Heft 
(1897) 10
Seite
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Stechlin.

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in Wiederholung dieser Worte Ziemlich deutlich aussprachen, mit scharfem Ohre heraushörte, fuhr in plötzlich verändertem und beinah' heiterem Tone fort:Ach, wie grausam Sie sind. Aber Sie haben recht. Demütig. Und daß ich mich dessen auch noch berühme. Wer ist demütig? Wir alle sind im letzten doch eigentlich das Gegenteil davon. Aber das darf ich sagen, ich habe den Willen dazu."

Und schon der gilt, Frau Gräfin. Nur freilich ist Demut nicht genug; sie schafft nicht, sie hilft und fördert nicht nach außen, sie belebt kaum."

Und ist doch mindestens der Anfang zum Bessern, weil sie mit dem Egoismus aufräumt. Wer die Staffel hinauf will, niuß eben von unten an dienen. Und soviel bleibt, es birgt sich in ihr die Lösung jeder Frage, die jetzt die Welt bewegt. Demütig sein heißt christlich sein, christlich in meinein Sinne. Demut erschrickt vor dem Zweierlei Blaß. Wer demütig ist, der ist duldsam, weil er weiß, wie sehr er selbst der Duldsamkeit bedarf; wer demütig ist, der sieht die Scheidewände fallen und erblickt den Menschen im Menschen."

Ich kann Ihnen Anstimmen," lächelte Lorenzen. Aber wenn ich, Frau Gräfin, in Ihren Mienen richtig lese, so sind diese Bekenntnisse doch nur Ein­leitung. Sie führen noch andres im Schilde und verbinden mit Ihrer Aussprache, so sonderbar es klingen mag, etwas Spezielles und beinah' Praktisches."

Und ich freue mich, daß Sie das sofort heraus­gefühlt haben. Es ist so. Wir kommen da eben von Ihrem Stechlin her, von Ihrem See, dem Besten, was Sie hier haben. Ich habe mich dagegen ge­wehrt, als das Eis aufgeschlagen werden sollte, denn alles Eingreifen oder auch nur Einblicken in das, was sich verbirgt, erschreckt mich. Ich respek­tiere das Gegebene. Daneben aber freilich auch das Werdende, denn eben dies Werdende wird über kurz oder lang abermals ein Gegebenes sein. Alles Alte, soweit es Anspruch darauf hat, sollen wir lieben, aber für das Neue sollen wir recht eigentlich leben. Und vor allem sollen wir, wie der Stechlin uns lehrt, den großen Zusammenhang der Dinge nie vergessen. Sich abschließen, heißt sich einmauern, und sich einmauern ist Tod. Es dreht sich alles darum, daß wir gerade das beständig gegenwärtig haben. Mein Vertrauen Zu meinem Schwager ist unbegrenzt. Er hat einen edeln Charakter, aber ich weiß nicht, ob er auch einen festen Charakter hat. Er ist feinen Sinnes, und wer fein ist, ist oft be­stimmbar. Er ist auch nicht geistig bedeutend genug, um sich gegen abweichende Meinungen, gegen Jrrtümer und Standesvorurteile wehren zu können. Er bedarf der Stütze. Diese Stütze sind Sie meinem Schwager Woldemar von Jugend auf gewesen. Und um was ich jetzt bitte, das heißt: ,Seien Sie's ferner'."

Daß ich Ihnen sagen konnte, wie freudig ich in Ihren Dienst trete, gnädigste Gräfin. Und ich kann es um so leichter, als Ihre Ideale, wie Sie wissen, auch die meiuigen sind. Ich lebe darin und empfind' cs als eine Gnade, ganz in einem Neuen aufzugehn. Um ein solches, Neues' handelt es sich. Ob ein solches .Neues' sein soll (weil es sein muß)

oder ob es nicht sein soll, um diese Frage dreht sich alles. Es giebt hier um uns her eine große Zahl vorzüglicher Leute, die ganz ernsthaft glauben, das uns Ueberlieferte das Kirchliche voran (leider nicht das Christliche) müsse verteidigt werden, wie der salomonische Tempel. In unsrer Obersphäre herrscht außerdem eine naive Neigung, alles.Preußische' für eine höhere Kulturform Zu halten."

Genau wie Sie sagen. Aber ich möchte doch, um der Gerechtigkeit willen, die Frage stellen dürfen, ob dieser naive Glaube nicht eine gewisse Berechtigung hat?"

Er hatte sie mal. Aber das liegt zurück. Und kann nicht anders sein. Der Hauptgegensatz alles Modernen gegen das Alte besteht darin, daß die Menschen nicht mehr durch ihre Geburt auf den von ihnen einzunehmenden Platz gestellt werden. Sie haben jetzt die Freiheit, ihre Fähigkeiten nach allen Seiten hin und auf jedem Gebiete zu bethätigen. Früher war man dreihundert Jahre lang ein Schloß­herr oder ein Leinenweber; jetzt kann jeder Leinen­weber eines Tages ein Schloßherr sein."

Und beinah' auch umgekehrt," lachte Melusine. Doch lassen wir dies heikle Thema. Viel, viel lieber hör' ich ein Wort von Ihnen über den Wert unsrer Lebens- und Gesellschaftsformen, über unsre Gesamtanschauungsweife, deren Zulässigkeit Sie, wie mir scheint, so nachdrücklich anzweiseln."

Nicht absolut. Wenn ich zweifle, so gelten diese Zweifel nicht so sehr den Dingen selbst, als dem Hochmaß des Glaubens daran. Daß man all diese Mittelmaßdinge für etwas Besonderes und Ueberlegenes und deshalb, wenn's sein kann, für etwas ewig zu Konservierendes anfieht, das ist das Schlimme. Was mal galt, soll weiter gelten, was mal gut war, soll weiter ein Gutes oder Wohl gar ein Bestes sein. Das ist aber unmöglich, auch wenn alles, was keineswegs der Fall ist, einer ge­wissen Herrlichkeitsvorstellung entspräche. . . Wir haben, wenn wir rückblicken, drei große Epochen ge­habt. Dessen sollen wir eingedenk sein. Die vielleicht größte, zugleich die erste, war die unter dem Soldaten- kömg. Das war ein nicht genug Zu preisender Mann, seiner Zeit wunderbar angepaßt und ihr zugleich voraus. Er hat nicht bloß das Königtum stabiliert, er hat auch, was viel wichtiger, die Fundamente für eine neue Zeit geschaffen und an die Stelle von Zerfahrenheit, selbstischer Vielherrschaft und Willkür Ordnung und Gerechtigkeit gesetzt. Ge­rechtigkeit, das war sein bester .roeller äa bronew."

Und dann?"

Und dann kam zweitens Epoche zwei. Die ließ nicht lange mehr auf sich warten und das seiner Natur und seiner Geschichte nach gleich ungeniale Land sah sich mit einem Male von Genie durchblitzt."

Muß das ein Staunen gewesen sein."

Ja. Aber doch mehr draußen in der Welt als daheim. Anstaunen ist auch eine Kunst. Es gehört etwas dazu, Großes als groß zu begreifen .. . Und dann kani die dritte Zeit. Nicht groß und doch auch wieder ganz groß. Da war das arme, elende, halb dem Untergange verfallene Land nicht von