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Meöer Land und Meer.
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Weihnachten am Gardasee.
Von
Johannes Richard zur Megede.
I.
am Garda selbstverständlich auch..."
Das war eine verzweifelte Wissenschaft. Die wurde uns von einein zuverlässigen Freunde um 3 Uhr morgens aus dem Stuttgarter Hauptbahnhos aufgetischt, während der Eiltrain, der uns nach dem sonnigen Süden entführen sollte, bereits draußen in der Schneeluft hohlpfeifend rangierte. Es war der 24. Dezember. Wir saßen unter einem slitter- strotzendeu Weihnachtsbaum gestiefelt und gespornt mit Koffern und Taschen und brachen eben der „Abschiedspulle" den Hals. Etwas sank die Stimmung bei der Unglücksbotschaft.
„Tann werden wir wahrscheinlich schon im Arlberg sitzen bleiben."
„Oder auf dem Brenner; in Innsbruck soll der Schnee meterhoch liegen."
„. . . Hat auch seine Reize . . . Die Rundreisebillets werden wir doch nicht verfallen lassen..." Das letztere sagte ich, der etwas ärgerliche Skribent, der die Gardatour zusammengestellt und aufs wärmste empfohlen hatte. Alter tiefblauer Garda mit deiner immergrünen Oelbaumwildnis, deinen lachenden Limonengärten, deinen düsteren Cypressen — und den fchneestarrenden Hochgebirgsgipfeln darüber... ich sehne mich schon ein Jahrzehnt nach deiner klaren, warmen Flut und der unerbittlichen Sonne, die über ihr flimmert — und du thust mir das an!
Aber wir waren unser vier, hatten feuchtfröhlichen Ab- fchied genommen — und waren entschlossen. Das mit dem Steckenbleiben, dem Hunger, der Kälte ließ sich schon ertragen . . . doch wenn die Geister des Weines sich auch empfehlen sollten? Es war gut, daß diese schrecklichste Möglichkeit für trunkfeste Männer sich nicht weiter ausfpinnen ließ, denn eben verkündete der graubärtige Portier auf gut fchwäbisch:
„Eisteige nach Eßlinge, Plochinge, Uulm — Friedrichs- Hase . . . heckschte Zeit!"
^.leu zuetu 68to! Unser Rubikon war der Perron, den wir zu überschreiten hatten, um zu dem Klappcoups I. Klasse zu gelangen, das uns nicht ganz zustand. Zuerst hatte sich der „Maler" es bequem gemacht — ein etwas behäbiger Herr mit einer goldenen Brille und dem unverwüstlichen Humor der alten Niederländer; er war bereit, jedem Schneesturm zu trotzen, wenn die Getränke nicht aus-
Chef — der italienische Regiezigaretten über die Maßen haßte und den schäumenden Asti mit der kühlen Achtung des Pomerykenners beurteilte. Ihm lag der fabelhafte Schneesturm etwas auf den Nerven. Der dritte, ein schwarzlockiger Jüngling, den der Maler und ich eigentlich nur des Ulkes halber nach Italien verführt hatten, empfand das gelinde Grauen des Niegereisten. Daß bei dem Orte, wo „Spätzle und Schinke- wurscht" aufhörten, die Welt nicht mit Brettern vernagelt fein könne, war ihm vorläufig schleierhaft.
Mählich bezwaug uns der Schlaf. Als trübgraue Dämmernngsschatten den fchneefeuchten Wintertag ankündigten, war Ulm mit feinem Riesenmünster längst hinter uns. Das schwäbische Oberland dehnte sich in mürrischer Waldebene. Schwer kroch der Nebel die Coupefenster entlang. Dann flogen die Türme von Ravensburg vorüber. Dahinter erhoben sich verschwommen graue Bergzüge, die das schwäbische Meer den Bodensee — verdeckten. Wir schnallten die Reisedecken schweigsam zusammen mit den Kater- gefühleu, die Nachtfahrten stets im Gefolge haben. Langsam fuhr der Zug in Friedrichshafen ein mit einer weihnachtlichen Verspätung. Das Dampfboot, das uns bis Bregenz bringen sollte, zeigte seine dünne Rauchsäule uoch gerade weit, weit im See. Das war der erste Uufall. Die Wasser lagen grau, ölig; in der unbewegten Nebelluft schossen und stießen die Möwen. So ins Welschland zu ziehen — uiederdrückend!
Der litterarische Chef ermannte sich zuerst und versammelte uns zu einem Männertrunke. Denn die Kobolde der Langweile fliehen enttäuscht, wenn der Eiskübel blinkt. Als nachmittags die Sirene des fälligen Dampfers heulte, waren wir überzeugt, daß die Welt im allgemeinen und der Bodensee im besonderen nicht umgeschaffen zu werden brauchten.
^ Aut dem Wasser wehte es kühl und feucht, die Kielwelle rauschte schwer, aber die Möwen gaukelten mit scharfem Schrei über Deck und erspähten auch den kleinsten Bissen, den die Jtalienfahrer in die Flut warfen. Unser schwarzer Freund ergötzte sich daran sehr, und das Herz wurde ihm erst schwer, als am schneebedeckten Bergeshang Bregenz austauchte. Schwarz- gelbe Greuzpfähle — österreichische Käppis — die hechtgrauen Uniformen der Kaiser- jüger .. . Dort verschlang der Bodensee sein letztes Opfer, die ägyptischen Zigaretten, die ich dem litte- rarischen Chef durchzupafchen versprochen. Wie ich ihn hasse, diesen graubärtigen Finanzer, der sie gefühllos zerbrach und versenkte!
Zur Weihnacht stiegen wir auf den Gebhardsberg.
Das alte Mönchskloster starrte in Schnee und Eis. Um das ! riesige Gemäuer begannen die Abendschatten zu weben. Wo aber der Fels steil zu Thal , stürzt, da standeu wir lange, i Aus der Tiefe grüßten die Dörfer, klangen die Glocken;
! dumpf rauschte die Ache, und im verfchwimmenden Abendgrau hoben sich die weißen i Alpengipfel des Rheinthales.
Langsam versanken sie, von > den Seenebeln verhüllt. Ueber der Tiefe wogte ein graues ! Meer. Das war eine wunder- ! fame Weihnachtsstimmnng.
Wenig fehlte, und wir hätten die längst entschwundenen Mönche gesehen, wie sie diesen Kalvarienberg in stummem Zuge heraufzogen — mit ^ einem wehmütigen Blick aus ! die Kinder einer glaubens
losen Zeit — um dann in der weißen Klosterkirche zu verschwinden, deren ewige Lampe hell flimmerte. Wir hatten Italien beinahe vergessen, auch den Schneesturm.
Am frühen Morgen strebten wir weiter dem Arlberg
Windstoß sie zerriß, schauten wir in jähe Tiefen mit winzigen Tiroler Häuschen, in weißen Schnee gebettet. Der Zug stöhnte, höher zu kommen über eine atemraubende Klamm, an schaurigen Abgründen vorüber, durch schwarze Tunnels, in denen der Lokomotivpfiff heulend klang.
„Gestern, noch frisch und munter — und heute schon wieder Durst!" sagte der Maler und entkorkte eine Flasche Seewein.
Die Sonne stand im Zenit. Das kraftlose Licht färbte den Dunst; die Nebel wallten. Ter Arlberg! — „Jetzt oder nie —" dachte ich. Hier war die große Wetterscheide. Als wir den Riesentunnel passiert hatten und in das Thal hinaussahen — schien's uns ein Wunder. Ueber den starren Bergriesen strahlte eine Helle, frohe Wintersonne, der Firn glänzte, und scharf zeichneten sich die Felszacken gegen den klaren Frosthimmel ab.
Die Sonne hatte gesiegt, und sie blieb uns getreu — im Laude Tirol. Sie zog mit uns durchs Innthal mit feinen festen Schlössern — über den Brenner, dessen hochklimmende Tannenwälder im leuchtenden Schnee fast versanken — bis hinter Franzensseste rissige Dolomitenhäupter lichtgebadet emporstiegen und Frühlingslüfte aus den Reben- geländen wehten. Und der Schneesturm? — Entweder hatten wir unwissentlich den Säumigen überholt, oder unser felsenfester Entschluß, ihn zu besiegen, hatte ihn verscheucht — es blieb bei einem poetischen Gruseln; von Angesicht zu Augesicht geschaut haben wir den weißbürtigen, heulenden Unhold nicht!
In Bozen meinte es die Feiertagssonne schon recht gut. Und als wir in Mori die uralte Völkerstraße von Süd nach Nord verließen, umfing uns weiche, warme Sommerluft. Noch ist's Tirol — Welschtirol genannt. Aber es ist der blaue, tiefe, italienische Himmel, der auf Rebenhügel und Olivenhänge herniederlacht — es sind die eigentümlich fahlgebrannten Südländergesichter, die flammenden