Heft 
(1898) 11
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Ueber Land und Meer.

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hinter uns liegenden Zeit versenkte. Der Schauplatz der Erzählung ist abwechselnd Rom, das südliche Italien und das heilige Land, und die hauptsächlichsten in ihr aus­tretenden Gestalten sind auf der einen Seite Kaiser Tiberius, dessen Nachfolger Caligula und der römische Priesterkönig Velosianus und auf der andern das wieder zum Leben erweckte Töchterlein des Jairus, Julia Procula, die Gattin des Landpflegers Pontius, Verouika, die Hüterin des Schweißtuches, und die Büßerin Maria aus Magdala. In letzterer läßt der Dichter die erste Märtyrerin für die neue Heilslehre auftreten. Als Triebfedern der vor uns sich ab­spielenden Vorgänge wirken der Cäsarenwahn der von ihrer

und der Bekennermut der ersten Nazarener. Das Ringen dieser geistigen Mächte wird uns in einem Gemälde von seltener Greifbarkeit und Farbenpracht veranschaulicht. Von besonderem Reize sind die landschaftlichen Schilderungen, die uns oft mit wenigen Federstrichen den Schauplatz der Begebenheiten so vor Augen stellen, als ob er sich unmittel­bar vor uns befände.

führt uns gleichfalls die historische ErzählungKleo­patra" von H. Rider Haggard. In dieser wird uns die dichterisch nach Shakespeares Vorgang mehrfach (unter anderm auch durch den bekannten Roman von Ebers) verwertete Geschichte von dem tragischen Untergang des Römers Marcus Antonius und der ägyptischen Königin Kleopatra vorgetragen. Ter Verfasser sucht durch seine Darstellung vor allem die bis jetzt vielumstrittene Frage zu lösen, weshalb bei Actium Kleopatra geflohen und An­tonius ihr mit Preisgebung seines Heeres und seiner Flotte gefolgt sei. Nach seiner Darstellung hätte dabei eine Jn- trigue des über den Abfall der Königin von den heimischen Göttern erzürnten obersten Isis-Priesters eine wesentliche Rolle gespielt. Rider Haggard weiß seine Hypothese jeden­falls als nicht unwahrscheinlich hinzustellen, der Hauptreiz seines Buches liegt indes in dem äußerst fesselnden und spannenden Verlauf der Erzählung. Sich ganz in den

Autor einen Aegypter aus königlichem Stamme eben jenen Isis-Priester Harmachis als Erzähler auftreten und über die Ereignisse berichten, die sich unter seinen

Mittelbarkeit, die'ihren Eindruck auf den Leser nicht ver­fehlt und ihn unwillkürlich mit sich fortreißt. Wenn der Tod der Königin etwas anders als gewöhnlich dar­mord durch Natternbiß lediglich als ein weitverbreitetes Gerücht dargestellt, während der wirkliche Vorgang sich der Kenntnis ganz entziehe.

Pierre Loti weiß uns in seinen anmutigen und geistvollen Erzählungen gewöhnlich in ferne Weltteile, in die arktischen Regionen oder in die Inselwelt des fernen

Ramuntcho"; in diesem bleibt er aus dem Bodeu seines Heimatlandes, und dennoch läßt er darin eine Welt vor uns erstehen, die uns vollständig befremdend und so gut wie eine unbekannte anmutet, das französische Baskenland am Nordabhang der Pyrenäen. Hier, wo die moderne Kultur durchaus nicht fremd ist, wo aber Volkssitten und Gebräuche sich nicht nur seit Jahrhunderten, sondern viel­leicht seit Jahrtausenden erhalten haben, bietet das geistige Leben Eigentümlichkeiten und Widersprüche dar, wie sie sich vielleicht nirgendwo anders mehr finden. So vereinigt sich kirchliche Rechtgläubigkeit mit einer Rechtsanschauung, die das Schmugglertreiben als ein Gewerbe gelten läßt, das mindestens ebenso anständig wie jedes andre ist und sich in ganzen Familien von Geschlecht zu Geschlecht als etwas Selbstverständliches vererbt. Dabei gehen freimütige und weitblickende Anschauungen Hand in Hand mit solchen, die von kleinlichster Engherzigkeit eingegeben werden. Daß es bei derartigen Verhältnissen zu Konflikten wirklich tragischen Charakters zu kommeu vermag, liegt auf der Hand. Eine derartige Tragödie bildet den Vorwurf des gegenwärtigen Romans. Ein Liebespaar, das sich von Jugend an als füreinander bestimmt ansehen kann, wird in grausamer Weise auseinander gerissen, nicht etwa weil der junge Mann, um den es sich handelt, dem Schmugglergewerbe nachgeht das ist altüberlieferter Landesbrauch, son­dern weil seiner Geburt ein Makel anhaftet, und das ihm von ganzem Herzen zugethane Mädchen sich bedingungslos dem Starrsinn einer Mutter fügen muß. Der Sturm­wind der Leidenschaft findet an der Landessitte dasselbe Hemmnis wie die wirkliche Windsbraut an der steilen Felswand der Pyrenäen.

In einem ziemlich scharfen Gegensätze zu der trotz ihres dekadenten Anflugs gefühlvollen Romantik Lotis steht die litterarische Freilichtmanier, in welcher der RomanGe­schichte eines jungen Mädchens" der dänischen Er­zählerin Erna Juel-Hansen gehalten ist. Hier be­gegnen uns Schilderungen aus dem Wirklichkeitsleben, die uns mit rückhaltloser Offenheit die Strebungen und Jrrnngen eines jungen Menschenlebens darlegen. Der Roman ver­folgt dabei eine polemische Tendenz, indem er darznlegen versucht, wie das Schicksal seiner Heldin wesentlich das

Ergebnis einer falschen, auf der einen Seite von haltlosen Grundsätzen und auf der andern von einer nicht minder verderblichen Sorglosigkeit geleiteten Erziehung ist. Die Schilderungen aus dem Leben der Gegenwart, welche die Verfasserin giebt, lassen ihr Darstellungs- und Erzählungs­talent in Hellem Lichte erscheinen.

Fast zehn Jahre nach dem Erscheinen desRückblicks aus dem Jahre 2000", der bei den Gebildeten der ganzen Erde einen so beispiellosen Erfolg errang und seinen Ur-

ist Edward Bellamy nunmehr mit einem neuen, größeren Werke hervorgetreten. Der RomanGleichheit" be­handelt dasselbe Thema wie derRückblick" und ist seine unmittelbare Fortsetzung. Dabei erläutert und erweitert er die Ausführungen des früheren Buches, das Bild desZukunstsstaates", wie es in jenem enthalten ist, vertiefend und weiter ausgestaltend. Wir erhalten daher wiederum ein Buch, das nicht nur in ungewöhnlichem Grade unterhält, sondern in Bezug auf alle sozialen Fragen eine Fülle von neuen Anregungen darbietet, die nicht verfehlen werden, auf lange Zeit hinaus das Interesse der Denkenden in Anspruch zu nehmen.

Wenn vor einiger Zeit einige glücklicheBuch-Aus­grabungen" die litterarische Welt in Staunen setzten, so darf man sich jetzt auf eine neue Ueberraschung gefaßt machen,Utull-llötsp über den Umgang mit Menschen" nennt sich ein Fundstück, von seinem Ent­decker und Herausgeber Oskar Wagner zutreffend als einaltägyptischer Knigge" bezeichnet. Es enthält die Lehren praktischer Lebensweisheit des unter der 5. Dynastie wirkenden ägyptischen Prinzen und Nomarchen Utuii-llotep und tritt mit Spuren seines ehrwürdigen Alters und dem charakteristischen Bilderschmuck eines ägyptischen Papyrus vor den Leser. Dieser darf sich übrigens nicht darüber wundern, daß die Gestalten der Pharaonenzeit ihn etwas bekannt anmuten; unter der Sonne giebt es eben nichts Neues, undes war alles schon einmal da", wie der weise Rabbi Ben Akiba sagt. Aus diesen: Gesichtspunkt möge inan daher diese neuesteAusgrabung" auf sich wirken und sich von ihrer praktischen Weisheit durch die Fährnisse des Lebens geleiten lassen. Verlangt man aber absolut Neues, so vermag das ehrwürdige Fundstück auch dieses zu bieten: deutschen Humor in altägyptischer Gewandung!

_ L. H.

Nürchig Zähre (LarlLheaLer.

Mm 10. Dezember feiert das Carltheater in Wien, in welchem Scholz, Nestroy, Treumann, Ascher, die Grobecker und andre berühmte Mimen außerordentliche Triumphe errangen, das Jubiläum seines fünfzigjährigen Bestehens. Der Tag wird in dem Schauspielhause festlich be­gangen werden, und die Besucher dieser Festvorstellung sollen angenehm überrascht werden durch eine Festschrift, welche Freud' und Leid dieser fünfzig Jahre eingehend schildert. Wir glauben unfern Lesern eine willkommene Gabe zu bieten, indem wir ihnen die Ansicht des Hauses, die Porträts der hervorragenden Direktoren und eine kurze Skizze ihrer Wirksamkeit bieten.

Als Direktor Carl (von Bernbrunn), der Pächter des Theatersan der Wien", gegen Ende des Jahres 1838 das alte Leopoldstädter Theater von dessen Eigen­tümer, Franz von Marinelli, käuflich erworben hatte, ließ er abwechselnd die Leopoldstädter und einen Teil seiner Wiedener Gesellschaft in diesem Hause spielen, in welchem er meist Possen, Volksstücke und Vaudevilles zur Aufführung brachte, während sich das andre Theater mit seinen großen Räumlichkeiten mehr für Ausstattungs- und Spektakelstücke eignete. Als im Jahre 1845 das Theateran der Wien" verkauft wurde, und Carl mit seiner großen Gesellschaft aus dieses kleine Haus angewiesen blieb, fühlte er sich beengt und unbehaglich und faßte den Entschluß, durch den Bau eines neuen, den höheren Anforderungen der Zeit ent­sprechenden Theaters, wie er sich in einer Ansprache an das Publikum ausdrückte,ein Wahrzeichen seines unaus­löschlichen Dankes zu hinterlaffen". Er traf auch bald darauf seine Vorkehrungen, am 7. Mai 1847 wurde zum letzten Male in dem alten Hause gespielt, nachdem kaum der Vorhang gefallen war, mit der Demolierung begonnen und sodann an den Neubau geschritten, der nach den Plänen der Architekten Van der Nüll und Siccardsburg mit in Wien bis dahin unbekannter Schnelligkeit ausgeführt wurde. Bereits am 10. Dezember 1847 konnte die Er­der Stirn die stolze Aufschrift IO L. UUIV.

trägt. Man gab das LustspielEigensinn" von Roderich Benedix, das VaudevilleDie Müllerin von Marly" nach dem Französischen von Louis Schneider, und eine nach LocroysNultre ck'eeols" von Nestroy bearbeitete Posse:Die schlimmen Buben".

Der Zulauf entsprach gleich anfangs nicht den Erwar­tungen, und drei Wochen nach der Eröffnung schrieb man 1848! Wien hatte nun andern Dingen seine Aufmerksam­keit zugewendet; die Theater waren leer. Direktor Carl selbst organisierte sein Personal mit eignen Waffen zur Nationalgarde und stellte seine Compagnie dem Gemeinde- vorstande zur Verfügung. Der Theaterdichter Friedrich

Kaiser verkündete hoch zu Roß unter Fanfaren, daß Kaiser Ferdinand seinen Völkern die Konstitution verliehen habe.

Heinrich Strampfer, fiel bei Erstürmung der Barrikade in der Jägerzeile am 28. Oktober. Erst im Herbste 1849 wendete sich das Interesse des Publikums wieder den Schau­spielhäusern zu, und Direktor Carl ließ es nicht an An­strengungen fehlen, die wieder erwachte Theaterlust seinem Hause zu erhalten. Er hatte Glück mit den Dichtern, mit neuen Engagements, mit den Gästen, die er austreten ließ, und als er 1854 einem Schlaganfall erlag, hinterließ er seinen Erben nahezu zwei Millionen! Carl war ein aus­gezeichneter Theatermensch voll eiserner Willenskraft, Scharf­sicht, rascher Auffassung, sicherem Urteile, Ausdauer und Pünktlichkeit, dabei höflich und leutselig. Leider mißbrauchte er nicht selten seine geistige Ueberlegenheit, um harmlos denkende Dichter und Künstler zu ihrem Nachteile zu überlisten.

Nach Carls Tode pachtete Johann Nestroy das Carl­theater von den Erben. Er war seit mehr als zwanzig Jahren als Dichter und Darsteller außerordentlich beliebt, und daß diese Beliebtheit noch im Steigen war, dafür sprachen die vollen Häuser. In den Sommermonaten, wenn die Komiker beurlaubt waren, ließ man illustre Gäste

und Parodien gegeben. Ganz besonders wurden die Ein­akter und Soloscenen begünstigt, weil man da oft Gelegen­heit hatte, an einem Abende die besten Kräfte in ihren Glanzleistungen zu sehen. Von hier aus nahm auch durch Carl Treumaun die Offenbachsche Operette ihren Weg über alle deutschen Bühnen. Es waren wahre Musterausfüh­rungen sowohl in Bezug auf die künstlerischen Leistungen als auch der Jnscenierung.

Als Nestroy nach sechs Jahren von der Direktion zurück­trat, war er ein reicher Mann. Er gastierte später noch bei seinem Freunde Treumann im Theater am Franz- Josefs-Quai etliche neunzig Male und starb am 25. Mai 1862 zu Graz. Nestroy hat mehr als sechzig Stücke ge­schrieben, von denen sich viele noch heute als Zugstücke bewähren, und wie er als Dichter die Schwächen seiner Zeit mit ätzender Ironie geißelte, so war er als Darsteller ein Satiriker ohnegleichen. Die Direktionsgeschüfte besorgten seine Regisseure und wohlgeschulte, ihm treu ergebene Freunde, welche das Bureau bildeten. Nestroy setzte nie eines seiner Stücke selbst in Scene, und es ist erstaunlich, daß dieser geistsprühende Dichter, dieser geniale Komiker nicht das Herz hatte, den miserabelsten Schauspieler zu tadeln, auch nicht hinter dessen Rücken. Er war immer liebens­würdig, und im Umgänge von einer rührenden Schüchtern­heit, vermochte er es nicht, jemand ein Anliegen abzuschlagen.

Gustav Brauer aus Nürnberg war der nächste Pächter des Carltheaters. Er bot 40 000 Gulden als jährlichen Pacht, um 15000 Gulden mehr, als Nestroy zahlte, und eröffnete vierundzwanzig Stunden, nachdem der Vorhang unter Nestroys Direktion zum letzten Male gefallen war, die Bühne wieder. Er mag von den besten Absichten beseelt gewesen sein, aber die Sympathien des Publikums folgten dem Nestroyschen Ensemble, welches fast vollzählig mit Treumann ins neue Haus zog, und mit dessen Leistungen Brauer nicht zu kon­kurrieren vermochte. Nach achtzehn Monaten war es mit seiner Direktion zu Ende. Nach Brauer versuchte der Dekorationsmaler Moritz Lehmann, ein Künstler in seinen: Fache, das Glück, und wenn von prächtigen Dekorationen, Wandelpanoramen und dergleichen allein der Erfolg ab­hinge, so wäre er ihm gewiß nicht versagt geblieben. Aber nach acht Monaten war Lehmann insolvent, und der liebens­würdige, seelensgute Mensch hatte alle seine Ersparnisse und mehr verloren und mußte Wien den Rücken kehren.

Ein Elementarereignis sollte dem verwaisten Carltheater bald zu einem neuen Direktor verhelfen. Am 9. Juni 1863 wurde das Theater am Franz Josefs-Quai ein Raub der Flammen, und Karl Treumann pachtete nun das Carl­theater, das er am 19. August mit seinem vollzähligen, beliebten Personale wieder eröffnete. Er ergänzte das letztere noch durch Matras, Tewele, Josefine Gallmayer, Amalie Kraft, Friederike Kronau, Anna Müller und Frau Materna, die sämtlich rasch Lieblinge des Wiener Publikums wurden. Treumann war unermüdlich als Darsteller und Direktor. Dekorationen und Kostüme waren elegant, geschmack- und stil­voll, und da immer Interessantes in vorzüglicher Weise geboten wurde und man sich vortrefflich unterhielt, gingen die Geschäfte glänzend. Um die Mitte des Jahres 1866 war Treumann direktionsmüde. Er trat zurück, erschien aber 1867 achtzig­mal und im Jahre 1873 siebzigmalals Gast" im Carl­theater. Sonst spielte er nur noch für wohlthätige Zwecke und lebte als wohlhabender Privatier teils in Wien, teils in Baden, wo er am 18. April 1877 starb. Sein reges Interesse und seine Anhänglichkeit an das früher von ihn: geleitete Theater bewies er, indem er für dasselbe zahlreiche französische Stücke und Operetten übersetzte und bearbeitete.

Treumanns Nachfolger in der Direktion war Anton Ascher, der als Mensch und Schauspieler in Wien sehr be­liebt war und es auch als Direktor wurde. Er eröffnete das Haus am 1. September 1866 und trat am 30. Juni 1872 in den Ruhestand. Nur einmal spielte er noch für einen wohlthätigen Zweck. Ascher bewies viel Geschick als Bühnenleiter; man nannte ihn wegen seiner Intelligenz und