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ich ihn sein Glück hier finden lasse? Mit Evchen muß jeder Mann glücklich werden, sie ist ja das süßeste liebreizendste Geschöpf, das man sich denken kann, und ich — nun ich bin eben eine alte Jungfer, die abschließen muß mit dem Leben, ehe es noch so recht begonnen. Was liegt an mir? Mein Herz ist erwacht mit voller Macht, gebieterisch fordert es sein Recht, seinen Antheil an Liebe und Glück, aber es muß eben znm Schweigen gebracht werden dieses thörichte Herz, es muß verlieb nehmen mit Schatten und Dunkelheit. Je heißer die Sehnsucht ist, desto ruhiger und kühler bin ich nach außen hin und weder Blick noch Wort sollen je verrathen, wie schwach ich bin. Der Frieden ist hin, aber ich mochte ihn doch nicht vertauschen gegen das Leid und den Kampf, die jetzt mein Theil sind. Die Seligkeit, ganz aufzugehen in der Liebe zu ihm, kann mir niemand nehmen, mit jedem Athemzuge will ich die Gegenwart genießen, das Zusammensein mit ihm, und die Augen schließen vor der schrecklichen Zukunft, wo ich wieder allein, ganz allein sein werde.
Den 30 . November.
Die Tage kommen und gehen und bringen Lust und Leid, aber eine drohende Wolke ist an unserem Horizont aufgestiegen. Frau Harlemer will nächstens kommen, um Evchen abzuholen. Wie traurig für uns und für sie! Die Kleine, die sonst ihre Heimat so liebt, hing weinend an meinem Halse, als sie die Nachricht bekam. Ich kann mir denken, was ihr die Trennung so schwer macht, die Liebe zu mir ist es nicht allein, auch ihren Freund wird sie ungern verlassen. Sie macht auch gar kein Hehl daraus.
„O wie schade, wie schade, daß alles ein Ende nimmt," sagte sie heute zu ihm, als sie zusammen am Fenster standen, und mit traurigen Augen schaute sie zu ihm auf.
Ich wunderte mich, daß sie ihm gegenüber so offen aussprechen konnte, was sie fühlte; ich an ihrer Stelle hätte kein Wort hervorgebracht.
Diese Nachricht war es wohl aber auch, welche Nikolai heute so unruhig und bewegt aussehen ließ. Es mochte ihm
wohl klar werden, daß es jetzt zur Entscheidung kommen müsse.
Ich allein bin ruhig, aber es ist nur Schein. In Wahrheit kann ich mich kaum aufrecht erhalten, und zu der inneren Aufregung, dem ewig anregenden Zweifel, kommt eine körperliche Ermüdung und Mattigkeit, die mir unerklärlich ist. Ich kann sie aber nicht überwinden, und oft sinke ich wie gebrochen zusammen, wenn ich mich allein und unbeobachtet weiß.
Meine Aufgabe, für das Glück der beiden zu sorgen und selbst Verzicht zu leisten auf jede Erfüllung meiner heißesten Wünsche, suche ich getreulich zu erfüllen, aber es übersteigt fast meine Kräfte, daß ich immer mit ihm zusammen sein, und seinen Verkehr mit Evchen mit ansehen muß.
Dazu kommt, daß sein Benehmen jetzt ein ganz anderes ist; es scheint, als sei das gestörte Gleichgewicht seiner Seele nun wieder hergestellt, seit er die Ueberzeugnng gewonnen, daß seine Liebe von Evchen erwidert werde. Mir gegenüber ist er jetzt von einer Liebenswürdigkeit und Rücksicht, wie man sie für eine Mutter oder Schwester hat, die es nicht empfinden soll, daß die ganze Seele erfüllt ist von einem anderen Bilde. Es ist eine großmüthige Regung des Glücklichen, der im Vollgefühle des Besitzes einen anderen darben sieht.
Vielleicht bemitleidet er mich auch, wenn er uns beide ansieht und meine schlichte 'unscheinbare Erscheinung mit Evchens frischer Schöne vergleicht, wenn er bedenkt, wie wenig mir das Leben bieten wird.
Ich weiß das alles, ich habe mir alles klar gemacht und sollte dankbar sein für das, was er mir spendet; aber was das Schlimmste ist, mitunter trifft mich ein Blick, der mit dem klebrigen nicht im Einklang steht, so heiß und flehend, so leuchtend und doch so traurig, daß ich aufschreien uud in seine Arme stürzen möchte; aber ich beuge nur das Haupt, um mich uicht verblenden zu lassen von dem trügerischen Schein und erbebe bis ins innerste Herz.
(Schluß folgt).
Are WupperLhaker Aestwoche.
Von H. Dattom
Nachdruck verboten. Ges. v. il./VI. 70 .
Seit gestern im reizenden Seebad Blankenberghe! Von der hochgelegenen Veranda aus und vorüber an den vor dem Hause lustwandelnden Badegästen schweift der Blick nach dem Meere, dem unendlichen, in seiner wunderbaren Pracht und Größe. Eine günstige Brise treibt die Fischerboote rasch dem Lande zu; in der Ferne ziehen regungslos wie Schattenbilder an der Wand die mächtigen Segler und Dampfer vorbei, nur dem Auge noch eine Weile erreichbar, dann aber für Tage und Wochen von Land und Leuten getrennt, einsam den Lauf vielleicht nach einem anderen Welttheil vollendend. Die See ist stark bewegt. Ihre Wellen und Wogen schlagen mächtig an den weichen Ufersand, die einförmige Melodie dringt ununterbrochen herauf und wiegt die feiernde Seele in eine Stimmung, in der die Bilder vergangenen Lebens unaufhaltsam und frisch vorüberziehen und ihre Eindrücke wie zu träumerischem Genuß sich neu beleben. Man läßt sie gern noch einmal vorüberziehen die fesselnden Bilder der eben abgelaufenen Woche; die Eindrücke der Tage in Barmen sind so freundliche, daß der Lockung nicht widerstanden werden kann, sie in den folgenden Zeilen sestzuhalten.
Zum zweiten Male war es mir vergönnt, einer Wupper- thaler Festwoche beizuwohnen. Beide Male, und jetzt noch in erhöhtem Grade, hat sich der Eindruck befestigt, daß von dem engherzigen, beschränkten kümmerlichen Wesen, welches das landläufige Urtheil mit der Festwoche in dem engen, von Regen reichlich heimgesuchten Wupperthale unlösbar verknüpft hält, nichts zu spüren war, mag es nun sein, daß dieser krankhafte Zug ursprünglich vorhanden war, aber allmählich abgestreift wurde, mag es sein, daß er mit der Gewalt einer ungeprüft von Mund zu Mund gehenden Redensart dem Feste und seiner mannichfalti-
gen Arbeit nur eben angedichtet wurde. Was uns in den Versammlungen, was uns im Zwiegespräch mit den rasch bekannt gewordenen Männern geboten wurde, trug meist den schönen Stempel einer ernsten mannhaften Ueberzeugnng an sich, die in dem Boden des Evangeliums treu und stark wurzelt, und in der Kraft eigenen Glaubenslebcns in weitherziger Liebe dem die warme Bruderhand nicht versagt, dessen Glaubens- bekenntniß einer anderen Kirche angehört. Besonders erquickend war in diesem Jahre, daß trotz des klaren Bewußtseins von der ernsten schweren Zeit für Staat und Kirche doch ein freudiger Ton fast durch alle Reden durchschlug, nicht die Lust des Leichtsinnigen, der sich durch keiu Trübsal aus seinem Behagen will ausstören lassen, wohl aber die stille tiefgegründete Freude des Christen, der in jeder eignen und des Volkes Heimsuchung doch die Hand des Vaters erkennt und festhält, der uns alles zu unserer Seligkeit dienen läßt.
Diese Festversammlungen im Wnpperthal sind alten Datums, sie wurden bereits gefeiert, als derartige Versammlungen noch von denen belächelt und verworfen wurden, die nun mit vollen Segeln in dem jetzt modisch gewordenen Fahrwasser der Festvereinigungen dahinfahren. Sind sie durch ihr Alter, das sich seine jugendliche Frische zu bewahren wußte, ehrwürdig, so haben sie noch den anderen Vorzug vor vielen ihrer jüngeren Schwestern, daß sie lebendige Fühlung mit dem Volke und der Gemeinde des Volkes zu erhalten wußten, und zwar nicht auf dem Boden gemeinsamer Lustbarkeiten, auf dem ernsteren vielmehr der Rede und Erbauung. Trotz des ungünstigsten Regenwetters waren alle Kirchen und Versammlungsorte jedes Mal dichtgefüllt, und wenn sich oft der Gedanke aufdrängte, als ob nach zwei und drei Stunden des Redens und Hörens genug