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Ueber «Land und Meer.
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lang nicht hier) und vielleicht auch Professor Cujacius. Und wenn nicht der, so vr. Pusch, den Sie noch nicht kennen, trotzdem Sie ihn eigentlich kennen müßten, — noch alte Bekanntschaft aus Londoner Tagen her. Möglicherweise kommt auch Frommel. Aber vor allem, Baronin, was bringen Sie für Wetter mit? Lizzi sagte mir eben, es neble so stark, man könne die Hand vor Angen nicht sehn."
„Lizzi hat Ihnen ganz recht berichtet, der richtige London Fog, wobei mir natürlich Ihr Freund Stechlin einfällt. Aber über den sprechen wir nachher. Jetzt sind wir noch beim Nebel. Es war draußen wirklich so, daß ich immer dachte, wir würden zusammenfahren; und am Brandenburgerthor, mit den großen Kandelabern dazwischen, sah es beinah' aus wie ein Bild von Skarbina. Kennen Sie Skarbina?
„Gewiß," sagte Melusine, „den kenn' ich sehr gut. Aber allerdings erst von der letzten Ausstellung her. Und was, außer den Gaslaternen im Nebel, mir so recht eigentlich von ihm vorschwebt, das ist ein kleines Bild: langer Hotelkorridor, Thür an Thür, und vor einer der vielen Thüren ein paar Damenstiefelchen. Reizend. Aber die Hauptsache war doch die Beleuchtung. Von irgend woher fiel ein Licht ein und vergoldete das Ganze, den Flur und die Stiefelchen."
„Richtig," sagte die Baronin. „Das war von ihm. Und gerade das hat Ihnen so sehr gefallend"
„Ja. Was auch natürlich ist. In meinen italienischen Tagen — wenn ich übrigens von Italienischen Tagen' spreche, so meine ich nie meine Verheiratungstage; während meiner Verheiratungstage Hab' ich Gott sei Dank so gut wie gar nichts gesehn, kaum meinen Mann, aber immer noch zu viel — also während meiner italienischen Tage Hab' ich vor so vielen Himmelfahrten gestanden, daß ich jetzt für Stiefeletten im Sonnenschein bin."
„Ganz mein Fall, liebe Melusine. Freilich bin ich jetzt nebenher auch noch fürs Japanische: Wasser und drei Binsen und ein Storch daneben. In meinen Jahren darf ich ja von Storch sprechen. Früher hätt' ich vielleicht Kranich gesagt."
„Nein, Baronin, das glaub' ich Ihnen nicht. Sie waren immer für das, was Sie jetzt Realismus nennen, was meistens mehr Ton und Farbe hat, und dazu gehört auch der Storch. Deshalb lieb' ich Sie ja gerade so sehr. Ach, daß doch das Natürliche wieder obenauf käme."
„Kommt, liebe Melusine."
Melnsinens kribbelnder kleiner Finger behielt recht. Es kam wirklich Besuch, erst Wrschowitz, dann aber — statt der drei, die sie noch nebenher gemutmaßt hatte — nur Czako.
Der Empfang des einen wie des andern der beiden Herren hatte vorn im Damenzimmer statt- gesunden, ohne Gegenwart des alten Grasen. Dieser erschien erst, als man zum Thee ging; er hieß seine Gäste herzlich willkommen, weil er jederzeit das Bedürfnis hatte, von dem, was draußen in der Welt vorging, etwas zu hören. Dafür sorgte denn auch jeder auf seine Weise: die Baronin durch Mit
teilungen aus der oberen Gesellschaftssphäre, Czako durch Avancements und Demissionen und Wrschowitz durch „Krittikk". Alles, was zur Sprache kam, hatte für den alten Grafen so ziemlich den gleichen Wert, aber das Liebste waren ihm doch die Hosnachrichten, die die Baronin mit glücklicher Ungeniertheit zum besten gab. Wendungen wie „ich darf mich wohl Ihrer Diskretion versichert halten" waren ihr gänzlich fremd. Sie hatte nicht bloß ganz allgemein den Mut ihrer Meinung, sondern auch in betreff ihrer jedesmaligen Spezialgeschichte, von der man in der Regel sagen durfte, daß sie dieses Mutes auch dringend bedürftig war.
„Sagen Sie, liebe Freundin," begann der alte Graf, „was wird das jetzt eigentlich mit den Briefen bei Hofe?"
„Mit den Briefen? O, das wird immer schöner."
„Immer schöner?"
„Nun, immer schöner," lachte hier die Baronin, „ist vielleicht nicht gerade das rechte Wort. Aber es wird immer geheimnisvoller. Und das Geheimnisvolle hat nun mal das, worauf es ankommt, will sagen den Charme. Schon die beliebte Wendung rätselhafte Frauen' spricht dafür; eine Frau, die
nicht rätselhaft ist, ist eigentlich gar keine, womit ich mir persönlich freilich eine Art Todesurteil ausspreche. Denn ich bin alles, nur kein Rätsel. Aber am Ende, man ist, wie man ist, und so muß ich dies Manko zu verwinden suchen... Es heißt immer ,üble Nachrede, drin man sich mit Vorliebe gefalle, sei was geradezu Sündhaftes'. Aber was heißt hier ,üble Nachrede'? Vielleicht ist das, was uns bruchstückweise zu Gehör kommt, nur ein schwaches Echo vom Eigentlichen, und bedeutet eher eine Milderung und Beschönigung. Im übrigen, wie's damit auch sei, mein Sinn ist nun mal auf das Sensationelle gerichtet. Unser Leben verläuft, offen gestanden, etwas durchschnittsmäßig, also langweilig, und weil dem so ist, setz' ich getrost hinzu: ,Gott sei Dank, daß es Skandale giebt'. Freilich, für Armgard ist so was nicht gesagt. Die darf es nicht hören."
„Sie hört es aber doch," lachte die Comtesse, „und denkt dabei: was es doch für sonderbare Neigungen und Glücke giebt. Ich habe für dergleichen gar kein Organ. Unsre teure Baronin findet unser Leben langweilig und solche Chronik interessant. Ich, umgekehrt, finde ,ellrovigu6 LeanärUeuse' langweilig und unser alltägliches Leben interessant. Wenn ich den Rudolf unsers Portier Hartwig mit seinem Hoop und seinen dünnen langen Berliner Beinen über die Straße laufen sehe, so find' ich das interessanter als diese sogenannte Pikanterie."
Melusine stand auf und gab Armgard einen Kuß. „Du bist doch deiner Schwester Schwester, oder mein Erziehungsprodukt, und zum erstenmal in meinem Leben muß ich meine teure Baronin ganz im Stiche lassen. Es ist nichts mit diesem Klatsch; es kommt nichts dabei heraus."
„Ach, liebe Melusine, das ist durchaus nicht richtig. Es kommt umgekehrt sehr viel dabei heraus. Ihr Barbys seid alle so schrecklich diskret und ideal, aber ich für mein Teil bin anders und nehme die Welt, wie sie ist; ein Bier und ein Schnaderhüpfl und mal ein Haberfeldtreibcn, damit kommt man am weitesten. Was wir da hier jetzt erleben, das ist auch solch Haberfeldtreiben, ein Stück Feme."
„Nur keine heilige."
„Nein," sagte die Baronin, „keine heilige. Die Feme war aber auch nicht immer heilig. Habe mir da neulich erst den Götz angesehn, bloß wegen dieser Scene. Die Poppe beiläufig vorzüglich. Und der schwarze Mann von der Feme soll im Urtext noch viel schlimmer gewesen sein, so daß man's (Goethe war damals noch sehr jung) eigentlich kaum lesen kann. Ich würde mir's aber doch getrauen. Und nun wend' ich mich an unsre Herrn, die dies difficile Kampfseld, ich weiß nicht ritterlicher- oder unritterlicherweise, mir ganz allein überlassen haben, vr. Wrschowitz, wie denken Sie darüber?"
„Ich denke darüber ganz wie gnädige Frau. Was wir da lesen wie in Runenschrift. . . nein, nicht in Runenschrift . . . (Wrschowitz unterbrach sich mißmutig über sich selbst) — was wir da lesen in Briefen vom Hofe, das ist Krittikk. Und weil es Krittikk ist, ist es gut. Mag es auch sein Mißbrauch von Krittikk. Alles hat Mißbrauch. Gerechtigkeit hat Mißbrauch, Kirche hat Mißbrauch, Krittikk hat Mißbrauch. Aber trotzdem. Aus die Feme kommt es an, und das große Messer muß wieder stecken im Baum."
„Brrr," sagte Czako, was ihm einen ernsten Augenaufschlag von Wrschowitz eintrng. —
Als man sich nach einer halben Stunde von Tisch erhoben hatte, wechselte man den Raum und begab sich in das Damenzimmer zurück, weil der alte Gras etwas Musik hören und sich von Arm- gards Fortschritten überzeugen wollte, „vr. Wrschowitz hat vielleicht die Güte, dich zu begleiten."
So folgte denn ein Quatremains. Als man damit'aufhörte, nahm der alte Barby Veranlassung, seiner Vorliebe für solch vierhändiges. Spiel Ausdruck zu geben, was Wrschowitz, dessen Künstlerüberheblichkeit keine Grenzen kannte, zu der ruhig lächelnden Gegenbemerkung veranlaßt, daß man dieserMufassung bei Dilettanten sehr häufig begegne. Der alte Graf, wenig befriedigt von dieser „Krittikk", war doch andrerseits viel zu vertraut mit Künstlerallüren im allgemeinen und mit den Wrschowitzschen im besonderen, um sich ernstlich über solche Worte
zU Verwundern. (Fortsetzung folgt.)
Gute Mär.
von
Erst recht zu blühen an.
Die Liebe naht im Hilgerkleid,
Er beut ihr Strauß und Kranz; So wallt sie durch die Winterszeit Im Frühliugsroseuglauz.
Die Lmngersteine.
Roman
Gertrud Aranke-Schrevekbeirr.
(Fortsetzung.)
er Konsul, ganz voll von seinen Ideen, sprudelte währenddessen allerlei Konterbande hervor.
„Hab' mir da draußen den Geschmack am alten Europa ein bissel verdorben," rief er. „Herrgott! Wo man hinguckt, hängt ja noch 's Mittelalter in großen Fetzen. Aufräumen, Platz machen, Luft schaffen, das ist's Notwendigste! Der alte Moder muß weg, daß das junge Leben durch kann."
„Papa," lachte Lotte schelmisch, „versündige dich nicht am geheiligten Alten'."
„Teufel, ja!" brummte er. „Wir haben ja unsre ,Pietät' — ein wohlklingender Ausdruck für Denkfaulheit und Gesühlsschlendrian übrigens. Pietät! Unter der Firma sind mehr Sünden begangen worden, als die Menschheit sich träumen läßt. Wenn wir einen Schritt vorwärts gemacht haben, kugeln wir drei zurück. Das macht, die Arrieregarde zerrt und zerrt. Am besten paßte ihr's, wenn zum Rückzug geblasen würde. Dann käm' sie ja aus einmal an die Spitze. Und brauchte keinen Schritt gemacht und keinen Finger gerührt zu haben. O je! Ich sag's ja, 's ist mein Schicksal: zu früh geboren! So um tausend Jahr zu früh!"
Lachend und scherzend verabschiedete man sich.
Es war Schnee gefallen.
Hinter den Eisengittern der Gärten lagen die mit Tannenreisig geschützten Beete wie Gräber unter der dicken, weißen, weichen Decke. Schwarzen Klecksen gleich hoben sich Koniferengruppen von dem kaltgrauen Grunde ab. Mal ein rötlich warmes Leuchten hinter den Fenstern, mal ein gelbes, langgestrecktes Streiflicht: Farbe und Leben in all den toten, blassen Schatten.
Die Herren trennten sich vor der Gartenpforte.
Hubert und Karl gingen durch die Marschallsstraße, über die Brühlsche Terrasse, der Brücke zu.
Ganz stumm. Hubert, als wär' er der Welt entrückt. Nach innen gekehrt, ohne Blick, die Stirn in finstern Falten. Manchmal bewegten sich seine Lippen, oder er machte eine schnelle, zwecklose Geste.
Karl Wedekind mußte ikm immer wieder ansehn, und konnte es ganz unverhohlen. Für Hubert war er gar nicht vorhanden. So wenig, als säße er aus dem Sirius.
Was hätte Karl drum gegeben, einen Blick in die siebenfach verschlossene Seele dieses Menschen zu thuu! Was spann der da wohl für Gedanken?
Ihm war, als sähe er eine große, unheilbare Verwirrung vor sich. Alles, was vor ein paar