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das Kabel zu tragen, eiii kleines Schild entgegen, das er mühsam im Dämmerlicht entzifferte: „Vorsicht! Blitzableiter!" . . . Schroff sielen die Gratwände ab ins weite, unendlich weite Thal, in dem schon Lichtchen flirrten bis in den Fernpaß hinein.
Nun, schließlich haben wir uns über Schnee und Geröll und Gestein doch hinaufgewunden aus den Gipfel, wo das Kreuz sich dunkel erhob. Da standen wir in dem hehren Abendschweigen, und ringsum schliefen alle die versteinerten Riesenkinder einen tiefen Schlaf mit großen, ruhigen Atemzügen. Unten, über dem Höllenthal her, blinzelte ans dem Werdenfelser Lande hie und da ein schlafmüdes Licht — weithin kein Laut,
Da erhoben wir rufende Stimmen — das Nenntier und der Tapir und der Regenpfeifer und der Gletscherfloh —, daß es lange nachhallte in den Felswänden. Bis endlich nach langer, langer Viertelstunde fernher ein Lichtlein ans dein Dunkel der Höhen auftauchte und sich wandelnd bewegte, bis weit drüben plötzlich Fackelschein ansstammte, der das nun sichtbare Haus ans dem Westgipfel wie ein weißschimmerndes Kirchlein erscheinen ließ. Dazwischen fielen tröstende Signalschüsse, und Helles Jauchzen klang herüber zum Kreuz, unter dem der rabenschwarze Michael Dengg aus Partenkirchen bald seine Laterne ins Dunkel hob:
Das war' eine Freude, als wir' drüben frohe Kumpane fanden im warmen Gemach und „griewig"- dnbligeu Duft von allen möglichen guten Sachen — und siehe, da wären wir wieder bei der besagten dampfenden Erbssuppe. Bayern und Schwaben, Sachsen und Westfalen, Mecklenburger und Pfälzer, rückten wir dicht in die Runde und stießen an mit zwei bleichen Griechen und einem dunkeläugigen Jta- lier ans Heimat und Jugend und ans den alten, wackern Regenpfeifer, der sie sich im weißen Haar
Alpenverein und seine Sektion Nlünchen, die uns das gastliche Dach gewölbt. Griechenland und Italien hatten sich längst in der „Bel-Etage" langgestreckt, ihre schwermütigen Lieder verträumend, da unsre Gstanzeln und Weiseil noch zur Klampfen des schwarzen Michels klangen. Aber der gute Martin Bierpriegel schob endlich den Hut verlegen aus den Locken und gestand schämig ein, daß eben die letzte Flasche an der Reihe sei.
Es war lange unruhig im Schlafranm, und als der Martl als letzter seinen Klimmzug in die obere Etage gemacht hatte, tappten Mecklenburg und die Pfalz Hoch etliche Male abwechselnd mit schweren Schritten hinaus an die frische Schneeluft.
Frau Sonne, die am Abend nicht auf uns hatte warten können, stieg am andern Morgen mit rührender Pünktlichkeit ans ihrem fernen Felsenbette, und wie
sie den ersten kokett lächelnden Blick nach Westen richtete, hinein in die blaugraue, rosig umzitterte Morgendämmerung, da warfen ihr der Säntis und der Tödi und die Vorarlberger Alten verliebte, seimige Kußhände zu. Daß wir von der zutraulichen, braunäugigen Urschl in der Knorrhütte beim Abstieg jeder zwar keine Kußhand, aber einen desto herzhafteren Kuß zum guten Gedenken mitnehmen dursten, sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt... Ob wohl der Regenpfeifer seinem lieben Ehegespons einen gleich vollständigen Bericht geliefert haben mag? —
Seitdem hat es da oben etzlichen Neuschnee zum alten hinzugegeben, und bald werden Wintersturmbuben vom Ost- zum Westgipfel Schneeballwerfeu spielen. Aber wenn der Lenz wieder sein goldenes Lachen in
sonne wieder mit den alten Schweizerherren kokettiert, dann verlangen wir am Telephon in der „Munkner Stadt": „Bitte, Munchnerhaus ans der Zugspitze!" und es wird uns herunterschallen: „Im Thal leichte Nebel — hier oben alles klar! Kimmt's unser!
Hochachtungsvoll
Martin Bierpriegel."
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Die beiden Zugspitzgipfel mit Daus und Kreuz von Züdwesten (schneefernerkopf).
1898 (Bd. 79).
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