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Ueöer Land und Weer.
M 8
„Warst du schon bei Mama? Hat man dir eine Erfrischung gereicht?"
„Ich speiste im Klub, mit Pawel Jaruschkin und ein paar andern netten Kerlen. Deine Alte versuchte ich zu begrüßen, doch ließ sie mich nicht vor. Melitta, die ich flüchtig sprach, teilte mir mit, daß ihr diesen Abend zu dem Märzdorfschen Souper wollt."
„Allerdings. Melitta geht selten aus, doch da die Baronin Märzdorf, deren Geburtstag man heute feiert, ihre Patin ist, so konnte sie nicht wohl ablehnen. Begleitest du uns?"
„Ohne Zweifel, mein Liebchen. Einigemal im Jahr muß sich doch wohl statt eines beliebigen andern Kavaliers der Gatte an der Seite der vielumschwärm- ten Fürstin Koljassow sehen lassen. Was meinst du?"
Dabei umfaßten seine Finger liebkosend Myras entblößten Arm, und sie stieß einen leisen Schmerzensschrei aus.
„Wie hart du mich anfaßt! Es wird einen roten Fleck geben!"
„Wachspuppe! So decke ihn mit einer deiner tausend Armspangen zu . . . Nun werde ich gehen und mich eine Stunde aufs Ohr legen. Laßt mich rufen, wenn ihr bereit seid." —
Das Palais Märzdorf umschloß an diesem Abend nur eine kleine, auserwählte Gesellschaft.
„Heute servieren wir euch eine Berühmtheit, Myra," sagte der alte Baron Märzdors zu der Fürstin, die er, wie alle Hildhausens, duzte.
„Du machst mich neugierig, Onkelchen! Wer ist es?"
„Kein Geringerer als Herbert Wilnan, der Verfasser der ,Weltkinder', der gegenwärtig alle Federn und Zungen in Bewegung setzt."
„Wir kennen den Roman, Onkel. Melitta ist ganz begeistert davon, und auch mich bat er bis zu Ende gefesselt, obschon der Verfasser mit uns armen ,Weltkindern' nicht gerade glimpflich umgeht. Wenn er übrigens zur Familie der reichen kurländischen Freiherren v. Wilnau-Schöningen gehört, so geht seine Kunst nicht nach Brot."
„Thut sie auch nicht — und ebensowenig nach dem Lorbeer. Wilnan hat den Mut zur Wahrheit; er will reden, will gehört werden und mit seinem Worte nutzen."
„Also ein moderner Apostel," spöttelte die Fürstin. „Da darf ich ihn mir Wohl dementsprechend in seinen! Aeußern vorstellen?"
Der alte Graf lachte belustigt auf. „Darüber sollst du gleich selbst urteilen, kleine Malitiöse, ich hole dir meinen Apostel."
Im nächsten Augenblick öffnete die Fürstin Koljassow ihre schwarzen Augen, wie wenn sie ein Gespenst sähe. Ihr Atem stockte, der Fächer wollte ihrer Hand entgleiten, und sie fand, zum erstenmal im Leben, das liebliche Konvenienzlächeln nicht, mit dem sie sonst ihre Opfer schon bei der ersten Vorstellung zu umgarnen pflegte.
„Freiherr Herbert v. Wilnan, liebe Myra." Und dann schritt der Hausherr eilig einigen Neu- angelangten entgegen. Sie standen einander wieder gegenüber: die Königin Kleopatra und der schwarze Ritter.
Ja, es unterlag keinem Zweifel: er war es! Er war es, der in tadellosem Gesellschaftsanzuge, in tadelloser Haltung und mit einer tadellos ehrerbietigen Miene, in welcher niemand außer ihr selbst einen ganz schwachen Anflug von Hohn zu entdecken vermocht hätte, vor ihr stand und nun mit weltmännischer Gewandtheit eines jener kleinen Augenblicksgespräche begann, wie sie im Salon zwischen zwei einander wildfremden Menschen aus der flüchtigen Minute hervorzugehen pflegen.
Myra mußte antworten, nur bei ihrer Umgebung kein Aussehen zu erregen; sie durfte ihre Entrüstung nicht laut werden lassen, da mit der Bloßstellung des dreisten Eindringlings ihre eigne verbunden gewesen wäre. So hieß es: sich bezwingen und die rechte Stunde abwarten. Aber Dimitrij konnte vorbereitet, konnte sozusagen aus ihn gehetzt werden.
Sobald es unauffällig anging, zog sie ihren Gatten beiseite. „Du mußt wieder einmal für meine Ehre eintreten, Dimitrij. Unter den Gästen dieses Hauses befindet sich ein Mann, der mich tödlich beleidigte!"
Der Fürst antwortete nicht, allein die quer über seine niedrige Stirn lausende Ader trat bläulich hervor — ein böses Zeichen. Myra wußte, daß er nun sein Ziel mit Hartnäckigkeit verfolgen würde, und daß der hochmütige, kaltblickende Mann dort drüben so gut wie verloren war, welche Waffe man zum Zweikamps auch wählen mochte.
„Zeige ihn mir," sagte Koljassow endlich.
„Du darfst nur geradeaus schauen."
Es war, als ob Wilnan den Blick des Fürsten fühle; er wandte ihm sein ruhiges, dunkles Auge zu; die Männer fixierten einander sekundenlang, und Myra gewahrte danach mit Staunen, daß hinüber und herüber ein verbindlicher Gruß gewechselt wurde. „Das ist ja einer der famosen Burschen, mit denen Pawel Jaruschkin mich im Klub bekannt machte!" sagte der Fürst mit völlig anfgehellter Miene. „Sei keine Gans, Myra! Der kann dich unmöglich beleidigt haben. Er ist ein Prachtkerl, wahrhaftig! Ich glaube auch, daß ich ihn eingeladen habe, mich Zu besuchen."
„Wenn du alles gehört haben wirst, Dimitrij —"
„Hat er dir in einer unerlaubten Weise den Hof gemacht?"
„ Nein - - aber..."
„Schon gut. Dann hat die Sache Zeit, bis wir zu Hause sind. Und nun stecke sofort ein fröhliches Gesicht auf, Myra Jwanowna, sonst — der Teufel soll mich holen, wenn ich es dir nicht anstreiche! Ich will nicht, daß die Leute meinen, es habe sich ein ehelicher Zwist zwischen uns abgespielt."
Wohl oder übel mußte die Fürstin ihre gesellschaftliche Maske wieder vornehmen. Der Abend erschien ihr endlos lang. DieAMere Ungezwungenheit, mit der sich Wilnan unter den Anwesenden bewegte, der offenbare Beifall, den seine Persönlichkeit bei jedermann und nicht zum wenigsten bei dem Fürsten Koljassow fand, steigerten ihre Verstimmung fast bis zum Unerträglichen. Beim Diner war Wilnan der Nachbar ihrer Schwester.
Melitta, die in ihrer meersarbigen Seidenrobe sehr zart und anmutig aussah, unterhielt sich augenscheinlich gut mit ihm. Nun, morgen sollten sowohl sie als Väterchen Dimitrij die ganze Wahrheit erfahren! Myra wollte die Geschichte vom schwarzen Ritter preisgeben, auf die Gefahr hin, dadurch ihres Gatten unbarmherzigen Spott herauszusordern. Fürst Koljassow war ein stolzer Mann; er würde die seiner Gemahlin widerfahrene Schmach als seine eigne an- sehen, und damit war das Schicksal des Verhaßten entschieden.
Das „Morgen" bot indessen zunächst keine Gelegenheit zu den geplanten Enthüllungen. Der Fürst war fast den ganzen Tag abwesend; abends kehrte er aus dem russischen Klub in sehr animierter Stimmung heim und brachte dieselbe Myra gegenüber, wie das so seine Art war, durch einige plumpe Liebkosungen zum Ausdruck. Myra lag ans dem Sofa und langweilte sich.
„Reiße mir nicht die Ohren ab, Dimitrij," sagte sie, die großen, zudringlichen Hände verdrießlich abwehrend. „Es war sehr unhöflich von dir, den ganzen Nachmittag auszubleiben, da wir doch besprochen hatten, miteinander einige Besuche zu machen."
„Larifari! Zur Visitenschinderei paßt ein Tag so gut als der andre," erwiderte der Fürst gleichmütig. „Ich hätte mir doch nicht etwa deshalb die Pönitenz anthun sollen, den Klub zu verlassen, wo es gerade so höllisch amüsant war? Wilnau gab ein süperbes kleines Frühstück, zu dem er mich sehr liebenswürdig einlud. Er verläßt noch diesen Abend Berlin, um sich auf seine Güter zu begeben, kehrt aber, wie er sagt, bald wieder hierher zurück. Wirklich ein schneidiger, hochinteressanter Mensch, dieser Wilnau! Stelle dir vor, in welcher originellen Weise er sich über die intimen Lebensdetails der Berliner Aristokratie, die sein nächster Roman beleuchten soll, zu unterrichten wußte: er trat für einige Monate bei dem Hosfriseur Herzberg als Gehilfe in Dienst und entwickelte so viel Fleiß und Anstelligkeit in der Ausübung der edlen Haarpflegekunst, daß sein Prinzipal ihm, umsomehr, als auch seine Erscheinung eine durchaus salonfähige, den Verkehr mit seiner vornehmsten Kundschaft anvertraute. Wilnau fand auf diese Art überall freie Bahn, sah seine Studienobjekte ungeschminkt, moralisch und physisch ,im Neglige' und that tiefe Einblicke, die er sich zu nutze
machen wird — natürlich in der taktvollsten, delikatesten Art, so daß sich kein Vorwurf gegen das Buch und die Person des Autors erheben kann. Ist das nicht ein verteufelt guter Spaß, Myra Jwanowna, mein Seelchen?"
Die Fürstin antwortete nicht. Alles um sie her drehte sich vor ihren Augen im Kreise. Sie bedurfte einiger Minuten, das soeben Vernommene ganz zu fassen und ihre Erregung so weit zu bemeistern, um sprechen zu können.
„ Ich weiß wirklich nicht, ob man dieser romantischen Fabel Glauben schenken darf," sagte sie endlich. „Ist dir nie der Gedanke gekommen, dieser Mann, den du so sehr bewunderst, könnte ein Abenteurer, ein Betrüger sein, der sich den guten, alten Namen jener kurländischen Adelsfamilie aus irgendwelchen unlauteren Gründen unrechtmäßig beigelegt? Dergleichen ist ja schon wiederholt dagewesen."
„Warum nicht gar! Dieser Wilnau ist so echt wie ich selbst. Viele in: Klub kennen ihn genau. Uebrigens wünsche ich, daß du das Vernommene vorläufig für dich behältst; der Baron macht nicht gerade ein Geheimnis daraus, doch möchte er aus leicht begreiflichen Gründen die Sache nicht auf allen Gassen ausgeläutet haben."
Die Fürstin blieb, nachdem ihr Gatte sie verlassen hatte, in einem schwer zu beschreibenden Gemütszustände zurück. Der kleine Roman, in dessen Mittelpunkt die geheimnisvolle Gestalt des schwarzen Ritters stand, erschien ihr jetzt in einem völlig neuen Lichte; je mehr sie über seine Einzelheiten nachdachte, um so glaubhafter ward ihr das anfangs An- gezweifelte. Wie hatte es sein können, daß sie nicht sofort unter der Maske des Friseurs den Mann von Stand erkannte — mindestens dann, als er ihr, während der letzten Unterredung, so sicher und mit so viel Kühnheit entgegentrat!
Wie sich wohl Melitta zu der Neuigkeit stellen würde? Myra läutete und befahl ihrer Zofe, die Comtesse herbeizurufen. Melitta kam und hörte das Fabelhaste mit der ihr eignen Gelassenheit an.
„Ich erkannte den ,Friseur', den du damals in deinem Ankleidezimmer so lange warten ließest, gestern abend sogleich wieder, als mir Baron Wilnau vorgestellt wurde," sagte sie. „Das Unerklärliche verwirrte mich momentan, aber dann beschloß ich, in Wilnau für diesen Abend nur den Verfasser der ,Weltkinder', nach dessen Bekanntschaft ich ja schon längst verlangt, zu sehen und die natürliche Lösung des Rätsels mit Rnhe abzuwarten. Was dich anbetrifft, liebe Myra, so konntest du den Baron schon nicht auffallender ignorieren, als es geschah. Natürlich empfand er das auch und blickte bisweilen mit einem mir unverständlichen Gesichtsausdruck zu dir hinüber."
„Davon weiß ich nichts," sagte die Fürstin. „Aber wenn du meinst, daß sich der Baron durch mein Benehmen verletzt gefühlt hat, so will ich es bei nächster Gelegenheit wieder gut machen. Uebrigens haben auch wir ihm etwas zu verzeihen."
„Ohne Zweifel," erwiderte Melitta lächelnd. „Wir und viele andre. Wilnau wird es ruhig hinnehmen müssen, wenn man ihn dafür gebührend ausschilt. Aber seinen Zweck hat er erreicht."
Von jenem Tage an beschäftigten sich die Gedanken der Fürstin Koljassow fast unablässig, wennschon in eine-r ganz neuen Weise, mit dem schwarzen Ritter, der nicht länger ein Gegenstand der Geringschätzung für sie war. Er hatte ihr einige ernste Lektionen erteilt; er war der einzige Mann, den ihre Schönheit nicht zu beeinflussen vermochte, aber auch der einzige — das fühlte sie jetzt oder glaubte es wenigstens zu fühlen —, dessen Neigung ihr wirklich erstrebenswert erschien. Sie wollte sich diese Neigung erkämpfen! Der Sieg mußte ihr gehören, wenn sie sich Mühe gab. Sich Mühe geben, um einem Mann zu gefallen, — das war neu, aber es war auch anregend und pikant und versprach den schönsten Lohn. Welcher Triumph würde es sein, den Stolzen zu bezwingen, in Liebe weich werden zu sehen!
Eines Nachmittags — es wurde schon Frühling in Berlin, und Myra Jwanowna erhielt von ihren Verehrern die ersten Veilchen — brachte ihr der Fürst die Nachricht von Wilnaus Rückkehr.
„Ich habe ihn bereits begrüßt, und er hat mich in dieser ersten Minute ersucht, ich möge ihn bei