Heft 
(1898) 07
Seite
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Aeöer <Land und Weer.

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Stimme kam mir volltönend aus der Tiefe der be­wegten Brust, und die Worte brachen undurchdacht von meiner Zunge.Schämen Sie sich! Das ist kein Scherz mehr; das ist eine Niedrigkeit! Sie sitzen hier und trinken und lachen, und um Sie herum quellen Thränen, die Sie grundlos veranlaßt haben! Ein Mensch hat Sie gereizt, und Ihre boshafte Rache fällt auf viele! Pfui! Schämen Sie sich!"

Ich glaubte ihn in den Boden zu schmettern, allein er blieb vergnüglich.

Und jetzt gehe ich hin," sagte ich entschlossen, und schreie in den Straßen aus, daß das Tele­gramm eine Lüge war!"

Warten Sie doch erst Nummer zwei ab, ehe Sie mich in die Nesseln setzen," rief er aufspringend und mir den Weg vertretend.Es wird ja nicht mehr lange dauern!"

Bitte, lassen Sie mich gehen," sagte ich finster, ich kann das traurige Rufen draußen nicht mehr ertragen."

Mein Gott, dieser Eigensinn! Wo steckt denn Ihr Begriffsvermögen! Ich selbst habe ja den telegraphischen Widerruf aufs Papier gesetzt. Er muß jeden Augenblick kommen. Denken Sie, ich werde mich selber in die Patsche legen? Ausrenkeu hat nur Witz, wenn man's Einrenken versteht. Ich sagte ja heut' mittag, daß ich nicht singen wollte. Ich habe mich schrecklich geärgert, daß ich dem alten Reff noch das ganze Meer habe vorflöten müssen."

Sie hätte den Tod haben können."

Sie ist aber noch lebendig?" fuhr die Spatz erschreckt auf.

Gott sei Dank!"

Ein volles Glas der Samariterin!" rief Me- cerino und schwang seinen Kelch.Warum haben Sie eigentlich den Krankendienst bei der Dicken über­nommen? Dazu ist doch die na, wie heißt sie - "

Glasphyra," half Spätzchen ein.

Die Glasphyra da."

Cohn erschien mit einer zweiten Flasche Cham­pagner. Er hatte die letzten Worte gehört.

Die Glasphyra," schmunzelte er,sitzt auf der Bahn.In drei Stunden ist sie in Czentochau; dort wird sie morgen der Rabbiner trauen mit dem Stenscewicz."

Ei gar!" rief die Spatz und ließ den Mund offen stehen.

Sie wird 'ne gute Frau werden und vielleicht noch 'ne große Sängerin. Hier hätt' sie die Gold­stein mit der Zeit doch unter die Erde gebracht. Und wenn sie den Levison genommen hätte über kurz oder lang wär' sie davongelaufen. Was werd' ich nicht kennen die Glasphyra!"

Und hinter alledem haben Sie gesteckt! Na, Prost, Isidor."

Cohn streckte alle zehn Finger von sich.

Was werd' ich meine Hände stecken in solche Geschichten? Was kommen soll, das kommt von selber."

Mecerino sah Spätzchen an.

Was meinen Sie, kleines Ungeheuer, jetzt wär' wohl der rechte Moment?"

Sie nickte.

Verlobt!" riesen sie wie mit einer Stimme.

Sie fielen sich wie auf Kommando in die Arme und küßten sich. Und nun siel's mir auf: der Rosenbusch von der Spatz war schon ganz zerknautscht. So etwas kommt nur vom Küssen.

Richtig verlobt!" rief die Spatz jubilierend.

Wir gratulieren hocherfreut. Und Mecerino citierte:

Liebe, Liebe is mich nötig' ... Na, Isidor, wann machen Sie denn Ernst? Noch keine Schöne gefunden?"

Wissen Sie, Mecerino, wenn ich eine gemocht hätte hätte, sag' ich, dann wär's nur die Glasphyra gewesen. Und die. . . Aber was bin ich gewesen für 'n kluger Mann, daß ich meine Kapitalien gekündigt habe dem Joel und Hab' sie kürzlich angelegt sicher und gut auf der Reichs­bank"

Die Rechnung, Isidor."

Was, wollen Sie nicht bleiben über Nacht?"

Hier in dem verwünschten Nest?" fuhr Mecerino ans.Da müßt' ich ja Tinte getrunken haben!"

Aber die Konzerteinnahme..."

Keinen Pfennig will ich davon. Denken Sie, ich nehme Geld, wenn ich nicht gesungen habe? Und Sie? Und Sie?" Er sah uns nacheinander an, und wir lehnten selbstverständlich ab.

Bolle wird ihn sicherlich entschädigen," flüsterte die Spatz überzeugt. Ich hatte das Gefühl, als beabsichtigten beide, ihre Ehe auf Bolle zu gründen.

Cohn brachte die Rechnung.

Der selbstlose Mann hatte alles, aber auch alles angekreidet, sogar die Guirlande für den Flügel und das Oel, womit erauf neu" poliert worden war.

Mecerino zahlte wie ein Fürst.Den Wagen!" befahl er dann.

Noch einen Augenblick; er muß gleich zurück­kommen von der Bahn; er hat auf Schnabel gewartet. Die Chaise ist für Sie dreie zu eng . .. Beehren Sie uns bald wieder. Vielleicht, daß Sie dann schon logieren können beim Levison im Hotel mit 'm Berliner Comfort..." Er blinzelte uns verschmitzt und mit boshafter Befriedigung an.Was meinen Sie wohl, mit welchen Gefühlen der Levison heut' abend sein eines Auge zumachen wird?" Und aus seinem Gesicht stand geschrieben: Ich hab's ihm eingetränkt.

Jetzt wurde es in Rempen abermals lebendig. Fernes Rufen, das sich näherte; freudiger Jubel! Die Fenster flogen auf. Man fragte, man schrie, man horchte. Man stürzte aus die Straße, man schrie es weiter. Wie ein Freudenfeuer flog's durch die Straßen der Stadt.

Joel-Levison nicht pleite! Geschäft blüht!"

Bolle Nummer zwei," sagte Mecerino trocken und sah mich triumphierend an.Sind Sie nun zufrieden? Nun hinterlasse ich sogar noch eine all­gemeine Freude."

Ich schwieg. Unsre Sinnesarten waren himmel­weit verschieden.

Der Wagen kam; es war neun Uhr. Auf dem Bock saß Schnabel.

Aber im Fond saß auch noch jemand: Bolle - - wahrhaftig!

Schockschwernot, da bin ich!" seufzte er, wäh­rend er aus dem Wagenschlag sprang. Er hatte einen lichtbraunen, seidengefütterten Paletot an, einen Cylinder aus, Lackstiefel au und machte einen so überwältigend feinen Eindruck, daß Cohn aus den Empsangskomplimenten gar nicht herauskam.

Mecerino strahlte.

Bolle, du! Nu straf mich>"

Isidor," sagte Bolle,fragen Sie mal bei der Goldstein, ob sie 'ne antike Kommode hat, oder 'nen Teppich, oder sonst was. Ich will kaufen."

Cohn flog.

Ich wollte ihn nur weg haben," flüsterte Bolle. Schockschwernot, was sollten denn die Telegramme heißen? Es kam da noch ein Freund von mir, der mittaselte, ein Rechtsanwalt Schlürer heißt der Mann, wenn Sie's interessiert, der meinte, wie er die Sache ansähe, könntest du dich damit ordentlich in die Nesseln setzen, Mecerino: Klage und Reugeld und was nicht alles. Schockschwernot, das zweite Telegramm war eben aufgegeben na, was hals's, wie die Sache lag, ich ließ die andern sitzen und schoß los. Und hier, Mecerino besser vorher als nachher hier ist ein Löffel Honig für Rempen, den träufelt man in den aufgestocherten Ameisen­haufen."

Damit drückte er ihm sein Portefeuille in die Hand.

Du machst wohl Unsinn" sagte Mecerino mit einem bescheidenen Zögern, welches verriet, daß er seiner Sache sehr gewiß war.

Schockschwernot, was werd' ich Unsinn machen? Wozu wär' ich denn gekommen?"

Das kann ich aber wirklich nicht verlangen."

Nur nicht so viele Redensarten; es ist ja mein einzigstes Vergnügen."

Cohn kam. Der Goldstein ging es wieder voll­kommen gut. Sie verwünschte Glasphyra, sie schimpfte auf Stenscewicz.

Bolle kaufte drei Teppiche, und Mecerino über­reichte Isidor nach stiller Rücksprache aus Volles Portefeuille ein kleines Schmerzensgeld für das ver­unglückte Konzert.Für den Fall, daß es irgend ein Aergernis geben sollte, unterdrücken Sie's, lieber Isidor," hörte ich ihn murmeln.

Die Rückfahrt den weichen Landweg entlang war sehr erquickend; unser Zug ging erst um zehn Uhr.

Die Sterne blinkten über uns, die Umrisse der Bäume und Hütten verschwammen in silberner Dämmerung.

Bolle wiegte sich neben mir im Fond, denn die Spatz fuhr ihrem Mecerino zu Gefallen rück­wärts. Sie saßen dicht aneinandergeschmiegt. Ich überließ mich meinen Gedanken. . .

Bolle erzählte von seinem Diner bei Hansen.

Glasphyras Züge tauchten vor mir auf, schön und glückverklärt!

Mtder vom berliner Dentralviehhof.

Ir. Kood.

AUei der raschen Zunahme der Bevölkerung Berlins und der beständigen Steigerung ihres Wohlstandes bildet die Fleischversorgung der Millionenstadt eine der schwierigsten Ausgaben der Gemeindeverwaltung. Zwar gestattete schon der im Jahre 1867 von einer Privatgesellschaft begründete und polizeilich konzessionierteAktienviehhof" eine genügende Ueberwachung des Viehhandels; für die Einführung des Schlachtzwanges aus Grund des Gesetzes vom 3. Dezember 1877 erwies sich jedoch diese Anlage als unzureichend, so daß sich die Stadtgemeinde bei dem allgemeinen Interesse für öffentliche Gesundheitspflege sehr bald veranlaßt sah, einen eignen Vieh- und Schlachthos zu begründen, der mög­lichst allen an ein solches Etablissement gestellten Anforde­rungen genügen sollte. Sie kaufte von der benachbarten Dorfgemeinde Lichtenberg ein etwa 39 Hektar großes Ter­rain, auf dem am 3. Dezember 1877 der Grundstein zu dem heutigen Zentralviehhof gelegt wurde. Die unter Leitung der Bauräte Blankensteiu und Lindemann aus­geführten Bau-Anlagen wurden am 1. März 1881 dem Betrieb übergeben, seitdem aber wiederholt bedeutend er­weitert, so daß sie gegenwärtig ein Terrain von nahezu 48 Hektar umfassen; die Baukosten belaufen sich auf etwa 15 Millionen Mark.

Die Lage des Terrains unmittelbar an der Ringbahn, die den direkten Anschluß aller in Berlin einmündenden Bahnen an den Viehmarkt gestattet, ist eine außerordentlich günstige. In das enge Netz der sich hier kreuzenden Eisen­bahngeleise sehen wir langgestreckte Perrons oder Auslade­rampen eingeschoben, die die ankommenden Tiere bis zur Verteilung in die einzelnen Ställe aufnehmen. Auf be­sonderen Zweiggeleisen erfolgt die Reinigung und Des­infektion der entladenen Züge vor Rücksendung an die be­treffenden Bahnverwaltungen. Nicht selten fahren hier an großen Markttagen an 200 mit Vieh beladene Wagen ein und aus. Im letzten Jahre wurde der Markt von ins­gesamt 196 586 Rindern, 813499 Schweinen, 152 483 Kälbern und 608 369 Schafen beschickt. Hierzu kommen noch 9770 Stück Vieh, die von außerhalb direkt zum Schlachthof geliefert wurden.

Viehhos und Schlachthof bilden zwei streng getrennte Gebäudekomplexe, von denen der erstere allein dem Markt­verkehr, der letztere lediglich dem Schlächtereibetrieb dient. Beide Teile sind der veterinärpolizeilichen Kontrolle unter­worfen, und zwar steht der Markt unter landespolizeilicher Aufsicht, während dieallgemeine Fleischschau" durch städtische Organe ausgeübt wird.

Die Untersuchung auf dem Markt geschieht vorzugsweise, um die Verbreitung seuchenartiger Krankheiten zu verhindern; bei der engen Berührung einiger tausend aus allen Welt­richtungen herbeigeführten und häufig wieder zum Export gelangenden Tiere kann natürlich auch eine Uebertragung von Krankheitsstoffen stattfinden. Alle einer seuchenartigen Krankheit verdächtigen Tiere, insbesondere Rinder, die ohne Ursprungsattest" oder mit einer unkorrekten Bescheinigung ihres bisherigen Aufenthalts eingeführt werden, gelangen in ein besonderes Polizeischlachthaus, wo sie unter Aufsicht von Tierärzten geschlachtet und zur menschlichen Nahrung erst dann freigegeben werden, wenn das Fleisch als un­gefährlich befunden wird. Laufen indessen Viehwagen aus Gegenden ein, in denen notorisch die Rinderpest herrscht, so werden sie direkt nach demSeuchenhof" überführt, einer von dem Viehhof ganz abgesonderten, aus Stall und Schlacht­haus bestehenden Anlage. Das Fleisch des hier als krank­heitsverdächtig geschlachteten Viehes wird in amtlich ver­schlossenen Wagen zur Abdeckerei geliefert.

Den Mittelpunkt des Viehhoss bildet dieBörse", die, von verschiedenen Wohn- und Wirtschaftsräumen abgesehen, einen großen Restaurationssaal und 38 Maklerzimmer ent­hält, die man als die Verkehrszentren des Berliner Vieh­handels bezeichnen könnte. Hier spielt sich ein interessantes, bewegtes Schauspiel ab. Mehr als tausend Viehhändler, Schlächter, Exporteure, Makler sehen wir im großen Börsen­saal versammelt, wo sie bei reichlichem Genuß geistiger Getränke unter Feilschen und Streiten, bisweilen auch unter- lebhafter Heiterkeit, ihre Geschäfte abschließen oder auch den abgeschlossenen Handel durch ein solennes Mahl feiern. Alle Tische sind eng besetzt, die Gänge von stehenden Gruppen