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Ein Alleinsein mit mir scheint er absichtlich zu vermeiden, und wenn der Zufall es einmal herbeiführt, fo ist er ernst, wortkarg und schroff in seinen Aeußerungen, so daß es mir schwer wird, mit ihm von dem Professor zu sprechen. Und doch muß ich es thun, weil sich für dieses Thema, das mir gewissermaßen zur Pflicht gemacht worden ist, sonst keine Zeit findet.
Warum läßt er seine Liebenswürdigkeit nur glänzen, wenn wir mit anderen zusammen sind?
Den 20. November.
Wie sonderbar! Ich äußerte gestern einmal, daß ich eine besondere Vorliebe für Veilchen habe, und heute lag ein Veilchenstrauß auf meinem Schreibtisch. Nikolai war der Geber, wie ich später erfuhr, und doch machte er eine spöttische Bemerkung, als ich ihm dankte, mit Evchen aber wechselte er einen Blick des Einverständnisses. Die Blumen stellte ich in ein Wasserglas, aber die Gedanken blieben daran hängen, und es waren wunderliche Gedanken, die mit dem süßen Duft hereingekommen waren.
Am Nachmittag hatten wir einen kleinen Scherz. Frau Brigitte war ausgegangen, und wir, d. h. Evchen und ich, benutzten ihre Abwesenheit, um einen kleinen Versuch zu machen. Es war nämlich ihre schwache Seite, daß sie keine Waffeln backen konnte, und da Nikolai sie besonders liebt, so beschlossen wir, uns selbst dazu zu verhelfen. Frau Tübner mußte uns ein Kochbuch leihen, und nachdem wir den Teig eingerührt und große weiße Schürzen vorgebunden hatten, begaben wir uns daran, sie in dem offenen Feuer des Kamins im Speisezimmer zu backen. Evchen mußte das Eisen mit Speck streichen und die Masse eingießen, während ich vor dem Feuer kniete und das Eisen in die Glut hielt. Nachdem ich die ersten Waffeln etwas verbrannt hatte, geriethen zu meiner unbeschreiblichen Freude die anderen vortrefflich und schimmerten im schönsten Goldgelb. Ein lieblicher Duft durchzog das Haus und wir waren so eifrig in unserer Beschäftigung, daß wir gar nicht ausschauten.
Wie erschrak ich aber, als ich plötzlich Nikolai gewahrte, der in der Thür stand und belustigt unserem Treiben zusah!
„Wie gut es Ihnen steht, wenn Sie in dieser Weise thätig sind, Dorina," sagte er — dieses „Donna" ist eine neue Unart, die er mit einer italienischen Reminiscenz entschuldigt — „und wie das Feuer Ihre Wangen rosig färbt! Fürwahr, man sollte nicht glauben, daß Sie den Homer in der Ursprache gelesen haben, wenn man Sie hier schalten und walten sieht" — und ein Blick traf mich, so voll und warm, so innig und doch so strahlend, daß ich den Kopf tief über das Eisen beugte, um zu sehen, ob der Kuchen gar sei.
Evchen bekam einen Verweis, daß sie mit dem Streuzucker zu verschwenderisch umgehe, und dann setzte sich unser Held neben den Teller, wo die fertigen Waffeln aufgeschichtet lagen, und verzehrte eine nach der anderen mit einem Appetit, der auf ein tagelanges Fasten schließen ließ.
Wir neckten ihn damit, er vertheidigte sich, indem er wiederum uns angriff, und ich war diesmal eben so heiter und lebhaft als Evchen. Sein Lob hatte mich mit Stolz und Freude erfüllt, und mein Erfolg in der Wasfelbäckerei gab mir mehr Selbstvertrauen, als wenn ich die Frage von der Quadratur des Zirkels gelöst hätte. Als Frau Brigitte zurückkehrte, war sie sehr erstaunt über unser eigenmächtiges Verfahren, aber zum ersten Mal in meinem Leben ließ mich das Schmollen der guten Frau unberührt.
Den 23. November.
Durch Nikolai bin ich eingeführt worden in das Zauberland der Poesie, und auch ohne seine Leitung wandele ich gern in seinen Irrgärten. In den Gedichten werden viele Töne angeschlagen, die in meinem Herzen widerklingen, und oft finde ich da in schöner Form ausgesprochen, was ich selbst dachte. Aber überall tritt mir auch die Liebe entgegen in ihrer schönsten und vollsten Bedeutung, die Liebe, die gepriesen wird als das höchste Glück und als das tiefste Leid, die Liebe, von der ich nichts weiß und verstehe, jene Wunderblume des Men
schenherzens, die in ihrem Kelch ein ewig ungelöstes Räthsel birgt.
Ich glaube ihr Wachsen und Gedeihen beobachten zu können bei den beiden Menschen, die mir jetzt am nächsten stehen; ich glaube zu sehen, wie sie Schritt für Schritt fortschreiten auf dem Pfade, der sie zu einander führen wird, und zum Glück. Er macht kein Hehl daraus, daß er sie gern hat, daß er großes Wohlgefallen findet an ihrem frischen lieblichen Wesen, und sie?
Nun, wie sie darüber denkt, weiß ich nicht, aber wie wäre es möglich, daß er ihre jugendlichen Ansprüche nicht befriedigte!
Er hat uns heute von seiner verstorbenen einzigen Schwester Angelika erzählt, und es war eine traurige Geschichte. Evchen und ich waren so bewegt, daß wir heiße Thränen vergossen, und auch in Nikolais Augen schimmerte es feucht, als er ihrer gedachte. Sie war ein unscheinbares Wesen, klein und verwachsen, aber mit einem treuen starken Herzen. Für ihn war sie eine zweite Mutter, für ihn, den jüngsten, der zwölf Jahre weniger zählte als sie, hat sie gedarbt und gelitten, hat sie gearbeitet von früh bis spät. Die wunderbar feinen Stickereien, die ihre kunstreichen Finger fertigten, wurden sehr- gesucht und mit hohen Preisen bezahlt, und sie waren es, die ihm eine bescheidene aber schöne Heimat schufen, und ihm die Möglichkeit gaben, sich zum Künstler auszubilden. Ein ungemein inniges Verhältniß scheint die Geschwister verbunden und die Schwester einen großen segensreichen Einfluß auf seinen Charakter gehabt zu haben. Als er erwachsen und in der Lage war, durch Porträtmalerei etwas zu verdienen, wandte sich das Blatt und er sorgte nun für sie, die inzwischen sehr leidend geworden war. In dem Maße wie sein Glücksstern sich hob, nahm ihre Krankheit zu und selbst ein gemeinsamer Aufenthalt in Italien konnte sie nicht mehr retten. In Rom mußte er sie zur Ruhe bestatten und Jahre lang konnte er den herben Verlust nicht überwinden. Selbst sein sonniges Gemüth wurde verdüstert von dem Schmerz, und wenn jemals in seiner Brust Groll und Bitterkeit aussteigen gegen den Professor, so ist es dann, wenn er an seine Schwester denkt. „Ihr Leben war vergiftet durch Kummer und Elend seit ihrer Kindheit frühesten Tagen," sagte er, „sie hat gesehen, wie meine Mutter zu Grunde ging in Noth und Elend, und vergeblich die Hand ausstreckte nach dem eigenen Sohn, der im Ueberflnß lebte und sie so leicht retten konnte, sie hat die Reue dieser armen Frau mit angesehen, ihr eigenes Leben war nichts als Mühe und Aufopferung für mich, ihren Liebling, und jetzt, wo ich ihr reichlich vergelten, wo ich meinen Reichthum benützen möchte, um ihr Leben zu schmücken mit allem, was ihr Herz begehrt, jetzt ist es zu spät, und sie ist todt. Nicht einmal die Freude hatte sie, mich geborgen zu sehen, ihr letzter Gedanke galt der Sorge für meine Zukunft, und ihr letzter Hauch war mein Name. Was nützt mir das Geld des Professors jetzt, wo es nur Ueberflnß ist, aber nicht Nothwendigkeit, ich kann die Todten damit nicht lebendig machen! Wer kümmert sich jetzt darum was ich treibe, ob ich glücklich bin oder nicht?"
Und doch ist er nicht undankbar, die Bitterkeit des Augenblicks überwältigte ihn nur. Aber ein Gefühl unsäglichen Mitleids überkam mich für den Mann, der in voller Jugendkraft und Schöne vor mir stand, und sich doch verlassen fühlte, weil die Schwester, die einzige, die ihn treu und selbstlos geliebt, ihn verlassen hatte. Und ohne daß ich es wollte, müssen meine Blicke ihm gesagt haben, daß er doch ganz freundlos nicht sei, daß es doch jemanden gebe, der für sein Glück ängstlich besorgt sei.
Den 26. November.
Ich habe nie geglaubt, daß ein Mann wie Nikolai, der so viel Geist und Herz hat, Launen haben könne, und doch scheint es so, denn er ist sehr ungleich in seinem Wesen. Manchmal heiter und offen, sonnig und hell wie ein Frühlingstag, dann wieder schweigsam und finster oder heftig auffahrend.
Indessen nur mir gegenüber; Evchen zeigt er sich nur von der Lichtseite, ihre Gesellschaft scheint alle bösen Geister zu bannen. Ich habe keine Macht über seine Stimmungen, trotz meiner stets gleichbleibenden Ruhe und Freundlichkeit