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Ueber Land und Meer.
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ihnen und dazwischen ein Deckelkrug, aus dem, als nian den Deckel aufklappte, der heiße Wrasen emporschlug. Die Baronin, in solchen Dingen die Scharfblickendste, war sofort orientiert und sagte: „Lieber Stechlin, ich beglückwünsche Sie. Das war eine große Idee."
„Ja, meine Damen, ich glaubte, daß etwas geschehen müsse, sonst haben wir morgen samt und sonders einen akuten Rheumatismus. Und zurück müssen wir doch auch. Auf dem Schiffe, wo solche Hilfsmittel, glaub' ich, fehlen, sind wir allen Unbilden der Elemente preisgegeben."
„Und Sie konnten wirklich nicht besser wählen," unterbrach Melusine. „Schwedischer Punsch, für den ich ein liüinZ habe. Wie für Schweden überhaupt. Da Doktor Wrschowitz nicht da ist, können wir uns ungestraft einem gewissen Maß von Skandinavismus überlassen."
„Am liebsten ohne alles Maß," sagte Woldemar, „so skandinavisch bin ich. Ich ziehe die Skandinaven den sonst ,Meistbegünstigten' unter den Nationen immer noch vor. Alle Länder erweitern übrigens ihre Spezialgebiete. Früher hatte Schweden nur zweierlei: Mut und Eisen, von denen man sagen muß, daß sie gut zusammen passen. Dann kamen die ,Säkerhets Tändstickors', und nun haben wir den schwedischen Punsch, den ich in diesem Augenblick unbedingt am höchsten stelle. Ihr Wohl, meine Damen."
„Und das Ihre," sagte Melusine, „denn Sie sind doch der Schöpfer dieses glücklichen Moments. Aber wissen Sie, lieber Stechlin, daß ich in Ihrer Auszählung schwedischer Herrlichkeiten etwas vermißt habe. Die Schweden haben noch eins — oder hatten es wenigstens. Und das war die schwedische Nachtigall."
„Ja, die Hab' ich vergessen. Es fällt vor meine Zeit."
„Ich könnte," lachte die Gräfin, „vielleicht auch sagen: vor meine Zeit. Aber was thut's, ich will mich gerne dazu bekennen, die Lind noch leibhaftig gekannt zu haben. Freilich nicht mehr so eigentlich als schwedische Nachtigall. Und überhaupt unter anderm Namen."
„Ja, ich erinnere mich," sagte Woldemar, „sie hatte sich verheiratet. Wie hieß sie doch?"
„Goldschmidt, ein Name, den man schon um ^Goldschmidts Töchterlein' willen gelten lassen kann. Aber an Jenny Lind reicht er doch nicht heran."
„Gewiß nicht. Und Sie sagten, Frau Gräfin, Sie hätten sie noch persönlich gekannt?"
„Ja, gekannt und auch gehört. Sie sang damals, wenn auch nicht mehr öffentlich, so doch immer noch in ihrem häuslichen Salon. Diese Bekanntschaft zählt zu meinen liebsten und stolzesten Erinnerungen. Ich war noch ein halbes Kind, aber trotzdem doch mit eingeladen, was mir allein schon etwas bedeutete. Dazu die Fahrt von Hyde-Park bis in die Villa hinaus. Ich weiß noch deutlich, ich trug ein weißes Kleid und einen hellblauen Kaschmirumhang und das Haar ganz ausgelöst. Die Lind beobachtete mich, und ich sah, daß ich ihr gefiel. Wenn man Eindruck macht, das behält man auch später noch. Und nun gar mit vierzehn!"
„Die Lind," warf die Baronin hier etwas prosaisch ein, „soll als Kind sehr häßlich gewesen sein."
„Ich hätte das Gegenteil vermutet," bemerkte Woldemar.
„Und auf welche Veranlassung hin, lieber Stechlin?"
„Weil ich ein Bild von ihr kenne. Wir haben es seit einiger Zeit von einem unsrer besten Maler aus unsrer Nationalgalerie. Aber lange bevor ich es da sah, kannt' ich es schon en miniature, und zwar aus einer im Besitz meines Freundes Lorenzen befindlichen Aquarelle. Diese Kopie hängt über seinen: Sofa, dicht unter einer Nubensschen Kreuzabnahme. Wenn man will, eine etwas sonderbare Zusammenstellung."
„Und das alles in Ihrer Stechliner Pfarre!" sagte Melusine. „Wissen Sie, Stechlin, daß ich die Thatsache, daß so was überhaupt in einem kleinen Dorfe Vorkommen kann, Ihrem berühmten See beinah' gleichstelle? Unsre schwedische Nachtigall in Ihrem ,Nuppiner Winkel', wie Sie selbst beständig sich auszudrücken lieben. Die Lind! Und wie kam Ihr Pastor dazu?"
„Die Lind war, glaub' ich, seine erste Liebe. Sehr wahrscheinlich auch seine letzte. Lorenzen saß damals noch auf der Schulbank und schlug sich mit Stundengeben durch. Aber er hörte die Diva trotzdem jeden Abend und wußte sich auch, trotz bescheidenster Mittel, das Bildchen zu verschaffen. Fast grenzt es ans Wunderbare. Freilich verlaufen die Dinge meist so. Wär' er reich gewesen, so hätt' er sein Geld anderweitig verthan und die Lind vielleicht nie gehört und gesehen. Nur die Armen bringen die Mittel aus für das, was jenseits des Gewöhnlichen liegt; aus Begeisterung und Liebe fließt alles. Und es ist etwas sehr Schönes, daß es so ist in unserm Leben. Vielleicht das Schönste."
Das will ich meinen," sagte die Gräfin. „Und ich dank' es Ihnen, lieber Stechlin, daß Sie das gesagt haben. Das war ein gutes Wort, das ich Ihnen nicht vergessen will. Und dieser Lorenzen war Ihr Lehrer und Erzieher?"
„Ja, mein Lehrer und Erzieher. Zugleich mein Freund und Berater. Der, den ich über alles liebe."
„Gehen Sie darin nicht zu weit?" lachte Melusine.
„Vielleicht, Gräfin, oder sag' ich lieber: gewiß. Und ich hätte dessen eingedenk sein sollen, gerade heut und gerade hier. Aber so viel bleibt: ich liebe ihn sehr, weil ich ihm alles verdanke, was ich bin, und weil er reinen Herzens ist."
„Reinen Herzens," sagte Melusine. „Das ist viel. Und Sie sind dessen sicher?"
„Ganz sicher."
„Und von diesem Unikum erzählen Sie uns erst heute! Da waren Sie neulich mit dem guten Wrschowitz bei uns und haben uns allerhand Schreckliches von Ihrem Misogynen Prinzen wissen lassen. Und während Sie den in den Vordergrund stellen, halten Sie diesen Pastor Lorenzen ganz gemütlich in Reserve. Wie kann man so grausam sein und mit seinen Berichten und Redekünsten so launenhaft operieren! Aber holen Sie wenigstens nach, was Sie versäumt haben. Die Fragen drängen sich ordentlich. Wie kam Ihr Vater aus den Einfall, Ihnen einen solchen Erzieher zu geben? Und wie kam ein Mann wie dieser Lorenzen in diese Gegenden? Und wie kam er überhaupt in diese Welt? Es ist so selten, so selten."
Armgard und die Baronin nickten.
„Ich bekenne, mich quält die Neugier, mehr von ihm zu hören," fuhr Melusine fort. „Und er ist unverheiratet? Schon das allein ist immer ein gutes Zeichen. Durchschnittsmenschen glauben sich so schnell wie möglich verewigen zu müssen, damit die Herrlichkeit nicht ausstirbt. Ihr Lorenzen ist eben in allem, wie mir scheint, ein Ausnahmemensch. Also beginnen."
„Ich bin dazu besten Willens, Frau Gräfin. Aber es ist zu spät dazu, denn das Helle Licht, das Sie da sehen, das ist bereits unser Dampfer. Wir haben keine Wahl mehr, wir müssen abbrechen, wenn wir nicht im Eiexhäuschen ein Nachtquartier nehmen wollen. Unterwegs, ist übrigens Lorenzen ein wundervolles Thema, vorausgesetzt, daß uns der Anblick der Liebesinsel nicht wieder auf andre Dinge bringt. Aber hören Sie... der Dampfer läutet schon. . . wir müssen eilen. Bis an die Anlegestelle sind noch mindestens drei Minuten!"
Und nun war man glücklich aus dem Schiff, auf dem Woldemar und die Damen ihre schon auf der Hinfahrt innegehabten Plätze sofort wieder ein- nahmen. Nur die beiden in ihre Plaids gewickelten alten Herren schritten auf Deck auf und ab und sahen, wenn sie vorn am Bugspriet eine kurze Rast machten, auf die vielen hundert Lichter, die sich von beiden Ufern her im Fluß spiegelten. Unten im Maschinenraum hörte man das Klappern und Stampfen, während die Schiffsschraube das Wasser nach hinten schleuderte, daß es in einem weißen Schaumstreifen dem Schiffe folgte. Sonst war alles still, so still, daß die Damen ihr Gespräch unterbrachen. „Armgard, du bist so schweigsam," sagte Melusine, „finden Sie nicht auch, lieber Stechlin? Meine Schwester hat noch keine zehn Worte gesprochen."
„Ich glaube, Gräfin, wir lassen die Comtesse. Manchem kleidet es zu sprechen, und manchem kleidet es zu schweigen. Jedes Beisammensein braucht einen Schweiger."
„Ich werde Nutzen aus dieser Lehre ziehen."
„Ich glaub' es nicht, Gräfin, und vor allem wünsch' ich es nicht. Wer könnt' eS wünschen?"
Sie drohte ihm mit dem Finger. Dann schwieg man wieder und sah auf die Landschaft, die da, wo der am User hinlaufende Straßeuzug breite Lücken aufwies, in tiefem Dunkel lag. Urplötzlich aber stieg gerade aus dem Dunkel heraus ein Lichtstreisen hoch in den Himmel und zerstob da, wobei rote und blaue Leuchtkugeln langsam zur Erde niederfielen.
„Wie schön," sagte Melusine. „Das ist mehr, als wir erwarten durften; Ende gut, alles gut, — nun haben wir auch noch ein Feuerwerk. Wo mag es sein? Welche Dörfer liegen da hinüber? Lieber Stechlin, Sie sind ja so gut wie ein Generalstäbler, Sie müssen es wissen. Ich vermute Friedrichsselde. Reizendes Dorf und reizendes Schloß. Ich war einmal da; die Dame des Hauses ist eine Schwester der Frau von Hülsen. Ist es Friedrichsfelde?"
„Vielleicht, gnädigste Gräfin. Aber doch nicht wahrscheinlich. Friedrichsselde gehört nicht in die Reihe der Vororte, wo Feuerwerke sozusagen auf dem Programm stehen. Ich denke, wir lassen es im Ungewissen und freuen uns der Sache selbst. Sehen Sie, jetzt beginnt es erst recht eigentlich. Die Rakete, die wir da vorhin gesehen haben, das war nur Vorspiel. Jetzt haben wir erst das Stück. Es ist zu weit ab, sonst würden wir das Knattern hören und die Kanonenschläge. Wahrscheinlich ist es Sedan oder Düppel oder der Uebergang nach Alsen. Uebrigens ist die Pyrotechnik eine profunde Wissenschaft geworden."
„Und es soll auch Personen geben, die ganz dafür leben und ihr Vermögen dafür hinovsern wie früher die Holländer für Tulpen. Tulpen wäre nun freilich nicht mein Geschmack. Aber Feuerwerk!"
„Ja, unbedingt. Und nur schade, daß alle die, die damit zu thun haben, über kurz oder lang in die Luft fliegen."
„Das ist fatal. Aber es steigert doch auch wieder den Reiz. Sonderbar, gefahrlose Berufe, solche, die sozusagen eine Zipfelmütze tragen, sind mir von jeher ein Greuel gewesen. Interesse hat doch immer nur das va danque: Torpedoboote, Tunnel unter dem Meere, Luftballons. Ich denke mir, das Nächste, was wir erleben, sind Luftschifferschlachteu. Wenn dann so eine Gondel die andre entert. Ich kann mich in solche Vorstellungen geradezu verlieben."
„Ja, liebe Melusine, das seh' ich," unterbrach hier die Baronin. „Sie verlieben sich in solche Vorstellungeil und vergessen darüber die Wirklichkeiten und sogar unser Programm. Ich muß angesichts dieser doch erst kommenden Lustschifferschlachten daran erinnern, daß heute noch wer anders in der Lust schwebt: Pastor Lorenzen. Von dem sollte die Rede sein. Freilich, der ist kein Pyrotechniker. "
„Nein," lachte Woldemar, „das ist er nicht. Aber als einen Aeronauten kann ich ihn beinahe gelten lassen. Er ist so recht ein Aussteigemensch, einer aus der wirklichen Obersphäre, genau von daher, wo die Hoffnung zu Haus ist und die Liebe."
„Ja," lachte die Baronin, „die Hoffnung und die Liebe! Wo bleibt aber das Dritte? Das fehlt hier immer. Da müssen's zu uns kommen. Wir haben noch davon und wissen wenigstens, was wir glauben sollen."
„Ja, sollen."
„Sollen, das ist die Hauptsache. Wenn mau weiß, was man soll, so sind't sich's schon. Aber wo das Sollen fehlt, da fehlt auch das Wollen. Es ist halt a Glück, daß wir Nom haben und den heiligen Vater."
„Ach," sagte Melusine, „wer's Ihnen glaubt, Baronin! Aber lassen wir die heiklen Fragen und hören wir lieber von dem, den ich — ich bin beschämt darüber — in so wenig verbindlicher Weise vergessen konnte, von unserm Wundermann mit der Studentenliebe, von dem Säulenheiligen, der reinen Herzens ist, und vor allem von dem Schöpfer und Nährvater unsers Freundes Stechlin. Lti bien, was ist es mit ihm? ,An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen,' — das könnt' uns beinahe genügen. Aber ich bin doch für ein Weiteres. Und so denn attention au jeu. Unser Freund Stechlin hat das Wort."
„Ja, unser Freund Stechlin hat das Wort,"