Heft 
(1898) 07
Seite
118
Einzelbild herunterladen

118

Weber Land und Meer.

M 7

Die mikroskopische Fleischschau wird von fünfzig Probe­nehmern und zweihundert Fleischbeschauern, darunter etwa neunzig Frauen und Mädchen, unter Aufsicht von vier Vorstehern betrieben. Sobald ein Metzger die erfolgte Schlachtung von Schweinen meldet, wird ein Probenehmer zum Herausschneiden der vorgeschriebenen Teile aus dem Zwerchfell, dem Kehlkopf, den Bauch- und Zwischenrippen­muskeln nach dem betreffenden Schlachthaus entsandt. Diese Fleischstückchen werden in eine mit Nummern versehene Blechbüchse gelegt und auch die geschlachteten Schweine je mit einer entsprechenden Nummer bezeichnet. Die Büchsen werden an die Fleischbeschauer verteilt, die hierauf von jeder Probe sechs, von jedem Schwein also vierundzwanzig Präparate airzufertigen und zu prüfen haben. Nach be­endeter Untersuchung werden die trichinösen Schweine mit einem großen, auffälligen Stempel in roter Farbe gekenn­zeichnet, während die gesund befundenen mit blauem Stempel versehen werden.

Nicht immer ist das Fleisch der beanstandeten Tiere schon für den menschlichen Genuß ungeeignet; vielmehr hat der Tierarzt in jedem einzelnen Fall die Entscheidung zu treffen. So konnte im letzten Jahre etwa die Hälfte der beanstandeten Tiere wegen leichterer Erkrankungsformen durch Kochen und Sterilisieren in einem besonderen Institut des Schlachthofes zur menschlichen Nahrung geeignet ge­macht und zu mäßigen Preisen verkauft werden; dieser kleinen" Kochanstalt wurden 1409 Rinder, 2596 Schweine, 78 Kälber und 8 Hämmel überwiesen.

Nur zwei Pforten führen vom Viehhos zum Schlacht­hof, die eine für den Zutrieb von Rindern, Kälbern und Hämmeln; doch werden nur die mit eiuer Kontrollmarke und dem Stempel des betreffenden Schlächters versehenen Tiere zugelaffen. Dieselben werden zunächst nach den Schlachthausstallungen und von hier aus nach kurzer Frist stückweise nach den Schlachtkammern oder Schlachthallen befördert. Es giebt hier drei langgestreckte Rinderschlacht­häuser, die je zwischen zwei gleich langen Rinderställen liegen, so daß der Transport der Tiere keinerlei Schwierig­keit bereitet. Jedes der Schlachthäuser 'wird der Länge nach von einer großen, durch Gitterwände geteilten und zur Aufbewahrung des Fleisches dienenden Halle durchschnitten, an die sich beiderseitig eine große Reihe von Schlacht­kammern anschließt, deren im ganzen 266 vorhanden sind. Diese Kammern werden an Engrosschlächter vermietet, die das Fleisch in mehr oder minder großen Mengen an die Fleisch- und Wursthändler verkaufen. Auch Hämmel und Kälber werden in diesen Kammern geschlachtet.

Wir kommen gerade rechtzeitig, um Zeuge einerBlut- that" zu werden. Ein Metzger von herkulischer Gestalt bindet ein Rind an den Hörnern, legt ihm eine Maske vor die Augen und zieht den Strick durch einen im Schlacht­kammerboden befestigten Eisenring. Ein kräftiger Schlag mit dem Beil gegen den Kopf wirft das mächtige Tier zu Boden, worauf der Schlächter ihm die Halsader durch- fchneidet und das Blut in einer Schale auffängt. Nun wird das Tier an den Füßen gebunden, durch eine Winde emporgezogen und regelrecht ausgeschlachtet, wobei ein Ge­selle die nötige Hilfe leistet.

Als echteSchlachtenbummler" wollen wir nun auch einem der großen Schweinefchlachthäuser einen Besuch ab­statten. Die Anordnung der Räume ist ähnlich wie in den Schlachthäusern für Rinder, doch dient hier die große, langgestreckte Mittelhalle als Schlachtraum, während in den zu beiden Seiten gelegenen Kammern das Zerteilen, Sor­tieren und Aushängen des Fleisches erfolgt. Einige Zu-

Mittelhalle angeordneten Totschlagebuchten, die aus schmiede­eisernen Gittereinfriedigungen gebildet sind. Hier empfängt der Schlächter das ihm zugetriebene Schwein und versetzt ihm einen Schlag gegen den Kopf, daß es betäubt zu Boden sinkt, während ein zweiter Gehilfe das Tier aus der Bucht zieht, ihm den Hals aufschneidet und das Blut auffängt. Andre Gehilfen schaffen die getöteten Schweine mit Hilfe von Drehkranen in die großen Brühbottiche in der Mitte der Schlachthalle. Diese Bottiche werden durch Schwenk­hähne mit kaltem Wasser gespeist; zur Erhitzung desselben dient Dampf, der von einer Zentralstelle aus abgegeben wird. Nach gründlichem Brühen und Reinigen der Schweine folgen die weiteren Manipulationen des Abschabens der Borsten, des Ausschlachtens, der Reinigung der Eingeweide und so weiter, welchen Zwecken praktische Aufhängevorrichtungen, Schrägen, Fleischkarren und so weiter dienen. In unserm I Schlachthallenbild haben wir allerdings nur eine ganz schlichte Scene bei ruhigem Betrieb festhalten könuen, da an großen Schlachttagen der weite Raum von Dampf und Qualm so dicht gefüllt ist, daß man nur zwei bis drei Meter weit zu sehen vermag. Der Leser wird sich aber doch von dem Leben und Treiben in den Schlachthäusern und Triebstraßen eine Vorstellung machen, wenn er ver­nimmt, daß im letzten Jahre nicht weniger als 132 499 Rinder, 627 821 Schweine, 125 369 Kälber und 379 659 Hämmel geschlachtet wurden.

Auch einige industrielle Anlagen umfaßt das Schlacht­hofgebiet. Da ist zunächst die an einen Fabrikanten ver­pachtete Albuminfabrik, in der das vom Schlachthof ge­wonnene Blut, soweit es nicht zur Wurstfabrikation Verwendung findet, in Blutwasser (Serum) und Blutkuchen

(Placenta) geschieden wird. Aus dem Serum wird dann das Blutalbumin gewonnen, das hauptsächlich in Kattun­druckereien Verwendung findet, während aus dem Blut­kuchen durch Trocknen und Mahlen ein vortreffliches Dung­mittel hergestellt wird. Zu diesen Zwecken werden hier jährlich etwa 2^ Millionen Liter Blut nutzbar gemacht.

Ferner verdient die Talgschmelzerei Erwähnung, in der wöchentlich bis 1500 Zentner Fette für Kunstbutter-, Seifen- und Lichttalgsabrikation verarbeitet werden. In der Darmschleimerei, die gleichfalls an Industrielle ver­mietet ist, werden die Gedärme entschleimt, um in frischein, gesalzenem oder getrocknetem Zustand zur Wurstfabrikation verkauft zu werden.

An der Spitze der Verwaltung steht ein Direktor, Oekonomierat Hansburg, dem das erforderliche Kassen- und Bureaupersonal, acht Betriebsinspektoren, sowie eine größere Zahl von Unterbeamten zur Seite stehen; außerdem sind ständig an 250 Arbeiter und 600 Teiler beschäftigt. Das Fleischschau-Amt steht unter Aufsicht eines Obertierarztes und von 24 Tierärzten verschiedenen Ranges.

Zur Hauptquartier des (Lhawpagners.

Von

A. Weinert.

^der Verbrauch des Champagners und seiner Surrogate ist heute über den ganzen Erdball verbreitet; die Fabri­kation von Schaumwein datiert indes noch gar nicht so weit zurück, wie man anzunehmen geneigt sein könnte. Freilich lesen wir schon im Virgil, daß

aber diese Erwähnung des schäumenden Bechers dürfte, wenn nicht lediglich freie dichterische Redewendung, auf Produkte unfertiger Gärnng zurückführbar sein.

Thatsache ist, daß vor ein paar hundert Jahren reine moussierende Weine noch so gut wie-unbekannt waren, und daß erst gegen Anfang des achtzehnten Säkulums perlender Champagnerwein als Handelsartikel auf dem Weltmärkte erscheint. Dort eroberte er sich dann rasch einen hervor­ragenden Platz. Friedrich der Große und Georg II. von England ließen sich's angelegen sein, ihn in die Mode zu bringen. Der Dichter Marmontel verherrlichte ihn in schwung­haften, bacchantische Lust ausatmenden Versen, und Talley- rand nannte ihn denviu eivilisutsur pur sxeelleucWL

Gegenwärtig giebt es Schaumweinfabriken so ziemlich überall, wo Weinbau im großen getrieben wird; keinem der zahlreichen Fabrikanten aber ist es bisher gelungen, ein Produkt zu erzielen, das im stände wäre, mit demjenigen der Rebgelände, durch die die Marne sich windet, siegreich zu rivalisieren.

Wer Reims besucht, findet dort nicht unschwer Gelegen­heit, über den Verlauf des Prozesses sich zu informieren, dem wir den prickelnden Nektar verdanken.

Trotz seiner Ruinen aus der Römerzeit, trotz der ehr­würdigen Kathedrale und der vorwiegend noch mittelalter­lichen Baustil aufweisenden Häuser trägt Reims das Ge­präge der nüchternen, rührigen Geschäftsstadt; den einstigen exklusiven Charakter eines gemessen-vornehmen, träumerisch­prächtigen Bischofssitzes hat es nahezu verloren. So reich an historischen Erinnerungen die alte Krönungsstadt ist von der Glanzepoche unter der Regierung des heiligen Lud­wig bis zu den Tagen der Demütigung durch dieinauckiks prussieus", so innig verflochtena uch ihre Geschicke sind mit den Geschicken Frankreichs, zur populären Weltberühmtheit haben ihr doch, mehr als alles andre, ihre Weine verholfen.

Heute noch ist in der Kathedrale ein altes Basrelief zu sehen, das St. Remy, den frommen Gründer der Stadt, darstellt, wie er das Kreuz schlägt üher eurem leeren Faße, das der Legende nach sofort mit köstlichem Wein sich füllte. Daß die Stadt schon im zwölften Jahrhundert dazu aus­erkoren wurde, die zu Konzilien sich versammelnden Würden­träger der Kirche in ihren Mauern zu beherbergen, mag vielleicht auch mit der Vorzüglichkeit des dort fließenden Rebenblutes im Zusammenhang gestanden haben. Wieder und wieder wurde Reims im Mittelalter von allerlei Kriegs­völkern belagert, erobert und geplündert, und es läßt sich vermuten, daß die in Form von süffigem Weine dort zu findende Beute eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf durstige Ritter- und Söldnergurgeln ausgeübt hat.

Im sechzehnten Jahrhundert wurden die Rebengelände um Reims von irgend einer Vorgängerin unsrer gefürchteten Phylloxera so arg verwüstet, daß die biederen Stadtbürger sich schließlich veranlaßt fanden, eine formelle Eingabe an den geistlichen Gerichtshof zu richten. Nachdem sie in dem Schriftstück des langen und breiten erklärt, wie diese druelles" oder seit Jahr und Tag die Trauben­

ernten vernichtet, gaben sie der Bitte Ausdruck, die Kirche möchtesolch gottlose Insekten oder Tiere" ernstlich ver­warnen und ihnen befehlen, die Gegend zu verlassen. In der That wurden dann durch Ausrufer besagte Kreaturen aufgefordert, sich innerhalb sechs Tagen von hinnen zu heben und nie wieder das Gebiet der Diözese zu betreten, unter Androhung des Anathemas für die Ungehorsamen. Ob der Bannspruch die gewünschte Wirkung gehabt hat, darüber giebt die Chronik keinen Aufschluß.

Im Mittelalter soll iu der Umgebung von Reims der beste Tropfen gewachsen sein; heute giebt's dort fast keine Rebenpflanznngen mehr. Zentralpunkt des Weinwuchses der Champagne ist gegenwärtig Epernay; in Schaumweinfabri­kation und Handel steht indes Reims immer noch obenan. Ein wahres Labyrinth von Kellergewölben zieht sich unter der Stadt hin, in der mehr als zwanzig Champagnerfabriken ihre Hauptquartiere haben. Der Betrieb spielt sich zum größten Teil unterirdisch ab.

Von den bekannten Weltfirmen haben ihren Sitz in Reims: Clicquot, Roederer, Heidsieck und Pommery; Most L Chandon, Pol Roger und Perrier Jouet domizi­lieren in Epernay; Giesler und Duc de Montebello in Ay oder Arige.

Ueber die Vorzüge dieser oder jener Marke gebe ich kein Urteil ab; das ist Geschmackssache. Ich habe auch keine vergleichenden Beobachtungen über die verschiedenartigen Be­handlungen des Weines angestellt, sondern nur eine einzige Fabrik allerdings eine der ersten besucht uud dort von dem eurrieuluui vitue des Champagners etwelche Kenntnis genommen.

In dem Etablissement der Herren F. führte man mich in eine riesige unterirdische Halle, über hundert Schritte lang und entsprechend hoch und breit. Eine wahres Un­getüm von einer Tonne nahm den Ehrenplatz im Mittel­gange ein; etliche Hunderte von kleineren, aber immer noch sehr respektablen Fässern lagerten in Reihen neben- und übereinander, parallel mit den Längswünden. Diese ins­gesamt zwischen 20 000 und 30 000 Hektoliter fassenden Behälter sind für die erste Unterbringung des von den Keltern kommenden Weines bestimmt.

Die Firma besitzt ausgedehnte eigne Rebengelände, aber ihr Ertrag deckt bei weitem nicht den Bedarf, weshalb kurz vor der Traubenlese ein paar Dutzend Agenten im Lande herumreisen und Kaufverträge mit den Weinbauern ab­schließen.

In den Keltern wird peinlich darauf geachtet, daß weder unreife noch überreife Beeren unter die Presse kommen. Es findet eine minutiös sorgfältige Auslese statt, uud die Kosten des Rohmaterials sind insolgedeffen, besonders in ungünstigen Weinjahren, sehr hohe. Im Jahre 1887 zum Beispiel kam der aus den besseren Lagen stammende, frisch ausgepreßte Most aus 5,50 Franken per Liter zu stehen. Einige Tage, bis der gröbste Satz sich niedergeschlagen hat, bleibt der Most in kolossalen offenen Standen; dann wird er in neue Fässer abgelasseu, die erst nach Verlauf von acht bis zehn Wochen, also um Weihnachten, ihren Inhalt an die Lager­fassung der vorerwähnten Riesenhalle abgeben. Nach hier durchgemachter Gärung geht's ans Mischen, das jeder Fabri­kant nach der von ihm adoptierten Sondermethode vornimmt. Mischungen des Mostes aus verschiedenen Lagen werden dabei in allen möglichen Kombinationen vorgenommen. Der Mischungsprozeß vollzieht sich wiederum in mächtigen offenen Bottichen.

Der nach dem Mischen abermals in Fässer gebrachte Wein ruht jetzt ungestört bis in den Mai hinein, in welchem Monat für gewöhnlich das Abziehen auf Flaschen beginnt.

Ein wesentliches Moment ist die Qualität der Flaschen. Diese müssen außerordentlich widerstandsfähig fein, und die entsprechenden Kosten figurieren als recht erheblicher Posten im Fabrikationsbudget.

Je nach seinem natürlichen Zuckergehalt erhält der Wein bei der Flaschenfüllung einen größeren oder geringeren Zusatz von Rohrzuckerlösung, durchschnittlich drei Prozent. Die ge­füllten und mechanisch fest verkorkten, aber noch nicht ge­drahteten Flaschen kommen nun in oberirdische Lagerhäuser, deren Temperatur auf einer Höhe gehalten wird, die die Kohlensäurebildung begünstigt. Ist diese im Gange, dann finden die Flaschen, genau horizontal gelegt, Platz in den Kellergewölben und bleiben dort zwei bis vier Jahre znr Ausreifung des Weines. Der Verlust infolge Platzens der Flaschen ist, wenn auch geringer als früher, heute immer noch recht beträchtlich; man rechnet durchschnittlich auf einen Abgang von sieben Prozent.

Nach vollendeter Reife werden die Flaschen auf Lager transloziert, in denen sie schräg mit den Hälsen abwärts ruhen. Die noch vorhandenen Sedimente sollen am Kork sich sammeln, und um diesen Niederschlag zu befördern, wird jede Flasche täglich einmal um ein Achtel ihres Umfanges gedreht. Die betreffenden Arbeiter manipulieren dabei mit einer erstaunlichen Schnelligkeit und doch so sicher, daß genau in acht Tagen die Flaschen den Lauf um sich selber vollendet haben. Vier- bis fünfmal wird dieses Manöver wiederholt, dann ist in der Regel der Zweck erreicht; wenn nicht, wird mit der Schüttelmaschine (slsekriseur) nachgeholfen.

Nun durchschneidet man den provisorischen Verschluß, und die arbeitende Kohlensäure treibt den Pfropfen samt den Sedimenten aus der von dem Arbeiter horizontal gehaltenen Flasche, die aber im Augenblick der Explosion mit der Mün­dung nach oben gerichtet und rasch durch einen frischen Kork verschlossen werden muß. Dieses Abspritzeu (Tegorgieren) erfordert große Hebung und Geschicklichkeit.

Zum Abschluß gelangt die Fabrikation mit dem Zusetzen desLiqueurs" und dem definitiven Verpfropfen und Verdrahten der Flaschen. Der Liqueur besieht aus sehr altem, schwerem, stark mit Rohrzucker versüßtem Weine.

In jüngerer Zeit wird, besonders in England, viu brut,