Heft 
(1878) 52
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an die wir im ersten Augenblicke nicht gedacht. Die Zeit, welche das Testament als kürzeste Frist unseres Zusammenseins ge­nannt, ist längst abgelaufen und ganz abgesehen davon, wäre es nicht möglich, daß Nikolai noch länger hier weilte, nachdem er mein Verlobter gew»rden. Er muß also jedenfalls abreisen, aber wo soll ich hin? Evchen verläßt uns in den nächsten Tagen, und der Gedanke ist mir entsetzlich, dann wieder ganz allein in dem großen Hause zu bleiben. Ja, diese Möglichkeit ist sogar ganz ausgeschlossen durch das Verbot des Doktors, der außerdem eine Luftveränderung mir dringend anrüth. Was soll ich thun? Jetzt, so kurze Zeit nach dein Tode des Pro­fessors, kann ich weder meine Verlobung veröffentlichen, noch an einen Ort ziehen, wo auch Nikolai wäre, und ohne ihn in eine fremde Stadt zu gehen, nur meiner Gesundheit wegen, ist auch etwas, was mir widerstrebt. Wir haben schon mit einander berathen, aber keiner weiß Rath, nur Evchen lächelt geheimniß- voll und meint, es würde sich ein Ausweg schon finden. In­zwischen suchen wir die kurze Frist, die uns noch vergönnt ist, auszunutzen und meine Genesung macht die größten Fortschritte. Nikolai ist aber auch der beste Doktor; ein Blick aus seinen lieben Augen genügt, um mich neu zu beleben!

Den 1. Februar.

Wie gut die Menschen doch sind! Frau Harlemmer ist gestern angekommen. Sie ist eine rosige kleine Frau, der man es nicht ansieht, daß sie die Mutter einer so zahlreichen Fa­milie ist. Kopf und Herz scheint sie auf dem richtigen Flecke zu haben, denn mit scharfem Blick hat sie unsere Lage übersehen und ist bereit, uns zu Hilfe zu kommen. Daß Evchen, die kleine Intrigantin, dabei die Vermittlerin gewesen, versteht sich von selbst. Sie will nun einmal die Rolle als Schntzgeist bei mir durchführen, und ihre Mutter machte mir den Vorschlag, mit ihnen zu reisen, um mich der Familie ganz anznschließen und die Zeit bis zu meiner Verheirathnng in Villa Harlemmer zuzubringen.

Alle finden den Plan vortrefflich. Unter Evchens Ober­vormundschaft soll ich meine Gesundheit kräftigen und nach und nach daran gehen, meine Ausstattung zu besorgen. Nikolai soll als Besuch stets willkommen sein, und somit werden alle unsere Wünsche erfüllt. Ich brauche mich nicht von Evchen zu trennen und in der Einsamkeit allein Zurückbleiben, ich werde unter dem Schutze einer liebenswürdigen Familie stehen und Gelegenheit finden, meine häuslichen Kenntnisse zu bereichern, und mein einziges Bedenken, welches dahin ging, daß ich fürchtete, un­bescheiden zu sein, wenn ich so viel Güte annehme, hat meine kleine Freundin mit der Versicherung niedergeschlagen, daß sie vor Bangigkeit krank werden würde, wenn ich nicht mitkäme.

Man hat mir auch versprochen, keinerlei Umstände mit mir zu machen, ich werde mit Evchen zusammen wohnen und ganz zur Familie gerechnet werden.

Und nun kommt nur noch ein schwerer Moment der Abschied von Nikolai! Aber wie schön ist es, zu wissen, daß die Trennung nicht lange währen wird, daß wir uns bald Wiedersehen werden an den Ufern des Rheins!

Ehe ich aber dieses Buch schließe, muß ich noch eines Vorfalls oder vielmehr einer Entdeckung gedenken, die gestern

gemacht worden ist, und der ein Helles Licht auf die Inten­tionen des Professors wirft.

Vor seiner Abreise wollte Nikolai noch einmal das Hans, das ja nun sein Eigenthum geworden, einer gründlichen Be­sichtigung unterwerfen, und stieg zu diesem Zweck mit Frau Brigitte auch auf den Boden hinauf. Da fanden sie denn eine große flache Kiste, die fest verschlossen war. Nikolai ließ sie hernnterbringen, um sie zu öffnen, wer beschreibt aber sein Erstaunen, als er den Deckel aufhob, und ein Originalgemälde erblickte, das er als sein eignes Werk erkannte? Er hatte es voriges Jahr in einer Dresdner Kunsthandlung ausgestellt, und erinnerte sich noch der besonderen Umstände, unter denen es verkauft worden war. Ein alter Herr hatte ihn in seiner Wohnung ausgesucht und ihn gebeten, ihm für einen hohen Preis das Bild zu überlassen, den Handel, abgeschlossen und dann ein Gespräch angeknüpft, das die Fragen des Tages be­handelte, und schließlich ans die Privatverhältnisse des jungen Künstlers übergegangen war. Der alte Herr hatte seine Ver­wunderung darüber ausgesprochen, daß Nikolai nicht verheirathet sei, und diesem war es ausgefallen, wie genau er seine Per­sönlichkeit geprüft habe. Im übrigen war der Käufer liebens­würdig und zuvorkommend, nur eine gewisse Hast und Verlegen­heit trat in seinem Wesen hervor.

Diesem alten Herrn hatte Nikolai sein Bild verkauft, und nun, da er es hier in diesem Hanse wiederfand, wurde uns klar, daß der Professor selbst es gewesen sein muß, der ans diesem Wege seine Bekanntschaft suchte, ohne sich selbst zu er­kennen zu geben.

Ich erinnere mich noch sehr gut, daß er um jene Zeit eine kleine Reise unternahm. Da er Nikolai gesehen, da er seine einnehmende Persönlichkeit kennen gelernt, mag wohl da­mals schon der Gedanke in ihm anfgestiegen sein, uns beide einander zuzuführen.

Aber in welcher zarten diskreten Weise veranlaßte er das! Er that nichts, um einen Druck ans uns ausznüben, er lockte den Freier nicht durch eine reiche Mitgift, aber er gab uns die Möglichkeit, uns kennen zu lernen, und setzte Nikolai in die Lage, als unabhängiger Mann um mich zu werben. Der Titel einer Frau, den er mir gab, sollte wohl nicht nur für später mir Schild und Schirm sein, er sollte mich Nikolai auch näher bringen und die Situation zu einer weniger peinlichen machen.

Der Mann, der kein Verständniß zu haben schien für die Bedürfnisse seiner Umgebung, hat edler und weiser gehandelt, als manche verständige Eltern für das Glück ihres geliebten Kindes zu sorgen wissen.

Mit unbefangenem Sinn sollten wir einander gegenüber­treten, und nur die Liebe durfte uns znsammenführen.

Ja, gesegnet sei das Andenken des Professors, der nach seinem Tode alles gut gemacht, was er in seinem Leben ge­fehlt, und in den Bestimmungen über seinen Nachlaß das Glück zweier Menschen begründet hat.

Aus dem Schatten seines Hauses trete ich hinaus in die schöne Welt, und vor mir liegt die Zukunft im hellsten Son­nenlicht!

Menmdzumnzig Stunden Strohwittwer.

Humoreske-von K. Zt.

Nachdruck verboten. Ges. v. 11 ./VI. 70.

Der Winter war entsetzlich lang gewesen. Mit nassen Augen schaute er in unser Mansardenstübchen hinein und mit trüben Blicken schauten wir hinaus. Eigentlich kalte Tage hatte er nur wenige gebracht, dafür war er aber mit Regen, Schnee und Wind über das blasse Land gegangen. Wenn wir nun ^ so an unseren kleinen, bleiumrahmten Fenstern saßen, und die Tropfen und Flocken an die Scheiben schlugen, dann fühlten wir so recht dieewige Dasselbigkeit des Daseins" und ein ^ Seufzer entrang sich der gepreßten Brust. Mochte der Wind die starren Aeste der alten Kastanie schütteln, mochte der Regen von dem ausgewaschenen Dache widerhallen oder der Schnee

mit leisem Singen auf das Sims fallen, es war immer die­selbe nmheimliche Weise, welche uns da entgegentönte. Zu unbestimmt, als daß man einzelne Töne in ihr unterscheiden konnte, sollten wir mit einem Male über ihren ganzen Um­fang aufgeklärt werden. An einem jener langen Winterabende, die mit ihrer Ruhe die Seele so harmonisch stimmen, saßen wir nach vollbrachter Arbeit froh beisammenan der Seite des wärmenden Ofens". Ich weiß nicht, wovon wir so traulich plauderten; da tropfte es auf einmal von der Decke, erst leise und sanft, wie fernes Singen an das Ohr schlägt, dann stärker und voller, wie schwellender Hochgesang; und als wir noch so