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Lande das Zeichen der Erhebung zu geben. Und was thust Du? Du malst uns schwarze Bilder, als ob alles untergehen müßte um dieses einen Mannes willen. Das ist nicht recht, und ich kenne Dich nicht wieder. Um eines Guten willen übt Gott viel Gnade, so hast Du mich früher gelehrt, aber er führt nicht um eines Bösen willen hundert und tausend ins Verderben. Habe ich Recht, lieber Pastor?"
„Ja und wieder ja," sagte Seidentopf. „Es führt zu nichts, unsere Herzen immer bänger und schwerer zu machen, wo wir uns aufrichten sollen. Der Eifer hat meine alte Freundin hingerissen. Wir haben alle einen Punkt, der eine diesen, der andere jenen, wo wir, wenn wir am gerechtesten zu sein vermeinen, am ungerechtesten werden. Und bei meiner Freundin heißt er: Bamme. Lassen wir den Streit und das Trübesehen und lesen wir ein Wort von der Allmacht und der Gnade Gottes."
Marie war aufgestanden und holte von der Oainoru tlloo- loAion her die große Augsburgsche mit den Eisenzwingen und öffnete die Klammern. Der alte Seidentopf aber las den neunzigsten Psalm: „Herr Gott, Du bist unsere Zuflucht für und für. Ehe denn die Berge worden und die Erde und die Welt geschaffen worden, bist Du, Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit."
Darnach erhoben sich die Schorlemmer und Renate, um in das Herrenhaus zurückzukehren. Mit ihnen auch Marie, denn sie wollten die Nacht zusammenbleiben.
UVI. Der Ueberfall.
Während in der Pfarre Seidentopf und die drei Frauen in dieser Weise plauderten, rückten die Kompagnien auf Frankfurt zu. Einzelne Sterne, kaum hervorgekommen, hatten sich ' ebenso rasch wieder versteckt und nur der Schnee, der lag, gab gerade Licht genug, um des Weges nicht zu fehlen. Schweigsam, in dunkler Kolonne ging der Marsch und wer hundert Schritte seitwärts gestanden hätte, hätte nichts wahrgenommen als einen langen Schattenstrich und dann und wann ein paar Funken aus den kurzen Pfeifen der Landsturmmänner. Die Krähen sahen dem Zuge nach, verwundert, aber ohne sich zu rühren und nur ein paar von ihnen flogen krächzend auf, um es am Wege hin den andern zu melden. Dabei senkte sich das Gewölk immer tiefer, und jeder empfand es wie Schwüle, trotzdem eine kalte Luft strich.
So kamen sie bis Reitwein. Hier war noch überall Licht, viele von den Dörflern, auch hier meistens Frauen, waren bis auf den Fahrweg hinausgetreten, um ihre in der Kolonne befindlichen Angehörigen zu begrüßen, andere blieben in den Thüren stehen und wehten und winkten mit weißen Tücher, was in dem Dunkel, das herrschte, einen unheimlichen Eindruck machte.
Hinter dem Dorfe theilte sich der Weg. Als die Kolonnenspitze den Gabelpunkt erreicht hatte, schwenkten die Barnimschen Bataillone, ganz wie Seidentopf es vermuthet hatte, nach links hin in die Niederung ab, während die andere Hälfte des Zuges auf dem Plateau weiter marschirte. Bei dieser zweiten Hälfte befand sich, außer dem Kommandirenden und seinen Adjutanten, auch unser Bataillon Lebus.
An der Spitze dieses Bataillons, den vordersten Rotten um fünfzig Schritt voraus, ritten Drosselstein und Vitzewitz. Sie kannten Weg und Steg und hatten auf Bammes ausdrücklichen Wunsch die Führung während des Marsches übernommen. Beiden war nicht plauderhaft zu Sinn; endlich aber, als die letzten Reitweinschen Häuser schon in Büchsenschußentfernung lagen, begann Drosselstein: „Ein Glück, daß wir Hirschfeldt an der Seite des Generals haben. Er ist kaltblütig und kennt den Krieg."
„Ja," bestätigte Vitzewitz. „Und ein Glück um so mehr, als der Alte sich selber mißtraut. Er war eitel genug, das Kommando, das wir ihm anbieten mußten, auch anzunehmen; jetzt aber ist er unsicher, weil er sich seiner Aufgabe nicht gewachsen fühlt. Am liebsten würde er es jedem Einzelnen sagen, und ich rechne es ihm hoch an, daß er darauf verzichtet und sich uns und den Leuten gegenüber zum Schweigen zwingt. Er ist kein Mann der ruhigen Ueberlegung und nur waghalsig für seine Person. Die Verantwortlichkeit drückt ihn. Diese
Stunden sind übrigens die schlimmsten. Ist er erst in Aktion, wird er sich selber wiederfinden."
„Und diese Aktion, wie wird sie ablaufen?" fragte der Graf.
„Ich hoffe gut; es wäre denn... ."
Drosselstein sah ihn fragend an.
„Es wäre denn," wiederholte Vitzewitz, „daß uns die Russen im Stich ließen."
„Ich habe Tschernitscheffs Zusicherung, habe sie, wie Sie wissen, gestern wieder. Er ist kein Mann der Eifersüchteleien."
„Vielleicht nicht," antwortete Vitzewitz. „Aber ich kenne die Russen, sie sind launenhaft und lassen es an sich kommen. Dabei haben sie jene glatten gesellschaftlichen Formen, die die Sache noch schlimmer machen. Sie versprechen alles und wissen im Voraus, daß sie das Versprechen nicht halten werden, wenigstens fühlen sie sich nicht in ihrem Gewissen gebunden. Es fehlt ihnen zweierlei: Ehrgefühl und Mitgefühl. Und Tscher- nitscheff ist wie die anderen. Es ist möglich, daß er kommt, aber es ist andererseits nicht unmöglich, daß er nicht kommt. Und das ist es, was mir Furcht und Sorge macht."
Drosselstein suchte zu widerlegen, aber seine Worte ver- riethen deutlich, daß er im Grunde seines Herzens Berndts Befürchtungen theilte.
An der Queue der Kolonne ritten Bamme und Hirschfeldt.
„Nun, Hirschfeldt, wie ist Ihnen?"
„Gut, Herr General."
„Freut mich. Ehrlich gestanden, mir will es nicht glücken, ich bin nicht recht in meinem 6886, alles kommt mir zu hochbeinig vor, besonders meine Stute. Und solch Ueberfall ist doch ein eigen Ding, ein Pferd wiehert, ein Hund blafft und weg sind alle Chancen. Spielen Sie, Hirschfeldt?"
„Ich habe gespielt."
„Nun, dann wissen Sie, den einen Tag weiß man ganz bestimmt, daß Treff sieben gewinnen wird, und den andern Tag weiß man es nicht."
„Und solch ein Tag ist heute?"
„Hol mich der Geier, ja. Sehen Sie die Krähen an, die hier oben sitzen, sie rühren sich nicht einmal. Sie wissen, daß wir ihnen vor Angst nichts thun werden. Kluge Thiere. Eben ritt ich die Kolonne herunter, Gott, wie das alles schleicht, so schwarz und still, als ob dieser Graben der Fluß in der Unterwelt wäre. Wie hieß er doch?"
„Styx."
„Richtig, Styx. Der reine Leichenzng. Und ich wette, den Kerls ist auch so zu Muthe. Jeder wäre lieber zu Hans."
Hirschfeldt lächelte.
„Es ist immer so, General. Die beste Truppe macht ein schief Gesicht, ehe es losgeht. Und nun gar bei Nacht. Die Nacht ist keines Menschen Freund, sagt das Sprüchwort, und der Soldat ist auch ein Mensch. Aber die Leute sind gut. Die Pikenkompagnie unter dem hagern alten Herrn. . . ."
„Nutze."
„. . . Diese Pikenkompaguie kann als Muster gelten und die Kompagnie Hohen-Vietz kommt ihr gleich. Sehen Sie solchen Mann wie diesen Kniehase, ein Herz wie ein Kind und ein paar Arme wie ein Athlet. Ich habe mir heute bei der Revue jeden Einzelnen scharf angesehen. Es wird alles in allein gut ablaufen, immer vorausgesetzt . . . ."
„Nun?"
„Immer vorausgesetzt, daß uns die Russen nicht im Stiche lassen."
Bamme nickte und sagte dann zustimmend: „Ich traue dem Tettenborn nicht. Flausenmacher. Will sich in die Zeitungen bringen. Berlin, Berlin. All dies ist ihm zu wenig, macht nicht Aussehen genug."
Es war ganz ersichtlich, daß Bamme den ernsten und beinahe feierlichen Tschernitscheff mit dem etwas leichtfüßigen Tettenborn, der seit vollen drei Tagen auf dem Hohen-Barnim, zwischen Küstrin und Berlin umherschwärmte, verwechselte. Hirschfeldt war auch Willens, den Alten respektvollst darüber aufzuklären, dieser aber fuhr ohne Pause fort: „Sie glauben nicht, Hirschfeldt, was ich an solchen Eitelkeiten alles habe