Heft 
(1898) 08
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Ueber Land und Meer.

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deiner Mutter einführen," sagte er, seine Gemahlin mit halbgeschlossenen Augen anblinzelnd.

Thue es, wenn es dir gefällt," antwortete sie in gleichgültigem Tone,sprich aber zuvor mit Mama."

Sie wird nichts dagegen haben, wenn sie hört, wie viel ihm daran liegt," meinte der Fürst.Ich denke, wir können Wilnau dann gleich nächster Tage zum Diner bei uns sehen."

Noch niemals hatte es Myra mit ihrer Toilette so ernst genommen wie bei dieser Gelegenheit. Sie wollte sich an Schönheit selbst übertreffen. Eine Nobe von schwerem schwarzen Atlas, am Halsaus­schnitt und am Rande der weiten offenen Aermel durch einen schmalen Saum von weißem Schwanen­pelz gehoben, entsprach ihrem Zwecke am meisten. Es gab aber noch ein Halsgeschmeide, eine dreifache Schnur von seltenen schwarzen Perlen,Teufels- thränen" genannt, das unbedingt dazu gehörte und für jetzt noch im Laden des Hofjuweliers lag. Dimitrij mußte es kaufen, und Myra mußte, um das zu erreichen, eine ihrer kleinen Zärtlichkeits­komödien aufsühren, so widerwärtig ihr das auch war.

Der Fürst zeigte sich willig.

Du sollst die ,Teufelsthränew haben und dich mit ihnen für meinen Freund Wilnau schmücken," sagte er.Sende sogleich danach. Hier ist ein

Check, der hinreichen wird."

Ich will mich nur für mich allein schmücken, Dimitrij."

Schon recht. Eins ist so gut wie das andre," sagte er, seiner schönen Gemahlin einen kleinen, liebkosenden Backenstreich versetzend, der etwas zarter hätte aussallen können.

Die Fürstin Koljassow mußte sich selbst gestehen, daß sie niemals bewundernswerter ausgesehen hatte als an dem Tage, der ihr den Ersehnten bringen sollte. ,Er wird mir vergeben; er wird nicht umhin können, mich zu lieben!' sagte sie sich und lächelte strahlend ihr reizendes Spiegelbild an. ,Und vielleicht ist er sich dessen schon bewußt, denn was sollte ihn sonst dazu veranlassen, Mamas Zirkel aufzusuchend Er wird kommen! Er wird entdecken, daß Kleopatra jetzt eine Seele hat, und ihre Augen werden ihm sagen: du hast mir diese Seele gegeben sie ist dein!' Ihre Hände streckten sich nach der auf weißen Sammet gebetteten Perlenschnur aus; sie war im Begriff, das seltene Geschmeide anzulegen, da trat, gleichfalls schon für das Diner angekleidet, der Fürst bei ihr ein.

Ich komme eigens, um deinen schönen Hals mit den ,Teufelsthränen' zu schmücken," sagte er, die Jungfer durch einen Wink entfernend.

Erstaunt blickte Myra auf. Das war gar nicht seine Art! Was mochte ihn in diese gehobene Stim­mung versetzt habend Immerhin war es gut, ihn bei Humor zu erhalten. So neigte sie anmutig den Nacken.Ich danke dir. Und nun sage einmal, Väterchen Dimitrijewitsch, gefalle ich dird"

Ich bin hingerissen!" entgegnete der Fürst. Und Baron Wilnau, unser geschätzter Gast, wird zweifellos mein Empfinden teilen und beinahe ebenso stolz auf seine wunderschöne Schwägerin als auf seine Braut sein."

Schwägerin? Brautd" Sie brachte diese beiden Worte nur stockend über die erblassenden Lippen.

Ganz recht, meine Liebe. Baron Wilnau steht im Begriff, sich um die Hand deiner Schwester Melitta zu bewerben. Das ist auch der Zweck seiner Einführung bei deiner Mutter. Ich nahm an, du habest das mit der den Weibern eignen Schlauheit bereits geahnt, und deine verführerische Toilette sei eine zarte Huldigung für den neuen Schwager."

Darin irrst du! Ich . . . ich bin aufs äußerste überrascht!"

Hoffentlich freudig!" sagte er nachdrücklich und seine Hand legte sich wie ein eiserner Ring um ihr Armgelenk.Solltest du die Sache mit andern Augen ansehen als dein Gatte, so könnte die Har­monie dieses Verlobungstages empfindlich gestört werden. Hast du mich verstanden, Myra Jwanowna, mein Goldherzchen d"

Die Fürstin zitterte. Ihre Zähne schlugen wie im Fieber aufeinander. Er bot ihr den Arm, und sie ließ sich in die Empfangsräume führen.

Sie sah wunderbar schön aus, aber wie eine wandelnde Statue, mit dem klassisch modellierten, marmorweißen Halse, aus dem die tiefschwarzen

Teufelsthränen", das Symbol ihres einzigen, echten Gefühls und ihrer einzigen Niederlage, ruhten mit dem gleichsam versteinerten, marmorweißen Antlitz, in welchem nichts lebte als die großen, flammenden, nachtschwarzen Augen.

Die rauhe L)and.

Trojan.

Neuestes vom Büchermarkt.

is vor kurzem habe ich in einem freundlichen Wahne gelebt. Ich habe mir nämlich eingebildet, daß ich deutsch" verstünde. Inzwischen bin ich durch diesozialen Novellen" von Leonor Goldschmidt, betitelt:Im Morgengrauen" (Berlin, August Deubner), eines Besseren belehrt worden. Als ich die Eingangserzählung: Troll" zum erstenmal las, verstand ich kein Wort. Beim zweitenmal wurde mir wenigstens klar, daß ich sowohl zu meiner Bildung wie zu meiner Unterhaltung gut thäte, sie noch öfter zu lesen.Troll" ist eine Fundgrube für Schriftsteller, denen ihre arme deutsche Muttersprache nicht mehr genügt. Die Geschichte wimmelt nicht nur von ganz neuen Worten und Wendungen, sondern lehrt auch eine Klangmalerei, die wie schwere Musik wirkt die meisten verstehen nichts davon. Für die wenigen aber, die Geist und Originalität zu schätzen wissen, gebe ich nachfolgende Proben heraus:

Zuerst Seite 4:

Die Blaublusen knallten, goldgelben waren die Trom­peten vorbeigeflinkert, die grünen Maien wupperten und büschelten vorüber, und hinter dem Rasseln der letzten Blinkreifen war die Menge wieder zusammengewogt. Das Jungzeug sprang und zwitscherte schon rundum mit, der Haufe Vernunft aber, Armut und Leidenschaft, die schon zu Jahren gekommen, er hatte sich doch erst besinnen müssen, eh' er nun, eh' er auch nachruckte."

Dann Seite 6:,Ae, du Teufelsbursch!' Sozi hatte sich ihm geschickt entduckt, noch ehe er ihm mit seiner Knochentatze die dicken Lockenquallen im Nacken umspannt hatte!"

Seite 11:Der glückselige Troll süßelte."

Und endlich Seite 18 und 19:Dann war vor den voll in die Mäuler der tief sich zu beugenden Strubbels fahrenden Zinnlöffel der schwache Glanzschein auf den stumpfei: Rändern verschwunden. Von den leicht aus­gebauchten Rundwänden der Töpfe wurden auch die letzten Breispuren geschabt und gereckt. Und jetzt waren die dicken Löffel in den sauberen Töpfen rasselnd ertrunken!"

Das ist ebenso schön wie neu, und doch habe ich nicht einmal die kostbarsten Perlen aus der Meerestiefe der Gold­schmidtscheu Poesie herausgefischt. Obgleich mir ihr Glanz sehr verlockend schien, scheute ich mich doch vor ihnen, denn Herr Leonor Goldschmidt hat es bis jetzt noch unter­lassen, seinen Werken ein Wörterbuch mitzugeben. Bis er sich dazu versteht, habe ich mir gelobt, keine Zeile mehr von ihm zu lesen. Das fruchtlose Grübeln über zu hohen Diugeu macht bekanntlich nur Kopfschmerzen.

Ein eigenartiges Buch, wenngleich in ganz andern: Sinne, ist auchDie Generalstocht er" von I. N. Potapenko (Breslau, S. Schottlaender). Mir scheint's trotz aller Vorzüge an Geist, Charakteristik und Stimmung doch fast zu grau, trübe und hoffnungslos ein November­tag ohne jeden auch noch so flüchtig vergoldenden Sonnen­strahl! Zwei Frauen erleiden darin fast das gleiche Schicksal, die tote Clara und die lebende Marie, die das Tagebuch der andern zufällig in die Hand bekommt, ihr Gewissen erwachen fühlt und nun der von allen unvergessenen, geliebten und verehrten Dorflehrerin uachstreben will. Doch ihr Bemühen, so heiß es ist, scheitert an Mariens Unfähig­keit zur Nächstenliebe, zur Liebe überhaupt. Als sie diesen unheilbaren Mangel ihres Wesens erkennt, giebt sie sich

den Tod. Das ist sehr moralisch, aber es ist nicht sehr wahr! Einem absoluten Manko in seinem Innern steht jeder Mensch als Idiot gegenüber er weiß einfach nicht, was ihm fehlt. Und selbst der kleinste Funke der Liebe läßt sich nicht nur entfachen, sondern glüht von selbst auf. Clara hat gegen ihre Schwester gefehlt, und ihre Sinnes­änderung ist das Ergebnis einer Reue, die nichts gutmachen kann, sondern den furchtbar verschärften Blick nur auf das Zweck- und Haltlose der ganzen Lebensführung lenkt. Ihr Selbstmord ist keine natürliche Schlußfolge. Wo eine Thatsache, ein Mißerfolg töten müßte, thut es eine Idee, eine von außen herangetragene Erkenntnis. Trotzdem be­hält das Buch einen unbestreitbaren Wert, der in seinem tiefen Ernste und in seiner ungeschminkten Schilderung der russischen Gesellschaftsverhältnisse begründet ist. In diesem Lichte muß man auch die Mutter beurteilen, die bei aller Vorzüglichkeit der Charakterisierung mit ihrer roten Taille, ihrem Fett und ihrer Jugendlichkeit einen etwas reichlich ordinären Eindruck macht, und zu der die treue alte Dienerin der toten Clara und der lebenden Marie einen versöhnenden Gegensatz bildet.

Bei der Lektüre vonUnnützer Reichtum" vou George Oh net (Berlin, Richard Taendler) habe ich mich wieder einmal voll Verwunderung gefragt, wie es möglich ist, daß ein so minderwertiges Machwerk auch bei uns in Deutschland eine zweite Auflage erleben kann! Es ist ein sehr trauriges Zeichen für die Menge der Leser diesseits und jenseits der Vogesen, daß es sich von einem Autor, bloß weil er mit Recht oder Unrecht einen Namen besitzt, ein Werk von dieser Güte auch noch in der Wiederholung vorsetzen läßt. Die Komposition vonUnnützer Reichtum" mag passieren, aber geschrieben ist der Roman ebenso schlecht wie langweilig. Seine Personen entbehren ebensosehr aller Plastik wie aller Natur. Die reiche Madame Mößler mit ihrer Pflegemutterliebe zu dem Grafen Valentin Contras ist geradezu eine alberne Person. Und dieser Schurke und Lebemann ist genau so unecht und uninteressant wie seine tugendsame Gattin, wie die Goldkönigin selbst, wie Herr Eliphas Clement nebst Sohn und nicht ganz taktfester Schwiegertochter, samt allen übrigen, mit größerer oder geringerer Berechtigung in den Gang der Ereignisse ein­greifenden Personen. Die angefaulteste Gesellschaft ist das Milieu des Romanes, aber sie wird geschildert: zahn:, be­hutsam, unanstößig, mit künstlichen Dekorationsgewächsen an: Rande jedes Abgrundes, in den keiner hineinblickt. Die Schil­derungen eines wahnsinnigen Reichtums kitzeln die Phantasie des gemeinen Lesers, und mit fröhlicher Rührung sieht er die langweilige Tugend triumphieren und das ebenso lang­weilige, abgeblaßte Laster untergehen.

Der Name Clara Viebig steht noch nicht lange im Litteraturkalender. Trotzdem hat er bereits seinen Klang und alle Anwartschaft, in Kürze zu einerNummer" unter den schreibenden Leuten zu werden. Clara Viebig hat sich im Drama und in der Novelle versucht, und fast überall ist der Erfolg ihr zur Seite gewesen. Ihr RomanRhein- landstöchter" (Berlin, F. Fontane), der heute, gestern, morgen sich in der Wirklichkeit abspielen könnte, ist eine Sammlung von ausgezeichneten Photographien, mit'einem vortrefflichen Apparat ausgenommen und vou Künstler­hand retouchiert. Nelda Dallmer, die Heldin, ist

allerdings weniger Individualität als Typus, der Typus der modernen Frau, die klug, gut, warmherzig, ehrlich ihrer Sphäre bei jeder Lebensäußerung ein mehr oder minder deutliches Gefühl der eignen Be­schränktheit, Voreingenommenheit und seelischen Armut auf­drängt. Daß sie solch eine Art wandelnden Vorwurfs nicht liebt, ist natürlich, denn Fräulein Nelda ist außer allem andern auch noch witzig und kühn. Die Gesellschaft fühlt also keine Verpflichtung, ihr Steine aus dem Wege zu räumen, sondern sieht schadenfroh oder gleichgültig zu, wie das Mädchen sich an jeden stößt, über den die andern hinweghüpfen. Nelda wird nur von zwei Menschen ver­standen : von ihrem Vater, einem kränklichen, etwas unter­drückten Regierungsrat, und dem Hauptmann Xylander, jener andern, besseren Hälfte, die von der Natur vielleicht für sie geschaffen, vom Schicksal aber an ihr vorbeigeführt wurde. Er muß sich nun an seiner Freundesrolle genügen lassen und läßt sich auch genügen. Doch auch für Nelda setzt der Konflikt hier nicht ein. Halb aus Mitleid schenkt sie ihr Herz einem jungen Offizier, der den Makel eines von seinen: Vater beschmutzten Namens mit sich herumtragen muß, und dessen Mutter dieser selbe Makel um den Ver­stand und ins Irrenhaus gebracht hat. Ramer läßt sich die Liebe gefallen, die Nelda in großmütiger Verschwendung über ihn ausgießt, aber der Egoismus eines furchtbaren und berechtigten Kummers erstickt das aufkeimende Gefühl in seinen: Herzen wieder. Das Mädchen, das nicht nach der Schablone fühlt, denkt und handelt, stößt mit der Zeit den Mann ab, der so gern genau nach der Schablone in Glück und Ehre lebe:: möchte, und eines Tages, gerade als alle ihre Erwartungen aufs höchste gespannt sind, trifft es Nelda wie ein Schlag aus den Kopf: Ramer bricht mit ihr. Das Mädchen aber schreitet auf der Straße des Leidens und der Läuterung mutig weiter, an Un­tiefen vorbei, die sie einen Moment locken, und in die sie sich doch nicht hinabstürzt. Der frische Wind der Eifel und der Verkehr ihres Onkels, des Bürgermeisters,