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Ueber ^and und Meer.
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das heißt Champagner ohne Liquenr, verlangt, doch ist die Nachfrage nach dieser Sorte noch eine verhältnismäßig beschränkte. Die Russen wollen ihren Champagner sehr süß, mit gut zwanzig Prozent Liqueurzusatz. Für den deutschen Markt werden zehn Prozent, für Amerika sieben bis acht Prozent, für England drei bis vier Prozent beigemischt. Insgesamt werden aus den Reims- und Epernay-Distrikten jährlich etwa fünfundzwanzig Millionen Flaschen nach dem Auslande versandt.
Das Dorado am Llonöykeflufse.
Iriedrich Meister.
M^nnerhalb der letzten Jahre hat keine Neuigkeit so sehr r-E das Interesse der gesamten Welt wachgerufen als die Kunde von der Entdeckung der großen Goldlager in den nordwestlichen Landstrichen von Kanada. Die älteren unsrer Leser werden sich noch der fieberhaften Bewegung erinnern, die vor etwa einem halben Jahrhundert alle zivilisierten Lande durchzitterte, als aus Kalifornien und Australien gleiche Nachrichten um den Erdball flogen.
Märchenhafte Romantik umwob damals die Gestalten der kalifornischen Goldgräber; inzwischen aber hatte si^h unsre Kenntnis der Erdoberfläche in allen ihren Teilen so vervollkommnet, und die Weltreisenden hatten so eingehend auch die abgelegensten und wildesten Gegenden durchstöbert und erforscht, daß man im allgemeinen zu der Ansicht gekommen war, solche abenteuerlichen kalifornischen Verhältnisse könnten sich in unsrer modernen Zeit nicht wiederholen, und Per Digger, der in seinem roten Wollhemd, den Schlapphut auf dem struppigen Kopf, mit hohen Krempstiefeln, Spaten und Pickaxt ausgezogen war, um der Erde Reich- tümer zu gewinnen, sei ebensogut eine ausgestorbene Spezies wie das Mammut, der Höhlenbär und der Vogel Dronte. Denn Goldfelder giebt's auch heute noch genug, in Kalifornien, in Australien und in Südafrika; die Goldgewinnung aber wird daselbst aus die modernste Weise betrieben, vermittels geistreich ersonnener Maschinerie und mit Hilfe ausgiebiger Kapitalien. Und wo diese beiden Faktoren mitsprechen, da kann von Romantik keine Rede sein.
Jene Ansicht aber mar eine irrige gewesen; das wissen wir jetzt, nachdem der Klondyke, der eis- und felsumstarrte Polarfluß, zu Worte gekommen ist. Und seine Rede ist im recht eigentlichen Sinne Gold. Denn es kann heute kein Zweifel mehr darüber obwalten, daß sich dort oben in der nordwestlichsten Ecke des amerikanischen Kontinentes eine überaus reiche Quelle des kostbaren gelben Metalles aufgethan hat. Und dorthin geht jetzt der „Rusch" der Schatzgräber, der Goldgierigen aus allen Ständen, genau so wie weiland nach Kalifornien und Australien.
Es gehört zu den Eigentümlichkeiten der Natur, ihre Schätze so im Verborgenen zu halten und so eifersüchtig zu behüten, daß der Mensch sich nur unter schweren Mühen derselben bemächtigen kann. Zuweilen liegt der goldene Hort in den Tiefen der Erde, ohne daß man der Oberfläche ansehen kann, was darunter versteckt ist, und es muß erst ein Mensch in ein Felsloch stürzen oder über einen Steinhaufen stolpern, um so zufällig die überraschende Entdeckung zu machen. Zuweilen ist auch ein unerträglich heißes und fieberbrütendes Klima der grimme Hüter des Schatzes, wie in Neu-Guinea, wo neuerdings auch Gold gefunden ist; nirgends aber hatte die Natur bisher eine stärkere Fortifikation zur Abwehr der goldgierigen Sterblichen errichtet als in dem arktischen Dorado des Klondyke.
Die größten Goldfunde sind bis jetzt auf englischem Boden, in Kanada, gemacht worden; es ist aber anzunehmen, daß es auch in dem unmittelbar angrenzenden Alaska an dein edeln Metall nicht fehlen wird. Alaska war ehemals russisches Gebiet, wurde jedoch im Jahre 1867 für die Summe von 7 200 000 Dollars von den Vereinigten Staaten erworben — eine Kapitalanlage, die sich jetzt als eine recht vorteilhafte erweisen dürfte. Die Grenze zwischen Kanada und Alaska liegt unter dem 141. Grad westlicher Länge, ist also genau zu bestimmen, wodurch jeglichem Streit vorgebeugt ist. Nur im Süden zieht sich ein Streifen von Alaska die Küste entlang bis zum 55. Grad nördlicher Breite hinab, der dicht an das Quellengebiet des neuerdings so viel genannten Pukonflusses grenzt.
Der Klondyke ist ein rechtsseitiger Nebenfluß des Pukon; er durchströmt den gegenwärtigen Schauplatz der Goldgräberei. Seit langer Zeit schon ist das kanadische Pukon- gebiet, das etwa den Umfang des Deutschen Reiches hat, als ein Land bekannt, das Gold in seinem Schoße birgt; die ganze glänzende Fülle seines Reichtums aber hat es erst vor kurzem, in den Anfangsmonaten des Jahres 1897, offenbart. Den eingeborenen Indianern muß das Vorhandensein von Gold von jeher bekannt gewesen sein; für sie aber hat das dämonische Metall nur untergeordnete Bedeutung. Seit 1878 hatte sich nach und nach eine spärliche Diggerbevölkerung im Pukongebiet eingestellt. 1893 befanden sich ungefähr 300 Digger daselbst; 1895 steigerte sich ihre Zahl auf 3000, und zum Beginn des Winters 1897 werden mindestens ihrer 30 000 am Klondyke kampieren.
Im Laufe der Zeit hat die kanadische Regierung Zum Schutze' der Einwanderer am Pukon die Forts Cudahy und Reliance errichtet, denen die Gründung der Barackenstadt Dawson-City folgte, so genannt nach dem Führer der Regierungsexpedition, Mr. Dawson. Die Stadt liegt in geringer Entfernung von der Mündung des Klondyke in den Pükon.
Das Land ist gebirgig und rauh; der'wildeste Teil liegt im Südosten. Aus zwei Wegeu gelangt man in den Goldbezirk. Der eine führt zur See von San Francisco, Vancouver, Viktoria und andern Häfen nach St. Michael am Gestade des Beringsmeeres und dann den Pukon aufwärts ; der andre Weg, der von 90 Prozent der Goldsucher eingeschlagen wird, beginnt im südlichen Alaska, von der Stadt Skagway aus, und geht über die Gebirge nordwärts nach dem Quellengebiet des Pukon und dann diesen Fluß abwärts bis zum Klondyke, eine Strecke von 580 englischen Meilen.
Der gefährlichste Teil des Landweges ist der enge Pfad über den 4000 Fuß hohen Chilkootpaß, dessen Ueber- steigung mehrere Wochen in Anspruch nimmt; gefahrvoll sind auch einige Stromschnellen, die aus Flößen oder selbstgezimmerten Booten passiert werden müssen; in den Sommermonaten aber ist alles dieses noch zu überwinden. Der Winter jedoch ist schrecklich. Neun Monate lang herrscht strenge Kälte und arktische Dämmerung. Vom September bis zum Mai liegt das ganze Land in den starren Fesseln von Eis und Schnee, und die Temperatur sinkt bis auf 70 bis 80 Grad Fahrenheit unter Null. Die Digger tauen dann das goldhaltige Erdreich durch Feuer auf und bringen es in Sicherheit, um es im kommenden Sommer, wenn das Flußwasser wieder zugängig ist, auszuwaschen.
Mit der Külte und der schweren Arbeit kann ein gesunder und kräftiger Mann sich wohl absinden, aber da ist noch ein schlimmerer Feind, der am Klondyke auf den Goldsucher lauert: der Hunger.
Das Land selber bringt nichts hervor, was zur menschlichen Nahrung dienen könnte; der gesamte Proviant muß eingeführt werden. Einige der alten und erfahrenen Digger, die reiche Erfolge aufzuweisen haben, sind vor Beginn des Winters zurückgekehrt, um den schlimmen Zuständen aus dem Wege zu gehen, die der unablässige und übermäßige Andrang von schlecht ausgerüsteten und unbemittelten Neulingen im Gefolge haben muß. Noch im vergangenen August waren mehr als sechstausend Menschen von Skagway aus unterwegs nach dem Goldlande. Mehr als die Hälfte dieser Unseligen hat unzweifelhaft schon in dem zu Anfang September bereits gänzlich verschneiten Gebirge der Obdachlosigkeit und dem Nahrungsmangel erliegen müssen.
Das Goldsieber hat die Sinne Unzähliger verwirrt. Vergebens veröffentlicht die Regierung der Vereinigten Staaten ihre Warnungen, vergebens erheben wohlmeinende und erfahrene Leute unablässig ihre abmahnenden Stimmen — der Goldwahn macht die Menschen taub und blind, und so fordert und erlangt der gelbe Dämon schon Hekatomben von Opfern, ehe er noch dem Schoße der Erde entstieg.
Der letzte Septemberbericht aus dem Goldlande nennt den Pfad über das Gebirge sehr bezeichnend eine Via dolorosa. Er ist bedeckt mit verunglückten Schatzsuchern, lebendigen wie toten. Männer, denen es nie an Mut und Entschlossenheit gefehlt hat, brechen in Thränen aus, wenn sie, aus der winterlichen Wüstenei glücklich nach bewohnten Stätten zurückgekehrt, von ihren Leiden und ihren Enttäuschungen erzählen. Und als Gegensatz zu solchem Jammer treffen wiederum Nachrichten von großen Erfolgen ein, die immer mehr Glücksjäger ins Verderben locken. Ein armer Teufel aus Colorado, Namens James Rowan, ist nach seiner Heimatsstadt Leadville mit einem Vermögen von 200 000 Dollars zurückgekehrt.
Der amerikanische Schriftsteller Joaquin Miller, der sich gleich zu Beginn des Goldfiebers nach Dawson-City begab, schreibt von dort, daß eine rechtzeitige Nahrungszufuhr die drohende Hungersnot in jener Stadt vorläufig abgewehrt habe; zugleich fordert er dringend alle vernünftigen Leute auf, daheim zu bleiben, da die Welt nur von den wenigen Glücklichen etwas höre, während die vielen Unglücklichen unbekannt zu Grunde gingen.
Die gesellschaftlichen Zustände am Klondyke sind haarsträubend. Diebstahl und andre Verbrechen haben so über- haudgenommen, daß sich ein Exekutivkomitee gebildet hat, das jeden Uebertreter ohne weiteres zum Tode des Hängens verurteilt — ganz wie in den alten „romantischen" Zeiten am Sakramento.
Whisky ist der einzige Stoff, an dem in Dawson-City kein Mangel ist. Die Straßen werden nicht leer von betrunkenen Männern und Weibern. In der Stadt und ihrer Umgebung wohnen gegen 7000 Menschen. Gold im Werte von Millionen ist zu Tage gefördert worden, lind doch müssen seine Besitzer jämmerlich darben. Dazu grassieren Typhus und Skorbut in erschreckendem Maße; die letztere Krankheit wird dem Mangel an Vegetabilien zugeschrieben. Zwei Gebrüder Carlson verkauften ihre „Claims" für 50 000 Dollars, um vor Anbruch des Winters heimzukehren, da vom September an jeder Ausweg versperrt ist. Allein schon zwei Tage nach dem Verkauf hatte der Typhus beide dahingerafft.
Die Scenerie des Landes ist wild, unheimlich und düster. Die Felsenberge sind, soweit nicht ewiger Schnee auf ihnen lastet, mit spärlichen Zwergtannen bestanden. Und in solcher Gegend ein neunmonatlicher arktischer Winter! Die Hüfte derer, die hier nach Gold graben, gräbt zugleich ihr Grab.
An der Küste des Stillen Ozeans, die gar nicht so weit entfernt ist, welch ein Gegensatz! Hier ist das Klima verhältnismäßig mild, und an Nahrung für Menschen und Vieh fehlt es nicht. Schier unglaublich ist der Fischreichtum. So wurden im August dieses Jahres auf einem vier englische Meilen langen Küstenstrich an einem Tage mehr als hunderttausend Lachse gefangen. Merkwürdig ist ein hier häufig vorkommender Fisch, Olacin genannt. Derselbe ist so ölhaltig, daß er, in einen Flaschenhals gesteckt und angezündet, wie eine Lampe brennt.
Auch in diesen noch fast ganz unbekannten und un- erschlossenen Landstrichen finden sich Gold und Silber, Kupfer, Blei und Kohlen. Aber hierher geht der „Rusch" nicht. Wohl kann ein fleißiger Mann auch hier Reichtümer erwerben, aber nicht von heute auf morgen, wie in den Diggings am unwirtbaren Klondyke. Wer dort hingegangen ist oder noch hingeht, der findet entweder ein Vermögen oder den Tod.
Die Entdeckung der Goldlager im Pukonlande geschah durch Zufall, genau so wie in Kalifornien, Australien und Afrika. In Kalifornien war der Glückliche ein Mann Namens Sutter. Er hatte sich am Zusammenfluß der Ströme Amerikanos und Sakramento angesiedelt und dort eine Sägemühle erbaut. Eines Morgens hatte das Wasser den Damm durchbrochen, und an der Bruchstelle bemerkte Sutter etwas Gelbes und Glitzerndes in der Erde. Es war Gold. Die Kunde verbreitete sich, wurde Zuerst belächelt, dann aber begann der „Rusch". Das ganze Land geriet in Aufruhr. Tausende von Leuten strömten herbei.
das Leben. Aber der „Rusch" ließ nicht nach. Am Fort Kearney bewegte sich in einein Monat ein Zug Einwanderer vorüber, der auf 700 Meilen (englisch) Länge geschätzt wurde — ein Troß von 20 000 Menschen mit Fuhrwerken und 50 000 Zugtieren. Das war der „Rusch" auf dem Landwege; zu Schiffe kamen ebensoviel Goldsucher. Das dauerte vier Jahre lang. Zu jener Zeit stieg die Goldproduktion der Erde von 170 Millionen Mark aus 730 Millionen Mark jährlich.
Unter den Diggern befand sich auch ein gewisser Har- graves, ein Australier, der die Wahrnehmung machte, daß zwischen dem Gestein der Sierra Nevada und dem der heimatlichen Berge in Neu-Süd-Wales eine Aehnlichkeit obwalte. Nachdem er in Kalifornien tüchtig geschafft hatte, segelte er nach Hause, suchte hier nach goldhaltigem Boden und fand auch solchen am Summerhill Creek. In ganz kurzer Zeit waren 5000 Menschen an Ort und Stelle, und Summerhill wurde Ophir getauft. Einige Meilen davon entfernt weidete ein Schafhirt seine Herde. Aus Langeweile klopfte er mit einem Beil auf einen Stein. Der Stein war Quarz und enthielt Gold. Sofort ging der „Rusch" auch hierher. Allenthalben fand man Gold, in Körnern und in Nuggets (Klumpen), letztere bis zum Gewicht von zehn, zwanzig, dreißig Pfund und darüber. Wäre damals in Melbourne die Pest ausgebrochen, die Stadt hätte nicht schneller von ihren Bewohnern verlassen werden können. Seeleute ließen ihre Schiffe, Krämer ihre Lüden im Stich. Der Gouverneur mußte sich sein Feuer selber anzünden und eigenhändig seine Stiefel reinigen. In England fanden sich nicht Fahrzeuge genug, um alle Auswanderungslustigen nach Australien zu schaffen. Drei Monate nach Hargraves Entdeckung waren auf einer Bodenfläche von 15 englischen Quadratmeilen 12 000 Digger mit dem Durchwühlen des Erdreichs beschäftigt.
Der letzte „Rusch" ging 1868 nach Südafrika, wo seither, 1887, der „Witwatersrand" seine Reichtümer aufgethan hat. Gegenwärtig werden von den Witwatersrand- Compagnien jährlich gegen 400 Millionen Mark Gold zu Tage gefördert, ein Ertrag, der sich, wie Kenner der afrikanischen Goldverhältnisse behaupten, immer mehr steigern und innerhalb der ersten Hälfte des nächsten Jahrhunderts wahrscheinlich die Höhe von 1400 Millionen erreichen wird.
Nach einem mir vorliegenden Ausweis haben die goldproduzierenden Länder im Jahre 1894 folgende Posten zum Reichtum der zivilisierten Welt beigetragen: Australien 167 040000 Mark, Südafrika 161 080 000 Mark (ist inzwischen auf 400 Millionen gestiegen), Vereinigte Staaten von Nordamerika 149 000 000, Britisch-Kolumbia (Kanada) und Südamerika 40000 000, Rußland 96 540 000 und die übrigen Länder 96140 000; zusammen also 719 800 000 Mark. In den letzten Jahren werden sich die Erträge, wie in Südafrika so auch in den andern Ländern, mehr oder weniger gesteigert haben, und von jetzt an kommt dazu noch die Ausbeute der Goldgräbereien im Pukoulande, dessen Bodenreichtum alles bisher in dieser Hinsicht bekannt Gewordene ja weit übertreffen soll.
Die Welt wird reicher mit jedem Tag, zugleich aber auch ärmer und unglücklicher — das Werk des glitzernden Dämons, an dem alles hängt, nach dem sich alles drängt, der alles auf Erden mächtig fördert, das Gute sowohl wie das Böse. -