Heft 
(1898) 12
Seite
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Ileber <Land und Meer.

M 12

öffnet ihm sein Haus, hat den besten Willen, Mittel und Wege, ihm herauszuhelfen .. . Und er wie ein Verrückter wirft sich selber die gastliche Thür vor der Nase zu! Er läßt sich's einfallen, sich in die schöne Tochter des reichen Mannes zu vergaffen. Wenn er nicht zum Verräter werden will an sich selbst und Johanna, darf er sie ja nicht Wiedersehn.

Den einen Abend, im süßen Rausch, hat er wohl seine Vergangenheit vergessen können. Jetzt aber steht sie fest und breit da, weicht und wankt nicht, wenn er sie herausschieben möchte aus seinem Leben, und verbaut ihm erbarmungslos die Zukunft.

Und gerade in Bezug auf seineGewissensehe", fühlt er, vollzieht sich langsam eine Wandlung in ihm.

Trotzig und im Gefühl seines guten Rechts hatte er der Gesellschaft den Fehdehandschuh hingeworfen. Es hatte ihm wohlgethan, ihre Vorschriften mit Füßen Zu treten, ihr zuzurufen: ,Seht, so wenig acht' ich euch! Ihr, die ihr in euern prüden Ge­setzen die sittenloseste Ehe eine Ehe, die aus Eigennutz oder aus Leichtsinn oder aus Ehrgier geschlossen wird mit allen Ehren behängt, und ein Bündnis, der heiligsten, reinsten Liebe entsprungen, verdammt wie eine Pestbeule der Unsittlichkeit euch frag' ich nicht: mit Verlaub? Ich handle nach Menschen- und Dichterrecht!'

Aber nun er einmal die Luft in diesem wahr­haft vornehmen Hause geatmet hatte, war's, als wäre mit dieser Luft auch die Anschauung dieser Kreise in ihn eingedrungen.

Er brauchte nur an Charlotte zu denken und er schämte sich. Hätte er nicht die Pflicht gehabt, Johannas zu schonen? Er wußte ja, sie war nichts für sich selbst. Vor seiner Leidenschaft schmolz ihr kleines Ich dahin. Sie wäre ebenso gern gestorben, wie seine Geliebte geworden. Aber mit ihrem Tod wäre ihm nicht gedient gewesen. Und so hatte er das größere Opfer von ihr verlangt.

Charlotte aber?- Nein! Um Gottes willen! Ihr nicht einmal mit dem flüchtigsten Gedanken zu nahe treten, daß sie fähig gewesen wäre auch aus Liebe nicht das Gesetz zu übertreten.

Sie hätte nicht einmal Künstlerin, gar nicht so klug und geistvoll sein brauchen, so ernst und streb­sam. Schon daß sie eine Vollnatur, ein Mensch für sich war, daß sie seiner Person eine eigne, ab­geschlossene Persönlichkeit entgegensetzte, das allein hätte Charlotte vor jedem begehrlichen Gedanken, geschweige denn vor seinem Verlangen geschützt.

Es kamen böse Stunden, in denen er Johanna fast zürnte, daß sie nicht die Kraft gehabt hatte, ihn seinem Schicksal zu überlassen.

Warum hatte sie ihn so ohne Schranken geliebt?

Er brachte es nicht über sich, sie Zu sehn. Kurze Briefe gingen zwischen ihnen hin und her. Er ent­schuldigte sich mit Arbeit, und sie glaubte nur zu gern, daß die Begegnung mit Berghauer vom glück­lichsten Einfluß auf seine Schaffensstimmung ge­wesen sei.

Und doch hatte er jetzt kein andres Bestreben als das, Zeit totzuschlagen. Er las zwar, aber ohne rechtes Interesse. Er schrieb einige Kleinigkeiten, aber die Unlust kam bald über ihn. Nur mit halber Seele arbeiten nein, dann lieber gar nicht. Alle Kräfte sammeln, aufsparen für ein seiner würdiges Werk!

Er ging also wieder viel spazieren, besuchte die Sehenswürdigkeiten, die Museen, die Bibliothek. Soviel sein abgespannter Kopf zu fassen vermochte, nahm er in sich auf.

Am häufigsten zog es ihn nach der Gemälde­galerie. Die milde Wärme der Räume, der Anblick des bunten, köstlichen Lebensüberflusses an den Wänden, der auch für ihn da aufgehängt war, gab ihm ein Gefühl des Reichtums.

Und da sah er Charlotte wieder.

Vor derVeuetianerin" von Tizian saß auf einer Stellage eine junge Dame und kopierte.

Die ungemeine Schlankheit der Gestalt, das lichtbraune, leichtgekrauste Haar erinnerte ihn, als er sie nur erst vom Rücken gesehn hatte, an Lolo. Er ging ein Stückchen weiter, scheinbar in die Bilder vertieft, und erhaschte nun auch den Anblick ihres zierlichen Profils.

Sie war so gleichgültig gegen die Außenwelt, daß sie die kleine Gruppe Neugieriger, die sich an­gesammelt hatte, um ihr zuzusehn, nicht im geringsten

beachtete. Sie tauschten flüsternd ihr Urteil aus, das sehr anerkennend war. Lolo ließ sich nicht stören. Ihr ganzes inneres Leben war in ihren Augen konzentriert, die von einem stillen, fieberhaften Feuer brannten. Ihr Ausdruck war gespannt von einem so tiefen, heiligen Ernst, wie er ihn nach ihrer sprühenden Lebendigkeit nie in diesem jungen Gesicht gesucht haben würde.

Nicht weit von ihr hatte sich ein junger Künstler ebenfalls an das Kopieren eines Bildes gemacht. Ein dandyhaftes, flottes Kerlchen in braunem Sammet­rock, mit spitzem Bärtchen und kecker Miene. Er rief ihr, die gewiß schon längere Zeit kameradschaft­lich neben ihm arbeitete, zuweilen auf französisch eine Bemerkung zu, die sie ebenso, aber hastig, als wolle sie sich nicht zerstreuen, beantwortete.

Hubert verstand nur Bruchstücke. Er, der die lateinischen und griechischen Klassiker in allen ihren Feinheiten begriff, der französische, italienische, eng­lische Bücher las, war nicht im stände, der leichtesten französischen Plauderei mit seinem ungeübten Ohr zu folgen.

Das brachte ihn auf einmal wieder zu sich. Er hatte so lange in einer Art geistiger Lähmung vor einem Bilde gestanden, ohne auch nur zu wissen, was es darstellte. Jetzt, wie erwachend, machte er eine hastige Bewegung, fortzugehn. Da sah Char­lotte auf, ihm ins Gesicht. . .

Ein paar Pinsel fielen ihm vor die Füße. Er bückte sich danach und überreichte sie ihr mit einer stummen Verbeugung.

Mechanisch nahm sie sie aus seiner Hand. Mein Gott," sagte sie zweifelnd,sind Sie's denn?"

Es war noch alles traumhaft, ihr Auge, ihre Bewegungen, ihre Sprache. Dann aber straffte sich ihr ganzes Wesen. Mit einem Blick auf das herum­stehende Publikum, das mit unverhüllter Neugier der Erkennungsscene zugeschaut hatte, rief sie ihm Zu: Eine Sekunde. Ich bin gerade fertig. Wollte eben nach Hause."

Er trat Zurück, wieder mit einer stummen Ver­beugung. Wie? Er sollte sie sprechen? Das war ihm alles so über den Kopf gekommen. Was sollte er ihr sagen, wie sich verhalten?

Sie packte indessen eilig zusammen, reinigte flüchtig die Palette, steckte die Pinsel in ein Täschchen. Dann stieg sie von ihrer Stellage herab, gab dem Diener Weisung, das Malgerät zusammenzustellen, und nahm ihr Mäntelchen um.

Hubert bemerkte Zu spät, daß er ihr dabei hätte behilflich sein müssen. Indessen der stutzerhafte Kollege in der braunen Sammetjoppe war flinker als er gewesen.

Pardon!" rief Hubert beschämt. Aber sie schüttelte flüchtig den Kopf, als lohne sich's nicht, wegen dieser Lappalie ein Wort zu verlieren.

Kommen doch morgen wieder, gnädigstes Fräu­lein?" fragte der Braunsammetne verbindlich.

Vielleicht... ja, ich hoffe," sagte Lolo zerstreut.

Er verneigte sich, die Hacken zusammenschlagend, den Kopf auf bie Brust gesenkt.Darf ich um verbindlichste Grüße an Herrn Vater und gnädige Frau bitten?"

Danke, Herr Baron! Adieu!"

revoil-, gnädiges Fräulein!" rief er hinter

ihr her.

So," sagte sie zu Hubert,nun kommen Sie ein Stückchen mit, nicht wahr? Ich Hab' mich näm­lich wieder mal verspätet. Sie müssen mir noch sagen, wo Sie sich so lange verkrümelt haben. Sie waren ja wie von der Welt geblasen."

Das alles sagte sie ganz selbstverständlich herz­lich, ohne Ziererei, ruhig und offen. Ihre schlanke, schöngebildete Gestalt ging an seiner Seite, behende und leicht. Ihre Kleidung, sehr einfach, ohne allen Schmuck, schien ihm das idion plus ultra von Ele­ganz. Bei jedem Schritt begleiteten sie das leise Rauschen des Seidenfutters, des seidenen Unter­kleides, ein feiner, unendlich einschmeichelnder Wohl­geruch.

Hubert wußte nicht, womit er's entschuldigen sollte, daß er seinen Besuch noch nicht wiederholt hatte. Er schwieg also. Sie sprach lebhaft weiter.

Denken Sie, Papa ist zweimal bei Ihnen ge­wesen. Das erste Mal hat er seine Karte dagelassen. Die haben Sie doch bekommen?"

Nein," sagte er. Es war ihm klar, eine Nach­

lässigkeit oder eher eine Bosheit der Wirtin steckte dahinter. Dies Weib, das er in seiner gereizten Stimmung ein paarmal unwirsch angefahren hatte, rächte sich durch allerhand kleine Malicen.

Nicht?" fragte Lolo ganz erstaunt.Wie geht denn das zu?"

Meine Wirtin, gnädiges Fräulein, verwöhnt mich nicht gerade durch Aufmerksamkeit."

Sie lachte hell auf.Nein," rief sie,das muß ja ein wahrer Satan sein! Als Papa das zweite Mal nach Ihnen fragte, hat sie ihm die Thür vor der Nase zugeschmissen."

Huberts Stirn war dunkelrot geworden. Es kochte in ihm vor Empörung.Das ist ja" murmelte er.

Ja, aber warum ziehen Sie denn da nicht aus?" fragte sie unschuldig und sah ihn mit weichen Blicken an.

Er hob die Schultern.Aus verschiedenen Gründen, gnädiges Fräulein. Ich habe mich nun mal an das Zimmer gewöhnt, ein Wechsel würde mich stören."

Sollte er ihr etwa sagen: Mein gutes Fräulein, ich habe Schulden bei dem alten Drachen und bin augenblicklich nicht bei Kasse?

Etwas unvermittelt fing er von ihrem Bilde an. Er lobte es. Eine ganze Weile habe er schon ge­standen und ihr zugesehn.

Nun war sie ganz Feuer und Flamme.Nicht wahr, es ist ein herrlicher Kopf? Wenn man sich so hineingräbt, möchte ich sagen ... so beim Ko­pieren, wo man alles nachempsinden muß, man kommt gar nicht aus dem Entzücken. Gott! Die breite Stirn, frei, rein, der üppige Mund, und doch herb, zugepreßt was Hab' ich mir bei dem Kopf nicht schon alles denken müssen! Ich Hab' mir eingebildet, daß sie unglücklich geworden ist eben weil sie so charaktervoll aussieht. Die Leute haben es schwer"

Ihm war die Schöne zu kalt, zu stolz.Ich ziehe die Venus drüben vor."

Sie hob in komischem Entsetzen die Hände. Um Himmels willen! Keine Götter! Menschen!"

Ei, warum keine Götter wenn sie so schön sind?"

Sie lachte schelmisch.Ja, wissen Sie, ich bin nämlich eine greuliche Ketzerin. Solche abstrakten Gesichter nein! Eine Göttin der Liebe stellen Sie sich das mal vor! Immer bloß lieben und schmachten und glühen und keine Aufgabe, woran man sieht, daß man lebt!"

Sie sprühte wieder wie am ersten Abend. Ihr ganzes Wesen war durchdrungen von edlem Feuer.

Sehn Sie, wenn ich des Morgens anfstehe und möchte zehnerlei zugleich thun . . o Gott! Und dann unter aller Arbeit kommt so ein Augen­blick, wo man dem Leben so gewissermaßen auf den Grund sieht, wo man etwas zurücklegt für die Ewig­keit ... Ich Hab' es nie begriffen, daß die meisten Frauen eigentlich bloß von der Liebe und für die Liebe leben wollen."

Er hatte bei ihren Worten eine bittere Ent­täuschung niederzukämpfen. Wochenlang hatte er sich eingeredet: ,Dn hast einen tiefen Eindruck auf sie gemacht? Und jetzt sagte er sich: ,Die hat bloß ihre Kunst im Kopf. An dich denkt die nicht?

Etwas in ihm wurde hart und kalt. Es war nicht bloß verletzte Eitelkeit, verwundeter Mannes­stolz. Es war etwas Besseres: diesem Mädchen hatte er sein Höchstes dargeboten dessen er noch keine Frau würdig gehalten und sie stieß ihn zurück!

Er war rachsüchtig. Nur wenn er eine Kränkung vergalt, kam er über das Gefühl der Erniedrigung fort. In seinen dunkeln Augen funkelte es sarkastisch, als sie gutmütig spottete:Uebrigens Ihre Venus na! So himmlisch sie gemalt ist die hat ja ein Schafsnäschen und einen dummen Mund. Frei­lich, wenn eins sich immer bloß aufs Küssen spitzt "

Er sah sie mit einem bösen Blick an.Nudi- täten sind ja auch gewöhnlich nicht der Geschmack der Damen."

Sie blickte ihm ganz erstaunt ins Gesicht und wurde rot.

Aha, also prüde! dachte er und erzählte, wie neulich eine Schar von jungen Mädchen wie auf KommandoAugen links" gerichtet, weil rechts die unschuldige Nacktheit der Liebesgöttin von der Wand

leuchtete. (Fortsetzung folgt.)