Heft 
(1878) 52
Seite
826
Einzelbild herunterladen

- 826

lauschen, da fallen von drüben her, wo die sinnige Frauenhand sich ein freundliches Plätzchen geschaffen, die Tropfen in der kleinen Terz ein und o Wunder von meinem Schreib­tische klingt es fallend und schallend in einer reinen Quinte wieder.

Das ist ja der leibhaftige D-moU-Akkord," sagte ich zu meiner überraschten Frau;wenn nun das Kind schreit, haben wir die schönsten Triller und Kadenzen dazu. Wirklich ein durch und durch musikalisch gebildetes Haus!"

So leicht ließ sich jedoch der U-inoU-Dreiklaug nicht weg­scherzen und bald genug sollte er für uns verhängnißvoll werden.

Wo wir gingen und standen, tönte es unssinnbethörend" ent­gegen: ct k a-a k ck. Der Theekesfel summte die wundersame Melodei, der Wind heulte sie bald Allegro, bald Adagio in den hallenden Kamin, das Kind wimmerte sie bald kläglich, bald mit vollen Lungen, es war zum Verzweifeln!

Ich setzte mich an den Flügel und spielte mit Aufwendung aller mir zu Gebote stehenden Muskelkräfte Sonaten, Sinfo­nien, Scherzis, selbst Tänze aus U-ckar; es Half nichts, denn kaum waren die starken Klänge verhallt, als es von oben und von unten schwermüthig sang: ck -- k a, a k 6. Selbst nachts fand das gemarterte Ohr nicht Ruhe noch Rast, denn sieh,im Traum der stillen Nächte fand es sich keuchend im Gefechte" mit ck k a und seiner Umkehrung. Meine kleine Frau, die mich unter dem Drucke des entsetzlichen Akkordes so unsäglich leiden sah, versuchte mich zu trösten und führte mich an die Wiege, in welcher unser Liebling seine ersten Träume verträumte. Und wirklich schien sich beim Anblick des freundlichen Kindes das unheimliche v-moll in seine verwandte Uni--Tonart anfzulösen, aber das war immer nur für einen Augenblick. Es mußte entschieden etwas geschehen, um den fatalen Dreiklang aus den Mauern zu entfernen. Wir ließen das alte Dach untersuchen; der Meister kam mit Mörtel und Kalk, die losen Fugen zu verkleben und erklärte mit sachver­ständiger Miene, daß nun die Sache in Ordnung sei. Ich schüttelte wehmüthig das Haupt und zeigte stumm nach den drei verhängnißvollen Stellen; der Meister that dasselbe,blickte mich lange verwundert an" und murmelte mit einer bezeich­nenden Geste:Das war doch früher nicht!" Der Mann hielt mich entschieden für krank.

Und das war ich in der That. Fast schien es, als ob ich an dem O-woIl-Akkorde zu Grunde gehen sollte. Gebrochen wankte ich einher, mein Leben war nur ein Seufzer. Nur das eine war mir klar, daß der Winter ein schlechter Concert- meister sei. Wenn ich der Winter gewesen wäre, mit einem kühnen Sprunge und hätte ich den musikalischen Pegasus durch die Disteln verdeckter Oktaven jagen sollen wäre ich bei ^-cUu- angelangt! Aber der Winter versteht seine Sache schlecht, und so blieben wir noch eine Weile bei der alten Leier. Gottlob!ein jegliches hat seine Zeit" und ehe ich noch völlig demolirt war, zog der Frühling ein und mit ihm ein frisches Wehen aus U-ärm. Der Frühling weht ja, wie meine freundlichen Leser wissen, immer aus U-änr.

Die Fenster auf! Die Herzen auf! Horch, wie es in unserem Stübchen immer leiser und leiser verklingt, noch ein Weilchen und die traurige Winterweise ist auf immer verhallt. Und wie sich der martervolle Akkord in die Frühlingsluft stürzt, um sterbend in ihr zu vergehen, da ziehen festlich und frohlockend andere Töne durch die lichten Fenster in die Mau- sardenstube; die knospende Kastanie rauscht voll und stark den Grundton, die Lüfte klingen in der reinen Terz, und das Herz singt wohlgemutst die schwebende Quinte. Und alle die Vögel, die bunten, kleinen, schmettern das Figurenwerk fröhlich in die Luft. U-ckur! sei mir gegrüßt, du bist mein Retter!

Da saß ich denn vor meinem gesangreichen Blüthner. Mendelssohns wonnevolles Frühlingslied klang heute so bezaubernd, als ob der Lenz die Saiten gefeit hätte. Glück­licher bin ich wohl nie gewesen, und wer mich heute sah, würde den grämlichen Wintermann in mir nicht wieder erkannt haben. Die perlenden Töne verhallten, da faßte meine Frau meine Hand.Höre, lieber Mann, ich hätte wohl eine große Bitte! Darf ich es sagen und wirst Du mir nicht böse werden?"

Schmeichlerin! Wann war ich jemals so bereit, Bitten zu erfüllen?" Und als Antwort auf die Frage repetirte ich den wundervollen Ausgang des Liedes.

Dann laß mich mit dem Kinde zu den Großeltern reisen! Nur auf ein paar Tage! Die alten Leute würden sich so sehr freuen und"

Du möchtest Dich als junge Mutter zeigen und im vollen Glorienscheine bewundern lassen? Nicht?"

Wie schlecht Du bist!" erwiderte sie lächelnd.Aber, nicht wahr, Du läßt mich reisen?"

Ich habe nichts dawider. Von ganzem Herzen gönne ich Dir die Freude, und so reise denn in Gottes Namen!"

Wie gut Du bist!" Und ein strahlender Blick dankte herzlicher, als alle Worte vermögen.

Die guten Frauen! Was sie uns als lauter Güte und Liebe anrechnen, ist zum großen Theile oft, vielleicht meistens, nichts anderes als berechnender Egoismus. Ja, wundert Euch nur und schüttelt die schönen Häupter; es ist wirklich so. Zum Exempel: ich liebe meine Frau gewiß so wie ein rechtschaffener Mann lieben soll, und gewiß wäre ich der letzte, der die Hirn­gespinste der Junggesellenwirthschaft gegen ein trauliches Fa­milienleben eintauschen möchte; aber so ein bischen Ungebun­denheit und ein bischen Freiheit muthen auch mich schmeich­lerisch au. Und so kam es, daß ich sofort mit der größten Bereitwilligkeit auf den Reiseplan meiner Frau einging. Nicht als ob ich der Ansicht wäre, daß die Familie, ein Klotz sei, den man längere oder kürzere Zeit durch das Leben schleppen müsse, nein, durch meinen Kopf sausten nur in dem Augen­blicke tausend übermüthige und verführerische Gedanken, und das machte mir den Entschluß so leicht. Eine Zeit lang und wären es nur ein paar Tage der Sorgen enthoben, der kleinen häuslichen Scherereien, wie sie jeder geordnete Hausstand mit sich bringt, los und ledig zu sein, o, der Ge­danke labte wie firner Wein! Nicht wahr, die Männer sind doch zn schlecht! So etwas auch noch ganz offen zu erklären; es ist entsetzlich.

Vorläufig sollte nun die Sonne der S trohwittwer- schaft noch durch eine Wolke von Fragen, Ein- und Ausreden verdunkelt werden. Wer jemals eine Frau auf Reisen ziehen sah, weiß davon ein Lied zu singen. Mit welchem Zuge am bequemsten zu reisen sei und ob dieser Zug heute wirklich fahre, wo man nmzusteigen und zu expediren habe, wie viel Reichsnickel der Gepäckträger zu beanspruchen und wie viel der Kellner für eine Tasse Kaffee zn fordern habe; das alles, dazu jene famosen Interpellationen, die der Daheim-Kalender zu Nutz und Frommen der reisenden Menschheit beantwortet, und anderes mehr wird mit einer Genauigkeit durchgesprochen, welche den erfahrenen Reisenden zur Verzweiflung bringen kann. An das fröhliche ^.-cknv durfte ich gar nicht denken, wenn ich mich selbst nicht ganz verwirren wollte.

Endlich waren wir damit im Reinen und konnten nun zur Regelung der Gepäckfrage übergehen. Getreu dem Dichter­worte:

Jedoch der schrecklichste der Schrecken,

Das ist ein Haufe von Gepacken -

empfahl ich meiner Frau zur Aufnahme der nothwendigsteu Reiseutensilien meinen kleinen, viel gewanderten Reisekoffer. Da kam ich aber schön an!

Du willst doch nicht, daß ich mit einem Kleide reise?"

Ja, warum denn nicht?"

Niemals hat wohl eine so verständige Frage solche In­dignation hervorgerusen. Mit dem bekannten Worte, daß sich der Mann um Toilettengegenstände niemals kümmern soll, wurde ich abgefertigt. Bei der Kleiderfrage wird, das sehen wir wieder einmal, die sanfteste Taube zur

So thürmte sich denn Kleid auf Kleid, Tuch auf Tuch, Umhang auf Umhang, und wie einst Jeremias auf den Trüm­mern Jerusalems weinend saß, so saß ich jammernd und ge- ängstigt auf diesem Conglomerat zerknitterter Stoffe.

Soll das auch mit?" fragte ich, auf das messingbeschlagene Photographiealbum zeigend.

Natürlich!"