7g. Land, vierzigster Jahrgang. Oktober M 7 —)§g§.
Preis vierteljährlich 3 M. 60. Mit pestaukkchlag 5 M. 73.
Stechllin.
Roman
Theodor Iontane.
>-Aegen vier war man von den: Ausfluge zurück und hielt wieder vor dem „Prinzregenten", auf einem mit alten Bäumen besetzten Platz, der wegen seiner Drei- eckssorm schon von alter Zeit her den Namen „Triangelplatz" führte. Die Wahlresultate lagen noch keineswegs sicher vor; es ließ sich aber schon ziemlich deutlich erkennen, daß viele Fortschrittlerstimmen aus den sozialdemokratischen Kandidaten, Feilenhauer Tor- gelow, übergehen würden, der, trotzdem er nicht persönlich zugegen war, die kleinen Leute hinter sich hatte. Hunderte seiner Parteigenossen standen in Gruppen auf dein Triangelplatz umher und unterhielten sich lachend über die Wahlreden, die während der letzten Tage teils in Nheinsberg und Wutz,, teils aus dem platten Lande von Rednern der gegnerischen Parteien gehalten worden waren. Einer der mit unter den Bäumen Stehenden, ein Intimus Torgelows, Marder Drechslergeselle Söderkopp, der sich schon lediglich in seiner Eigenschaft als Drechslergeselle eines großen Ansehns erfreute. Jeder dachte: der kann auch noch mal Bebel werden. „Warum nicht? Bebel is alt, und dann haben wir den." Aber Söderkopp verstand es auch wirklich, die Leute zu packen. Am schärfsten ging er gegen Gundermann vor. „Ja, dieser Gundermann, den kenn' ich. Vrett- schneider und Börsensilou; jeder Groschen is zusammengejobbert. Sieben Mühlen hat er, aber bloß zwei Redensarten, und der Fortschritt ist abwechselnd die ,Vorfrucht' und dann wieder
Kokzl'eserin.
Nach dem Gemälde von Augusts Corelli.
AM MW U
der ,Vater' der Sozialdemokratie. Vielleicht stammeil wir auch noch von Gundermann selbst. So einer bringt alles fertig."
Uncke, während Söderkopp so sprach, war von Baum zu Baum immer näher gerückt und machte seine Notizen. In weiterer Entfernung stand Py- Lerke, schmunzelnd und sichtlich verwundert, was Uncke wieder alles aufznschreiben habe.
Pyterkes Verwunderung über das „Aufschreiben" war berechtigt, aber sie wär' es um ein gut Teil weniger gewesen, wenn sich Uuckes aufhorchender Diensteifer statt dem Sozialdemokraten Torgelow lieber einer nebenstehenden Gruppe zugewandt hätte. Hier plauderten nämlich mehrere „Staatserhaltende" von dem mutmaßlichen Ausgange der Wahl, und daß es mit dem Siege des alten Stechlin von Minute zu Minute schlechter stünde. Besonders die Nheins- berger schienen den Ausschlag zu seinen Ungunsten geben zu sollen.
„Hole der Teufel das ganze Rheinsberg!" verschwor sich ein alter Herr von Kraatz, dessen roter Kopf, während er so sprach, immer röter wurde. „Dies elende Nest! Wir bringen ihn wahr und wahrhaftig nicht durch, unfern guten alten Stechlin. Und was das sagen Witt, das wissen wir. Wogegen uns stimmt, stimmt auch gegen den König. Das ist all eins. Das ist das, was man jetzt solidarisch nennt."
„Ja, Kraatz," nahmMol- chow, an den sich diese Rede vorzugsweise gerichtet hatte, das Wort, „nennen Sie's, wie Sie wollen, solidarisch oder nicht; das eine sagt nichts, und das andre sagt auch nichts. Aber mit Ihrem Wort über Nheinsberg, da haben Sie's freilich getroffen. Ausmuckung war hier immer zu Hause, von Anfang
1898 (Bd. 79).
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