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Ueöer <Land und Meer.
M 8
Der schwarze Witter.
K. rr. Hötzendorff-Hrabowski.
ie Fürstin Myra Koljassow verlebte alljährlich einige Wintermonate in Berlin. Das hatte verschiedene Gründe. Es gefiel ihr weder in Petersburg noch auf ihren Besitzungen in der Krim; sie liebte Rußland gar nicht — sie haßte es! Sie war eine geborene Berlinerin und von dem reichen russischen Fürsten, dem sie verschiedentlich auf Hofbällen begegnet war, um ihrer wundervollen, seltenen Schönheit willen erwählt worden. Natürlich durfte sie nicht „nein" sagen. Sie war ein blutarmes Mädchen, die Vorjüngste von acht Geschwistern, und konnte sich aus ihrer Armut um so weniger durch eigne Kraft herausarbeiten, als eine Grafenkrone über ihrem wunderschönen dunkeln Haupte schwebte.
Comtesse Myra Hildhausen herrschte zwei Saisons hindurch als Königin der Schönheit, fand übermäßig viele Verehrer und keinen ernstlichen Freier und verwandelte sich vor Beginn der dritten Saison in die Fürstin Myra Koljassow, die über Millionen Zn verfügen hatte. Das heißt, ihr Gatte hatte darüber zu verfügen. Er war kein sehr gemütlicher Herr, der Fürst Dimitrij Koljassow; er war launenhaft und tyrannisch. Myra mußte List und Koketterie, mußte zahllose, im Grunde unwürdige kleine Tricks anwenden, um ihn bei gutem Humor und offener Tasche zu erhalten. Nichtsdestoweniger war sie mit ihrem Los zufrieden.
„Du weißt, daß ich kein Herz habe, Mama, daß ich die Liebe nicht kenne, nicht an ihre Existenz glaube, — daß ich immer nur danach strebte, einen reichen Gatten zu angeln, viel Geld ausgeben und jede meiner Launen befriedigen zu können," sagte sie in vertraulichen Gesprächen zu ihrer Mutter, der alten Gräfin, die im Tiergartenviertel eine hübsche, standesgemäße Wohnung innehatte, deren Miete aus Väterchen Dimitrijs Tasche floß.
Die alte Gräfin war eine kleine, ängstliche Dame, die sich so ziemlich vor allem — und mehr als vor irgend einem andern Dinge der Welt vor ihrem Schwiegersohn, dem Fürsten Koljassow, fürchtete. „Ich begreife nicht, wo Myra den Mut hergenommen hat, ihn zu heiraten!" äußerte sie gelegentlich zu ihrer altvertrauten Kammerfrau, „und wie ich überhaupt zu einer solchen Tochter gekommen bin! Es ist wirklich, als sei Hexerei dabei im Spiele gewesen. Vergleichen Sie nur selbst meine andern Kinder, insbesondere meine Jüngste, Comtesse Melitta, mit der Fürstin Koljassow, liebe Schmiedeck."
Die „liebe Schmiedeck" dachte auch, daß die Fürstin eher ein Teufel als ein Weib sei; aber sie hielt klüglich den Mund.
Comtesse Melitta war das einzige der acht Kinder, das bei der Mutter geblieben, zur Pflege und Gesellschaft. Die andern hatte man, soweit es Mädchen waren, vorteilhaft unter die reichen Verwandten verteilt; jedes besaß sein niedliches Salontalentchen, mittels dessen es die ihm erwiesene Gastfreundschaft gewissermaßen bezahlen konnte. Melitta allein war absolut talentlos und bei weitem nicht so geschmeidig wie ihre Schwestern, sondern eher ein bißchen herb. Vielleicht hatte sich die alte Gräfin gerade deshalb an sie am engsten angeschlossen. Auf Melitta konnte sie sich in jedem Sinne stützen, und im Verkehr mit ihr entwickelte das Mädchen eine liebevolle Zartheit, welche die alte Frau bei ihren übrigen Kindern vermißte.
Von den Geschwistern wurde die Jüngste als eine Art Aschenbrödel angesehen und in keiner Hinsicht für voll genommen. Die Brüder allerdings wußten ihre hausmütterlichen Leistungen zu schätzen, wenn sie aus ihren verschiedenen Osfizierschulen auf Urlaub kamen, und nannten sie herablassend „ein gutes Ding". Das war aber auch alles. Ganz anders imponierte ihnen Myra, das „Glückskind"!
Die alte Gräfin allein konnte nicht daran glauben, daß Myra glücklich sei, und fragte diese während ihres winterlichen Aufenthaltes in der Tiergartenvilla immer wieder mit mütterlicher Besorgnis über die Einzelheiten ihres Lebens und über den Zustand ihres Gemütes aus, erhielt aber allemal den gleichen Bescheid: „Ich bin mit meinem Lose zufrieden."
Fürstin Myra sprach die Wahrheit; sie hatte kein Herz. Die alte Gräfin sagte es sich auch heute wieder, als sie mit ihrer schönen, erst vor wenigen Tagen aus Petersburg eingetroffenen Tochter am abendlichen Theetische saß.
Myra hatte von ihren Erlebnissen, ihren Triumphen gesprochen, hatte intime kleine Geschichten von Männern, die aus Leidenschaft für sie die tollsten Streiche ausgesührt hatten und zum Teil darüber zu Grunde gegangen waren, erzählt, während die furchtsamen Augen der alten Gräfin sich vor Entsetzen immer weiter öffneten.
Myra lachte dazu, schob hie und da ein Stückchen Backwerk zwischen die spitzen weißen Zähne und markierte mit dem Theelöffel ein paar Takte aus „Madame Angot" aus dem Tassenrande. „Es ist nicht anders, Mama! Daß der arme Marcel d' Aubray im Duell fallen mußte, ist nicht meine Schuld. Warum erzürnte er Dimitrij durch seine allzu offenbare Anbetung meiner Person?!"
„Weil du eine Kokette bist!" sagte Melitta, die gerade durch das Zimmer ging. „Weil du mit deinen Mitmenschen wie mit Marionetten spielst. Sage ihr, daß das verwerflich ist, Mama! Und daß sie es eines Tages bitter bereuen wird!"
„Melitta hat recht," bestätigte die alte Dame, durch den Eifer ihrer Lieblingstochter angefeuert. „Der arme Marcel! Er war so hübsch in seiner weißen Uniform! Und aus seinen ernsten braunen Angen sprach so viel Liebe für dich! . .. Ich glaube, er wird dir in deiner letzten Stunde erscheinen, Myra — neben andern möglicherweise, von denen ich nichts weiß — und dir das Sterben schwer machen."
„Spart eure Moralpredigten!" rief die Fürstin ärgerlich. „Ich bin Herrin meines Thuns und fürchte dessen Konsequenzen nicht. Ich fürchte nur zwei Dinge: das Alter und den Lebensüberdruß — und mit diesen beiden hat es noch gute Wege."
Durch die den Nebenraum abschließenden kupferfarbenen Portieren schob sich jetzt das pikante Spitzmausgesicht der französischen Zofe.
„Gnädigste Fürstin, der Coiffeur! Er sagt, er könne nicht länger warten."
„Du hast den Menschen in der That lange warten lassen, Myra," bemerkte die alte Gräfin schüchtern.
„Lächerlich, Mama! Ein Coiffeur ist kein Menscff. Und das Warten muß er gelernt haben: e'68t 8on mokier! Ich denke nicht daran, diesen Theetisch zu verlassen, bevor ich meine zweite Tasse mit Behagen zu mir genommen."
Im Nebenraum, dem Ankleidezimmer der Fürstin, herrschte ein malerisches Durcheinander. Die schimmernden Einzelheiten des Maskenkostüms, in dem die schöne Frau ans dem heutigen Gesandtschaftsballe glänzen wollte, lagen über alle Möbel verstreut. Vor dem Toilettentisch brannten bereits die Wachskerzen in den hohen Armleuchtern, und der Coiffeur stand in bescheidener Haltung daneben. Seine gesenkten Blicke erhoben sich erst, als in seiner Nähe das Rauschen eines Frauengewandes hörbar wurde. Melitta war in ihrer geräuschlosen Art eingetreten.
„Es thut mir sehr leid, daß Sie so lange warten müssen; Sie hätten Platz nehmen sollen," sagte sie freundlich.
„Gnädigste Comtesse sind zu gütig. Ich hoffe, daß die Frau Fürstin bald über mich verfügen wird, da meine Zeit in fünfzehn Minuten abgelausen ist."
Was für ein angenehmes Organ der Mann hatte. Und wie gentil er aussah in seinem schwarzen Anzuge. Irene würde ihn als „Childe Harold" malen, sagte Melitta, an die begabteste unter ihren Schwestern und an deren Vorliebe für Byronsche Gestalten denkend, zu sich selbst und betrachtete sekundenlang mit rein objektivem Interesse die hohe, elegante Gestalt, das blasse, ovale Antlitz mit dem gedankenvollen Zuge um Augen und Lippen.
Vielleicht war auch dieser Mann, wie so viele Stiefkinder des Schicksals, zu Höherem geboren und litt unter der Sklavenkette, die ihn niederhielt.
„Ihr Beruf ist nicht leicht," bemerkte sie zögernd.
Ueber sein Antlitz ging der Schiminer eines Lächelns. „Er hat auch seine Lichtblicke," erwiderte er, und obschon sein Ton sehr respektvoll blieb, so sagten doch seine sprechenden braunen Augen recht deutlich: du bist einer dieser Lichtblicke!
Melitta fühlte, wie sie errötete; ihr Antlitz
nahm einen abweisenden Ausdruck an. Sie wandte sich zum Gehen und sagte kühl, ohne ihn noch einmal anzusehen: „Ich werde die Frau Fürstin davon unterrichten, daß Ihre Zeit beinahe um ist." Dann verschwanden die anmutige Gestalt, das seine, seelenvolle Gesicht, die so viel unerlaubte Bewunderung in des Mannes Augen entzündet, und gleich darauf rauschte die Fürstin Koljassow ins Zimmer. Sie blickte nicht den Coiffeur, sondern sich selbst an, während sie, vor den: Spiegel fitzend, ihre Befehle gab.
„Ich wünsche eine zur Kleopatra-Maske passende Frisur," sagte sie nachlässig. „Hat man Sie davon unterrichtet?"
„Ich bin durch den Herrn Hoffriseur genau instruiert, gnädigste Fürstin."
Entfesselt sinkt die Flut des rabenschwarzen Haares über das schneeweiße Morgenkleid herab. Mit solchem Material läßt sich etwas anfangen. Bald ist die klassische Frisur, zu welcher er die bereitliegenden Goldstreifen kunstgerecht verwendet, auf dem schönen Kopse arrangiert. Fürstin Myra ist eine vollendete Kleopatra, als sie eine Stunde später zum Abschiednehmen die Zimmer der alten Gräfin betritt. Ihr Anzug ist blendend schön und kostbar — er ist auch bis ins kleinste getreu nach Pariser Kostümbildern angefertigt.
Die alte Gräfin findet ihn zwar ein wenig herausfordernd, aber sie erfährt darauf von ihrer klugen Tochter, daß sie altmodisch sei und vom Geiste der Neuzeit keine Ahnung habe.
„Andre zeigen noch weit mehr von ihrem Körper als ich, ohne von der Natur in gleichem Maße bevorzugt zu sein," sagt Fürstin Myra, schon im Weggehen, verdrießlich. „Dimitrij äußerte es noch neulich."
Das sashionable Maskenfest hat bereits seinen Höhepunkt erreicht, als Kleopatra das Gesandtschafts- Hotel betritt. Sie ist in ihrer eignen, eleganten Troika — man kennt dieselbe in ganz Berlin, da die Fürstin auf Wunsch ihres Gatten stets dreispännig fährt — dorthin gelangt und mit Auszeichnung empfangen worden. Huldigte man ihr schon, als sie noch die arme Comtesse Hildhausen war, so herrschte sie jetzt als reiche, unabhängige Frau noch unumschränkter in der Welt des Glanzes und der Schönheit.
Das Kleopatra-Kostüm der Fürstin — die trotz ihrer schwarzen Halbmaske sofort erkannt wird und auch erkannt werden will — erregt allgemeine Bewunderung, umsomehr, als es so ganz dem Charakter ihrer gefährlichen, berückenden Schönheit entspricht. Fürstin Myra muß zahllose Schmeichelreden anhören, in denen viel Uebertreibung und wenig Geist zu finden ist. Sie vergnügt sich nur in der ersten halben Stunde daran; die Gewohnheit jahrelanger gesellschaftlicher Triumphe hat ihre Empfindungsfrische abgestumpft, und sie sieht mit Entsetzen — noch ahnt es niemand! — den Dämon des Lebensüberdrusses heranschleichen. Noch nicht! Noch ist es nicht so weit! sagt sie zu sich selbst. Noch habe ich Freude an meinen Diamanten, am Tanze, am — Spiel mit Herzen!
„Tanzen wir!" sagt sie zu ihrem Kavalier, als soeben ein elektrisierender Straußwalzer einsetzt. Und dann bemerkt sie, daß nicht mehr der Kammerherr v. Boethlingk in seinem malerischen Brigantenkostüm hinter ihrem Sessel steht, sondern ein andrer. Ein spanischer Ritter, hoch, schlank, völlig schwarz gekleidet, den Calatrava-Orden der Cistercienser auf der Brust tragend.
Im Augenblick erkennt sie ihn nicht, doch muß er zu ihrem Bekanntenkreise gehören, denn er bietet ihr den Arm und führt sie zum Tanze. Und wie tanzt er! Fürstin Myra weiß gewiß, im Ballsaal ist er ihr noch nicht begegnet, sie würde sich sonst dieser unvergleichlich leichten und sicheren Führung, dieser eigenartigen Rhythmik in den Bewegungen erinnern.
Sie bedauert es, als der Walzer zu Ende geht, und fragt ihren Tänzer, als er sie ans ihren Platz zurückführt, ob er nicht ihr gegenüber sein Visier lüsten will. Sie gebraucht dabei das karnevalistische Du.
„Nein, Kleopatra," sagt er. „Es verlohnte sich auch nicht für dich, denn ich bin kein Antonius."
„Dann vielleicht ein Cäsar?" fragt sie spottend, durch den Hohn in seiner Stimme gereizt.