Stechlin.
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Und Pyterke, der immer gut Bescheid weiß, der sagte mir schon damals in Rheinsberg: »Uncke, glauben Sie mir, da hat sich der Herr Major eine Schlange an seinen: Busen groß gezogen/"
„Kann ich mir denken; klingt ganz nach Pyterke. Der spricht immer so gebildet. Aber is es auch richtig?"
„Is schon richtig, Herr Major. Herr Major denken immer das Gute von 'nein Menschen, weil Sie so viel zu Hause sitzen und selber so sind. Aber wer so 'rum kommt wie ich. Alle lügen sie. Was sie meinen, das sagen sie nich, und was sie sagen, das meinen sie nich. Is kein Verlaß mehr; alles .zweideutig'."
„Ja, so rund 'raus, Uncke, das war früher, kiber das geht jetzt nicht mehr. Man darf keinem so alles aus die Nase binden. Das is eben, was sie jetzt »politisches Leben' nennen."
„Ach, Herr Major, das mein' ich ja gar nicht. Das Politische... Jott, wenn einer sich ins Politische zweideutig macht, na, denn muß ich ihn anzeigen, das is Dienst. Darum gräm' ich mich aber nich. Aber was nich Dienst is, was man so bloß noch nebenbei sieht, das kann einen mitunter leid thnn. So bloß als Mensch."
„Aber, lieber Uncke, was is denn eigentlich los? Wenn man Sie so hört, da sollte man ja wahrhaftig glauben, es ginge zu Ende. . . Nn ja, in der Welt draußen da klappt nich immer alles. Aber so im Schoß der Familie..."
„Jott, Herr Major, das is es ja eben. In diesem Schoß der Familie, da is es ja gerad' am schlimmsten. Und sogar in dem jüdischen Schoß, der doch immer noch der beste war."
„Beispiele, Uncke, Beispiele."
„Da haben wir nu hier, um bloß ein Beispiel zu geben, nnsern guten alten Baruch Hirschfeld in Gransee. Frommer alter Jude..."
„Kenn' ich. Kenn' ich ganz gut, beinah' zu gut. Nn, der hat 'neu Sohn und mit dem is er mitunter verschiedner Meinung. Aber dagegen is doch nicht viel zu sagen; das is in der ganzen Welt so. Der Alte hängt noch am Alten und der Junge, nu, der is eben ein Jungscher und bramarbasiert ein bißchen. Ich weiß nicht recht, zu welcher Partei er sich hält, er wird aber wohl für Torgelow gestimmt haben. Nu, inein Gott, warum nicht? Das thnn jetzt viele. Daran muß man sich gewöhnen. Das is eben das Politische."
„Nein, Herr Major. Herr Major wollen ver- zeihn, aber bei diesem Isidor is es nich das Politische. Komme ja jeden dritten Tag hin und seh' den Alten in seinem Laden und höre, was er da redt und redt. Und der Junge redt auch und redt immer »von 's Prinzip'. Das Prinzip is ihm aber egal. Er will bloß mogeln und den Alten an die Wand drücken. Und das ist das, was ich das Zweideutige nenne."
Armgard, Woldemar und Tante Adelheid hatten die Mitte genommen. Als sie bis in die Nähe der Seespitze gekommen waren, immer unter einem ver-
Ueber Land und Meer. Jll. Okt.-Hefte. XIV. 10.
schneiten Buchen- und Eichengange hin, wurden sie durch ein Geräusch wie von brechenden kleinen Aesten aufmerksam gemacht, und ihr Auge nach oben richtend, gewahrten sie, wie zwei Eichhörnchen über ihnen spielten und in beständigem Sich-Haschen von Baum zu Baum sprangen. Die Zweige knickten, und der Schnee stäubte hernieder. Armgard mochte sich von dem Schauspiel nicht trennen, lachte, wenn die momentan verschwundenen Tierchen mit einem Male wieder Zum Vorschein kamen, und gab ihre Beobachtung erst auf, als die Domina, nicht direkt unfreundlich, aber doch ziemlich ungeduldig und jedenfalls wie gelangweilt, zu ihr bemerkte: „Ja, Comtesse, die springen; es find eben Eichhörnchen." Einige Minuten später hatten alle die Bank erreicht, von der aus man den besten Blick auf den zugefrorenen See hatte. Das Eis zeigte sich hoch mit Schnee bedeckt, aber in seiner Mitte war doch schon eine gefegte Stelle, zu der vom Ufer her eine schmale, gleichfalls freigeschaufelte Straße hinüberführte. Engelke legte die Decken über die Bank, und die Damen, die von dem halbstündigen und zuletzt etwas ansteigenden Wege müde geworden waren, nahmen alle drei Platz, während sich Rolf Krake und Uncke wie Schildhalter zu beiden Seiten der Bank ausstellten. Dubslav dagegen plazierte sich in Front und machte, während er einen landläufigen Führerton anschlug, den Cieerone. „Hab' die Ehr', Ihnen hier die große Sehenswürdigkeit von Dorf und Schloß Stechlin zu präsentieren, nnsern See, meinen See, wenn Sie mir das Wort gestatten wollen. Alle möglichen berühmten Naturforscher waren hier und haben sich höchst schmeichelhaft über den See geäußert. Immer hieß es: »es stehe wissenschaftlich fest'. Und das ist jetzt das Höchste. Früher sagte man: »es steht in den Akten'. Ich lasse dabei dahingestellt sein, wovor man sich tiefer verbeugen muß."
„Ja," sagte Melusine, „das ist nun also der große Moment. Orientiert bin ich. Aber wie das mit allem Großen geht, ich empfinde doch auch etwas von Enttäuschung."
„Das ist, weil wir Winter haben, gnädigste Gräfin. Wenn Sie die offne Seefläche vor sich hätten und in der Vorstellung stünden: »jetzt bildet sich der Trichter und jetzt steigt es herauf', so würden Sie mutmaßlich nichts von Enttäuschung empfinden. Aber jetzt! Das Eis macht still und duckt das Revolutionäre. Da kann selbst unser Uncke nichts notieren. Nicht wahr, Uncke?"
Uncke schmunzelte.
„Im übrigen seh' ich zu meiner Freude — und das verdanken wir wieder unserm guten Klnck- huhn, der an alles denkt und alles vorsieht —, daß die Schneeschipper auch ein paar ihrer Pickäxte mitgebracht haben. Ich taxiere das Eis auf nicht dicker als zwei Fuß, und wenn sich die Leute dran machen, so haben wir in zehn Minuten eine große Lnne, und der Hahn, wenn er nur sonst Lust hat, kommt ans seiner Tiefe heraus. Befehlen Frau Gräfin?"
„Um Gottes willen, nein. Ich bin sehr für solche Geschichten und bin glücklich, daß die Familie Stechlin diesen See hat. Aber ich bin zugleich auch
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