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bours schlugen an und unter Hurrah ging es in Geschwindschritt an dem Alten vorbei, der immer, wenn ein neues Bataillon herankam, die Pelzmütze lüpfte, um wenigstens die vordersten Rotten zu begrüßen. Jetzt kam auch das Bataillon Lebus, das die Nachhut bildete; die Schwedentrommel lärmte und der Protzhagener Kuhhirt, mit dem Junker Hansen-Horn, blies unablässig dazwischen. Es klang wie Fenerruf.
Vitzewitz und Drosselstein ließen im Vorbeimarsch präsen- tiren, und erst als der letzte Mann ihres Nachhut-Bataillons vorüber war, gab auch Bamme seinen Platz zwischen den zwei Pfeilern auf und folgte an der Queue der Kolonne.
Eine halbe Stunde später war wieder alles still in der Dorfgasse, nur die Lichter brannten noch bis tief in die Nacht hinein; denn da war kein Haus, dessen Insassen nicht den Zug in Furcht und Hoffnung, mit Sorgen und Gebet begleitet hätten.
Sv war es auch in der Pfarre. Hier saßen Renate und die Schorlemmer, die gekommen waren, sich Rath und Trost zu holen. Wenigstens galt dies von Renate. Die Schorlemmer hatte selber was sie brauchte und nahm ihre Zuflucht lieber zu dem eisernen Bestand ihrer Lieder und Sprüche, die sie, nicht ganz mit Unrecht, für heilskräftiger ansah, als alles, was ihr Seidentops bieten konnte.
Beide (Renate wie die Schorlemmer) waren noch nicht lauge zugegen, als auch Marie vom Schulzcnhofe her eintrat. Man begrüßte sich herzlich, aber es wollte kein rechtes Gespräch aufkommen und nachdem einige gleichgültige Worte gewechselt waren, sahen alle schweigend vor sich hin. Immer wieder im Laufe des Tages war versichert worden, daß es sich aller Wahrscheinlichkeit nach nur um ein leichtes Unternehmen handle, daß die Franzosen demoralisirt seien, und daß man angesichts dieser Thatsachen einen regelrechten oder gar hartnäckigen Widerstand kaum zu gewärtigen habe; nichtsdestoweniger hatten Hirschfeldts ernste Mienen und mehr noch Bammes inmitten aller Heiterkeit unverkennbar hervortretende Unruhe deutlicher gesprochen als alle jene hoffnungsreichen Versicherungen. Die Gefahr sollte geleugnet werden, aber sie war da. So hing jeder allerlei trüben Gedanken nach, am meisten aber Marie. Für Lewin fürchtete sie nichts, es war ihr, als ob irgend ein Flammenschild ihn schützen müsse; aber Tubals gedachte sie mit Zittern. War cs eine Neigung, ihr selbst zum Trotz? Nein. Es lag nur tief in ihrer Natur, an einen Ausgleich zu glauben, das Mysterium von Schuld und Sühne war ihr ins Herz geschrieben, und ihre geschäftige Phantasie malte ihr Bild auf Bild, wechselnd in der Scenerie, aber ihr Inhalt derselbe.
So vergingen Minuten; das Schweigen wurde peinlich, um so peinlicher, als auch der sanguinische Scidentopf, der seiner Natur nach immer mehr hoffte als fürchtete, an diesem Schweigen theilnahm.
Endlich sagte Renate: „Welchen Weg werden sie nehmen? Ich habe den Papa zu fragen vergessen. Am Fluß hin ist es näher, aber der Höhenweg ist besser und nicht so trist und öde."
„Soweit ich Bamme verstanden habe," antwortete Seidentopf, „wollen sie bei Reitwein oder doch spätestens bei Podelzig die Kolonne theilen und auf beiden Straßen vergehen, die Barnimschen unten an der Oder, unser Bataillon und die Münchebergschen über das Plateau hin. Beim Spitzkrug treffen sie dann wieder zusammen. Hirschfeldt hatte den Platz an der kleinen Georgenkirche vorgeschlagen, aber Bamme bestand auf dem Spitzkrug."
„Das glaube ich," sagte die Schorlemmer. „Er ist immer mehr für Krug als Kirche. Und das ist es, was mich ängstigt und meine Hoffnung so niederdrückt."
Renate nahm die Hand der alten Freundin und sagte dann: „Ich sehe nicht ein, warum. Weißt Du doch nichts von ihm, als was die Leute sagen."
„Und das ist auch gerade genug. Was die Leute sagen, ist immer wahr, trotzdem die Welt voll Lüge ist. Aber die Lüge läuft sich todt, und was dann bleibt, das ist Wahrheit. Hast Du je gehört, daß sie von dem Grafen drüben etwas Böses sprechen? Nein, und warum nicht? Weil er ein reines Herz hat. Es hat ihm blos die Erweckung gefehlt und das
Licht des Glaubens. Aber was diesem garstigen Bamme fehlt, das ist nicht mehr und weniger als alles, und was er dafür hat, das ist Qualm und Rauch. Und er raucht auch immer (aus einer häßlichen kurzen Pfeife) und durch die ganze Stube hin liegt Asche und Fidibus und Schwamm. Er hat uns Löcher in die Dielen gebrannt, und überall sieht es aus, als ob, ich will nicht sagen wer, fünf Tage lang bei uns im Quartier gelegen hätte. Was soll Gutes davon kommen? O nein, Renatchen, was wir brauchen, das ist die Hilfe Gottes. Der muß seine Engel schicken, daß sie für uns streiten; aber sie können nicht streiten an dieses Mannes Seite, denn das Reine verträgt sich nicht mit dem Unreinen."
„Liebe Schorlemmer," sagte Marie, „Du thust ihm doch Wohl Unrecht, er wird schwärzer gemalt als er ist; das hat er mit seinem Vorbilde gemein. Er kam heute Vormittag in unser Haus und setzte sich zu mir und sprach mit mir, wohl eine halbe Stunde lang. Ich fürchtete mich keinen Augenblick und jedenfalls ein gut Theil weniger als vor vielen anderen, die keine Bammes sind. Er war sehr artig und sehr theil- nehmend, und ich muß sagen, ich habe nichts Häßliches aus seinem Munde gehört. Vielleicht, daß er früher anders war. Er ist klug und kennt die Menschen, und ich glaube, er weiß recht gut, was er sagen darf und was nicht."
„Marie hat Recht," sagte Seidentopf. „Und," fuhr er fort, „er hat noch eine Tugend: er heuchelt nicht und macht sich nicht besser als er ist. Im Gegentheil, er legt sich noch Tollheiten zu, denn das menschliche Herz ist wunderlich in seinen Eitelkeiten. Die meisten suchen ihren Vortheil im Tugendschein, er gefällt sich im Schein der Sünde. Ich will nicht alles an ihm loben, aber wenn ich die Summe seiner Fehler ziehen sollte, so würde ich sagen, er ist eitel und gefallsüchtig und nicht fest in Grundsätzen."
„Nicht fest in Grundsätzen," brauste jetzt unsere geschworene Bammefeindin auf. „Das nenne ich denn doch Beschönigung. Er hat überhaupt keine, und das ist das Schlimmste. Wer keine Grundsätze hat, der ist wie ein Raubthier oder eine Katze. Und wie macht es die Katze? Jetzt schnurrt und spinnt sie noch und wärmt sich an der Ofenecke, aber im nächsten Augenblicke springt sie dem schlafenden Kind an die Kehle. „Sie hat es für eine Maus gehalten," sagen dann die Leute, die für alles eine Entschuldigung haben. Aber ich mag nichts davon wissen. Maus hin, Maus her, die kleine Unschuld ist todt."
Renate und Marie wechselten Blicke, die Schorlemmer aber, die, so gut sie war, in ihrem Eifer oft aller Liebe vergaß, fuhr immer heftiger fort: „Und mit diesem Manne ziehen sie gegen die Mauern einer festen Stadt, als ob er ein Mann Gottes und ein Auserwählter wäre. Er wird aber den dicken Mann von Protzhagen, dem sie das alte Rutzenhvrn um den Nacken gelegt haben, umsonst blasen lassen, denn das alte Rutzenhvrn ist keine Posaune und Bamme, Gott weiß es, ist kein Josua. Denn der hatte das Gesetz, das Gott dem Mose gegeben, und wich nicht zur Rechten und nicht zur Linken. Und so blieb es in Israel, und wenn es arg wurde, weil sie sich mit den heidnischen Völkern mischten und den heidnischen Göttern dienten, dann weckte Gott einen Gottesmaun unter ihnen, der schlug dann die Moabiter und Amalakiter und viele andere noch. Und warum schlug er sie? Weil er dem rechten Gotte diente und die Baalstempel stürzte. Aber dieser Bamme, der nun auszieht, um unsere Feinde zu schlagen, der ist selber ein Heidenkind und möchte jeden Tag dem Baal Tempel und Altäre bauen. Und was ist sein Baal? Das Spiel und der Trunk und des Fleisches Lust. Und deshalb sage ich, er wird nicht wiederkehren wie Gideon.. . ."
„Aber wie Jephta," unterbrach Renate, „und ich werde ihm, so er siegreich heimkehrt, mit Pauken und Cymbeln eut- gegenziehen."
Seidentopf und Marie vergaßen angesichts dieses grotesken Bildes auf Augenblicke wenigstens den Ernst ihrer Lage, während Renate selbst die Hand der Schorlemmer nahm und beschwichtigend sagte: „Sieh nicht so böse darein; aber es ist nicht gut, wie Du sprichst. Wir sind hier in schwerer Stunde beisammen, und die Liebsten, die wir haben, sind ausgezogen, um dem
(Fortsetzung auf S. 738.)