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Aeöer ^Land und Weer.
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„Auch das nicht. Ich bin nicht gekommen, um Fehde mit dir zu führen. Und du besitzest nichts, das mir des Erstrebens wert wäre."
Seine Stimme ist kalt und mutet sie seltsam bekannt an. Dunkel blitzen seine Augen durch das geschlossene Visier und erinnern sie an diejenigen des jungen Marcel, der für sie gestorben.
„Du willst mich neugierig machen," sagt sie, einen kleinen Schauer tapfer niederkämpfend, „aber das ist verlorene Liebesmüh'!"
„Du solltest das Wort,Liebe* nicht aussprechen, Königin. Auf deinen allerdings wunderschönen Lippen verwandelt es sich in eine Schlange."
„Was willst du damit sagend!"
„Daß du kein Herz besitzest, Kleopatra. Daß du oberflächlich und egoistisch, genußsüchtig und erbarmungslos, kurz alles, nur kein echtes Weib bist."
Die ägyptische Königin atmet heftig. „Und wer oder was bist du, daß du es wagst, die ohnehin weitgesteckten Grenzen der Maskenfreiheit in so unerhörter Weise zu überschreitend"
„Ich sprach die Wahrheit," entgegnet er kalt. „Und ich darf sie aussprechen, denn ich gehöre nicht unter deine Vasallen. Ich bin ein freier Mann, der nach deiner Gunst nicht fragt und die Maskenfreiheit dazu benutzt, dir den Beweis zu liefern, daß es Rüstungen giebt, an denen dein Zauber machtlos abprallt."
Fürstin Myra meint vor Zorn zu ersticken. „Wäre mein Gatte hier, so würde er dir besser antworten, als ich es vermag!" stößt sie zwischen den Zähnen hervor. „Zum Glück fehlt es mir nicht an Freunden, die bereit sind, für mich einzutreten —"
„Und die du dann, zum Dank für ihre Ergebenheit, vor die Mordwaffe deines Gatten stellst," vollendet er kaltblütig. „Denke an Marcel d' Aubray!"
Sie zuckt zusammen. Ihr Herz beginnt ungestüm zu pochen. Im gleichen Moment hebt die Musik wieder an, und der schwarze Ritter tritt mit eleganter Wendung vor sie hin. „Darf ich bitten, Königin?"
„Nimmermehr! Keinen Schritt, kein Wort mehr mit Ihnen!" will sie sagen, bringt es aber nur zur Hälfte über die Lippen, denn seine Augen — die Augen, die so sehr an Marcel erinnern und jetzt so gebieterisch blicken — zwingen sie dazu, sich zu erheben. Halb willenlos läßt sie sich wieder von ihm in die Reihen der Tanzenden führen. Ein herrlicher Galopp, in dem sie wie auf Schwingen dahingleiten, währenddessen jede andre Empfindung in einem unbeschreiblichen, berauschenden Wonnegefühl untergeht, drängt vorläufig ihren Zorn in den Hintergrund. Und als der Tanz beendet ist, da kann sie diesen Zorn nicht wiederfinden; da wohnt nur ein seltsames, nie gekanntes Empfinden, eine weiche, sehnsuchtsvolle Traurigkeit in ihrer Brust — neben dem heißen Wunsche, ihn, der so viel gewagt, der sie so schwer beleidigt, von Angesicht zu Angesicht zu sehen.
Sie streift den schweigend neben ihr Stehenden mit ihren Blicken. „Höre mich, schwarzer Ritter," sagt sie, und ihre Stimme hat niemals vordem so mild zu einem Manne gesprochen, „du hast das Maskenrecht mißbraucht, aber ich will dir nicht zürnen, sondern beweisen, daß ich hochsinnig genug bin, die Wahrheit zu ertragen; laß uns Freunde werden!"
„Das kann nicht sein. Mich reizt kein Weib ohne Seele. Ich habe nur ein Gefühl für dich: das Mitleid."
„Wahnwitziger!" sagt sie mit zuckenden Lippen. „Weißt du denn nicht, daß ich alles besitze, was das Dasein schön und lebenswert macht? Daß ich auf seinen Höhen stehe?"
„Ich weiß es. Aber du wirst eines Tages herabsteigen müssen," erwidert er gleichmütig. „Jedermann muß es. Du wirst alt und reizlos werden. Und dann wird dein Leben arm und leer sein."
Fürstin Myra bebt vor Entrüstung. Noch niemand hatte darauf anzuspielen gewagt, daß ihre Jugend, ihre Schönheit nicht von ewiger Dauer.
„Bleibt man in dem Reiche, aus dem du kommst, immer jung und immer schön?" fragt sie höhnend.
„Keineswegs. Aber in meinem Reiche besitzt jedermann einen Talisman gegen den Lebensüberdruß."
Da ist es! Da ist das Wort, das sie vor
allen andern haßt und fürchtet, das ihre geheime Qual ausmacht! Ungestüm bewegt Kleopatra ihren Fächer aus schillernden Pfauenfedern. Sie muß ihre Erregung bemustern, denn ein Teil ihrer Verehrer hat sich wieder um sie versammelt. Man möchte von ihr Näheres über den Calatrava-Ritter erfahren. Sie vermuten hin und her; der eine rät aus diese, der andre auf jene Persönlichkeit ihres Kreises; Myra weiß, daß keiner das Rechte getroffen. Sie beschließt, allein an die Lösung des Rätsels zu gehen. Ihr Kopf brennt, ihre Pulse fliegen. Was hat der Mann ihr alles gesagt! Wie schonungslos hat er jede ihrer Schwächen beim Namen genannt! Wie gut scheint er sie zu kennen und — wie kalt läßt ihn augenscheinlich ihre Schönheit! Das letztere schmerzt sie fast am meisten.
Ihr Blick verfolgt den Geheimnisvollen er mischt sich ins Gedränge. Seine stolze Haltung, der eigentümliche Geschmack seiner tiefschwarzen Rüstung fallen auf, hie und da nähern sich ihn:, eine Anknüpfung versuchend, elegante weibliche Masken, doch er läßt sich nur vorübergehend fesseln. Die Nolle des stillen Beobachters scheint ihm am meisten zuzusagen.
Fürstin Myra hat es einznrichten gewußt, wie zufällig wieder in seine Nähe zu gelangen. Seine Persönlichkeit übt einen geheimnisvollen Zauber auf sie aus. Eine der herrischen kleinen Handbewegungen, durch die ihr Fächer zum Zepter zu werden scheint, und mittels deren sie ihren Anbetertroß nach Gefallen zu dirigieren weiß, ruft auch den schwarzen Ritter an ihre Seite zurück.
„Ich werde die Demaskierung nicht abwarten, sondern das Fest sogleich verlassen," sagt sie. „Laß mich zuvor dein Antlitz sehen und sage mir, wer du bist."
Er verneigt sich, ohne das Visier zu lüsten. „Für dich bin ich niemand. Lebe wohl, Königin. Und wenn du in der That ,wohl* leben willst, versuche menschenfreundlicher, milder, selbstloser zu werden. Das sind Eigenschaften, die den Lebensüberdruß verscheuchen und dauerhafter als Jugend und Schönheit sind."
Er ist gegangen. Fürstin Myra befindet sich wieder in: Kreise ihrer Freunde, aber noch immer liegt eine seltsame Starrheit über ihrem ganzen Wesen. Etwas, das sie nicht mit Namen zu nennen weiß, brennt und bohrt in ihrer Seele, auch dann noch, als sie den Ball bereits verlassen hat. ..
Den folgenden Tag bringt die Fürstin beinahe vollständig im Bett zu. Sie will „ausschlafen", doch wird ihr Schlummer durch fieberhafte Träume gestört, in denen ihr der schwarze Ritter, sein Visier entfernend, Marcels blasses Totenantlitz und dann wieder eine höhnisch grinsende Tenfelssratze zeigt.
Bleich und übernächtig sitzt sie abends wieder vor ihrem Toilettentisch, um sich zu dem vom Adelsklnb veranstalteten Nachtfeste frisieren zu lassen. „Heute wünsche ich das Haar leicht gekräuselt — und bringen Sie seitwärts eine oder zwei von diesen Granaten an," sagt sie zu dem Coiffeur, der bereits seines Amtes waltet. „Der ^ gestrige Abend hat mich ein wenig angegriffen; ich werde Rot auflegen müssen . . . was meinen Sie?"
Diese Frage ist an den Haarkünstler gerichtet; dabei sieht sie ihn eigentlich zum erstenmal an, flüchtig, interesselos.
„Wenn gnädige Fürstin meinen Rat hören wollen: ich ziehe die natürliche Bläffe dem künstlichen Rot unter allen Umständen vor."
Diese Stimme! Wo vernahm sie dieselbe schon einmal? Durch eine ungestüme Kopfbewegung zwingt sie ihn, in seiner Arbeit innezuhalten, und blickt nun mit gespannter Aufmerksamkeit in das blasse, stolze Gesicht mit den mandelförmigen, dunkelbraunen Augen, die eine so peinliche Ähnlichkeit mit denjenigen Marcels besitzen!
„Träume ich?" flüstert sie und streicht sich mit den schlanken Fingern über die Stirn. „Sie sind . .. Sie sind . . . Reden Sie! Ich will wissen, wer Sie sind!"
Uni seinen ausdrucksvollen Mund spielt ein ironisches Lächeln. „Wenn gnädige Fürstin es ganz genau wissen wollen: erster Gehilfe im Atelier des Hossriseurs Ferdinand Herzberg in der Dorotheenstraße. Das heißt: ich war es bis gestern. Heute arbeite ich nur noch einmal freiwillig in meinem Beruf, aus — Passion zur Sache."
„Unverschämter! Sie haben es gewagt, sich gestern in einen für Ihresgleichen verschlossenen Gesellschaftskreis einzudrängen, den Kavalier zu spielen, eine Dame der höchsten Aristokratie zu beleidigen! Sie haben —"
„Gnädige Fürstin werden gut thun, etwas leiser zu sprechen," sagt wieder die kühle, wohllautende Stimme, „die Dienerschaft könnte sonst Unzusammenhängendes erlauschen und einen gefährlichen Roman über die Fürstin Koljassow unter die Leute bringen."
„Sie sind ein Wahnwitziger! Ein Teufel!" Die Fürstin stößt es zwischen den Zähnen hervor. „Wie gelangten Sie zu all jenen Einzelheiten über mein Leben, meinen Charakter? Ich befehle Ihnen, wahrheitsgemäß zu antworten!"
„Und ich komme dem Befehl Ihrer Majestät der Königin Kleopatra mit dem größten Vergnügen nach. Alles, was ich weiß und unter der Maske anwandte, verriet mir Eurer Majestät eigner, reizender Mund. Ich mußte es Wohl oder übel mit anhören, als ich gestern abend beinahe eine Stunde meiner kostbaren Zeit wartend in diesem Zimmer verbrachte."
„Wissen Sie, daß Ihnen dieser schlechte Spaß Ihre Stellung und mehr noch kosten — daß ich Sie verderben kann?!"
„Nein," sagt er lächelnd, „ich weiß aber, daß die Geschichte von der Fürstin Koljassow und dem schwarzen Ritter unter Umständen die pikanteste Anekdote dieser Wintersaison werden kann. Gnädigste Fürstin thun also wirklich am besten, sich ruhig weiterfrisieren zu lassen, dann bleibt der Maskenscherz*, der, wie wir wissen, auch seine ernste Seite hat, das Geheimnis der Königin Kleopatra und des schwarzen Ritters."
Fürstin Myra findet, daß er recht hat. Seine ruhige Energie unterjocht ihren Willen. Bebend, beinahe ohnmächtig vor Zorn, hält sie unter seinen Händen still; rasch und graziös komponieren diese aus dem vollen, schwarzen Gelock und einigen brennendroten Blüten eine Frisur, die zweifellos auf dem Klubballe ihresgleichen nicht finden und von Myras Verehrern ein „Gedicht" genannt werden wird. Als die letzte Nadel befestigt ist, schnellt die Fürstin empor und steht ihm nun hochausgerichtet in ihrem Weißen, schleppenden Morgengewande gegenüber. Ihre großen, schwarzen Augen flammen ihn drohend an. „Sie werden mir niemals wieder unter die Augen kommen! Verstanden? Wenn ich eines Coiffeurs bedarf —"
„Ich hatte bereits vorhin die Ehre, der Frau Fürstin mitzuteilen, daß ich seit gestern meine Stellung nicht mehr bekleide; also würden meine Hände dieses bewundernswürdige Haar ohnedies nicht mehr berührt haben. Daß wir einander aber dennoch an andrer Stelle wieder begegnen, vermag ich nicht zu verhüten."
Sie mißt ihn mit einem Blicke tiefster Verachtung. „Meine Stellung verhütet das genugsam. Und nun können Sie gehen. Halt! Noch eines wünsche ich zu wissen: was hat Sie zur Ausführung Ihres maßlos dreisten Maskenscherzes* veranlaßt?"
„Einige Worte ans Ihrem Munde, gnädigste Fürstin, welche Sie mich gleichfalls anzuhören zwangen, und die ich, hätte ein Mann sie ausgesprochen, noch anders beantwortet haben würde, gaben mir die Anregung dazu."
„Wiederholen!" herrscht sie ihn an.
Er verneigt sich, schon die Thür in der Hand haltend, tief und spöttisch:
„Lächerlich, Mama! Ein Friseur ist kein Mensch*!"
„Guten Abend, Myra Iwanowna, mein Täubchen!"
„Heilige Jungfrau! Da hast du mich wieder einmal auf den Tod erschreckt, Dimitrij! Es ist dir doch bekannt, daß meine Nerven dergleichen Ueber- ! raschungen ganz und gar nicht vertragen können!"
„Müssen es eben lernen, Duschinka! Und nun komm her und gieb mir einen Kuß!"
Der Fürst Pflegte mit Vorliebe in dieser Weise ganz unerwartet vor seiner Gemahlin aufzntauchen, wenn sie ihn am fernsten wähnte, seiner Existenz am wenigsten gedachte, und ihr niemals ansbleibendes Erschrecken verfehlte auch niemals, ihn herzlich zu belustigen.
Resigniert aufsenfzend erhob sich Myra vom Divan und legte ihren Roman — ,Mui-nal ä'uve Uuxwre** von Maizeroy — beiseite.