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scheine ich ihn nur zu reizen. Alle Mühe in dieser Richtung ist umsonst, und meine Voraussetzung, daß Großmuth unzer­trennlich sei von Kraft, erweist sich als irrig. Ja, manchmal will es mich bedünken, als lege er es darauf an, mich zu be­leidigen und mir wehe zu thuu, als wolle er gewaltsam eine Scene herbeiführen. Und doch kann ich ihm nicht züruen. Wie tief ich auch jede Kränkung von seiner Seite empfinde, Zorn oder Bitterkeit werden nie dadurch geweckt, und in seinem Wesen ist ein unerklärliches Etwas, das gleichsam ihm unbe­wußt, mich zu versöhnen sucht.

Es geschieht sonst meistens daß, wenn Evchen abgeholt wird, auch Nikolai sich verabschiedet und sein Zimmer anfsncht, aber gestern Abend geleitete er sie nur bis an die Thür und kehrte dann zu mir zurück. Ich glaubte, er wolle mir irgend eine besondere Mittheilung machen, aber er spielte nur mit der Feuerzange, rauchte seine Cigarette und sagte kein Wort, bis ich mein Buch wieder aufnahm, in dem ich schon den ganzen Abend, wenn auch nur scheinbar gelesen, um die beiden in ihrer Unterhaltung nicht zu stören, da aber sagte er Plötz­lich: „Darf man wissen, was das für ein Buch ist, das Ihre Aufmerksamkeit so in Anspruch nimmt?"

„Es ist Bnckles Geschichte der Civilisation," und ich reichte es ihm hin.

„Ah in höheren Regionen," spottete er, „wie schade nur, daß Sie sich nicht der Frauenbewegung angeschlossen haben und Vorträge halten! Sie könnten da Ihr eminentes Wissen sehr vortheilhaft vcrwerthen."

Mir kamen die Thränen in die Augen. „Warum tadeln Sie mich so hart," sagte ich. „Sie wissen ja, daß es nicht meine Schuld ist, wenn ich etwas mehr gelernt habe, als Sie für ersprießlich und zuträglich halten. Aber wenn ich mir auch bewußt bin, niemand zu nützen mit diesem todten Kapital, so hat es auch noch niemandem Schaden gebracht, und ich weiß auch nicht, wie ich das Leben ertragen hätte, ohne diesen Trost."

„Ah!" erwiderte er, „Sie geben also zu, daß dieses Leben Sie nicht befriedigt hat, Sie waren nicht immer zufrieden mit Ihrem Loose, wie Sie es jetzt sind?"

„Nein, aber was thut das? Ein jeder muß sich den Ver­hältnissen fügen," sagte ich, aber mir ward schwach und elend zu Mnth bei der Erinnerung an das, was ich gelitten.

„O natürlich, Sie sind ein Muster von Sanftmuth und Fügsamkeit, sind erhaben über die Schwächen anderer Sterb­lichen, die in der Nacht relativer Unwissenheit dahinleben."

„Herr von Mariassy, habe ich diesen Vorwurf verdient? Habe ich mich je über andere Menschen erhoben, halten Sie mich für so kleinlich, daß Sie glauben können, ich legte Kennt­nissen, wie ein jeder sie erwerben kann, einen hohen Werth bei? „Und weiß, daß wir nichts wissen können," läßt Goethe seinen Faust sagen; das ist die einzige Wissenschaft, die einzige Erkenntniß, deren ich mich rühmen kann."

„Dorina, wollen Sie mir einen Gefallen thnn?"

„Gewiß, was wünschen Sie?"

„Schenken Sie mir das Buch, in dem Sie so lange ge­lesen haben."

„Gern, wollen Sie es auch durchgehen?"

„Nein, ich will es verbrennen, denn ich hasse es," und ehe ich es verhindern konnte, warf er das Buch in den Kamin, daß die Flammen darüber zusammenschlugen.

Starr vor Staunen sah ich ihm zu. Ich war erschreckt über seine fast wilde Heftigkeit, und wußte mir dieselbe durch­aus nicht zu erklären.

„Sie wundern sich über diesen Gewaltstreich, der einem ungezogenen Schulknaben alle Ehre gemacht hätte," sagte er, „Sie verachten mich — thnn Sie das, aber hüten Sie sich über Dinge zu urtheilen, die Sie nicht verstehen."

In einer eigenthümlichen Stimmung blieb ich zurück, nach­dem er mit einem hastigen „Gute Nacht!" hinausgegangen war. Ich zürnte ihm, ich mußte ihm zürnen, und doch lächelte ich still vor mich hin. Ich hatte eine Entdeckung gemacht, die

schmerzlich war und süß zugleich. Mochte er nun thnn, was er wollte, ich konnte mich nicht mehr betrügen; ich wußte es jetzt ganz genau, daß ich ihn liebte.

Ich weiß es jetzt — geahnt habe ich es schon lange, aber ich war so unklar in meinen Gefühlen, so zaghaft. Nun ist es über mich gekommen wie eine selige Gewißheit, ich liebe ihn, und die Liebe an sich ist schon solch ein Glück für mich, daß ich auf alles andere gern verzichten will.

Die ganze Zärtlichkeit eines Herzens, das fast dreißig Jahre lang nicht wußte, was es heißt zu lieben, wendet sich jetzt einem einzigen zu, und dieser einzige heißt Nikolai von Mariassy. Ich glaube, die Veilchen sind schuld daran, haben mich verführt und meinen Sinn bethört.

Den 27. November.

„Findest Du nicht, daß er wunderbar schöne Augen hat?" sagte Evchen, als ich gerade vor dem Spiegel stand, um meine Locken aufzustecken, „und meinst Du nicht auch, daß keiner so gut zu erzählen versteht als er? In seiner Gesellschaft wird einem die Zeit nie lang, und ich hin doch recht von Herzen froh, daß er nicht der griesgrämige alte Herr ist, den wir er­wartet hatten."

Im Spiegel sah ich, wie mein sonst so blasses Gesicht sich mit einer verräterischen Röthe überzog, aber Evchen konnte es glücklicherweise nicht bemerken, da sie gerade etwas auf dem Toilettentische betrachtete. So sagte ich denn, so ruhig und gleichgiltig wie möglich:

„Ja, er hat hübsche Augen so viel ich weiß, freilich genau angesehen habe ich sie noch nicht."

Evchen lachte. „Das begreife ich nicht!" sagte sie, „ich meinestheils betrachte ihn immer mit dem größten Vergnügen, und Gelegenheit dazu haben wir auch gerade genug!"

„Bist Du denn auch so entzückt über seine Haltung, die nach meiner bescheidenen Ansicht recht viel zu wünschen übrig läßt?"

„Nun, ich gebe zu, daß er sich darin etwas gehen läßt, aber wer einen so schönen charaktervollen Kopf, eine so könig­liche Gestalt hat, dem kann man das schon verzeihen. Er ist eben ein Künstler, und seine geniale Natur offenbart sich auch in seinem Aeußeren. Ich meinestheils muß aber sagen, daß mir das besser gefällt, als wenn er so ein feines Modeherr­chen wäre, das die Hohlheit seines Wesens unter einem tadel­losen Frack verbergen muß."

,Auroa inackiooritasseufzte ich, „wie wäre es mit der Mittelstraße, Evchen?"

Sie wurde ganz böse. „Freilich, Du bist schwer zu be­friedigen, Marie Dorothee, Du machst ganz fabelhafte An­sprüche an den armen Menschen und legst wahrscheinlich einen Maßstab an, der nur für Deine Helden des Alterthums paßt. Ich wollte es ihm immer nicht glauben, aber er hat ganz Recht, wenn er behauptet, Du wärest nicht wie andere Frauen, so kühl und gemessen, daß man sich manchmal fürchten möchte."

„Dann wirst Du ihm ja um so besser gefallen," sagte ich scharf, denn zu meiner Schande muß ich gestehen, daß ein Gefühl wilder Eifersucht mich überkam, und außerdem hat er kein Recht mich zu tadeln. Ich habe meine Pflichten als Wirthin immer erfüllt und die Höflichkeit nie außer Augen gelassen.

„Wie reizbar Du auf einmal bist," meinte sie, „ich glaube, Du bist krank —" und in dieser Ansicht wurde sie noch be­stärkt, denn ich umarmte sie plötzlich mit leidenschaftlicher Zärt­lichkeit und brach in Thränen aus.

Als ich mich beruhigt hatte, waren wir wieder die besten Freunde, aber sein Name wurde nicht mehr genannt, und Evchen schien mir ernster als sonst.

„Gewiß sie liebt ihn, und sie, die mir eine Schwester ist im wahren Sinne des Wortes, sie soll glücklich werden um jeden Preis. Diese beiden Menschenkinder sind wie für einander ge­schaffen, und erfülle ich meine Mission nicht am besten, wenn