Heft 
(1878) 46
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er den Schusterzwirn zn steifen Pflegte, und erhielt dadurch einige Wachsflecken. Als nun zum ersten Male aus dem Kopfe geraucht wurde, bemerkte man an den Wachsstellen eine schöne hellbraune Farbe. Nun wurde der ganze Kopf mit Wachs überzogen, der, nachdem er einige Zeit geraucht war, jene schöne Färbung annahm, welche die Freude aller Meerschaum­pfeifenraucher ist. So wurde 1753 der ungarische Schuster Karl Kowatsch der Erfinder derKunst" des Anrauchens der Meerschaumpfeifen.

Was Kowatsch für Pest war, wurde Jffert für den thüringer Ort Ruhla; er kaufte vor mehr als hundert Jahren von einem polnischen Juden eine ganze Kiste roher unver­arbeiteter türkischer Meerschaumköpfe, die er nun weiter ver­arbeitete und mit Beschlägen ausstaffirte. Ein Ruhlaer, Namens Christoph Dreiß, war es ferner, der die Kunst erfand, aus den beim Pfeifenkopfschintzen entstehenden Abfällen durch Zer­reiben und Schlemmen eine Masse zu formen, aus der man gleichfalls Köpfe fabriziren konnte. So wurde er der Erfinder der Abfallköpfe oder des sogenanntenunechten Meerschaums". Die Ruhl" im Thüringerwalde, halb zu Weimar, halb zu Gotha gehörig, war feit den ältesten Zeiten ein Sitz reger Gewerbsthätigkeit, und so fand die neue Industrie hier einen vortrefflichen Boden. Im elften Jahrhundert wurde dort schon Eisenbergbau betrieben, die Ruhlaer Waffenschmiede waren be­rühmt, und Landgraf Ludwig der Eiserne von Thüringen wurde, wie die bekannte Sage lautet, vom Schmiede zn Ruhlage­härtet".

Im Mittelalter nahm Ruhla eine Stelle ein, wie jetzt Solingen; aber im dreißigjährigen Kriege gerieth der Waffen­handel in Verfall, und mm kam dort das Beschlagen der Pfeifen­köpfe auf, das naturgemäß zur Fabrikation der Pfeifenköpfe und insbesondere der Meerschaumköpfe führte. So hatten sich Ruhlas Bewohner mit dem Verfall des Ritterthums und der Waffenschmiedekunst in geschickte Messerschmiede und, als Eisen und Messer im Preise sanken und sie zum dritten Male eine neue Industrie anfangen mußten, in Pfeifenbeschläger, Kettchen­macher, Versilberer und Vergolder, in Köpfschneider, Drechsler und Maler, kurz in sehr geschickte Ranchinstrumentenmacher ver­wandelt, was sie noch heutigen Tages find.

Mit allen Welttheilen steht der kleine, nur 4500 Ein­wohner zählende Ort jetzt durch seine Rauchutensilienfabrikation in Verbindung, und es spricht für die Tüchtigkeit der Ruhlaer, daß sie ihr Gewerbe in so großem Schwünge erhalten, trotz­dem ihrem Orte eigentlich alle Vorbedingungen zur Entwick­lung dieser Industrie fehlen. Denn zum Betriebe derselben muß der Meerschaum aus Kleinasien, der Bernstein von der Ostsee, das Weichselrohr von Baden bei Wien, Messingblech ans Augsburg oder Kassel, Harz aus den ostindischen Wäldern, Cedernholz vom Libanon, Bruyereholz von den Pyrenäen, Birkenholz aus Schweden herbeigeschafft werden.

Die Preise für den rohen Meerschaum sind sehr schwankende. Während vor fünfzehn Jahren eine Kiste von 30 Zoll Länge, 15 Zoll Höhe und 8^ Zoll Tiefe, in der etwa zwanzig Meer­schaumklötze enthalten waren, noch 1000 und mehr Mark kostete, ist sie jetzt auf 450 bis 600 Mark gesunken. Bei der Be­arbeitung wird der echte Meerschaum zunächst in reine und unreine Waare geschieden. Diese Eintheilung ist eine Haupt­sache für den Fabrikanten, denn je vortheilhafter er hier zu verfahren weiß, d. h. je mehr er aus einem Klotz Meerschaum macht, ohne Abfall zu bekommen, desto eher wird für ihn von einem Gewinn die Rede sein können.

Das Sortiren, Bestimmen und Zurichten der einzelnen Stücke verlangt große Geschicklichkeit und Uebung, denn öfters finden sich in diesen rohen Stücken Höhlungen, schadhafte Stellen, Sand, Flecken, Risse, kleine Kiesel, die man insgesammtMasern" ^ zu nennen Pflegt. Durch Schneiden und Schaben mit dem Messer und durch die Säge oder Feile oder durch Abdrehen auf der Drehbank werden nunmehr die Stücke in die erforder­lichen rohen Kopf- oder Cigarrenspitzenformen gebracht. Dies nennt man das Grnndiren. Auch wird bei dieser Arbeit des ersten rohen Schneidens des Meerschaumklotzes bei solchen

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Stücken, die mit Figuren, Monogrammen, Arabesken, Wappen, Thiergruppen u. s. w. verziert werden sollen, ein Vorsprung gelassen, der sogenanntePosten", woraus die betreffenden Figuren mit kunstfertiger Hcmd ans dem Groben geschnitten werden. Dann werden die betreffenden Stücke getrocknet und dann erst nach dem Wachssieden vollständig ausgesührt, d. h. wenn die Köpfe in Walrath (8xsrwa Oeti) gesotten und aus dem Walrath in das heiße Wachs gebracht worden sind. Dieses Wachs- oder Oelsieden, auf das wir hier nicht näher eingehen können, bedingt das schöne brauneAnrauchen" der Köpfe. Die sogenanntenrohen" Meerschaumköpfe des Handels werden nicht gesotten. Obgleich der Tabak aus ihnen am besten schmeckt, erfreuen sie sich doch keines großen Absatzes, weil sie unansehnlich, matt, rauh und kalkartig aussehen. Die unechten Meerschaumköpfe, d. h. die durch Zerkleinern und Schlemmen der Abfälle hergestellten, sind gewöhnlich von den echten kaum zu unterscheiden; doch liefert die Wasserprobe den Beweis der Echtheit, indem die aus Abfallmasse hergestellten Köpfe bei längerem Liegen im Wasser Sprünge bekommen oder zerfallen; echter Meerschaum aber löst sich nicht auf.

Der Preis der Meerschaumköpfe ist selbstverständlich ein sehr verschiedener. Während man in Ruhla ein ganzes Dutzend Pfeifen mit Beschlag, Rohr und Schnürchen zu dein enorm billigen Preis von einer Mark bekommen kann, werden Meerschaumpfeifen das Stück bis zu 360 Mark verkauft. Was Eleganz und Geschmack in der Ausführung betrifft, wird das Ruhlaer Fabrikat allerdings vom Wiener übertroffen, indem hier die feineren Schnitzwerke geliefert werden, aber bemerkens- werth bleibt hier, daß auf der Münchener Knnstgewerbeaus- stellung für Meerschaumwaaren nur Auszeichnungen dritten und vierten Grades ertheilt, und die im Kopfe kühn durchbohrten Bismarck-, Kaiser- und sonstigen Büsten, oder die Nymphen, welchen die Cigarre aus dem Rücken wächst, von den Preis­richtern verurtheilt wurden. Jetzt sind Preise ausgeschrieben worden, um die Meerschaumwaaren den übrigen Leistungen der Kunstindustrie ebenbürtig zn machen und die dem Tabakkultus gewidmeten Geräthe stilvoll zu gestalten.

Die Ruhlaer Pseifenindnstric hat mit der Gründung des Zollvereins einen neuen großartigen Aufschwung genommen, und außer den Bewohnern von Ruhla selbst beschäftigen sich noch zehn Dörfer der Umgegend theilweise mit derselben. Ungeachtet die Tabakspfeifen von den Cigarren in den Hintergrund ge­drängt worden sind, steht doch dieser Industriezweig noch in voller Blüte, weil er sich nicht nur auf Deutschland beschränkt, sondern seine reichste Nahrung aus fernen Landen bezieht. Es sind erstaunliche Pfeifenmassen, die von Ruhla aus in die Welt gehen. Eine normale mittlere Jahresproduktion umfaßt nach Ziegler ungefähr 540,000 echte Meerschaumköpfe von den ver­schiedensten Größen und Sorten, mit und ohne Figuren, im Preise von 3 bis 360 Mark das Dutzend, aber auch von 240 und mehr Mark das Stück. 5,400,000 Stück unechte Köpfe, im Preise von 1 bis 18 Mark das Dutzend. 10,000,000 be­schlagene Porzellanpfeifenköpfe mit und ohne Malerei, im Preise von 25 Pfennigen bis 9 Mark das Dutzend. Gegen 5 Milk. Stück lackirte, polirte und beschlagene Holzpfeifenköpfe im Preise von 20 Pfennigen bis 18 Mark das Dutzend. 2,700,000 Thon- und Lavapfeisenköpfe, 15 Mill. Stück Pfeifenrohre, 27 Mill. Stück nensilberne und silberne Pfeifenbeschläge von 30 Pfennigen das Dutzend an; 1,650,000 Dutzend Schläuche, Ketten und Schnuren, mit und ohne Quasten für Tabakspfeifen, ein Artikel, welcher aus Roßhaaren, Seide, Glanzgarn in beliebigen Längen und Farben, größtenteils von Franenhänden hergestellt wird. 144,000 Etuis für Meerschaumköpfe und Cigarrenspitzen; 10 Millionen Spitzen für Tabakspfeifen und Cigarrenspitzen von Horn, Bernstein, Holz, Cocosnuß. 15 Mill. Stück völlig zusammengesetzte Tabakspfeifen mit Köpfen, Rohren, Beschlägen, Schläuchen, Spitzen von der mannichfachsten Art von 40 Pf. bis 450 Mark das Dutzend.

Das sind achtenswerthe Leistungen eines einzigen thüringer Gebirgsdorfes, dessen Gesammtausfuhr alljährlich den Werth von 6 Millionen Mark erreicht.