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T-Leber ^Land und Meer.
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wiederholte Woldemar, „so sagen Sie gütigst, Frau Gräfin. Aber dem Nachkommen ist nicht so leicht. Vorhin, da war ich im Zuge. Jetzt wieder damit anfangen, das hat seine Schwierigkeiten. Und dann erwarten die Damen immer eine Liebesgeschichte, selbst wenn es sich um einen Mann handelt, den ich, was diese Dinge betrifft, so wenig versprechend eingefiihrt habe. Sie gehen also, wie heute schon mehrfach (ich erinnere nur an das Eierhäuschen) einer grausamen Enttäuschung entgegen."
„Keine Ausflüchte!"
„Nun, so sei's denn. Ich will es aber auf einem Umwege versuchen und Ihnen einfach schildern, wie meine letzte Begegnung mit Lorenzen verlief. Er war, als ich bei ihm eintrat, in ersichtlich großer Erregung und zwar über ein Büchelchen, das er in Händen hielt."
„Und ich will raten, was es war," unterbrach Melusine.
„Nun?"
„Ein Buch von Tolstoj. Etwas mit viel Opfer und Entsagung. Anpreisung von Aseese."
„Sie sind auf dem richtigen Wege, Gräfin, nur uicht geographisch. Es handelt sich nämlich nicht östlich um einen Russen, sondern westlich um einen Portugiesen."
„Um einen Portugiesen," lachte die Baronin. „O, ich kenne welche. Sie sind alle so klein und gelblich. Und einer fand einen Seeweg. Freilich schon lange her. Ist es nicht so?"
„Gewiß, Frau Baronin, es ist so. Nur der, um den es sich hier handelt, das ist keiner mit einem Seeweg, sondern bloß ein Dichter."
„Ach, dessen erinnere ich mich auch, ja ich habe sogar seinen Namen auf der Zunge. Mit einem großen C sing er au. Aber Calderon war es nicht."
„Nein, Calderon nicht, — der wohnte nebenan. Und es war überhaupt kein alter, sondern ein neuer. Und er hieß Joao de Deus."
„Joao de Deus," wiederholte die Gräfin. „Schon der Name. Sonderbar. Und was war es mit dem?"
„Ja, was war es mit dem? Dieselbe Frage that ich auch, und ich habe nicht vergessen, was Lorenzen mir antwortete: ,Dieser Joao de Deus/ so etwa waren seine Worte, ,war das, was ich sein möchte, wonach ich suche, seit ich zu leben, wirklich zu leben angefangen, und wovon es beständig draußen in der Welt heißt, es gäbe dergleichen nicht mehr. Aber es giebt dergleichen noch, es muß es geben oder doch wieder geben. Unsre ganze Gesellschaft (und nun gar erst das, was sich im besonderen so nennt) ist aufgebaut aus dem Ich. Das ist ihr Fluch, und daran muß sie zu Grunde gehen. Die zehn Gebote, das war der Alte Bund; der neue Bund aber hat ein andres Gebot, und das heißt: Und du hättest der Liebe nicht. . .'
„So etwa sprach er und noch manches andre, bis ich ihn unterbrach. ,Aber, Lorenzen, das sind Allgemeinheiten. Sie wollten mir Persönliches von Jao de Deus erzählen. Was ist es mit dem? Wer war er? Lebt er? Oder ist er tot?'
„,Er ist tot, aber seit kurzem erst, und von seinem Tode spricht das kleine Heft hier. Höre, was da steht: „Und als er nun tot war, da gab
es eine Landestrauer, und alle Schulen in der Hauptstadt waren geschlossen, und die Minister und die Leute vom Hof und die Gelehrten und die Handwerker, alles folgte dem Sarge dicht gedrängt, und die Fabrikarbeiterinnen hoben schluchzend ihre Kinder in die Höh' und zeigten aus den Toten und sagten: IIn 8anto, un 8anto. Und sie thaten so und sagten so, weil er für die Armen gelebt hatte und nicht für sich/""
„Das ist schön," sagte Melusine.
„Ja, das ist schön," wiederholte Woldemar, „und ich darf hinzusetzen, in dieser Geschichte haben Sie nicht bloß den Joao de DeUs, sondern auch meinen Freund Loreuzen. Er ist vielleicht nicht ganz wie sein Ideal. Aber Liebe giebt Ebenbürtigkeit."
„Und so schlag' ich denn vor," sagte die Baronin, „daß wir den mit den: C, dessen Name mir übrigens gleich einfallen wird, vorläufig absetzen und statt seiner den neuen mit dein D leben lassen. Und natürlich unfern Lorenzen dazu."
„Ja, leben lassen," lachte Woldemar. „Aber worin? 1^68 jour8 äo kete..." und er wies auf das Eierhäuschen zurück.
I „In dieser Notlage wollen wir uns helfen, so gut es geht, und uns statt andrer Beschwörung einfach die Hände reichen, selbstverständlich über Kreuz, hier erst Stechlin und Armgard und dann Melusine und ich."
Und wirklich, sie reichten sich in heiterer Feierlichkeit die Hände.
Gleich danach aber traten die beiden alten Herren an die Gruppe heran, und der Baron sagte: „Das ist ja wie Rütli."
„Mehr, mehr. Bah, Freiheit! Was ist Freiheit gegen Liebe!"
„So, hat 's denn eine Verlobung gegeben?"
„Nein. . . noch nicht," lachte Melusine.
XVI.
Der andre Morgen rief Woldemar zeitig zum Dienst. Als er um neun Uhr auf sein Zimmer zurückkehrte, fand er ans dem Frühstückstisch Zeitungen und Briefe. Darunter war einer mit einen: ziemlich großen Siegel, der Lack schlecht und der Brief überhaupt von sehr uumodischer Erscheinung, ein bloß zusammengelegter Quartbogen. Woldemar, nach Poststempel und Handschrift sehr Wohl wissend, woher und von wem der Brief kam, schob ihn, während Fritz den Thee brachte, beiseite, und erst als er eine Taffe genommen und länger als nötig dabei verweilt hatte, griff er wieder nach dem Brief und drehte ihn zwischen Daumen und Zeigefinger. „Ich hätte mir, nach dem gestrigen Abend, heute früh etwas andres gewünscht." Und während er das so vor sich hin sprach, standen ihm die letzten Wutzer Augenblicke wieder vor der Seele. Die Tante hatte, kurz bevor er das Kloster verließ, noch einmal vertraulich seine Hand genommen und ihm bei der Gelegenheit ausgesprochen, was sie seit lange bedrückte.
„Das Junggesellenleben, Woldemar, taugt nichts. Dein Vater war auch schon zu alt, als er sich verheiratete. Ich will nicht in deine Geheimnisse ein- dringen, aber ich möchte doch fragen dürfen: wie stehst du dazu?"
„Nun, ein Anfang ist gemacht. Aber doch erst obenhin."
„Berlinerin?"
„Ja und nein. Die junge Dame lebt seit einer Reihe von Jahren in Berlin und liebt unsre Stadt über Erwarten. Insoweit ist sie Berlinerin. Aber eigentlich ist sie doch keine; sie wurde drüben in London geboren, und ihre Mutter war eine Schweizerin."
„Um Gottes willen!"
„Ich glaube, liebe Tante, du machst dir falsche Vorstellungen von einer Schweizerin. Du denkst sie dir aus einer Alm und mit einem Milchkübel."
„Ich denke sie mir gar nicht, Woldemar. Ich weiß nur, daß es ein wildes Land ist."
„Ein freies Land, liebe Tante."
„Ja das kennt man. Und wenn du das Spiel noch einigermaßen in der Hand hast, so beschwör' ich dich . . ."
An dieser Stelle war das Gespräch mit der Tante, weil eine Störung kam, auf andre Dinge hingeleitet worden, und nun hielt er ihren Brief in Händen und zögerte, das Siegel zu brechen. „Ich weiß, was drin steht, und ängstige mich doch beinahe. Wenn es nicht Kämpfe giebt, so giebt es wenigstens Verstimmungen. Und die sind mir wo möglich noch fataler. . . Aber was hilft es!"
Und nun brach er den Brief auf und las:
„Ich nehme an, mein lieber Woldemar, daß Du meine letzten Worte noch in Erinnerung hast. Sic liefen auf den Rat und die Bitte hinaus: gieb auch in dieser Frage die Heimat nicht auf, halte dich, wenn es sein kann, an das Nächste. Schon unsre Provinzen sind so sehr verschieden. Ich sehe Dich über solche Worte lächeln, aber ich bleibe doch dabei. Was ich Adel nenne, das giebt es nur noch in unsrer Mark und in unsrer alten Nachbar- und Schwesterprovinz, ja, da vielleicht noch reiner als bei uns. Ich will nicht ausführen, wie's bei schärferen: Zusehen auf dem adligen Gesamtgebiete steht, aber doch wenigstens ein paar Andeutungen will ich machen. Ich habe sie von allen Arten gesehen. Da sind zum Beispiel die rheinischen jungen Damen, also die von Köln und Aachen; nun ja, die mögen ganz gut sein, aber sie sind katholisch, und wenn sie nicht katholisch sind, dann sind sie was andres, wo der Vater erst geadelt wurde. Neben den rheinischen
haben wir dann die westfälischen, lieber die ließe sich reden. Aber Schlesien. Die schlesischen Herrschaften, die sich mitunter auch Magnaten nennen, sind alle so gut wie polnisch und leben von Jeu und haben die hübschesten Erzieherinnen; immer ganz jung, da macht es sich am leichtesten. Und daun sind da noch weiterhin die preußischen, das heißt die ostpreußischen, wo schon alles aufhört. Nun, die kenn' ich, die sind ganz wie ihre Litauer Füllen und schlagen aus und beknabbern alles. Und je reicher sie sind, desto schlimmer. Und nun wirst Du fragen, warum ich gegen andre so streng und so sehr für unsre Mark bin, ja speziell für unsre Mittelmark. Deshalb, mein liebe Woldemar, weil wir in unsrer Mittelmark nicht so bloß äußerlich in der Mitte liegen, sondern weil wir auch in allem die rechte Mitte haben und halten. Ich habe mal gehört, unser märkisches Land sei das Land, drin es nie Heilige gegeben, drin man aber auch keine Ketzer- verbrannt habe. Sieh, das ist das, worauf es ankommt, Mittelzustand, — darauf baut sich das Glück auf. Und dann haben wir hier noch zweierlei: in unserer Bevölkerung die reine Lehre und in unfern: Adel das reine Blut. Die, wo das uicht zutrifft, die kennt man. Einige meinen freilich, das, was sie das ,Geistige' nennen, das litte darunter. Das ist aber alles Thorheit. Und wenn es litte (es leidet aber nicht), so schadet das gar nichts. Wenn das Herz gesund ist, ist der Kopf nie ganz schlecht. Auf diesen Satz kannst Du Dich verlassen, lind so bleibe denn, wenn Du suchst, in unsrer Mark und vergiß nie, daß wir das sind, was man so chranden- burgische Geschichte' nennt. Am eindringlichsten überlaß Dir unsre Nheinsberger Gegend empfohlen sein, von der mir selbst Koseleger — trotzdem seine Feinde behaupten, er betrachte sich hier bloß wie in Verbannung und sehne sich fort nach einer Berliner Domstelle — von der mir selbst Koseleger sagte: ,Wem: man sich die preußische Geschichte genau ansieht, so findet man immer, daß sich alles aus unsre alte, liebe Grafschaft zurücksühren läßt; — da liegen die Wurzeln unsrer Kraft.' Und so schließe ich denn mit der Bitte: heirate heimisch und heirate lutherisch. Und nicht nach Geld (Geld erniedrigt) und halte Dich dabei versichert der Liebe Deiner Dich herzlich liebenden Tante und Patin Adelheid von St."
Woldemar lachte. „Heirate heimisch und heirate lutherisch — das hör' ich nun schon seit Jahren. Und auch das dritte höre ich immer wieder: ,Geld erniedrigt'. Aber das kenn' ich. Wenn's nur recht viel ist, kann es schließlich auch eine Chinesin sein. In der Mark ist alles Geldfrage. Geld — weil keins da ist — spricht Person und Sache heilig und, was noch mehr sagen will, befriedigt zuletzt auch den Eigensinn einer alten Tante."
Während er lachend so vor sich hin sprach, überflog er noch einmal den Brief und sah jetzt, daß eine Nachschrift an den Rand der vierten Seite gekritzelt war. „Eben war Katzler hier, der mir von der am Sonnabend in unserm Kreise stattfindenden Nachwahl erzählte. Dein Vater ist ausgestellt worden und hat auch angenommen. Er bleibt doch immer der Alte. Gewiß wird er sich einbilden, ein Opser zu bringen, — er litt von Jugend auf an solchen Einbildungen. Aber was ihm ein Opfer bedünkte, waren, bei Lichte besehen, immer bloß Eitelkeiten. Deine A. von St."
XVII.
Es war so, wie die Tante geschrieben: Dubslaw hatte sich als konservativen Kandidaten aufstellen lassen, und wenn für Woldemar noch Zweifel darüber gewesen wären, so hätten einige am Tage daraus von Lorenzen eintreffende Zeilen diese Zweifel beseitigt. Es hieß in Lorenzens Brief:
„Seit Deinem letzten Besuch hat sich hier allerlei Großes zugetragen. Noch am selben Abend erschiene:: Gundermann und Koseleger und drangen in Deinen Vater, zu kandidieren. Er lehnte zunächst natürlich ab; er sei weltfremd und verstehe nichts davon. Aber damit kam er nicht weit. Koseleger, der — was ihn: auch später noch von Nutzen sein wird — immer ein paar Anekdoten auf der Pfanne hat, erzählte ihn: sofort, daß vor Jahren, als ein von Bismarck zun: Finanzminister Ausersehener sich in gleicher Weise mit einem ,Jch verstehe nichts davon, Durchlaucht' aus der Affaire habe ziehen wollen, er einfach der bis- marckisch-prompten Antwort begegnet sei: ,Darum