154
Weber <Land und Weer.
^ 10
an. Erst frondierte Fritz gegen seinen Vater, dann frondierte Heinrich gegen seinen Bruder, und zuletzt frondierte August, unser alter forscher Prinz August, den manche von uns ja yoch gut gekannt haben, ich sage: frondierte unser alter August gegen die Moral. Und das war natürlich das schlimmste. (Zustimmung und Heiterkeit.) Und bestraft sich zuletzt auch immer. Denn wissen Sie denn, meine Herren, wie'S Augusten erging, als er in den Himmel wollte?"
„Nein. Wie war es denn, Molchow?"
„Nun, er mußte da wohl 'ne halbe Stunde warten, und als er zuletzt mit 'nem Anschnauzer gegen Petrus 'ransfahren wollte, da sagte ihm der Fels der Kirche: „Königliche Hoheit, halten zu Gnaden, aber es ging nicht anders; ich habe die elftausend Jungfrauen erst in Sicherheit bringen müssen,"
„Stimmt, stimmt," sagte Kraatz. „So war der Alte. Der reine Deubelskerl. Aber schneidig. Und ein richtiger Prinz. Und dann, meine Herren, — ja, du mein Gott, wenn man nu mal Prinz is, irgend was muß man doch von der Sache haben . . . Und so viel weiß ich, wenn ich Prinz wäre..."
XX.
Um sechs stand das Wahlresultat so gut wie fest; einige Meldungen fehlten noch, aber das war aus Ortschaften, die mit ihren paar Stimmen nichts mehr ändern konnten. Es lag Zu Tage, daß die Sozialdemokraten einen beinahe glänzenden Sieg davon getragen hatten; der alte Stechlin stand weit zurück, Katzenstein aus Gransee noch weiter. Im ganzen aber ließen beide besiegte Parteien dies ruhig über sich ergehen; bei den Freisinnigen war wenig, bei den Konservativen gar nichts von Verstimmung zu merken. Dnbslav nahm es ganz von der heiteren Seite, seine Parteigenossen noch mehr, von denen eigentlich ein jeder dachte: „Siegen ist gut, aber zu Tische gehen ist noch besser." Und in der That, gegessen mußte werden. Alles sehnte sich danach, bei Forellen und einem guten Chablis die langweilige Prozedur zu vergessen. Und war man erst mit den Forellen fertig, und dämmerte der Rehrücken am Horizont heraus, so war auch der Sekt in Sicht. Im „Prinz-Regenten" hielt man auf eine gute Marke.
Durch den oberen Saal hin Zog sich die Tafel: der Mehrzahl nach Rittergutsbesitzer und Domänen- pächter, aber auch Gerichtsräte, die so glücklich waren, den „Hauptmann in der Reserve" mit auf ihre Karte setzen zu können. Zu diesem Gros d'Armee gesellten sich Forst- und Steuerbeamte, Rentmeister, Prediger und Gymnasiallehrer. An der Spitze dieser stand Rektor Thormeyer ans Nheinsberg, der große, vorstehende Augen, ein mächtiges Doppelkinn, noch mächtiger als Koseleger, und außerdem ein Renommee wegen seiner Geschichten hatte. Daß er nebenher auch ein in der Wolle gefärbter Konservativer war, versteht sich von selbst. Er hatte, was aber schon Jahrzehnte zurücklag, den großartigen Gedanken gefaßt und verwirklicht: die ostelbischen Provinzen, da, wo sie strauchelten, durch Gustav Kühnsche Bilderbogen auf den richtigen Pfad zurück- zuführeu, und war dafür dekoriert worden. Es hieß denn auch von ihm, „er gälte was nach oben hin", was aber nicht recht zutraf. Man kannte ihn „oben" ganz gut.
Um halb sieben (Lichter und Kronleuchter brannten bereits) war man unter den Klängen des Tann- häusermarscheS die hie und da schon ausgelaufene Treppe hinaufgestiegen. Unmittelbar vorher hatte noch ein Schwanken wegen des Präsidiums bei Tafel stattgesnnden. Einige waren für Dnbslav gewesen, weil inan sich von ihm etwas Anregendes versprach, auch speziell mit Rücksicht auf die Situation. Aber die Majorität hatte doch schließlich Dubslavs Vorsitz als ganz undenkbar abgelehnt, da der Edle Herr von Alten-Friesack, trotz seiner hohen Jahre, mit zur Wahl gekommen war; der Edle Herr von Alten- Friesack sei doch nun mal — und von einem gewissen Standpunkt ans auch mit vollsten: Fug und Recht — der Stolz der Grafschaft, überhaupt eir: Unikum, und ob er nun sprechen könne oder nicht, das sei, wo sich's um eine Prinzipienfrage handle, durchaus gleichgültig. Ueberhaupt, die ganze Geschichte mit den: „Sprechen-können" sei ein moderner Unsinn. Die einfache Thatsache, daß der Alte von Alten-Friesack da säße, sei viel, viel wichtiger als eine Rede, und sein großes PrÜbenden-
kreuz ziere nicht bloß ihn, sondern den ganzen Tisch. Einige sprächen freilich immer von seinem Götzengesicht und seiner Häßlichkeit, aber auch das schade nichts. Heutzutage, wo die meisten Menschen einen Friseurkopf hätten, sei es eine ordentliche Erquickung, einem Gesicht zu begegnen, das in seiner Eigenart eigentlich gar nicht unterzubringen sei. Dieser von dem alten Zählen, trotz seiner Vorliebe für Dnbslav, eindringlich gehaltenen Rede war allgemein zugestimmt worden, und Baron Beetz hatte den götzenhaften Alten - Friesacker an seinen Ehrenplatz geführt. Natürlich gab es auch Schandmäuler. An ihrer Spitze stand Molchow, der dem neben ihm sitzenden Katzler zuflüsterte: „ Wahres Glück, Katzler, daß der Alte drüben die große Blumenvase vor sich hat; sonst, so bei venu cm tortue, — vorausgesetzt, daß so was Feines überhaupt in Sicht steht — würd' ich der Sache nicht gewachsen sein."
Und nun schwieg der von einem Thormeyerschen Unterlehrer gespielte Tannhäusermarsch, und als eine bestimmte Zeit danach der Moment für den ersten Toast da war, erhob sich Baron Beetz und sagte: „Meine Herren. Unser Edler Herr von Alten- Friesack ist von der Pflicht lind dem Wunsch erfüllt, den Toast auf Seine Majestät den Kaiser und König anszubringen." Und während der Alte, das Gesagte bestätigend, mit seinem Glase grüßte, setzte der in seiner alter ego-Rolle verbleibende Baron Beetz hinzu: „Seine Majestät der Kaiser und König lebe hoch!" Der Alten-Friesacker gab auch hierzu durch Nicken seine Zustimmung, und während der junge Lehrer abermals auf den auf einer Nheinsberger Schloßauktion erstandenen alten Flügel zueilte, stimmte man an der ganzen Tafel hin das „Heil dir im Siegerkranz" an, dessen erster Vers stehend gesungen wurde.
Das Offizielle war hierdurch erledigt, und eine gewisse Fidelitas, an der es übrigens von Anfang an nicht gefehlt hatte, konnte jetzt nachhaltiger in ihr Recht treten. Allerdings war noch immer ein wichtiger und zugleich schwieriger Toast in Sicht, der, der sich mit Dubslav und dem unglücklichen Wahlausgänge zu beschäftigen hatte. Wer sollte den ausbringen? Man hing dieser Frage mit einiger Sorge nach und war eigentlich froh, als es mit einem Male hieß, Gundermann werde sprechen. Zwar wußte jeder, daß der Siebenmühlener nicht ernsthaft zu nehmen sei, ja, daß Sonderbarkeiten und vielleicht sogar Scheiterungen in Sicht stünden, aber man tröstete sich, je mehr er scheitere, desto besser. Die meisten waren bereits in erheblicher Aufregung, also sehr unkritisch. Eine kleine Weile verging noch. Dann bat Baron Beetz, dem die Nolle des Festordners Zugefallen war, für Herrn von Gundermann auf Siebenmühle:: ums Wort. Einige sprachen ungeniert weiter, „Ruhe, Ruhe!" riefen andre dazwischen, und als Baron Beetz noch einmal an das Glas geklopft und nun, auch seinerseits um Ruhe bittend, eine leidliche Stille hergestellt hatte, trat Gundermann hinter seinen Stuhl und begann, während er mit affektierter Nonchalance seine Linke in die Hosentasche steckte: „Meine Herren. Als ich vor so und so viel Jahren in Berlin studierte" (alles lachte, „na nu"), „als ich vor Jahren in Berlin studierte, war da mal 'ne Hinrichtung..."
„Alle Wetter, der setzt gut ein."
„. . . war da mal 'ne Hinrichtung, weil eine dicke Klempnermadamm, nachdem sie sich ii: ihren Lehrburschen verliebt, ihre:: Mann, einen würdigen Klempnermeister, vergiftet hatte. Und der Bengel war erst siebzehn. Ja, ineine Herren, so viel muß ich sagen, cs kamen damals auch schon dolle Geschichten vor. Und ich, weil ich den Gefäugnis- direktor kannte, ich hatte Zutritt zu der Hinrichtung, und um mich 'rum standen lauter Assessoren und Referendare, ganz junge Herren, die meisten mit 'neu: Kneifer. Kneifer gab es damals auch schon. Und nun kan: die Witwe, wenn man sie so neunen darf, und sah so weit ganz behäbig und beinahe füllig ans, weil sie, was damals viel besprochen wurde, 'nen Kropf hatte, weshalb auch der Block ganz besonders hatte hergerichtet werden müssen. Sozusagen mit 'nein Ansschnitt."
„Mit 'nein Ausschnitt. . .; gut, Gundermann."
„Und als sie nun, ich meine die Delinquentin, all die jungen Referendare sah, wobei ihr wohl ihr Lehrling einfallen mochte..."
„Keine Verspottung unsrer Referendare. . ."
„. . . Wobei ihr vielleicht ihr Lehrling einfallen mochte, da trat sie ganz nahe an den Schafottrand heran und nickte uns zu (ich sage ,nnsß weil sie mich auch ansah) und sagte: ,Ja, ja, meine jungen Herren, dat ko mint davon .. ? Und sehen Sie, meine Herren, dieses Wort, wenn auch von einer Delinquentin herrührend, bin ich seitdem nicht wieder losgeworden, und wenn ich so was erlebe wie heute, dann muß einen: solch Wort auch immer wieder in Erinnerung kommen, und ich sage dann auch, ganz wie die Alte damals sagte: ,Ja, meine Herren, dat kommt davon? Und wovon kommt es? Von den Sozialdemokraten. Und wovon kommen die Sozialdemokraten?"
„Von: Fortschritt. Altd Geschichte, kennen wir, Gundermann. Was Neues!"
„Es giebt da nichts Neues. Ich kann nur bestätigen, vom Fortschritt kommt es. Und wovon kommt der? Davon, daß wir die Abstimmungsmaschine haben und das große Haus mit den vier Ecktürmen. Und wenn es meinetwegen ohne das große Haus nicht geht, weil das Geld am Ende bewilligt werden muß — und ohne Geld, meine Herren, geht es nicht" (Zustimmung; „ohne Geld hört die Gemütlichkeit auf") — „nun denn, wenn es also sein muß, was ich zngebe, was sollen wir, auch unter solchen Zugeständnissen, anfangen mit einem Wahlrecht, wo Herr von Stechlin gewählt werden soll, und wo sein Kutscher Martin, der ihn zur Wahl gefahren, thatsächlich gewählt wird oder wenigstens gewählt werden kann. Und der Kutscher Martin unsers Herrn von Stechlin ist mir immer noch lieber als dieser Torgelow. Und all das nennt sich Freiheit. Ich nenn' es Unsinn, und viele thnn desgleichen. Ich denke mir aber, gerade diese Wahl, in einem Kreise, drin das alte Preußen noch lebt, gerade diese Wahl wird dazu beitragen, die Augen oben Helle zu machen. Ich sage nicht, welche Augen."
„Schluß, Schluß!"
„Ich komme zum Schluß. Es hieß Anno siebzig, daß sich die Franzosen als die ,glorreich Besiegte:? bezeichnet hätten. Ein stolzes und nachahmenswertes Wort. Und wie wir, ohne uns was zu vergeben, diesen Sekt aus Frankreich nehmen, so dürfen wir, glaub' ich, auch das eben citierte stolze Klagewort aus Frankreich herübernehmen. Wir sind besiegt, aber wir sind glorreich Besiegte. Wir haben eine Revanche. Die nehmen wir. Und bis dahin in alle Wege: Herr von Stechlin auf Schloß Stechlin, er lebe hoch!"
Alles erhob sich und stieß mit Dubslav an. Einige freilich lachten, und von Molchow, als er einen neuen Weinkübel heranbestellte, sagte zu dem neben ihn: sitzenden Katzler: „Weiß der Himmel, dieser Gundermann ist und bleibt ein Esel. Was sollen wir mit solchen Leuten? Erst beschreibt er uns die Frau mit 'neu: Kropf, und dann will er das große Haus abschaffen. Ungeheure Dämelei. Wenn wir das große Haus nicht mehr haben, haben wir gar nichts; das ist noch unsre Rettung, und die einzige Stelle, wo wir den Mund (ich sage Mund) einigermaßen aufthun und was durchsetzen können. Wir müssen mit dem Zentrum paktieren. Dann sind wir egal 'raus. Und nun kommt dieser Gundermann und will uns auch das noch nehmen. Es ist doch 'ne Wahrheit, daß sich die Parteien und die Stände jedesmal selbst ruinieren. Das heißt, von ,Stände:? kann hier eigentlich nicht die Rede sein; denn dieser Gundermann gehört nicht mit dazu. Seine Mutter war 'ne Hebamme in Wrietzen. Drum drängt er sich auch immer vor."
Bald nach Gundermanns Rede, die schon eine Art Nachspiel gewesen war, flüsterte Baron Beetz dem Alten-Friesacker zu, daß es Zeit sei, die Tafel aufzuheben. Der Alte wollte noch nicht recht, denn wenn er mal saß, saß er; aber als gleich danach mehrere Stühle gerückt wurden, blieb ihn: nichts anders übrig, als sich anzuschlicßen, und unter den Klängen des „Hohenfriedbergers" — der „Prager", drin es heißt, „Schwerin fällt", wäre mit Rücksicht ans die Gesamtsitnation vielleicht paßlicher gewesen — kehrte man in die Parterrcrüume zurück, wo die Majorität dem Kaffee zusprcchen wollte, während eine kleine Gruppe von Allcrtapfersten in die Straße hinaustrat, um da, unter den Bänmen des „Triangelplatzes", sich bei Sekt und Eognae des weiteren Veno zu thun. Obenan saß von Molchow, neben