18
Aeöer Land und Meer.
abergläubisch und mag kein Eingreifen ins Elementare. Die Natur hat jetzt den See überdeckt; da werd' ich mich also hüten, irgend was ändern zu wollen. Ich würde glauben, eine Hand führe heraus und packte mich."
Adelheid war bei diesen Worten immer gerader und länger geworden und rückte mit Ostentation von Melusine weg, mehr der Banklehne zu, wo, halb wie das gute Gewissen, halb wie die göttliche Weltordnung, Uncke stand und durch seine bloße Gegenwart den Gemütszustand der Domina wieder beschwichtigte. Nur von Zeit zu Zeit sah sie fragend, forschend und vorwurfsvoll auf ihren Bruder.
Dieser wußte genau, was in seiner Schwester Seele vorging. Es erheiterte ihn ungemein, aber es beunruhigte ihn doch auch. Wenn diese Gefühle wuchsen, wohin sollte das führen? Die Möglichkeit einer schrecklichen Scene, die fein Haus mit einer nicht zu tilgenden Blame behaftet hätte, trat dabei vor seine Seele.
Der Himmel hatte aber ein Einsehn. Schon seit einer Viertelstunde lag ein grauer Ton über der Landschaft, und plötzlich fielen Flocken, erst vereinzelte, dann dicht und reichlich. Den Weg bis Globsow fortzusetzen, daran war unter diesem Umständen gar nicht mehr zu denken, und so brach man denn auf, um ins Schloß zurückzukehren. Auch aus einen Besuch in der Kirche, weil es da zu kalt sei, wurde verzichtet.
XXIX.
Der Heimweg war gemeinschaftlich angetreten worden, aber doch nur bis an die Dorfstraße. Hier teilte man sich in drei Gruppen, eine jede mit verschiedenem Ziel: Dubslav, Tante Adelheid und Armgard gingen auf das Herrenhaus, Uncke und Rolf Krake auf das Schulzenamt, Woldemar und Melusine aber auf die Pfarre zu. Woldemar freilich nur „auf Zeit", denn kaum daß er den Vorgarten erreicht hatte, so verabschiedete er sich von Melusine.
Lorenzen hatte bangen Herzens am Fenster gestanden, kam indessen im selben Augenblicke, wo das Paar draußen sich trennte, wieder zu sich. Er war nun schon so lange jeder Damenunterhaltung entwöhnt, daß ihm ein Besuch wie der der Gräfin zunächst nur Verlegenheit schaffen konnte, wenn's denn aber durchaus sein mußte, so war ihm ein Tete- a-Tete mit ihr immer noch lieber, als eine Plauderei zu dritt. Er ging ihr denn auch bis in den Flur entgegen, war ihr beim Ablegen behilflich und sprach ihr — was er konnte, weil er jede Scheu rasch von sich abfallen fühlte — seine Freude aus, sie in seiner Pfarre begrüßen zu dürfen. „Und nun bitt' ich Sie, Frau Gräfin, sich's unter meinen Büchern hier nach Möglichkeit bequem machen zu wollen. Ich bin zwar auch Inhaber einer Putzstube, mit einem dezenten Teppich und einem kalten Ofen; aber ich könnte das gesundheitlich nicht verantworten. Hier haben wir wenigstens eine gute Temperatur."
„Die immer die Hauptsache bleibt. Ach, eine gute Temperatur! Gesellschaftlich ist sie beinah' alles und leider, leider doch so selten. Ich kenne Häuser, wo, wenn Sie den Widersinn verzeihen wollen, der
kalte Ofen gar nicht ausgeht. Aber erlassen Sie mir gütigst den Sofaplatz hier; ich fühle mich dazu noch nicht Me Dame' genug und möcht' auch gern an vus der beiden Bilder bleiben, trotzdem ich das eine davon schon so gut wie kenne."
„Die Kreuzabnahme?"
„Nein, das andre."
„Die Lind also?"
„So haben Sie das schöne Bild in der Natioual- galerie gesehn?"
„Auch das. Aber doch freilich erst seit ganz kurzem, während ich von Ihrer Aquarellkopie schon seit ein paar Monaten weiß. Das war auf einer Dampfschiffahrt, die wir nach dem sogenannten Mer- Häuschen' machten, und der Ausplauderer über das Bild da vor mir war niemand anders als Ihr Zögling Woldemar, auf den Sie stolz sein können. Er freilich würde den Satz umkehren, oder sage ich lieber, er that es. Denn er sprach mit solcher Liebe von Ihnen, daß ich Sie von jenem Tag au auch liebe, was Sie sich schon gefallen lassen müssen. Ein Glück nur, daß er sich draußen verabschiedet hat und nicht hören kann, was ich hier sage..."
Lorenzen lächelte.
„Sonst hätten sich diese Bekenntnisse verboten. Aber da sie nun mal gemacht sind und man nie weiß, wann und wie man wieder zusammeukommt, so lassen Sie mich darin fortfahren. Woldemar erzählte mir — Pardon für meine Indiskretion — von Ihrer Schwärmerei für die Lind. Und da horchten wir denn auf und beneideten Sie fast. Denn nichts beneidenswerter als eine Seele, die schwärmen kann. Schwärmen ist fliegen, eine himmlische Bewegung nach oben."
Lorenzen stutzte. Das war doch mehr, als eine bloß liebenswürdige Dame aus der Gesellschaft.
„Und um es kurz zu machen," fuhr Melusine fort, „Woldemar sprach bei dieser Gelegenheit wie von Ihrer ersten Liebe," und dabei wies sie auf das Bildchen, „so auch von Ihrer letzten, — nein, nein, nicht von Ihrer letzten; Sie werden immer eine neue finden — sprach also von Ihrer Begeisterung für den herrlichen Mann da unten am Tajo, von Ihrer Begeisterung für den Joao de Deus. Und als er ausgesprochen hatte, da haben wir uns alle, die wir zugegen waren, um den ,Un Santo' geschart und einen Bund geschlossen. Um den ,Dn Santo' und um Sie selbst. Und nun frag' ich Sie, wollen Sie mitthun in diesem unserm Bunde, der ohne Sie gar nicht existierte. Mir ist manches verquer gegangen. Aber ich bin, denk' ich, dem Tage nahe, der mich ahnen läßt, daß unsre Prüfungen unsre Segnungen sind und daß mir alles Leid nur kam, um den Stab, der stützt, fester zu umklammern. Ich darf leider nicht hinzusetzen, daß dieser Stab (möglich, daß er sich einst dazu auswächst) das Kreuz sei. Meiner ganzen Natur nach bin ich ungläubig. Aber ich hoffe, sagen zu dürfen: ich bin wenigstens demütig."
„Wenigstens demütig," wiederholte Lorenzen langsam, und Melusine, weil sie die Zweifel, die sich