster Ordnung, zwischen den Windungen des Donischberges hin, auf die ringförmige Esplanade zu, die den Kranz der Vorstädte von der Altstadt trennte.
Kompagnie Hohen-Bietz hatte die Täte. Als sie den Platz am Graben erreicht und mit der Raschheit alter Soldaten sich wieder rangirt hatte, setzte sich Vitzewitz an die Spitze der Seinen, zog den Degen und ritt im Galopp gegen die Dammbrücke vor, die, über den Graben weg, auf das alte Lebuser Thor zuführte. Dieses war geschlossen und durch das obere Gatter fielen einzelne Schüsse. Kümmritz, der schon „anno vierundneunzig" als „Kugelfang" gegolten hatte, erhielt einen Streifschuß, gleich darauf einen zweiten, ohne daß seine gute Laune oder die der Zunächststehenden gestört worden wäre; jetzt aber stürzte der Sohn des alten Bauers Püschel zusammen, Kugel durch die Brust, und Vitzewitz, zurückprallend, murmelte vor sich hin: „der erste Todte".
Alles stockte ; Schreck und Rathlosigkeit. Es ging nicht weiter.
In diesem Augenblicke jagte Bamme die lange Kolonne herauf, bis in die Front des Zuges, und mit seinem dicken Fischbein auf die zweiräderigen Karren zeigend, die nach rechts hin in der von ihm wohlverwahrten Thoransbuchtung halb lagen, halb standen, rief er Kniehase zu: „Vier Mann vor! Ich kenne unsere Stadtthore; wurmstichig wie Bierpfropfen, 'ran; weg mit dem Bettel!"
Und krach,, da lag es, und unter Hurrah brachen unsere Vordersten in Alt-Frankfnrt ein. Alles von: Feinde floh in die Wache; nur der Posten vorm Gewehr, ein Voltigeur mit einem Spitzbart, hielt noch aus, und Vitzewitz hob eben den Arm, um ihn in Revanche für den Todten, der draußen vordem Gatterthore lag, niederzuhauen, als Hanne Bognn aalglatt an ihm vorbeischoß und den Voltigeur von der Seite her niederstach.
„Uetit erevö," ries der tödtlich Getroffene und sank zu Boden.
Der Rest des Bataillons rückte nach, und als sich in den nächstfolgenden Minuten alles ans dem Brückendamm und zum Theil auch schon unter dem tiefen Thorgewölbe gesammelt hatte, gab Bamme Befehl, daß Kompagnie Hohen-Vietz, als nächst verfügbare Reserve, bei der von ihr erstürmten Thorwache verbleiben, Vitzewitz selbst aber (dessen Raths er nicht entbehren mochte) ihn auf dem weiteren Vormarsch in die Stadt begleiten solle. Ebenso Hanne Bogun mit dem Shetländer.
Kaum, daß diese Befehle gegeben waren, als sich auch schon die lange Kolonne nach vorn in Bewegung setzte: Kompagnie Drosselstein vorauf, dann Lietzen-Dolgelin, dann Nutze mit seinen Pikenieren. Als der letzte Mann vorüber war, warf Bamme seine Fuchsstute herum, gab ihr die Sporen und jagte bis in die Front der Kolonne, die mittlerweile schon das Gassengewirr der Innenstadt erreicht hatte. (Fortsung folgt.)
Am Aamilrentische.
Ein unentbehrliches Haushaltstnck.
Es wird so mancherlei ins Haus geschafft, das für unentbehrlich gilt, und wir freuen uns des, wenn es zu einem berechtigten Comfort oder auch nur zum wohlthuenden Schmuck des Heimwesens beiträgt. Am stiefmütterlichsten kommt aber bei der Wahl der Anschaffungen noch immer ein Gegenstand fort, das ist— das Buch. Da sucht mau sich auf alle Weise zu helfen; man entnimmt es aus Leihbibliotheken, entlehnt es von Freunden, läßt es sich vom Buchhändler zur Ansicht schicken und durchblättert es, so gut es geht, aber ehe man es kauft, da dreht man den Groschen hundertmal öfter herum, als bei jeder anderen Ausgabe. Da heißt es: das steht nur im Wege, man liest
es einmal, dann verstäubt es, und man hat nichts davon. Solche Bücher sollte man allerdings nicht kaufen, die man nur einmal liest und die man danach auf Nimmerwiedersehen in den Schrank stellt, wohl aber solche, zu denen man stets gern zurückkehrt, die man zur Erquickung und Stärkung, zur Anregung und Freude immer wieder in die Hand nimmt. Welche dazu gehören, davon hat ein Berufenerer in Nr. 12 (S. 198 ff.) des weiteren gehandelt. Da war aber mehr die Rede von schöner Literatur im eigensten Wortsinn; darüber darf indes das Nützliche nicht vergessen werden. Von allen nützlichen Büchern kenne ich nun kein so unentbehrliches, als das so eben in zweiter (umgearbeiteter und vermehrter) Auflage erschienene Handlexikon des all-