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Nachdruck verboten. Ges. v. 11 ./VI. 70.
Mor dem Sturm.
Historischer Roman von Theodor Fontane.
(Fortsetzung.)
Jetzt kam Kompagnie Hohen-Vietz. Sie hatte das meiste Ansehen und wurde von den anderen wie eine alte vornehme Familie behandelt. Das machte, weil sie die historische war. Die Komthureisahne mit dem achtspitzigen Kreuz wollte nicht viel besagen, denn ihr Fahnentuch war neu, keine dreißig Jahre alt. Kompagnie Hohen-Vietz aber hatte noch das siegreiche Kirchenbanner aus den Hussitentagen her und vor allem die große Schwedentrommel, von der jedes Kind in den Bruchdörfern wußte und die jetzt dumpf und eintönig ihren Marsch wirbelte. Es war der Schmied, der sie trug, an einem breiten, mit Muscheln besetzten Lederbande, nicht viel schmäler als der Ledergurt eines Schlittengeläuts. Die Trommelwandung war blau, und der krause Mohrenkopf, der sich in gelbem Schilde auf eben dieser Wandung befand, war durch Seidentopf als der Kopf der Königin Christine festgestellt worden.
Und nun kam Kompagnie Protz Hagen, Hanptmann von Nutze am rechten Flügel, und statt des Trommelschlägers einen Hornisten in Front. Dieser, ein dicker kurzhalsiger Mann und seines Zeichens Protzhagener Kuhhirt, steckte wie verloren in den Windungen eines riesigen Horns, von dem es hieß, daß es dasselbe sei, drin Junker Hans von Nutze vor hundertund- fünfzig Jahren den Hals gebrochen habe. Es gab nur zwei Töne von sich, einen tiefen und einen hohen, von denen der tiefe zum Angriffs- und der hohe zum Rückzugssignal bestimmt worden war. Die Kompagnie selbst aber, nach wie vor die beste, war in all ihren Gliedern mit Piken bewaffnet, eingedenk der historischen Thatfache, daß Eusebius von Nutze in der großen Schlacht bei Budapest mit einer Pikenierkompagnie das türkische Centrnm durchbrochen hatte. Darauf hin hatte sein Urenkel, unser Hauptmann, allem Dreinreden Einzelner zum Trotz, auf Piken bestanden, und Bamme — selber ein Freund der blanken Waffe und des Mann gegen Mann — war ihm gern zu Willen gewesen. Er sah jetzt schmunzelnd auf Nutze, der, das sechs Fuß lange Sponton in beiden Händen, gravitätisch an ihm vorbeidesilirte, und wandte sich zu Berndt: „Anmarsch der „Gebirgsvölker". Kuhhorn und alles. Sehen Sie, Vitzewitz, das Monstrum in der blechernen Boa Constrictor. Das reine Horn von Uri."
Und damit schwenkten auch die Protzhagener nach rechts hin ein. Ihr Einschwenken, wie das der letztgenannten Kompagnien überhaupt, hätte, wenn es on liZiis erfolgt wäre, das bis dahin offene Qnarrö schließen müssen, dadurch aber, daß sie zu je zwei und zwei am rechten und linken Flügel des offenen Hufeisens aufmarschirten, war zwischen den beiden Flügeln eine breite Gasse frei geblieben, durch die jetzt erst Bamme und dann die Barnimschen Bataillonskommandeure, die mit auf der Chaussee gehalten hatten, in das Quarrs einritten.
Die Barnimschen Bataillone, zum Unterschiede von den Lebusischen, hatten viele kleine Kompagniefahnen mitgebracht, rothe Frieslappen, in die, wie die Landsturmmänner sagten, der „preußische Kuckuck" eingenäht worden war. Diese Fahnen senkten sie jetzt, während zugleich alle Trommeln, große und kleine, gerührt wurden. Der alte General salutirte, ritt die Fronten ab und nahm dann seine Stellung inmitten des Quarres, von seiner Suite und mehreren der Barnimschen Fahnenträger umgeben. Der Moment war nun da, wo gesprochen werden mußte. Bamme war nicht ängstlich und wußte zu reden wie jeder, dem es gleichgültig ist, ob seine Rede gefällt oder nicht.
„Leute!" begann er, „in Frankfurt sind fünfzig Kanonen und blos zweitausend Franzosen. Ein paar hundert mehr oder weniger thut nichts. Wir wollen sie überumpeln; wollt Ihr?" — „Ja, Herr General!"
„Gut, ich habe es nicht anders von Euch erwartet. Denn was sagte der alte Fritze? „Wenn ich Soldaten sehen will," sagte er, „so seh' ich das Regiment Jtzenplitz." Und das andere Mal sagte er: „Wenn ich Soldaten sehen will, so sehe ich das Regiment Markgraf Karl." Ja, Leute, so sagte der alte Fritz. Habt Ihr verstanden, was ich meine?"
„Ja, Herr General."
„Regiment Jtzenplitz und Markgraf Karl, wo waren sie zu Hanse?" — „Hier, Herr General."
„Richtig, hier in Barnim und Lebus. Kerls, sollen wir schlechter sein als unsere Väter waren? Sollten wir, wenn uns der alte Fritz ansieht, die Augen Niederschlagen?"
„Nein, nein!"
„Es wird nicht viel kosten; die Bürger helfen und die Russen auch. Aber „wo Holz gehauen wird, fallen Spähne". Ein paar von uns werden die Zeche bezahlen müssen. Wollt Ihr?" „Ja!"
„Ich wußte es. Aber nun die Ohren steif. Wer ein Hundsfott ist, kriegt die Kugel vor den Kopf. Ich bin ein spaßhafter Mann, aber wenn es ernst wird, verstehe ich keinen Spaß. Und nun vorwärts! Feldgeschrei „Zielen!" und Losung „Hohen-Vietz!" Das können sie nicht nachplappern.... Und wißt ihr, wer sie holen soll, sie und ihren Kaiser?"
„Ja, wir."
„Nein, der „Kuckuck" soll sie holen," und dabei wies er auf die kleinen Kompagniefahnen der neben ihm stehenden Barnimschen Fahnenträger hin. Diese schwenkten auch jetzt wieder ihre rothen Frieslappen, alle Spiellente fielen abermals ein und Bamme hatte die Genugthuung, seinen letzten Redetrumpf durch nicht enden wollende Hurrahs begleitet zu sehen. Als sich der Lärm einigermaßen wieder gelegt hatte, ritt er grüßend aus dem sich öffnenden Viereck aus die Chaussee zurück. Die Bataillone brachen rasch in Sektionen ab und folgten ihm unter Trommelschlag in das Dorf.
Auch das „Horn von Uri" klang abwechselnd mit seinem tiefen und seinem hohen Ton dazwischen.
UV. Der Ausbruch.
Die Nachmittagsstunden vergingen rascher als man erwartet hatte; sämmtliche Kommandeure waren zu Tisch geladen, und das Gespräch mit ihnen kürzte die Zeit. Selbst Bamme, als er erst wahrnahm, daß es seinen Geschichten und Anekdoten, aller pressanten Lage zum Trotz, an einem aufmerksamen und dankbaren Publikum nicht fehlte, kam über die langen Stunden besser hinweg, als er erwartet hatte.
Schon eine geraume Weile vor der zum Aufbruch bestimmten Zeit begannen die Bataillone sich zu sammeln und standen nun das lange Dorf hinauf und hinunter: bei Mickleys Mühle die Vorhut, auf der Straßenerweiterung zwischen dem Krug und dem Schnlzenhof die beiden Barnimschen Bataillone, vor dem Herrenhause das Bataillon Lebus. Es war ziemlich dunkel, aber bei dem Lichterschein, der von rechts und links her auf die Gasse fiel, ließen sich die ans Piken und Gewehren zusammengesetzten Pyramiden deutlich erkennen. Vor den Häusern standen die Landstnrmmänner im Gespräch mit den Frauen und Mädchen, denn alles was Waffen tragen konnte, war in Reih und Glied.
Bamme hielt bei Mickleys Mühle neben einer Art Biwacks- feuer, das hier mitten auf dem Fahrdamme angezündet worden war. Die Pelzmütze tief ins Gesicht gerückt, den Husarensäbel über den grauen Mantel geschnallt, bot er jetzt, angeglüht von dem Flammenschein, aus seiner hochbeinigen rothen Fnchsstnte einen noch groteskeren Anblick, als bei seinem Ritte zur Revue. Neben ihm hielt Hirschfeldt.
Es schlug neun, und ehe noch der letzte Schlag verklungen war, hieß es: „An die Gewehre!" Jeder, der das Kommando hörte, wußte von wem es kam. Diese scharfe Krähstimme hatte nur einer. Die Landsturmmänner des zunächststehenden Bataillons gehorchten augenblicklich und mit der Präzision alter Soldaten, während Hirschfeldt die Dorfgasse hinauf jagte, uni den Befehl von Bataillon zu Bataillon zu bringen. Dann warf Bamme die Fuchsstute links herum, nahm zwischen zwei Holzpfeilern, die den Eingang zum Mühlengehöft bildeten, Stellung und kommandirte: „Bataillon, Marsch!" Die Tam-