Heft 
(1898) 04
Seite
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Ucöer (Land und Neer.

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ihre volle Entwicklung zu einer großen und neuen Industrie.*)

Am 17. Januar 1867 legte Werner Siemens der Berliner Akademie der Wissenschaften diese Entdeckung vor und wies an der von ihm konstruierten Dynamomaschine nach, daß durch die nach ihrem Prinzip ersonnene Erzeugung elektrischer Kraft ohne Vermittlung permanenter Magnete die Technik ein Mittel erworben hätte, elektrische Ströme jeder ge­wünschten Spannung und Stärke hervorzubringen. Es mag hier erwähnt werden, daß allerdings die oben bereits erwähnte Entdeckung der elektrischen Induktion den Ge­danken nahegelegt hatte, den elektrischen Strom zur Er­zeugung von Arbeitskraft zu benutzen. Ja, es gelang sogar schon 1838 dem in St. Petersburg lebenden deutschen Physiker Jakobi, vermittels eines elektromagnetischen Motors ein Boot auf der Newa in Bewegung zu setzen. Aber sowohl dieser wie andre ähnliche Versuche, den durch galvanische Batterien erzeugten Strom zur Kraftübertragung zu benutzen, konnte nur ein geringes praktisches Ergebnis haben. Sie scheiterten an der zu geringen Stärke des Stromes und an den bedeutenden Kosten, die größere An­lagen verursacht hätten. Erst durch die Anwendung des dynamo-elektrischen Prinzips war die Möglichkeit gegeben, den elektrischen Strom als Betriebskraft zur elektrischen Beleuchtung und zur Kraftübertragung zu verwenden. Seine Entdeckung aber hat den Ruhm der genialen Erfinder und des von Werner Siemens begründeten Welthauses Siemens L Halske, das in diesen Tagen den fünfzigsten Jahrestag feiner Begründung feierte, über die ganze Welt getragen.

Am 13. Dezember 1816 zu Lenthe in Hannover ge­boren, bekundete Werner Siemens schon als junger Gym­nasiast eine ganz besondere Vorliebe für Mathematik und Naturwissenschaften. Seinen Wunsch, die Berliner Bau-Akademie zu beziehen, gestattete die Vermögenslage der Eltern nicht, deshalb entschloß er sich, Artillerie-Offizier zu werden. Durch den Besuch der Artillerie- und Ingenieurschule hoffte er, weitere Gelegenheit zum Studium feiner Lieblingswissenschaften zu finden. In dieser Hoffnung sollte er sich nicht täuschen. Er fand hier hinreichend Zeit und Gelegenheit , sich wissenschaftlich - technischen Studien hinzugeben, und bereits im Jahre 1842 trat er mit einer Erfindung hervor, die damals großes Aufsehen erregte: die gal­vanische Vergoldung und Versilberung. Dieses Ereignis bedeutete bereits einen entschiedenen Wendepunkt in Bezug auf die Gestaltung seiner zukünftigen Lebensrichtung. Werner Siemens wurde vom praktischen Militärdienst enthoben und zur Dienstleistung bei der Berliner Ar­tilleriewerkstatt kommandiert. Sein sehnlichster Wunsch war damit erfüllt. Durch den Besuch der Vorlesungen an der Berliner Universität war er in Stand gesetzt, seine wissenschaft­lichen Kenntnisse zu vervollständigen, während seine eifrige Beteiligung an den Verhand­lungen der polytechnischen und physikalischen Gesellschaft seine technische Richtung besonders förderte. In dieser Zeit festigte sich in ihm mehr und mehr die Ueberzeugung,daß naturwissenschaftliche Kenntnisse und wissen­schaftliche Forschungsmethode berufen wären, die Technik zu einer noch nicht Zu übersehenden Leistungsfähigkeit zu ent­wickeln". Bald sollte ihm auch die Gelegenheit werden, diese seine Erkenntnis praktisch zu erproben.

Der preußische Generalstab ließ damals Versuche an­stellen über die Frage der Ersetzbarkeit der optischen Tele­graphie durch elektrische. Siemens, der sich an diesen Versuchen beteiligte, entdeckte an einem ihm vorliegenden Modell eines Wheatstoneschen Zeigertelegraphen alsbald die Mängel im Konstruktionsprinzip des Apparates und kon­struierte nach seinen Ideen einen Zeigertelegraphen mit Selbstunterbrechung. Mit der technischen Ausführung be­traute er den Mechaniker I. G. Halske, mit dem er in der physikalischen Gesellschaft bekannt geworden war. Als er hierauf zum Mitglieds der Kommission des Generalstabs für elektrische Telegraphie ernannt worden, überraschte er durch eine neue Schöpfung, die von seinem Genie wiederum glänzendes Zeugnis ablegte. Es war die Entdeckung der damals auf dem Weltmärkte neu Angeführten Guttapercha als Isolation für unterirdische Leitungen. Er konstruierte eine Schraubenpresse, durch die die erwärmte Guttapercha unter Anwendung hohen Druckes ohne Naht um den Kupferdraht gepreßt wurde, und nun erhielt er 1847 den Auftrag, mit seinen isolierten Drähten die erste unter­irdische' Telegrapheulinie von Berlin nach Großbeeren an­zulegen. Hierbei bewährte sich sein System derart, daß

die Frage als in glücklichster Weise gelöst betrachtet werden konnte. Heute noch werden die unterirdischen sowohl als die submarinen Kabel fast ausnahmslos in derselben Weise isoliert.

Werner Siemens' Entschluß, sich ganz der Entwicklung des Telegraphenwesens zu widmen, stand nunmehr fest. Am 12. Oktober 1847 begründete er in Gemeinschaft mit dem oben genannten Mechaniker Halske in einem Hinter­hause der Schönebergerstraße in Berlin die eigne Werkstätte, aus der bald das Weltetablissement Siemens L Halske hervorgehen sollte. Das junge Unternehmen blühte rasch aus und entwickelte sich in kurzer Zeit, dank dem Schöpfer- geuie Werner Siemens', das ihn befähigte, auf dein da­mals noch wenig erforschten Gebiete der elektrischen Tele­graphie stets Neues zu ersinnen, schon Vorhandenes aber in erfolgreicher Weise zu verbessern, zu einer bedeutenden Fabrik. Die geschickte Hand Halskes und dessen verständnis­volles Eingehen auf die genialen Theorien des erfindungs­reichen Freundes leisteten hierbei wesentliche Dienste. In­zwischen war Werner Siemens der Bau der ersten großen europäischen Telegraphenlinie Berlin-Frankfurt a. M. und bald darauf derjenige der Linie Berlin-Köln-Verviers über­tragen worden, bei welch letzterer zum erstenmal eine Fluß­kabellegung durch die Elbe und den Rhein mit bestein Erfolg durchgeführt wurde. Nunmehr dehnten sich die Geschäftsverbindungen der Firma weit über Deutschlands Grenzen aus. Die umfangreichen Aufträge zur Lieferung elektrischer Apparate und zur Legung verschiedener Tele- grapheulinien, die der Firma seitens der russischen Regie­rung erteilt wurden, machten die Errichtung einer Zweig­niederlassung in St. Petersburg erforderlich, während gleichzeitig unter der Leitung von Werners genialem

Ü"Rand, daß die Siemens eine Familie von erfinderischen Genres mlden, macht es schwer, stets genau den Anteil an den einzelnen festzustellen, die wir den vier begabten Brüdern Werner, Wilhelm, Karl und Friedrich verdanken. Sie haben einträchtig zu­sammengewirkt, der von dem einen angeregte Gedanke wurde gewöhnlich von einem andern ausgenommen und weiterentwickelt, und so ist es kaum möglich, zedem einzelnen das auf seinen Teil an der gemeinsamen Arbeit entfallende Verdienst zuzuweisen. Es hält das um so schwerer, als jeder der Bruder geneigt war, eine erfolgreiche Erfindung eher als das Verdienst eines seiner Mitarbeiter als sein eignes hinzustellen.

Bruder, Wilhelm Siemeus, der uach Euglaud aus­gewandert war, eine Vertretung in London eingerichtet wurde, die später unter der Firma Siemens Brothers L Cie. zu großer Bedeutung gelaugte. Hatte durch ihre bisherigen Arbeiten die Firma Siemens L Halske schon großen Ein­fluß auf die Entwicklung des Telegraphemvesens ausgeübt, so trat nun eine Periode ein, die wohl eines der inter­essantesten Kapitel in der Geschichte der Elektrotechnik bildet: die der Tiefsee-Kabellegungeu. Den Anfang machte die von der russischen Regierung in Auftrag gegebene Krou- stadter Linie, durch die zugleich die erste brauchbare und dauernd betriebsfähige submarine Kabellinie hergestellt wurde. Von da an traten namentlich an das Londoner Haus eine Reihe von Aufgaben heran, deren erfolg­reiche Durchführung nur der eisernen Energie der beiden Brüder Siemens möglich war. Es begann mit der Liefe­rung der elektrischen Einrichtungen für die Linie zwischen Cagliari und Bona in Algerien und dem Auftrag, die elektrischen Prüfungen bei und uach der Legung zu über­nehmen : die Aera der submarinen Kabel, die den Brüdern Siemens wiederum reichliche Gelegenheit verschaffte, glän­zende Proben ihrer alles überwindenden Begabung ab- zulegeu, den Ruhm der Firma Siemens L Halske aber bis in die fernsten Weltteile trug. Der uns zur Verfügung stehende Raum gestattet leider ein längeres Verweilen bei diesem Kapitel nicht. Wir müssen uns auf die Erwähnung der Thatsache beschränken, daß das Londoner Haus bald die Ausführung großer Kabelanlageu selbst übernahm und damit den bereits entstandenen Kabelring, der die submarine Telegraphie zu monopolisieren gedachte, durchbrach. Durch Werner Siemens aber wurde die Technik um weitere zwei für die submarine Telegraphie hochwichtige Erfindungen bereichert: den Jnduktionsschreibtelegraphen und den elektri­schen Kondensator, dem es allein zuzuschreiben ist, daß die

elektrische Kraft auf der langen atlantischen Linie schnell und sicher wirkt. Werner Siemens wurde 1860 in An­erkennung seiner hervorragenden Leistungen von der Ber­liner Universität Zum Doktor ftonoris eausu promoviert, vierzehn Jahre später von der Akademie der Wissenschaften znm ordentlichen Mitglied erwählt.

Mächtig entfaltete sich die Firma, als nach der Er­findung des dynamo-elektrischen Prinzips das eigentliche Zeitalter der Elektrieität begann. Gerade in jener Zeit aber zog sich Halske in das Privatleben zurück, und Werner Siemens übernahm die Fabrik auf alleinige Rech­nung. Die neuesten Errungenschaften der elektrotechnischen Wissenschaft: die Einführung des elektrischen Lichtes, die in ihrer heute erreichten Vollkommenheit erst durch die Lösung des Problems der Teilbarkeit des elektrischen Licht­bogens durch den ehemaligen Oberingenienr der Firma Siemens L Halske, v. Hefn er-Alteneck, ermöglicht wurde, die elektrischen Bahnen, die der Begründer des Hauses im Jahre 1879 bei Gelegenheit der Berliner Gewerbe-Ausstel­lung zum erstenmal vorführte, diese und zahlreiche andre Erfindungen der letzten Jahrzehnte, die eine vollständige Umwälzung des Verkehrswesens herbeizuführeu berufen sind, und deren Einfluß auf die Gestaltung unsrer sozialen Ver­hältnisse unverkennbar zu Tage tritt, sind in der Geschichte unsrer Zeit unvergänglich eingetragen. Auf allen Gebieten der Elektrotechnik ist aber die Firma Siemens L Halske stets bahnbrechend vorangeschritten. Ihr und ihrem genialen Begründer verdankt Deutschland die führende Stellung, die ihm in dieser großen Zeit wissenschaftlich-technischen Fort­schrittes zugefallen ist.

vr. Werner v. Siemens, der bei der Thronbesteigung Kaiser Friedrichs durch Verleihung des erblichen Adels geehrt wurde, schloß die Augen am 6. De­zember 1892. Seine Werke haben dem Namen Siemeus die Unsterblichkeit verliehen; über den vielverzweigteu Werkstätten seiner Firma in Berlin und Charlottenburg, in denen viele Tausend Hände und Hunderte von Maschinen beschäftigt sind, ist der Geist ihres unvergeß­lichen Begründers ausgebreitct und wirkt fort und fort segeubringend auf die Weiterentwick­lung des zu Riesengröße emporgewachseneu Unternehmens und auf die Werke seiner Nach­folger. _vi-. N. Förster.

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''Mn Glücksburg war es, bei dem vor mehreren -N- Jahren veranstalteten Festmahl der Stände der Provinz Schleswig-Holstein, daß aus einen Triuksprnch des Landtagsmarschalls der Kaiser­in tief empfundenen Worten seiner Gemahlin gedachte und mit erhobener Stimme sie, die au seiner Seite saß, pries:Das Band, das mich mit dieser Provinz verbindet und dieselbe vor allen andern Provinzen meines Reiches au mich kettet, das ist der Edelstein, der an meiner Seite glänzt, Ihre Majestät die Kaiserin. Dem hiesigen Lande entsprossen, das Sinnbild sämtlicher Tugenden einer germanischen Fürstin, danke ich es ihr, wenn ich im stände bin, die schweren Pflichten meines Berufes mit dem freudigen Geiste zu führen und ihnen obzuliegen, wie ich es vermag." Aus tiefstem Herzen gesprochen, weckten diese Worte in allen deutschen Herzen den wärmsten Wiederhall, denn die Kaiserin Auguste Viktoria hat es verstanden, sich überall Liebe und Verehrung zu erwerben, und man be­trachtet sie als die Verkörperung der Tugenden einer echten deutschen Frau. Liebenswürdige Schlichtheit, mit anmutender Würde gepaart, innige Güte zu hoch und gering, zu alt und jung, aufrichtiges Mitgefühl mit den Sorgen und Leiden der Bedrängten, reger Sinn für alles Schöne und Edle und die Ueberzeugung, daß die Kraft des deutschen Volkes im echten und rechten deutschen Familienleben wurzele, das tritt uns wohlthuend im Charakter der Kaiserin ent­gegen. Wir können sie uns kaum vorstelleu ohne die freundliche Sorgfalt für die Ihren, für den Gemahl und die Kinder, ohne sördersames Thun und anregendes Han­deln, ohne den Rahmen eines großen und segeubriugeudeu Wirkungskreises; gern, dessen sind wir überzeugt, vermißt sie den äußeren Glanz ihrer hohen Stellung, und sie, die liebevolle Gattin und zärtliche Mutter, hat nie den Ehrgeiz gehabt, in irgend einer Weise sich in die Politik zu mischen; im stillen will sie Segen stiften und ist bestrebt, dem ganzen Volke ein leuchtendes Vorbild zu sein.

Das schönste Vorbild hatte die Kaiserin von frühester Jugend an durch ihr edles Elternpaar, den Herzog Friedrich von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augusteuburg und dessen Gemahlin, die Prinzessin Adelheid von Hohen- lohe-Langeuburg. Beide waren sich in zärtlicher Liebe zu- gethan und fanden ihr höchstes Glück in der hingehenden Erziehung ihrer Kinder, vier Töchter, von denen die Kaiserin die älteste ist und eines Sohnes, des jetzigen