Heft 
(1898) 04
Seite
71
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Ueber ^and und Meer.

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Ihr Zimmer?" fragte die Spatz.

Ich schlafe hier."

Wir traten in ein Prnnkgemach, dem nichts als der Teppich fehlte, um einer Fürstin als Boudoir dienen zu können. Nur wertvolle Möbel, mittel­alterliche italienische Intarsia oder Holzschnitzerei. Ein Ueberfluß an wertvollen venetianischen Spiegeln. Damastportieren, die in dem Palast eines Dogen geprunkt haben mochten. Das Himmelbett Renaissance-, der Schreibtisch reinster Empirestil. Die Schreib­garnitur aus Malachit. Der Fußboden kahl. Dagegen an den Wänden echte, alte persische und marokkanische Teppiche, umrahmt von allerhand kostbaren Dekorationsgeräten. Dennoch hatte das Gemach etwas Kaltes, Unwohnliches. In der Ecke war ein einfaches Kleiderregal und eine sehr primitiv verhüllte, einfache Waschtoilette. Auch be­merkte ich ein mit grauem Kattun verhangenes Möbel, das aussah wie eine zusammengeklappte eiserne Bettstatt. Am Fenster stand ein großer, schmuckloser Vogelbauer, darin ein Arra seine Turn­übungen machte. Der Vogel gab dabei merkwürdige Töne von sich, die an halbersticktes Schluchzen er­innerten und hin und wieder durch einen lauteren Aufschrei unterbrochen wurden. Auch gurgelte er dazwischen keifend unverständliche Worte, aus denen ich allmählich herausverstand: Ist der Levison nicht ein reicher Mann? Wirst du? wirst du? (ein Aufschrei.) Gleich sag ja Du bist e Chammer! (wieder ein Aufschrei.) Kröte!

Die Spatz, die mit offenen Augen und Mund die Kostbarkeiten in: Zimmer bestaunte und befühlte, drehte sich plötzlich nervös herum.

Das ist ja ein unausstehlicher Papagei!" stieß sie aus.Dem würd' ich den Hals umdrehen! Man könnte meinen, hinter einem würd' einer ge- mißhandelt!"

Kröte!" schrie der Papagei wieder.

Sie hatte die letzten Worte lachend, wie im Scherz gesprochen, denn Glasphyra, die inzwischen das Haus so fest verriegelt hatte, als ob ganz Nempen nur von Dieben und Räubern bevölkert wäre, kam herein.

Ich fürchte, meine Tante wird den Flügel vor­dem Konzert nicht aufschließen lassen. Sie ist sehr eigen in allem, was ihr gehört," sagte sie halb entschuldigend.

Gerechte Güte, versteht sie denn gar nichts von Musik?"

Meine Tante?" In der gedehnten Wieder­holung lag eine Verneinung voll Schmerz, Hohn und Geringschätzung.

Wozu hat sie denn aber den Flügel?"

Zum Staat," versetzte Glasphyra einfach. Sie selber schien es ganz selbstverständlich zu finden, daß man Klaviere wie die Pfauen und Affenpinscher zum Staat hält.

Nur zum Staat?" echote die Spatz, halb be­täubt von dieser vandalischen Auffassung.

Vielleicht kann sie ihn auch mal mit Vorteil verkaufen."

Weeß Kneppchen! Lassen Sie nur die Motten 'rein kommen, dann ist der Flügel so ziemlich futsch. Hat er denn einen schönen Ton?"

Ich weiß es nicht."

Was?!"

Ich darf nicht darauf spielen."

Nu brat mir einer 'n Storch! Warum denn nicht?"

Ich könnte ihn verderben."

Spielen Sie gut?"

Ich habe nur drei Jahre Unterricht gehabt."

Bei wem denn?"

Glasphyra zögerte einen Moment.

Bei Herrn Stenscewicz," sagte sie dann hastig.

Sofort fiel mir das Gespräch der Alten auf dem Hofe ein.

Kenn' ich nicht. Hier in Nempen?"

In Warschau."

Ah so . . ." machte die Spatz gedehnt, und die Schuppen sanken ihr förmlich sichtbar von den Augen. Ihr Ton, ihr Blick, ihre Miene sagten deutlich, daß sie mit einem Male Bescheid wußte zum mindesten Bescheid ahnte.

Glasphyra that gleichgültig. Aber die Spatz ließ nicht locker.

Das ist wohl ein berühmter Künstler?"

Ja."

Und ein interessanter Mensch?"

Sie zuckte mit keiner Wimper.Ich kenne ihn nicht näher."

Der Papagei überschlug sich im Käfig.Wirst du den Levison nehmen!" schrie er zornig.

Das ist wohl ein kluges Tier?" fragte die Spatz in einem Ton, der deutlich verriet, daß sie den Vogel gräßlich fand.

(Fortsetzung folgt.)

Der Untergang des Torpedobootes 8 26.

^Uereits in voriger Nummer haben wir den schweren Unfall erwähnt, von dem durch den Untergang des Torpedobootes 8 26 die deutsche Kriegsflotte betroffen worden ist. Heute nun veranschaulichen wir nach der Skizze eines Augenzeugen die Katastrophe vom 22. September und fügen daran eine Erklärung aus sachverständiger Feder.

Um die Zeit, als die Katastrophe eintrat, hatte der Wind etwas abgeflnut, erst am Nachmittag und gegen die Nacht hin nahm der Sturm wieder an Stärke zu. Dem entsprechend waren die Seen auch keineswegs von der Höhe wie vorher und nachher. Dies muß besonders betont werden, da im Publikum die Annahme verbreitet ist, daß eine himmelhohe See das Boot zum Kentern gebracht habe, und daß die Seetüchtigkeit der Torpedoboote in Zweifel stehe. Dies ist aber in Wirklichkeit nicht der Fall, denn von den genauen Kennern der Elbmündung wird nicht einmal die Wirkung einer Grundsee angenommen, das heißt solcher Seen, die, auf flacherem Wasser sich stellend, eine ungewöhnliche Höhe erreichen und an den Mündungen unsrer Flüsse oft eine schwere Gefahr für die Schiffe bilden. Der Vorgang ist nach Zusammenstellung aller bekannten Einzelheiten in folgender Weise zu erklären. Der Ort der Katastrophe befindet sich ungefähr in der Mitte der beiden vor und an der Elbmündung liegenden FeuerschiffeBürge­meister Kirchenpaur" undKaspar". Um die Zeit, als die Torpedodivision hier passierte, lief Ebbestrom, und wenn nun, wie dies an jenem Tage der Fall war, die See in die Elbe hineinsteht, so bilden sich beim Zusammentreffen der beiden Strömungen steile Seen, die für kleinere Fahr­zeuge lästig und unter Umständen auch gefährlich werden. Bei schweren Seen, die von hinten auflaufen, wird von seiten der Torpedoboote immer mit gemäßigter Fahrt ge­gangen, da es sonst geschehen kann, daß der Vordersteven nach vorn ins Wasser gedrückt und der Achtersteven von der nachfolgenden See quer geschlagen wird, wobei die Ge­fahr des Kenterns naherückt. Der Divisionschef, der als ein sehr vorsichtiger Offizier bekannt ist, ging erwiesener­maßen nur mit zehn Knoten Fahrt, eine für Torpedoboote sehr mäßige Geschwindigkeit. Der Herzog Friedrich Wil­helm von Mecklenburg-Schwerin soll nun, da er etwas zurückgeblieben war, behufs engeren Anschlusses an die Division momentan ein wenig schneller gelaufen sein, was er bei der mäßigen Höhe der Seen auch thnn konnte. Voraussichtlich geriet er aber dabei zwischen einige jener steilen Seen, der Steven wurde von der ersten See hin­untergedrückt und der vordere Raum des Schiffes durch eiue von hinten überbrechende und in den vorderen Raum eindringende See mit Wasser gefüllt. Wie heldenmütig der junge Herzog und die andern Mannschaften in den Tod gegangen, ist durch die Berichte der Tageszeitungen bekannt. L.

Lenrietie Ler>

(Zin (KeöenkbtaLL zum 22. Tkkober.

KMit Julie Recamier, in deren Hause die Notabilitäten Frankreichs sich sammelten, hat man die geistreiche und liebenswürdige Frau verglichen, die vor fünfzig Jahren aus dem Leben schied, und der Vergleich trifft einigermaßen zu, denn was um die Wende des Jahrhunderts Berlin an Leuchten der Wissenschaft und Litteratur besaß, es fand seinen Vereinigungspunkt im Salon der Madame Herz. Freilich bestand ein großer Unterschied, denn in ihrem Hause wurde keine Politik getrieben, keine Jntrigue angezettelt, sondern ein rein ideales Interesse vereinigte die Hausfrau und ihre Freunde. Henriette Herz, am 5. September 1764 geboren, war die älteste Tochter des vr. Benjamin de Lemos, eines jüdischen Arztes von portugiesischer Abkunft, der sich 1735 in Berlin niedergelassen hatte und bald darauf zum Vorsteher desLazarettes der Judenschaft" erwählt worden war. Schon als Kind erregte sie durch ihre ungewöhnliche Schönheit und Klugheit Aufsehen, und noch nicht dreizehn Jahre alt, fand sie bereits Bewerber, aus deren Reihe die Eltern den siebenundzwanzigjährigen vr. Marcus Herz auswählten. Der Bräutigam galt als ein tüchtiger Arzt und auch als ein bedeutender Philosoph, aber er war kränklich und unansehnlich. Trotzdem dachte die kleine Henriette nicht an Widerspruch, ja sie empfand eine kind­liche Freude an dem Gedanken, Braut zu sein, nnd malte

sich das Glück der Ehe dahin aus, daß sie künftig schönere Kleider tragen und über mehr Taschengeld verfügen werde als bisher. Wegen des jugendlichen Alters der Braut wurde die Hochzeit dritthalb Jahre verschoben und fand erst im September 1779 statt.

Obwohl unter so ungleichen Verhältnissen geschlossen, war die Ehe nicht unglücklich. Henriette schätzte ihren klugen Gatten, unter dessen Leitung sie sich zu einer der gelehrtesten Frauen ausbildete. Tief drang sie in das Wesen der Naturwissenschaft und in die Kunstgeschichte ein, eifrig trieb sie auch Sprachstudien und beherrschte bald die Mehrheit der europäischen Sprachen. Der Haushalt ge­staltete sich bei den reichen Einnahmen des Gatten glänzend. Marcus Herz gewann eine große Praxis, wurde Waldeckscher Hofrat und Leibarzt, und die Berliner Sozietät der Wissen­schaften ernannte ihn zum Professor der Philosophie. Zu seinen Vorlesungen, die sehr zahlreich besucht wurden, ließ er auch Frauen zu, wirkte also bahnbrechend in einer Be­wegung, die noch heute nicht zum Abschluß gelangt ist. Die bedeutendsten Männer Berlins standen bald in ver­trautem Verkehr mit dem gastfreien Herzschen Hause. Nur die bekanntesten seien hier hervorgehoben: der Dichter

Ramler, der Freund Lessings; Professor Engel (Verfasser desFürstenspiegel" und des RomansLorenz Stark"); die Brüder August Wilhelm und Friedrich v. Schlegel; die Tonmeister Zelter (Goethes Freund) und Reichardt; Schleiermacher, der berühmte Kanzelredner; Friedrich Gentz, der vielgewandte Publizist; Karl Philipp Moritz, der geniale Querkopf, den seine unerwiderte Liebe zu Henriette ganz aus dem Geleise brachte; Tiedge, der Dichter derUrania", der im Gefolge Elisas v. d. Recke erschien. Um weiter bei den Frauen zu bleiben, nennen wir von den Freun­dinnen des Herzschen Hauses: Rahel, die später Varn- hagens Gattin wurde, und Dorothea Mendelssohn, die Tochter des Philosophen und Gattin Friedrichs v. Schlegel. Auch die jungen Gebrüder Humboldt waren in diesem Kreise bedeutender Männer und Frauen wohl gelitten, und wie Mirabeau bei seinem Berliner Aufenthalt, 1787, nicht ver­säumte, sich in den Herzschen Salon einführen zu lassen, so war später der geniale Prinz Louis Ferdinand, der 1806 den Heldentod bei Saalfeld fand, ein häufiger Gast. Auch bei der Königin Luise stand die geistreiche Frau in Gunst.

So bildete das Herzsche Haus den Mittelpunkt des geistigen Lebens in Berlin, und Henriette durfte mit Recht stolz sein auf den Kreis auserlesener Geister, von dem sie sich umgeben sah. Allerdings fehlte es in dieser Harmonie gelegentlich nicht an Mißklängen, und zu einem solchen gab der Hausherr selbst Anlaß. Marcus Herz war ein ent­schiedener Gegner der neu eingeführten Impfung mit Kuh­lymphe und kämpfte in Wort und Schrift gegen denwilden Versuch der Bekuhung". Indessen war der Segen der Jennerschen Erfindung von der großen Mehrheit der deutschen Aerzte anerkannt worden, und so hatte der Verfasser eines an denGenius der Kuhpocken" gerichteten Versehens die Lacher auf seiner Seite:

Gegen Ende des Jahres 1802 erhielt die Familie Herz einen neuen Hausgenossen in einem siebzehnjährigen Jüngling Namens Louis Baruch, der in Berlin Medizin studieren wollte. Die preußische Hauptstadt besaß damals zwar noch keine Universität, aber doch treffliche medizinische Institute und Kliniken, aus denen schon bedeutende Aerzte hervorgegangen waren. Damit der Jüngling einen Anhalt habe, wurde er auf Bitten des Vaters, eines Vanquiers zu Frankfurt a. M., in das Herzsche Haus ausgenommen. Nur wenige Monate weilte hier der schüchterne junge Mensch, da starb Marcns Herz (20. Januar 1803), und die Schick­lichkeit schien es nun zu fordern, daß Louis Baruch das Haus verließ, denn wenn Henriette auch bereits achtunddreißig Jahre zählte, so strahlte sie doch noch in voller Schönheit, und der Übeln Nachrede war vorzubeugen. Der junge Student bat indessen so inständig, im Hause bleiben zu dürfen, daß Henriette zustimmte, zumal sie sich überlegte, daß sie ja die Mutter ihres Pensionärs sein könne. Da plötzlich machte sie die Entdeckung, daß der junge Mann, der ihr gegenüber niemals den Respekt außer Augen ge­lassen, sich in heimlicher Liebe zu ihr verzehrte und, da er ein Geständnis nicht wagte und auf Gegenliebe nicht hoffte, einen Selbstmord plante. Natürlich mußte nun der Pen­sionär aus dem Hause und auch fort vou Berlin, aber recht ernst hatte die reife Frau die Schwärmerei des Jüng­lings doch nicht genommen, bis sie durch die ihr über­mittelten Tagebuchblätter überzeugt wurde, wie tief seine Neigung gegangen war und wie nahe er vor einem ver­zweifelten Schritt gestanden hatte. Durch die weiteren Jahre blieb Henriette Herz ihrem jugendlichen Anbeter eine mütterliche Freundin und Beraterin, und an dem literari­schen Ruhme Ludwig Börnes so hatte der ehe­malige Student seinen Namen geändert nahm sie leb­haften Anteil. Länger als zehn Jahre überlebte sie den Freund, der ihretwillen beinahe eine Wertherrolle gespielt hätte, und die Diskretion über dieses Verhältnis beobachtete sie bis ans Ende. Erst nach ihrem Tode wurden die an