Ueber Land und Weer.
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unterschlagen. Aber dies Unterschlagen hat doch auch wieder sein Verzeihliches. Wir thun jetzt so vieles, was wir, nach einer alten Anschauung, eigentlich nicht thun sollten, weil es nicht recht mehr für uns paßt. Es ist nicht passend, auf einem Pferdebahnperron zu stehen, zwischen einem Schaffner und einer Kiepenfrau, und es ist noch weniger paffend, in einem Fünszigpfennigbazar allerhand Einkäufe zu machen und an der sich dabei anfdrängenden Frage: ,Wodurch ermöglichen Sie diese Preises still vorbeizugehen. Unser Freund in Spindlersfelde da drüben degradiert uns vielleicht auch durch das, was er für uns thnt. Armgard, wie denken Sie darüber?"
„Ganz wie Sie, Baronin."
„Und Melusine?"
Diese gab kopfschüttelnd die Frage weiter und drang daraus, daß die beiden älteren Herren, die mittlerweile herangekommen waren, den Ausschlag geben sollten. Aber der alte Gras wollte davon nichts wissen. „Das sind Doktorfragen. Auf derlei Dinge lass ich mich nicht ein. Ich schlage vor, wir machen lieber Kehrt und suchen uns im ,Eier- häuschew einen hübschen Platz, von dem aus wir das Leben aus dem Fluß beobachten und hoffentlich auch den Sonnenuntergang gut sehen können."
Ziemlich um dieselbe Stunde, wo die Barbyschen und Berchtesgadenschen Herrschaften ihren Spaziergang auf Spindlersfelde zu machten, erschien unser Freund Mr. Robinson, von seinem Stallgebäude her, in Front der Lennsstraße, sah erst gewohnheitsmäßig nach dem Wetter und ging dann quer durch den Tiergarten auf das Kronprinzenufer zu, wo die Jmmes ihn bereits erwarteten.
Frau Imme, die, wie die meisten kinderlosen Frauen (und Frauen mit Sappeurbartmännern sind fast immer kinderlos), einen großen Wirtschaft- und Sauberkeitssinn hatte, hatte zu Mr. Robinsons Empfang alles in die schönste Ordnung gebracht, um so mehr, als sie wußte, daß ihr Gast, als ein verwöhnter Engländer, immer der Neigung nachgab, alles Deutsche, wenn auch nur andeutungsweise, zu bemängeln. Es lag ihr daran, ihn fühlen zu lassen, daß man's hier auch verstehe. So war denn von ihr nicht bloß eine wundervolle Kaffeeserviette, sondern auch eine silberne Zuckerdose mit Streußel- kuchentellern links und rechts ausgestellt worden. Frau Imme konnte das alles und noch mehr infolge der bevorzugten Stellung, die sie von langer Zeit her bei den Barbys einnahm, zu denen sie schon als fünfzehnjähriges junges Ding gekommen und in deren Dienst sie bis zu ihrer Verheiratung geblieben war. Auch jetzt noch hingen beide Damen an ihr, und mit Hilfe Lizzis, die, so diskret sie war, doch gerne plauderte, war Frau Imme jederzeit über alles unterrichtet, was im Vorderhause vorging. Daß der Rittmeister sich für die Damen interessierte, wußte sie natürlich wie jeder andre, nur nicht — auch darin wie jeder andre —, für welche.
Ja, für welche?
Das war die große Frage, selbst für Mr. Robinson, der regelmäßig, wenn er die Jmmes sah, sich danach erkundigte. Dazu kam es denn auch heute wieder und zwar sehr bald nach seinem Eintreffen.
Eine große Familientasse mit einem in Front eines Tempel seinen Bogen spannenden Amor war vor ihn hingestellt worden, und als er dem Streußelkuchen (für den er eine so große Vorliebe hatte, daß er regelmäßig erklärte, so was gäb' es in den vereinigten drei Königreichen nicht) — als er dem Streußel liebevoll und doch auch wieder maßvoll zugesprochen hatte, betrachtete er das Bild auf der großen Tasse, zeigte, was bei seiner Augenbeschaffenheit etwas Komisches hatte, schelmisch lächelnd aus den bogenspannenden Amor und sagte: „Hier hinten ein Tempel und hier vorn ein Lorbeer. Und hier tllis IUU6 t'ellovv nit.1i bis arroxv. Ich möchte mir die Frage gestatten — Sie sind eine so kluge Frau, Frau Imme —: wird er den Pfeil fliegen lassen oder nicht, und wenn er den Pfeil fliegen läßt, ist es die Priesterin, die hier neben dem Lorbeer steht, oder ist es eine andre?"
„Ja, Mr. Robinson," sagte Frau Imme, „darauf ist schwer zu antworten. Denn erstens wissen wir nicht, was er überhaupt vorhat, und dann wissen wir auch nicht: wer ist die Priesterin? Ist die Com- tesse die Priesterin, oder ist die Gräfin die Priesterin?
Ich glaube, wer schon verheiratet war, kann wohl eigentlich nicht Priesterin sein."
„Ach," sagte Imme, in dem sich, was gelegentlich vorkam, der naturwüchsige Mecklenburger regte, „sein kann alles. Ueber so was wächst Gras. Ich glaube, es is die Gräfin."
Robinson nickte. „Glaub' ich auch, ^.nä nllatz's tda reasoa, äeal- Mrs. Imme? Weil Witib vor Jungfrau geht und meist einen Schritt voraus hat. Ich weiß wohl, es ist immer viel die Rede von virximt/, aber vviäon ist mehr als virgin."
Frau Imme, die nur halb verstanden hatte, verstand doch genug, um zu kichern, was sie übrigens sittsam mit der Bemerkung begleitete, sie habe so was von Mr. Robinson nicht geglaubt.
Robinson nahm es als Huldigung und trat, nachdem er sich mit Erlaubnis der „Lady" ein kurzes Pfeifchen mit türkischem Tabak angesteckt hatte, an ein Fensterchen, in dessen mit einer kleinen Laubsäge gemachten Blumenkasten rote Verbenen blühten, und sagte, während er auf den Hof mit seinen drei Akazienbäumen herunterblickte: „Wer is denn der hübsche Junge da, der da mit seinem boox spielt? Hier sagen sie Reifen."
„Das is ja Hartwigs Rudolf," sagte Frau Imme. „Ja, der Junge hat viel Chic. Und wie er da mit dem Reisen spielt und die Hedwig immer hinter ihm her, wiewohl sie doch beinahe seine Mutter sein könnte. Na, ich freue mich immer, wenn ich ausgelassene Menschen sehe, und wenn Hartwig kommt — ich wundere mich bloß, daß er noch nicht da ist —, da können Sie ihm ja sagen, wie hübsch Sie die verwöhnte kleine Range finden. Das wird ihn freuen; er ist furchtbar eitel. Alle Portiersleute sind eitel. Aber das muß wahr sein, es ist ein reizender Junge."
Während sie noch so sprachen, erschien Hartwig, auf den Imme, skatdurstig, schon seit einer Viertelstunde gewartet hatte, und keine drei Minuten mehr, so war auch Hedwig da, die sich bis kurz vorher mit ihrem kleinen Cousin Rudolf in dem Hof unten abgeäschert hatte. Beide wurden mit gleicher Herzlichkeit empfangen, Hartwig, weil nach seinem Erscheinen die Skatpartie beginnen konnte, Hedwig, weil Frau Imme nun gute Gesellschaft hatte. Denn Hedwig konnte wundervoll erzählen und brachte jedesmal Neuigkeiten mit. Sie mochte vierundzwanzig sein, war immer sehr sauber gekleidet und von heiter-übermütigem Gesichtsausdruck. Dazu krauses, kastanienbraunes Haar. Es traf sich, daß sie mal wieder außer Dienst war.
„Nun, das ist recht, Hedwig, daß du kommst," sagte Frau Imme. „Rudolfen Hab' ich eben erst gefragt, wo du geblieben wärst, denn ich habe dich ja mit ihm spielen sehen; aber solch Junge weiß nie was; der denkt bloß immer an sich, und ob er sein Stück Kuchen kriegt. Na, wenn er kommt, er soll's haben; Robinson ißt immer so wenig, wiewohl er den Streußel ungeheuer gern mag. Aber so sind die Engländer, sie sind nicht so zugreifsch, und dann geniert sich Imme auch, und die Hälfte bleibt übrig. Na, jedenfalls is es nett, daß du wieder da bist. Ich habe dich ja seit deinem letzten Dienst noch gar nicht ordentlich gesehen. Es war ja wohl 'ne Hofrätin? Na, Hosrätinnen, die kenn' ich. Aber es giebt auch gute. Wie war er denn?"
„Na, mit ihm ging es."
„Deine krausen Haare werden wohl wieder schuld sein. Die können manche nicht vertragen. Und wenn dann die Frau was merkt, dann is es vorbei."
„Nein, so war es nicht. Er war ein sehr anständiger Mann. Beinahe zu sehr."
„Aber, Kind, wie kannst du nur so was sagen? Wie kann einer zu anständig sein?"
„Ja, Frau Imme. Wenn einen einer gar nicht ansieht, das is einem auch nicht recht."
„Ach, Hedwig, was du da bloß so red'st! Und wenn ich nich wüßte, daß du gar nich so bist. .. Aber was war es denn?"
„Ja, Frau Imme, was soll ich sagen, was es war; es is ja immer wieder dasselbe. Die Herrschaften können einen nich richtig unterbringen. Oder wollen auch uich. Immer wieder die Schlafstelle oder, wie manche hier sagen, die Schlafgelegenheit."
„Aber, Kind, wie denn? Du mußt doch 'ne Gelegenheit zum Schlafen haben."
„Gewiß, Frau Imme. Und 'ne Gelegenheit,
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so denkt mancher, is 'ne Gelegenheit. Aber gerade die, die hat man nich. Man ist müde zum Umfallen, und man kann doch nicht schlafen."
„Versteh' ich nich."
„Ja, Frau Imme, das macht, weil Sie von Kindesbeinen an immer bei so gute Herrschaften waren, und mit Lizzi is es jetzt wieder ebenso. Die hat es auch gut un is, wie wenn sie mit dazu gehörte. Meine Tante Hartwig erzählt mir immer davon. Und einmal Hab' ich es auch so gut getroffen. Aber bloß das eine Mal. Sonst fehlt immer die Schlafgelegenheit."
Frau Imme lachte.
„Sie lachen darüber, Frau Imme. Das is aber nich recht, daß Sie lachen. Glauben Sie mir, es is eigentlich zum Weinen. Und mitunter Hab' ich auch schon geweint. Als ich nach Berlin kam, da gab es ja noch die Hängeböden."
„ Kenn' ich, kenn' ich; das heißt, ich habe davon gehört."
„Ja, wenn man davon gehört hat, das is nich viel. Man muß sie richtig kennen lernen. Immer sind sie in der Küche, mitunter dicht am Herd oder auch gerade gegenüber. Und nun steigt man aus eine Leiter, und wenn man müde is, kann man auch 'runter fallen. Aber meistens geht es. Und nu macht man die Thür aus und schiebt sich in das Loch hinein, ganz so wie in einen Backofen. Das is, was sie 'ne Schlafgelegenheit nennen. Und ich kann Ihnen bloß sagen: aus einem Heuboden is es besser, auch wenn Mäuse da sind. Und am schlimmsten is es im Sommer. Draußen sind dreißig Grad, und auf dem Herd war den ganzen Tag Feuer; da is es denn, als ob man auf den Rost gelegt würde. So war es, als ich nach Berlin kam. Aber ich glaube, sie dürfen jetzt so was nich mehr bauen. Polizeiverbot. Ach, Frau Imme, die Polizei is doch ein rechter Segen. Wenn wir die Polizei nich hätten (und sie sind auch immer so artig gegen einen), so hätten wir gar nichts. Mein Onkel Hartwig, wenn ich ihm so erzähle, daß man nicht schlafen kann, der sagt auch immer: ,Kenn' ich, kenn' ich; der Bourgeois thut nichts für die Menschheit. Und wer nichts für die Menschheit thut, der muß abgeschafft werden?"
„Ja, dein Onkel spricht so. Und war es denn bei deinem Hosrat, wo du nu zuletzt warst, auch so?"
„Nein, bei Hofrats war es nicht so. Die wohnten ja auch in einem ganz neuen Hause. Hosrats waren Trockenwohner. Und in dem, was jetzt die neuen Häuser sind, da kommen, glaub' ich, die Hängeböden gar nicht mehr vor; da haben sie bloß noch die Badestuben."
„Nu, das is aber doch ein Fortschritt."
„Ja, das kann man sagen; Badestube als Badestube ist ein Fortschritt oder, wie Onkel Hartwig immer sagt, ein Kulturfortschritt. Er hat meistens solche Wörter. Aber Badestube als Schlafgelegenheit is kein Fortschritt."
„Gott, Kind, sie werden dich aber doch nich in eine Badewanne gepackt haben?"
„I bewahre. Das thun sie schon der Badewanne wegen nich. Da werden sie sich hüten. Aber... Ach, Frau Imme, ich kann nur immer wieder sagen, Sie wissen nich Bescheid; Sie hatten es gut, wie Sie noch unverheiratet waren, und nu haben Sie's erst recht gut. Sie wohnen hier wie in einer kleinen Sommerwohnung, un daß es ein bißchen nach Pferde riecht, das schadet nich; das Pferd is ein seines und reinliches Tier, und all seine Verrichtungen sind so edel. Man sagt ja auch: das edle Pferd. Und außerdem soll es so gesund sein, fast so gut wie Kuhstall, womit sie ja die Schwindsucht kurieren. Und dazu haben Sie hier den Blick auf die Kugelakazien und drüben auf das Marinepanorama, wo man sehen kann, wie alles is, und dahinter haben Sie den Blick aus die Kunstausstellung, wo es so furchtbar zieht, bloß damit man immer frische Lust hat. Aber bei Hosrats . .. Nein, diese Badestube!" (Fortsetzung folgt.)
Der Mittelpunkt der Welt.
^ D^rt'soll de?Erde Mittelem.
In Popxan hält man das für wahr,
Lin jedes Nest, das kleinste, hält Sich für den Mittelpunkt der Welt.