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Ueber Land und Meer.
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vorgeführt. Er rollte mit den Augen, ballte drohend ! die Fäuste, stieß wilde, unartikulierte Laute aus, > kurz, benahm sich genau so, wie man es von einem ! ordentlichen gefangenen Menschenfresser, der in seinen i betten knirscht, erwarten kann. !
Während meine kleine Liese vom Panorama ihr entsetztes Gesichtchen in meine Kleidersalten drückte, l fühlte ich mich plötzlich von meiner Freundin Julia, > ihrer angenehmen Gewohnheit nach, ziemlich heftig i in den Arm gezwickt.
„Allmächtiger, das ist ja Jimmy. Alfreds Jimmy, ^ dieser ,Negerfürst aus dem Innern Afrikas'!"
„Ach, Unsinn, die Schwarzen sehen einander so ähnlich," wollte ich erwidern — da schnitt daS er- schreckte Gesicht des Menschen, der den Namen Jimmy z gehört haben mochte, jeden Zweifel ab. ^
Seine wütend gestikulierenden Hände sanken ! herab, die Augen ruhten sekundenlang erkennend auf ! der Gestalt der Schwester seines früheren Herrn, j der ihn vor einem Jahrzehnt als halbwüchsigen > Jungen vor: einer Reise durch Afrika nach Berlin als Diener mitgenommen hatte.
Aber er faßte sich rasch und besann sich darauf, ^ wer er hier war. Und während er mit greulichem Geheul seine Menschenfrefserrolle wieder aufnahm, wußten wir beide, Julia und ich, genau, daß seine Negerseele in diesem Augenblick eine kleine Zwie- ^ spräche mit sich selbst hielt, die ungefähr so lautete: „Jott nee, muß mir det jnädige Fräulein hier so ^ Wiedersehn!" Denn Jimmy sprach ein geradezu vollendetes Berlinisch. !
„Merken Sie, meine Herrschaften, wie aufgeregt ! er wird? Er sieht, daß ich seine Lieblingsspeise znrechtmache," erklärte der Impresario, indem er einen Blechteller mit allerhand brennendem Zeug ^ ans einem Kohlenbecken füllte und mit einem Eisenstäbchen umrührte, „sehen Sie, wie er sich schon freut! Er kann's gar nicht erwarten. Jawohl, ich komme, ich komme ja schon! Nur immer Geduld! > So, guten Appetit wünsch' ich, königliche Hoheit!" !
Während ein paar Kinder im Zuschanerranm ! den Witz gebührend belachten, stürzte sich der Schwarze ! auf seine „Lieblingsspeise" und verschlang gierig die noch brennenden Stücke.
„Warum habt ihr ihn eigentlich fortgeschickt, den Jimmy?" flüsterte ich Julia zu.
„Weil er zu anspruchsvoll geworden war," sagte sie und entrüstete sich von neuem, wenn sie daran dachte. „Nichts war ihm gut genug, dem Burschen, ^ nicht Alfreds Zigarren, nicht meine schönsten Braten, ^ freilich," setzte sie schadenfroh hinzu, „seine,Lieblings- ! speise' kannte ich damals noch nicht!"
Die Borstellung war beendet, wir traten ins Freie, die beiden kleinen Mädchen an der Hand.
Hier hatte sich das Bild inzwischen verschoben. Ueberall war Licht angezündet worden, Schulmädchen und Gymnasiasten schienen von der Bildfläche verschwunden, und kokette kleine Schneiderinnen, die Musterrolle unterm Arm, die Handschuhe in der Hand schlenkernd, promenierten anf und ab, ließen sich von den Sergeanten den Hof machen oder von den Einjährigen in die Schaubuden führen.
Meermanns weltberühmtes Panorama, vor dem eine abgehetzt anssehende Frau unermüdet das I Publikum zum Eintritt zu bewegen suchte, schmiegte ! sich bescheiden neben das Kasatzsche Schiffskarnssell, das wie ein schimmerndes Juwel sich aus der Reihe ' heraushob. Seine strahlenden elektrischen Lampen, deren Licht ungezählte Prismen zurückstrahlten, ließen den roten Plüsch der Sitze aufglühen und erdrückten . völlig die armseligen Petroleumlampen der Konkurrenz. ^ Ebenso übertönte die herrliche, künstlerisch verzierte ' Orgel mit ihrem brausenden Tönen alles, was in ^ der Nachbarschaft Anspruch anf den Namen Musik ^ erhob. Auch die verfrorenen vier Bläser, welche die ' Kapelle des Casellischen Eirkus bildeten. Und das war ganz gut, denn der Baß ging konsequenter seine eignen Wege, als es für die Gesamtwirknng der vier Instrumente ratsam schien.
Die grauen Qualmschleier der Pechfackeln breiteten sich mitleidig über diese fadenscheinigen Gestalten, die links vom Eingang auf einem Podium standen, über das „gesamte Personal", das, aus Bater, Mutter und vier Kindern zwischen vier und ! dreizehn Jahren bestehend, in vollem Kostüm auf melancholisch aussehenden Gäulen zur Rechten des ^ Eingangs hielt. ^
Signor Caselli, der Herr Direktor, redete heftig gestikulierend in das Publikum hinein, das sich, von dem bunten Aufputz angelockt, massenhaft vor dem Eirkus angesammelt hatte. Alan verstand kann: ein Wort. Seine überschrieene Stimme klang von Minute zu Minute heiserer, die roteil Flecken anf seinen mageren Wangeil vertieften sich zusehends.
Die Direktorin, eine etwas aufgeschwemmte, noch jüngere Frau mit schlecht geschminktem Gesicht — einem Gesicht, das mir eine vage Erinnerung weckte — mein Gott, konnte es möglich sein? Ja, kein Zweifel, es war Betty Elsner!
Eine der drei bildschönen und — tadellos anständigen Schwestern, welche vor etwa fünfzehn Jahren die Schießbude ihres Vaters zu einem Magneten des Jahrmarkts gemacht hatten. Kein junger Lieutenant, kein Fähnrich in unsrer Garnison, der nicht für eine der drei jungen, mit damenhafter Eleganz gekleideten Schönheiten wenigstens eine Zeit lang geschwärmt Hütte. Allerdings nur platonisch, denn der alte Elsner — eine Art Patrizier unter den Artisten — hielt mit eiserner Strenge auf die Reputation seiner Töchter; wie ein bissiger, knurriger Hofhund saß er unermüdlich hinter dem Tisch, und von seiner unbestechlichen Borstigkeit erzählte man sich Anekdoten über Anekdoten.
Wir Schulmädchen konnten stundenlang dastehen und die drei Schießbudendamen anstarren; wir stritten uns, welche die Schönste sei, und in den Gartenlauberomanen, die wir heimlich verschlangen, trug jede Brünette die Züge der Jüngeren, Elvira, jede Blondine sah unfehlbar wie Betty Elsner ans.
Später kam die Elsnersche Schießbude nicht mehr, ich weiß nicht warum; aber man erzählte sich, die eine der Töchter habe „es sehr gut angelegt" und einen wohlhabenden Cirkusbesitzer geheiratet.
Also diese müde, stumpf anssehende Frau in kurzem Röckchen war Betty Elsner!
Eine Gruppe Offiziere schleuderte vorüber.
Jetzt war ich es, die meine Freundin Julia in den Arm kniff.
„Sehen Sie sich mal den dicken Hauptmann dort an."
„Ja -- warum?"
„Und dann schauen Sie, bitte, nach der Frau Direktor anf dem Schimmel."
Sie sah verständnislos von einem znm andern.
„Die beiden schwärmten für einander vor langen Jahren; wenigstens er für sie, das weiß ich genau. Schnlmädels, so um dreizehn herum, haben eine Spürnase für so etwas. Die ganze Stadt wußte, daß er der alten Wittmannschen die Wäsche und seiner Wirtin die Miete schuldig blieb, weil er all sein bißchen Lientenantszulage bei den Elsners verschoß."
Und, wie ich so in Erinnerungen kramte, fiel mir wieder ein, wie ich einmal mit zwei Schulfreundinnen mich durch das Gedränge vor der Schießbude gedrängt hatte. „Verflixtes kleines Krötenzeug!" knirschte ingrimmig der junge Lieutenant, als wir uns mit der Unverfrorenheit neugieriger Backfische einfach neben ihm anfpflanzten, um die schöne Betty anznstarren und zu erlauschen, was die beiden miteinander sprachen.
Was wußte er, welch vielnmstrittenes Thema es seU Tagen in unsrer Klasse war, ob „Er" „Ihr" wohl schon einmal einen Kuß gegeben, ob er den Abschied nehmen würde, um sie zu heiraten, oder ob sie am Ende kurzweg miteinander durchgehen würden nach Helgoland oder Gretna-Green, lind was der alte Elsner, vor dem wir uns alle fürchteten, wohl dazu sagen würde!
Es war aber nichts dergleichen eingetroffen. Heute hatte er eine doppelt so starke Taille als damals, eine reiche Frau, eine hübsche Villa vor den inzwischen gefallenen Festungswerken und eine Eoru- pagnie, deren Chef er war.
Er hatte sie nicht erkannt, seine alte Flamme. Mit vornehmen: Seitenblick war er an den Komödianten vorübergestreift.
Die kleine Alma vom Schiffskarnssell stieß mich an: „Da, da, die Blanka! O wie schön!"
Ja, da war auch die Blanka; im feuerroten Tarlatankleidchen stand das schlanke, dunkeläugige Kind anf seinen: Pony, mit kaltem Blick die Menge musternd. Auf einem noch kleineren Pony saß das Baby der Familie, ein vierjähriges, hellblau gekleidetes
Püppchen mit runden Pausbäckchen und lachendem Gesicht. Ihr wenigstens schien die Sache Spaß zu machen.
Dazwischen tollte ein weiß bemalter Elown umher mit einem eingefallenen völlig humorlosen Gesicht; von Zeit zu Zeit schlug er einen unerwarteten Purzelbaum oder schrie einer: kann: belachter: Witz ins Publikum, sank dann wieder in sich zusammen und wischte sich mechanisch den beißenden Qualm der Pechfackeln aus den Angen.
Immer noch schrie der Direktor in die Menge hinein — vergeblich, kann: einer machte Miene, zur Kasse zu gehen.
Eine schrille Glocke verkündete trotzdem den Beginn der Vorstellung; die Mitwirkender: ritten hinein, die Bläser ließen ihre Instrumente sinken, wischte:: sich die Lippen, schlugen mit den Armen, um sich zu erwärmen, und folgten dann in das Innere. Dann klang ein dünner Galopp durch die Zeltwände.
Der Herr Direktor kam wieder heraus, überfeiner: fleischfarbenen Trieot hatte er einen schäbigen, langschößigen Zivilrock gezogen; es war bitter kalt, Schnee lag in der Luft.
„Meine Herrschaften," — seine arme Stimme versagte fast — „meine verehrten Herrschaften!" Und dann folgte eine Schilderung der unerhörtesten, noch nicht dagewesenen Leistungen, die da drin innerhalb einer Minute vor sich gehen würden.
Zwei kleine Mädchen treten eir: — ohne Entree! Es sind Alma und Lieschen, die sich soeben von uns verabschiedet hatten.
Der Anfang war wenigstens gemacht. Ein Unteroffizier mit seiner Braut folgt: das erste zahlende Publikum. Die Kassiererin braucht wenigstens nicht mehr die Daumen zu drehen.
Dann wieder nichts.
Die Menschenrnauer vor dem Eirkus hatte sich bedenklich gelichtet, seit die kleine anfgeputzte .Kavalkade hinter den: Vorhang verschwunden war.
Man wandte sich einer Nachbarbnde zu, wo inzwischen unter geheimnisvoll sein sollenden Orgcl- tönen eir: junges Mädchen „anf offener Scene" in hypnotischen Schlaf versenkt wurde.
Er kostete nichts. Alles drängte hinüber.
Und der fesche Galopp und die mystisch schleppenden Leierkastenklänge schwammen quälend ineinander, kämpften miteinander um die Oberherrschaft, wie Pechfackeln und Oellaternen sich zu überstrahlen suchten, wie Mankos Vater mit den: Nest seiner Stimme dem Hypnotiseur sein Publikum abzuringen trachtete.
Ein paar westfälische Bauernfrauen in reicher Nationaltraeht, rotröckig, mit schweren, kostbaren Bernsteinketten, waren unter den letzten, die vor dem Eirkus geblieben. Sie sahen alle so satt ans, so satt!
Easelli schoß anf sie zu, faßte eine der Frauen am Aermel und sprach eindringlich auf sie ein, aber mit den: ganzer: Hochmut der wohlhabenden Hofbesitzern: schüttelte sie den Lästigen ab und wandte sich znm Weitergehn.
„Ne, dat hebt wi allens viel beter sehn, düsser: Sommer in Hannover!"
Resigniert trat der Kunstreiter zurück, ich glaubte, einen leisen Fluch von seinen Lippen zu hören.
Er sah wirklich etwas grotesk ans mit dem schlotternden Röckchen über den halbsauberen Tricots!
„Kleinstadtkomik, liebe Julia," sagte ich herbe, „so etwas giebt's ja Wohl in Berlin nicht. Möchten Sie nicht Ihr grünes Notizbuch..."
Sie machte eine abweisende Bewegung; ziemlich schweigsam gingen wir nach Hanse.
An: nächsten Nachmittag waren große Lücken an Stelle von Meermanns weltberühmtem Panorama und den: Easellischen Eirkus. Nur die kreisförmig aufgewühlte Erde verriet, wo letzterer gestanden hatte.
Lin welker Rrcmz.
ie hing es stolz an Zweig und Ast, Das saftgeschwellte, grüne Laub! Jetzt schüttelt es wie eine Last Der Lauin hinunter in den Staub.
Da saßt's der wind und trägt's im Tanz Den kahlen lhang hinaus, hinab